Hermann Giesecke

Politische Bildung in der Jugendarbeit

München: Juventa Verlag 1966

Teil II: "Politik" als Stoff, als Unterrichts- und als Erziehungsprinzip

© Hermann Giesecke

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Inhaltsverzeichnis

Zu dieser Edition:

Der folgende Text beschreibt außerschulische politische Bildungsprojekte, die Anfang der 60er Jahre im Jugendhof Steinkimmen mit Gymnasiasten, Lehrlingen und Schulklassen durchgeführt wurden. Zu dieser Zeit befand sich diese besondere pädagogische Arbeit noch in den Anfängen. Über den damaligen politisch-pädagogischen Hintergrund finden sich nähere Angaben in meiner Autobiographie Mein Leben ist lernen.
Der hier wiedergebene Text ist aus meiner Kieler Dissertation "Die Tagung als Stätte politischer Jugendbildung" hervorgegangen, die in zwei Bänden veröffentlicht wurde. Zugrunde gelegt wurde die 3. Aufl. von 1972, die aber bis auf auf das Vorwort mit der ersten von 1966 identisch ist. Der andere, theoretische Teil erschien unter dem Titel "Didaktik der Politischen Bildung", München: Juventa-Verlag 1965.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Darüber hinaus wurde das Original jedoch nicht verändert.  Um die Zitierfähigkeit zu gewährleisten, wurden die ursprünglichen Seitenangaben mit aufgenommen und erscheinen am linken Textrand; sie beenden die jeweilige Textseite des Originals.
© Hermann Giesecke

ZWEITER TEIL:

"POLITIK" ALS STOFF, ALS UNTERRICHTS- UND ALS ERZIEHUNGSPRINZIP

 

 
 
 
 
 
 
 

Zur politischen Bildung im weitesten Sinne gehört alles das, was es uns möglich macht, uns mit Erfolg politisch zu beteiligen. So einfach sich das anhört, so umfangreich ist das Programm, das damit verkündet wird. In meinem Buch "Didaktik der politischen Bildung" habe ich versucht, diese Aufgaben zusammenzutragen und zu systematisieren.

Über die politische Bildung ist nach dem Zweiten Weltkrieg bei uns eine umfangreiche Diskussion geführt worden. Diese Diskussion hat - auf eine knappe Formel gebracht - drei Ergebnisse gehabt. Die politische Bildung muß erstens bestimmte politische Stoffe systematisch lehren. Wer zum Beispiel nichts von unserer Parteienstruktur weiß, kann sich weder politisch orientieren noch beteiligen. Die politische Bildung muß zweitens Unterrichtsprinzip sein. Sie muß also die politischen Gehalte auch solcher Stoffe deuten, die eigentlich keine politischen sind. Man kann zum Beispiel in der Filmpädagogik einen Heimatfilm einmal auf seine künstlerische Bedeutung (Filmkunde) und zum anderen auf seine politische Bedeutung befragen. Politische Bildung als Unterrichtsprinzip geht also davon aus, daß man einen solchen Film nicht verstehen kann, wenn man ihn nicht auch politisch deutet. Drittens schließlich gilt politische Bildung als Erziehungsprinzip. Vor allem unter dem Begriff des demokratischen Erziehungs- und

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Unterrichtsstiles hat man darauf hingewiesen, daß man demokratische Lehrgehalte nicht in autoritären Erziehungssituationen lehren könne.

Die herrschende pädagogische Meinung ist, daß diese drei Teilaufgaben der politischen Bildung in einen Zusammenhang gebracht werden müssen. Dies könnte man die didaktische Aufgabe der politischen Bildung nennen. Nun kann man schlecht alles zu jeder Zeit und an jedem Orte tun. Es wäre einfach unökonomisch, wenn man versuchen würde, in einer vierzehntägigen Tagung die Schule zu kopieren. Die entscheidende Frage lautet also: Was kann man in zehn bis vierzehn Tagen vernünftig beginnen und zu Ende führen und dabei doch den Zusammenhang der drei genannten Aufgaben im Blick behalten?
 
 

Das "Lehrer-Schüler-Verhältnis" als "Rollen-Ensemble"

Gemeinhin wird politische Bildung als Erziehungsprinzip unter dem Schlagwort des "demokratischen Führungsstiles" verfochten. Dieser wird einerseits gegen den "autoritären", andererseits gegen den "laissez-faire-Stil" abgegrenzt. Nun ist der Ausdruck "demokratisch" in diesem Zusammenhang recht unglücklich. Erstens erweckt er leicht die Vorstellung, es gäbe zwischen dem Führungskrach einer Jugendgruppe und einer Kabinettskrise keinen grundsätzlichen Unterschied, was schon dem bloßen Augenschein nach nicht richtig sein kann. Zweitens verdeckt er die Tatsache, daß sowohl der autoritäre wie der laissez-faire-Stil in bestimmten Situationen sinnvoll und notwendig sein kann. Im Fall unmittelbarer Gefahr zum Beispiel wird ein pädagogischer Leiter immer zunächst autoritär reagieren, bis die Gefahr beseitigt ist. Oder wenn es darauf ankommt, daß Jugendliche bestimmte Erfahrungen mit sich selbst machen sollen, ist der laissez-faire-Stil des Leiters durchaus vertretbar. Davon wird im folgenden noch

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zu berichten sein. Drittens schließlich erweckt dieser Begriff die Vorstellung, daß die Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler weitgehend beliebig und nicht von äußeren Bedingungen mitgeprägt seien. Man muß sich aber fragen, ob sich seit der Einführung des Wortes "demokratischer Führungsstil" an den Beziehungen wirklich etwas geändert hat. Genauso wie ein totalitäres Regime nicht schon dadurch demokratisch wird, daß es seine Herrschaft nicht mehr durch körperlichen Terror, sondern durch geistige Düpierung mittels einer Ideologie aufrechterhält, genauso wird ein pädagogischer Bezug nicht schon dadurch demokratisch, daß ein Lehrer freundlich mit seinem Schüler redet. Solange ein Lehrer gezwungen ist, seinem Schüler auch außerhalb der Schule überwiegend unter dem Diktat seiner Lehrerrolle zu begegnen, so lange hat sich offenbar prinzipiell gar nichts geändert.

Überall dort, wo die Beziehungen zwischen Menschen durch die Totalität einer bestimmten Rolle geprägt sind, wo also ein Rollenwechsel im Grunde nicht möglich ist, sollte man nicht von demokratisierten Beziehungen sprechen. Ich glaube, daß alle menschlichen Beziehungen, auch die pädagogischen, viel zu kompliziert und vielschichtig sind, als daß man sie unter einem Begriff zusammenfassen dürfte, der nicht diese Vielschichtigkeit schon in sich enthält.

Es scheint mir am leichtesten zu sein, unsere Beziehungen zu unseren jugendlichen Partnern mit dem Bild der "Rolle" anschaulich zu machen. In dem schon beschriebenen Konflikt mit den Lehrern wurde deutlich, daß wir unseren Jugendlichen nicht in einer totalen Rolle (als Lehrer, Referent, Leiter der Institution usw.), sondern mehrseitig, d. h. in einem Ensemble verschiedener Rollen gegenübertraten. Mindestens sieben verschiedene Rollen kann man unterscheiden, die wir bewußt entwickelten und auf die hin die Jugendlichen sich zu verhalten versuchten.
 
 

1. Der Mitarbeiter war institutioneller Repräsentant; als solcher repräsentierte er in der Tagung gegenüber den Jugendlichen gesellschaftliche Ansprüche, Normen, Gesetze

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und Erwartungen. Im Bewußtsein dieser Rolle stellte er Forderungen, vor allem disziplinarischer Art. Wenn man so will, dann drückte diese Rolle ein klares Machtverhältnis aus. Der Mitarbeiter hielt auch rein äußerlich Distanz zu den Jugendlichen; er redete sie mit "Sie" an und ließ sich ebenfalls so anreden. Diese Rolle setzte den Mitarbeiter in ein abstraktes, allgemeines Verhältnis zu den Jugendlichen: Deren Individualität war nicht als solche interessant, sondern nur insofern sie die abstrakte Rechtsbeziehung kennzeichnete. Trotz der Abstraktheit handelte es sich dabei natürlich um eine pädagogische Beziehung, insofern sich in ihr die Objektivität der Gesellschaft repräsentierte und insofern die Aneignung solcher Ansprüche ein unerläßlicher Teil der jugendlichen Entwicklung ist.

2. Der Mitarbeiter war Mann oder Frau. In dieser Rolle trat er dem anderen Geschlecht anders gegenüber als dem eigenen. Gegenüber der institutionellen Rolle war diese insofern autonom, als die institutionelle Rolle den Unterschied der Geschlechter auch nur wieder im Hinblick auf rechtliche Dimensionen kennt, womit die tatsächlichen Unterschiede natürlich keineswegs erschöpft sind. Die Geschlechterrolle forderte bei den Jugendlichen Männlichkeit bzw. Weiblichkeit heraus. Charme wurde von den Mitarbeitern gegenüber den Jugendlichen angewandt und honoriert. Auf dieser Ebene waren die Mitarbeiter nicht Pädagogen, sondern Männer, die ihr Gefallen an den Mädchen nicht verheimlichten, und Frauen, die ein Kompliment der männlichen Jugendlichen freundlich aufnahmen.

Wir legten großen Wert darauf, daß die Mitarbeiter diese Rolle auch voll durchspielten - und zwar ihrem Alter angemessen. Das Ganze war vor allem eine Stilfrage, und es kam darauf an, die erotischen Spannungen nicht zu unterdrücken, sondern sie ernst zu nehmen und zu kultivieren. Wir machten dabei die Erfahrung, daß dieser Stil das Zusammenleben der Geschlechter erheblich entspannte, wohl deshalb, weil auf diese Weise eine Art sozialer Anerkennung beim anderen Geschlecht erfolgte. Indem die

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Mitarbeiter nicht zu verleugnen suchten, daß sie Männer bzw. Frauen waren, setzten sie gleichsam Maßstäbe für Männlichkeit und Weiblichkeit, zogen dadurch einen erheblichen Teil der erotischen Spannungen auf sich und entlasteten dadurch die Gleichaltrigen des anderen Geschlechts.

3. Der Mitarbeiter war Fachmann für das, was er als Lehrinhalt zu vertreten hatte. In dieser Rolle war er jedem Jugendlichen überlegen. Diese "Autorität der sachlichen Kompetenz" wurde von den Jugendlichen auch immer anerkannt, solange sie sich keiner Grenzüberschreitung schuldig machte. Angesichts des tatsächlich vorhandenen Informationsgefälles wäre es einfach unredlich gewesen, jede Meinung von vornherein als gleichberechtigt anzusehen. Wenn der Mitarbeiter etwa Zeitgeschichtler war und die Machtergreifung Hitlers zur Debatte stand, dann gab es eben die Möglichkeit, Tatsachenkenntnisse und Meinungen der Jugendlichen als richtig oder falsch zu klassifizieren.

4. Der Mitarbeiter war interessierter Laie. Er interessierte sich vielleicht für Sport, Musik oder technische Fragen. Hier blieb grundsätzlich unentschieden, ob er oder einzelne Teilnehmer sachkundiger waren. In allen sportlichen Disziplinen waren die Teilnehmer fast immer hoch überlegen. Die Lehrlinge aus der Flugzeugindustrie verfügten über recht subtile technische Kenntnisse, von denen die meisten Studenten nur profitieren konnten.

5. Der Mitarbeiter war ein Suchender in allen wichtigen politischen und persönlichen Lebensfragen. In dieser Offenheit seiner eigenen Existenz hatte er trotz seiner sachlichen Kompetenz grundsätzlich keinen Vorsprung mehr vor den Teilnehmern. In einem Bild gesagt: Jeder - auch der ausgebildete Theologe - ist gleich nahe zu Gott. Die sachliche Zuständigkeit des Mitarbeiters war also immer dort zu Ende, wo sich der Spielraum des Normativen und der Sinnfragen auftat.

6. Der Mitarbeiter war gesellschaftlicher Partner der Jugendlichen in der freien Zeit, beim Tanz, Spiel, Sport,

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Spaziergang usw. Hier gab es vollends keinen Grund für eine Vorrangstellung gegenüber den Jugendlichen.

7. Schließlich war er vielleicht hier und dort noch persönlicher Berater. Da diese Rolle persönliches Vertrauen voraussetzte, mußte der Anstoß dafür immer von den Teilnehmern selbst kommen. Auch in dieser Rolle verfügte der Mitarbeiter zwar über die größere Reife, aber keineswegs über einen Autoritätsvorsprung, wie ihn etwa die Eltern in einem solchen Falle hätten.

Dieses Modell ließe sich natürlich weiter ausfächern. Wenn man also den Begriff des demokratischen Führungsstiles beibehalten will, dann muß man ihn in dem angedeuteten Sinne als Strukturbegriff verstehen. Dieses Strukturverständnis gab uns überhaupt erst die Möglichkeit, die Vielfalt der Beziehungen zu erkennen und pädagogisch wirksam werden zu lassen. Nun wurde zum Beispiel klar, daß wir die von der Gesellschaft verliehene Macht nur in der Rolle des institutionellen Repräsentanten ausüben durften, also in den ganz wenigen Fällen, wo es um unmittelbare disziplinarische Probleme ging. So war es beispielsweise nicht mehr möglich, bestimmte Freizeitinteressen der Jugendlichen, die uns nicht paßten, von der angeblich totalen Überlegenheit des Pädagogen her zu bekämpfen.
 
 

Die "Spielregeln" der Tagungsordnung

Unsere in der institutionellen Repräsentanz festgelegten Pflichten gegenüber den Jugendlichen drückten sich in den Regeln der Hausordnung aus. Diese Regeln wurden nie formuliert und ans "Schwarze Brett" gehängt, sondern den Jugendlichen zu Beginn einer Tagung mitgeteilt. Allerdings wurden sie aufmerksam kontrolliert. Sie ließen sich in drei Grundsätzen zusammenfassen:

1. Für das Verhalten der Geschlechter zueinander gelten die in der Erwachsenenwelt gültigen guten Sitten. Daraus folgte unter anderem, daß der Besuch der Schlafräume durch das andere Geschlecht in der Mittagspause und nach

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21 Uhr 30 verboten war. Wir sahen keinen Grund, solche Besuche generell zu verbieten.

2. Alkohol darf nur von der Tagungsleitung importiert werden. Im Hause wurden Alkoholika verkauft, bei der Befriedigung von Sonderwünschen (etwa Glühwein) waren die Mitarbeiter behilflich. In der Regel waren die Jugendlichen an alkoholischen Getränken kaum interessiert. Ihnen genügte offenbar die Erlaubnis. Trotzdem war dieser Grundsatz für die Lehrlinge wichtig, weil sie bei ihrem ersten Besuch in "Vatertagsmanier" erhebliche Mengen Schnaps mitbrachten, mit dem sie ihren "Urlaub" feiern wollten.

3. Ab 22 Uhr müssen alle Jugendlichen im Gelände des Jugendhofes sein. Von dieser Regel konnte abgewichen werden, wenn ein Mitarbeiter dabei war. Es kam oft vor, daß eine Gruppe mit einem Mitarbeiter noch einen Abendspaziergang unternahm oder die Dorfgaststätte aufsuchte.

Zu diesen Grundsätzen kamen zwei weitere aus dem Gesichtspunkt des Hausleiters hinzu: Schutz des Hauses und seiner Einrichtungen und die Garantie der Nachtruhe für die Mitarbeiter. Zum Schutz des Hauses gehörte unter anderem Rauchverbot in den Schlafräumen (Bedingung der Feuerversicherung wegen der leichten Bauweise). Bei mutwilligen oder grobfahrlässigen Beschädigungen wurden die Teilnehmer im Rahmen ihrer Möglichkeit finanziell herangezogen, oder sie konnten in ihrer freien Zeit einen vergleichbaren Arbeitswert abarbeiten. Aber eine solche Wiedergutmachung war nicht zu erzwingen, sie konnte nur freiwillig erfolgen. In der Regel wurde zum Schutz der Mitarbeiter, vor allem der hauswirtschaftlichen, um 23 Uhr Nachtruhe angesetzt. Dies bedeutete nur, daß unsere Mitarbeiter geschützt wurden, nicht, daß die Jugendlichen schon schlafengehen mußten.

Diese klar formulierten und ebenso klar begrenzten Anordnungen wurden von den Jugendlichen immer dankbar aufgenommen und anerkannt - natürlich keineswegs immer befolgt.

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Das Problem der Strafen

Eine besondere Schwierigkeit lag darin, daß wir eigentlich keine Strafen verhängen konnten. Verstöße gegen die Regeln mit besonderen Leistungen für die Gemeinschaft zu bestrafen, war nur dann pädagogisch vertretbar, wenn es sich um die Wiedergutmachung eines Schadens handelte, etwa im Falle der mutwilligen Beschädigung. Es schien uns aber nicht gerechtfertigt, Übeltäter dadurch zu bestrafen, daß sie etwa zusätzliche Verpflichtungen bei der Hilfe im Haus übernahmen. Dies war gewissermaßen die Kehrseite der sozialen Folgenlosigkeit des Aufenthaltes auf der Tagung: Die härteste und zugleich einzig mögliche Strafe bestand darin, einen Teilnehmer oder auch eine ganze Gruppe des Hauses zu verweisen. Sie mußte auch einige Male angewandt werden. Ihre pädagogische Problematik läßt sich gut an folgendem Fall verdeutlichen.

Trotz unserer ausdrücklichen Warnung hatte ein Lehrjahr einige Schnapsflaschen mitgebracht. Die Lehrlinge waren schlau genug, einige Tage - oder besser: Nächte - zu warten, um erst unsere Kontrollgewohnheiten zu ermitteln. Eines Nachts fanden wir einige Lehrlinge vom Alkohol übel zugerichtet im Gelände. Eine sofortige Kontrolle ergab, daß alle angetrunken waren, aber die älteren waren erfahren genug, rechtzeitig Schluß zu machen. Die jüngeren hingegen wollten sich offenbar durch besondere Trinkfestigkeit in der Gruppe emanzipieren. Daß die Älteren sich nun an der Unerfahrenheit der Jüngeren erfreuten, anstatt ihnen zu helfen, empörte uns besonders. Wir teilten der Gruppe mit, daß wir sie wohl am nächsten Tag aus dem Hause weisen müßten.

Am nächsten Morgen wollten sich alle einzeln bei uns entschuldigen. Wir nahmen diese Entschuldigung nicht an: Wir seien nicht persönlich beleidigt, und wenn sie sich entschuldigen wollten, dann sollten sie es bei den Jüngeren tun, die sie durch ihr Verhalten in die Volltrunkenheit getrieben hätten. In einer gemeinsamen Sitzung des Mitarbeiter- und des Sprecher-Teams erklärten sich die Mit-

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arbeiter nacheinander für eine Auflösung der Tagung. Die Sprecher baten darum, die Tagung fortzusetzen, und brachten dafür ein wichtiges Argument vor: Wenn die ganze Gruppe abreisen müßte, dann hätte das im Betrieb weitreichende Folgen. Da man nicht das ganze Lehrjahr bestrafen könne, würde man Schuldige suchen und mit Sicherheit denen die Schuld geben, die man ohnehin für die Sündenböcke hielt. Nach der Entlassung der Sprecher beriet das Team die Entscheidung. Der pädagogische Sinn der Strafe schien uns verfehlt, wenn die Folgen nicht einigermaßen überschaubar blieben. Selbst wenn die Jugendlichen aus verständlichen Gründen die vermutliche Reaktion im Betrieb übertrieben hatten, mußten wir mit der Möglichkeit rechnen, daß sie recht hatten. Dies bewog uns dann doch, die Tagung fortzusetzen.

Der Beschluß wurde dem Lehrjahr mit ausführlicher Darstellung der einzelnen Argumente bekanntgegeben. Statt der Entlassung verhängten wir eine "Ehrenstrafe" für die ganze Gruppe. Bestimmte Freiheiten wurden für zwei Tage aufgehoben. Der Bierverkauf im Hause wurde eingestellt, die Nachtruhe auf 22 Uhr vorgelegt, und außerdem kontrollierten die Mitarbeiter zwei Abende lang in jedem Zimmer die Einhaltung der Nachtruhe - was sonst grundsätzlich nicht geschah.

Das Beispiel zeigt, daß der Verweis aus dem Haus pädagogisch nicht unproblematisch war. Die Ehrenstrafe hingegen, die wir nach der Erfahrung mit dieser Gruppe häufiger anwandten, hatte ihren guten Sinn. Sie wurde von den Jugendlichen auch anerkannt, denn sie verstanden unsere Schwierigkeit und wußten selbst auch keine bessere Lösung. Sie verstanden, daß unsere großzügigen Spielregeln einen Partner voraussetzten, dessen Reife mit diesen Regeln übereinstimmte. Stellte sich heraus, daß die Jugendlichen zwar die Rechte einer solchen Regelung übernehmen wollten, nicht aber auch die entsprechenden Pflichten, so mußten eben von uns aus die Rechte auf das Niveau zurückgeschraubt werden, das den Pflichten entsprach, die man zu übernehmen bereit war.

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Die Institutionen der Tagung

Auch ein verhältnismäßig kurzes Zusammensein vieler Menschen bedarf eines Mindestmaßes an Organisation. Die allgemeine soziologische Erkenntnis, daß Verhalten an das Vorhandensein von Institutionen gebunden ist, an denen es sich orientieren kann, gilt auch für die Tagung. Wir entwickelten drei solcher Institutionen, das Mitarbeiterteam, das Sprecherteam und die Arbeitsgruppe.

1. Das Mitarbeiterteam

Nach Helmut Kentler (Jugendarbeit in der Industriewelt, S. 53) müssen folgende Merkmale zusammentreffen, wenn man eine Mitarbeitergruppe als Team bezeichnen will: a) Die personelle Zusammensetzung eines Teams kann nicht diktiert werden, etwa durch die zufällige Beziehung am Arbeitsplatz, vielmehr müssen die einzelnen sich für die Zusammenarbeit mit den anderen frei entscheiden können. b) Die einzelnen müssen grundsätzlich die gleichen Kompetenzen und gleich hohe - wenn auch nicht gleichartige - fachliche Voraussetzungen mitbringen, so daß die Leitung des Teams zur rein organisatorischen Frage wird und grundsätzlich jedem zufallen kann. c) Die Zielsetzung der gemeinsamen Tätigkeit muß von allen im Grunde akzeptiert werden und allen hinreichend bewußt sein, auch wenn arbeitsteilig an ihrer Verwirklichung gearbeitet wird. d) Die Beziehungen der einzelnen zueinander bedürfen eines Minimums an gegenseitiger Sympathie. Bei uns wurde eine Tagung immer von einem Team von drei bis fünf Personen geleitet. Es bestand aus einem hauptamtlichen Mitarbeiter und aus Studenten. In der Regel war der Hauptamtliche auch zugleich Tagungsleiter. Ihm als dem letztlich Verantwortlichen kam in allen Fragen die Entscheidung zu, die von den übrigen loyal mitvollzogen wurde, auch wenn sie anderer Meinung waren.

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Auf diese Weise bekam jede Tagung eine klare Führung. Diese Regel galt auch, wenn einer der Studenten die Tagungsleitung hatte. In diesem Falle stand auch der Leiter des Hauses in der Rolle des einfachen Mitarbeiters. Seine Autorität als Leiter des Hauses und damit als Arbeitgeber der Studenten blieb in diesem Fall unberücksichtigt.

Die Tagesleitung wechselte täglich. Jedes Mitglied des Teams wurde so an der Leitung beteiligt. Diese Regel war nicht nur ein geeignetes Mittel der Arbeitsteilung. Der Student sollte sich den Jugendlichen in mehreren Rollen präsentieren und dabei seine Schwierigkeiten und Grenzen erfahren. Blieb er nur Gruppenleiter, der mit einer kleinen Gruppe an einem Thema arbeitete, das er gut beherrschte, so geriet er leicht in eine Identifikation mit der Gruppe. Es bildete sich unmerklich ein Gefolgschaftsverhältnis der Gruppe zu ihm heraus. Trat er aber außerdem wenigstens einen Tag in der Rolle des Leiters auf, so mußte er nicht nur die Gesamtheit der Teilnehmer im Blick haben, sondern auch allgemeine organisatorische und disziplinarische Probleme lösen. Solche Tätigkeiten fielen aber oft gerade denen am schwersten, die in der kleinen Gruppe die besten Erfolge hatten.

Das Team reiste einen Tag vorher an, um sich abzustimmen. Die einzelnen Mitarbeiter stellten die Vorhaben vor, auf die sie sich vorbereitet hatten. Sie berichteten darüber nach folgendem groben Schema: 1. Wie soll das Unterrichtsergebnis des Vorhabens aussehen? 2. Welcher Einstieg wird gewählt? 3. Welches Material soll verwendet werden? 4. Wie ist der Weg vom Einstieg zum Unterrichtsergebnis geplant?

Jeder Bericht wurde ausführlich fachlich und pädagogisch diskutiert, das Vorhaben entsprechend korrigiert und verändert. Auf diese Weise erfuhr jeder Mitarbeiter die Problemstellungen der anderen und konnte sich in seinem Manuskript entsprechende Hinweise notieren.

Anschließend wurde überlegt, welche alle Vorhaben übergreifende Problemstellungen noch einmal besonders vor dem Plenum erörtert werden sollten. Dann wurden ein

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zelne Mitarbeiter gebeten, sich dafür nach Rücksprache mit den anderen ein kurzes Einstiegsreferat zu überlegen. Wenn dafür noch Zeit blieb, wurden gleich schon Gesichtspunkte für ein solches Referat zusammengetragen. Diese Vorbereitung nahm einen ganzen Arbeitstag, also mindestens acht Stunden, in Anspruch.

Das Team traf sich jeden Abend zu einer Sitzung, die bis spät in die Nacht dauern konnte. Der Ablauf des Tages passierte noch einmal Revue, das Programm der nächsten Tage wurde festgelegt und das Verhalten der Mitarbeiter kritisiert. Manchmal entzündeten sich bei bestimmten Entscheidungen stundenlange und leidenschaftliche Diskussionen, die sich dann zu einer Art pädagogischem Seminar ausweiteten. Das waren dann die Situationen, in denen pädagogische Theorie entstand, die dann der Praxis eine neue Gestalt gab, bis auch diese wiederum - nach einer ähnlichen Diskussion - als veränderungswürdig galt.

2. Das Sprecherteam

Dem Leiterteam zugeordnet war das Sprecherteam, dessen Mitglieder von den einzelnen Arbeitsgruppen am zweiten Tag gewählt wurden - mit Ausnahme der Klassentagungen, wo die Klassensprecher in ihrem Amt blieben.

Die vorhin charakterisierte Mehrdimensionalität unserer Beziehungen zu den Jugendlichen war überhaupt die Voraussetzung dafür, daß die Jugendlichen mit ihren Sprechern sich gegen uns organisieren konnten. Nur dann, wenn sie unabhängig von der Autorität der Leitung bestimmte Interessen hatten, konnten sie sie vernünftigerweise auch organisieren. Schon im Interesse einer Mitbeteiligung der Jugendlichen am Tagungsverlauf war es notwendig, die tatsächlichen Ansprüche der Leitung klar zu bestimmen und vor allem klar zu begrenzen. Dafür gab uns unser Strukturmodell die Möglichkeit.

Das Ansinnen, Sprecher zu bestimmen, stieß zunächst immer auf Ablehnung oder Widerstand und wurde von den Jugendlichen selten von vornherein als Zeichen demokra-

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tischer Gepflogenheiten gewertet. Bei einer solch kleinen Gruppe sei das "Spielerei"; jeder könne doch seine Wünsche und Interessen direkt bei der Tagungsleitung anbringen und brauche dafür keine "Vermittlung". - Solche Argumente waren zunächst einleuchtend und zutreffend und beruhten meist durchaus auf eigenen Erfahrungen im Betrieb und in der Schule, wo es eben keine differenzierten, sondern nur einsinnige pädagogische Beziehungen gibt.

Unsere Oberschüler waren meist weder gewohnt, ihre Interessen zu organisieren, noch auch, nach einer Sprecherwahl ein Mindestmaß an Führungsanspruch seitens der Gewählten anzuerkennen. In ihren Augen waren die Sprecher diejenigen, die "die Arbeit machten".

Wir unterstützten die Maßnahmen der Sprecher auch dann nachhaltig, wenn wir sie nicht für richtig hielten. Die Sprecher genossen außerdem bestimmte Privilegien: Die täglichen Sitzungen mit ihnen fanden meist in den Privaträumen der Mitarbeiter statt; außerdem brauchten sie sich nicht unbedingt an täglichen Ordnungsarbeiten zu beteiligen. Schließlich wurden sie immer wieder davon abgehalten, der Bequemlichkeit halber alle notwendigen Tätigkeiten selbst zu verrichten. Sie sollten innerhalb des zuständigen Rahmens Arbeiten verteilen und Anordnungen geben. Gelegentlich wurden die Sitzungen mit den Sprechern öffentlich abgehalten; dann konnten die übrigen Teilnehmer die Verhandlungen und damit die Argumente ihrer Sprecher verfolgen, aber sie durften sich nicht einmischen.

Die Lehrlinge hatten mit der Mitverwaltung noch mehr Schwierigkeiten als die Oberschüler. Wo es in ihren Betrieben Lehrjahrsprecher gab, handelte es sich meist um eine reine Formalität. In der Struktur des Betriebes hatte im Grunde der Lehrgeselle die Funktion eines solchen Sprechers mit übernommen - durchaus nicht zum Schaden der Lehrlinge.

Zu Beginn unserer Arbeit betrachteten wir selbst die Einrichtung des Sprecherteams mit großem Mißtrauen. War es nicht ein bedenkliches Demokratiespiel? Handelte man

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mit solchen Instanzen nicht unnötigen Leerlauf ein, wie die Jugendlichen selbst immer vermuteten? Gelang es, den Teilnehmern den Sinn einer solchen Einrichtung im Verlauf einer Tagung klarzumachen? Gab es denn überhaupt eine einsichtige Aufgabe für sie?

Die letzte Frage war entscheidend. Nach oben war die Aufgabe der Sprecher durch die institutionelle Repräsentanz der Leiter begrenzt. Es wäre also unrealistisch und damit auch unpädagogisch gewesen, in Disziplinfragen die Sprecher an Entscheidungen zu beteiligen. Aber in den wenigen Fällen, wo die Mitarbeiter aus disziplinarischen Gründen die Abreise eines Teilnehmers erörtern mußten, wurden die Sprecher um ihren Rat gebeten. Solche Sitzungen waren natürlich nicht öffentlich, und die Sprecher wurden ebenso zum Stillschweigen verpflichtet wie die Mitarbeiter auch. In allen Fällen erwiesen sich die Sprecher als kluge und gerechte Anwälte der Betroffenen. Ohne sie wäre das Urteil der Mitarbeiter einseitig gewesen. Der Ernst, mit dem wir den jeweiligen Fall zu lösen versuchten, strahlte auf die Jugendlichen aus und hatte - so hofften wir - Folgen für ihre Menschenbeurteilung. In diesen wenigen, den Stil einer Tagung aber oft entscheidenden Fällen war also die Beteiligung der Sprecher unentbehrlich.

Eine weitere Einschränkung der Sprecherkompetenz lag in der fachlichen Zuständigkeit der Mitarbeiter vor. Aber auch hier war die beratende und kritisierende Beteiligung der Sprecher von großem Nutzen. Konnten unsere Mitarbeiter genügend abschätzen, ob ihre Gesprächsführung einseitig, langweilig und uninteressant war, ob sie zu sehr ihre politische Meinung ins Spiel brachten, ob sie einen Teilnehmer ungerecht behandelten?

Die jugendlichen Teilnehmer wie auch die Sprecher selbst fühlten sich in der Rolle der Kritiker nicht wohl und hielten unser Angebot zu kritisieren zunächst immer für die übliche Phrase, "doch frei ihre Meinung zu äußern". Daß wir ihre Kritik ernsthaft für die Verbesserung unserer Arbeit wünschten und nutzten, erschien den Jugendlichen

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zunächst unglaubhaft. Außerdem hatten sie immer persönliche Hemmungen, Kritik an Mitarbeitern zu formulieren, die sie im ganzen eigentlich gern mochten. Aber gerade dabei lernten sie den Wert der Institution des Sprechers schätzen. Sie stellte dem einzelnen Sprecher frei, ob er sich mit einer Kritik persönlich identifizieren wollte oder ob er sie nur als Meinung anderer weitergab. Deshalb forderten wir ihn nie auf, auch seine persönliche Meinung zu sagen, wenn er es nicht von selbst tat: Die Institution gewährte ihm Schutz, und er sollte ihn in Anspruch nehmen dürfen. Dennoch war die Aufforderung zu kritisieren so ungewohnt, daß der Anstoß dafür meist von uns selbst kommen mußte.

Neben der beratenden und kritischen Funktion erhielten die Sprecher und damit die Teilnehmer weitgehende Vollmachten für die Gestaltung der nicht-geplanten Tagungszeiten sowie für die allgemeinen Probleme des Zusammenlebens, soweit sie nicht unmittelbar disziplinarische Qualität annahmen. Die Koordination der Freizeitinteressen, die gegenseitige Hilfe, Rücksichtnahme und Höflichkeit wurden dadurch zu Aufgaben der Selbstverwaltung, daß die Mitarbeiter sich weigerten, sie durchzusetzen. Das hatte im einzelnen weitreichende Konsequenzen und führte oft zu den schon beschriebenen Verhaltensexperimenten. An zwei Beispielen soll dies erläutert werden.

In den ersten Nächten störten immer einige die Nachtruhe in den Schlafräumen. Trotz der Bitten der benachteiligten Teilnehmer griffen wir nicht ein. Wir antworteten dann, wir hätten zwar die Pflicht, die Ordnung des Zusammenlebens so weit zu garantieren, daß in unserer Gesellschaft übliche Grundsätze nicht verletzt würden, aber darüber hinaus fühlten wir uns weder als Kindermädchen noch als Freizeitmanager; für ihr persönliches Wohlergehen müßten die Teilnehmer schon selbst sorgen, dazu seien sie alt genug. Oft spitzten sich solche Entwicklungen dramatisch zu. Am dritten oder vierten Tag waren die Jugendlichen infolge der durchwachten Nächte unausgeschlafen und überreizt. Sie wurden aggressiv gegeneinander und spür-

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ten, daß die Tagung, von der sie sich so viel versprochen hatten, darunter zu leiden begann. Manchmal traten auf dem Höhepunkt der Krise auch noch die Sprecher mit der Begründung zurück, ihren Ordnungsvorschlägen werde ständig der Gehorsam verweigert. Erst in diesem Augenblick, wo die Jugendlichen die Folgen ihres Verhaltens zu erleben begannen, traten wir mit Vorschlägen - nicht mit Anweisungen - auf den Plan: Vielleicht sei es sinnvoll, sich erst einmal richtig auszuschlafen und dafür ausnahmsweise auch einmal die lange Mittagspause zu benutzen. Nachher könne man sicher vernünftiger über alles reden.

Solche Krisen wurden deshalb immer auf diese Weise behoben, weil sie ganz einfach behoben werden mußten. Irgendwie mußte das Zusammenleben ja weitergehen. Nun bekamen die alten und neuen Sprecher Autorität gegenüber den Teilnehmern. Die Jugendlichen hatten ihre Unfähigkeit, die einfachsten Probleme des Zusammenlebens selbst zu lösen, ebenso erlebt wie die Möglichkeiten der Abänderung. Solche Selbsterfahrungen waren uns wichtiger als ein unproblematisches Zusammenleben wie bei den Klassentagungen, wo man genau wußte, daß hier die Disziplin nur durch äußeren Druck erhalten blieb.

In den Lehrlingstagungen wurden Kritik sowie Organisation und Formulierung des eigenen Interesses gelegentlich auf folgende Weise provoziert. Meist stellte sich nach einigen Tagen heraus, daß die Teilnehmer mit dem angebotenen Programm unzufrieden waren. Die weitgehend auf Improvisation angelegte Tagungsplanung hätte mühelos entsprechend den beobachteten Wünschen das Programm korrigieren können. Wir taten aber so, als ob wir die Unzufriedenheit nicht merkten, und fuhren fort, die Lehrlinge mit unserem Programm zu langweilen. Spätestens nach anderthalb Tagen entwickelte sich eine Krise. Die Lehrlinge kamen unpünktlich zu den Veranstaltungen, einige blieben ganz weg und amüsierten sich in der Umgebung. Nun trieben wir die Entwicklung wieder auf die Spitze. Wir teilten den Sprechern mit, wir seien in

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unseren Privaträumen zu erreichen und wenn alle wieder da seien, könnten sie uns Bescheid sagen. Vorher seien wir zu einer Weiterarbeit nicht bereit, wir könnten unsere Zeit auch anders verbringen.

Dieses Verfahren war nicht ohne Risiko; denn in jedem neuen Falle war nicht sicher, daß die Sprecher die Teilnehmer zusammensuchten und sich dabei die ersten Auseinandersetzungen in der Gruppe anbahnten - wie wir hofften. Im längsten Falle dauerte es zweieinhalb Tage, wo wir abgesehen von den Mahlzeiten keinerlei Notiz voneinander nahmen, bis es zu "Friedensverhandlungen" kam.

In der dann folgenden Plenarsitzung teilten wir kühl mit, wir hätten zu Beginn der Tagung um Vorschläge und Kritik gebeten. Beides sei bis jetzt nicht erfolgt. Daraus leiteten wir das Recht ab, so weiterzumachen, wie wir uns das vorgenommen hätten. Allerdings hätten wir von der Unzufriedenheit gewußt, aber es sei ja wohl nicht unsere Sache, die Interessen der Teilnehmer zu vertreten, das müßten sie in ihrem Alltag ja wohl auch selber tun. Im Grunde hätten wir sie - die Lehrlinge - seitdem mit Unterstützung unserer Amtsautorität "verschaukelt", wie das immer geschehe, wenn jemand seine Interessen nicht wahrnehme. Da nun aber nicht jeder einzelne eine Tagung für sich machen könne, müßten die Teilnehmer schon ihre verschiedenen Interessen selbst erst einmal zu einem Programm zusammendiskutieren, das dann der Leitung als geschlossener Vorschlag vorgelegt werden könnte. Sonst könnten wir ja den einen Wunsch gegen den anderen ausspielen und dabei doch letztlich unsere eigenen Absichten durch geschickte Taktik durchsetzen, ohne daß die Teilnehmer das merken müßten.

Aus der Darstellung dieser beiden Maßnahmen, die exemplarisch für andere mit gleicher Tendenz stehen, mag man ersehen, daß wir für die Schaffung und Ausnutzung erzieherisch-produktiver Konfliktsituationen relativ viel Zeit aufwandten. Aber die Tatsache, daß den Jugendlichen eine Kritik "Aug in Auge" mit den Mitarbeitern so schwer

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fiel, machte uns frühzeitig auf ein Problem aufmerksam, das die Tagung insgesamt betraf. War es pädagogisch vertretbar, die Jugendlichen so konsequent in eine Partnerrolle zu den Erwachsenen zu bringen, wenn eine solche Rolle in ihrem Alltag offensichtlich so gut wie nirgends durchzuhalten war? Produzierte man damit nicht bloße Unzufriedenheit, die nicht in Veränderung umschlagen konnte, weil die Gestaltung des Alltags in Schule, Beruf und Familie nicht Sache der Jugendlichen, sondern immer noch eindeutig Sache der Erwachsenen ist? Darauf gibt es schwerlich eine klare Antwort, da man die Wirkungen auf die Teilnehmer nicht hinreichend kalkulieren kann. In unseren Abschlußgesprächen versuchten wir immerhin, die Besonderheiten der Tagungssituation den Jugendlichen ins Bewußtsein zu bringen.

3. Die Arbeitsgruppe

Die Arbeitsgruppe war neben dem Leiter-Team und dem Sprecher-Team die dritte Institution der Tagung. In allen unseren Tagungen wurden die Teilnehmer in Arbeitsgruppen von zehn bis fünfzehn Mitgliedern aufgeteilt, denen ein Student als ständiger Leiter zugeteilt war. Bei den Oberschultagungen konstituierten sich die Gruppen nach dem Thema, bei den Lehrlingstagungen in der Regel durch Abzählen. Die Gruppen wählten je nach Größe der Gesamtteilnehmerzahl ein bis zwei Sprecher. In den Arbeitsgruppen war jeder Teilnehmer erfaßt und wurde zur Mitarbeit herangezogen. Dadurch war im unterrichtlichen Sinne eine optimale Intensität gewährleistet. Die kleine Gruppe integrierte den einzelnen sehr schnell und erleichterte ihm somit den Kontakt mit den ihm fremden Jugendlichen.

In den Lehrlings- und Klassentagungen war die Arbeitsgruppe ein notwendiges Mittel, die festgefahrene Gruppenstruktur zu sprengen. Indem wir die Klasse oder das Lehrjahr in zwei oder drei Gruppen aufteilten, setzten wir für die einzelnen neue Beziehungsmöglichkeiten frei.

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Die Jugendlichen äußerten nun Ansichten und entwickelten Fähigkeiten, die sie bis dahin voneinander nicht erwartet hatten.

Zunächst übernahmen diese Gruppen auch im täglichen Wechsel die Mitwirkung im Haus wie Abwaschen und sonstige Dienste. Es erschien richtig, die Beziehungen der jeweiligen Gruppe zum Haus auch in dieser Weise zum Ausdruck zu bringen. Diese Regel wurde aber bald abgeändert, weil sich technische Schwierigkeiten einstellten (die Gruppen waren nie gleich groß) und vor allem, weil auf dies Weise der "Hilfe im Haus" eine unangemessene ideologische Bedeutung zukam. Später wurde diese Angelegenheit als rein technische angesehen, bei der es darauf ankam, mit möglichst geringem Einsatz einen möglichst hohen Effekt zu erzielen: Die Sprecher verlasen von Fall zu Fall die Namen derjenigen, die um Mitarbeit gebeten wurden. Einzige Begründung für die Bitte um Mitwirkung: Komfortabler Service sei heute sehr teuer; um den Steuerzahlern und den Teilnehmern möglichst viel Geld zu sparen, müßten solche "lohnintensiven Tätigkeiten" von den Gästen mit übernommen werden.

Die Arbeitsgruppe, die durch die häufigen Zusammenkünfte und dadurch, daß sie das Zentrum der geistigen Arbeit wurde, verhältnismäßig intim zusammenwuchs und gelegentlich ein ausgesprochenes Gruppenbewußtsein entwickelte, rief nun immer selbst wieder die Beschränkung herauf, von der oben die Rede war. Das Ziel, gerade ein Erlebnis der Variabilität der menschlichen Kommunikationen zu vermitteln, mußte nun auch gegen die eigene Arbeitsgruppe ermöglicht werden. Die kleine Gruppe war nur sinnvoll, wenn es möglich war, aus ihr zeitweilig wieder auszutreten. Deshalb war die Gesamtzahl der Teilnehmer von großer Wichtigkeit. Tagungen mit weniger als 30 Teilnehmern blieben immer unbefriedigend, weil die Zahl für eine Variabilität der Kommunikation zu klein war. Zwischen 40 und 50 lag das Optimum. Auch jetzt wurden die Teilnehmer zwar in der Arbeitsgruppe engagiert und "erfaßt", sie mußten Meinungen entwickeln und

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mitarbeiten. Aber in der großen Gruppe, der "Masse", konnten sie untertauchen und weitgehend ihren individuellen Interessen nachgehen. (Auf diese Bedeutung der "Masse" hat, wenn ich recht sehe, zum ersten Mal Lutz Rössner in seinem Buch "Jugend in der Offenen Tür" aufmerksam gemacht.)

Die Bar als Kommunikationszentrum

Zu einer Art Kommunikationszentrum wurde die Teeküche, ein kleines Häuschen mit offenem Kamin, groben Holztischen und einfachen Bänken mit Schaumgummibelag. Hier konnten die Teilnehmer sich Tee und Kaffee kochen. Abends war Schlagermusik und Jazz zu hören. Diese Geräuschkulisse sicherte dem zu kleinen Raum eine gewisse Anonymität. Gespräche waren so über den Kreis der Beteiligten hinaus nicht zu verstehen. Wenn die Mitarbeiter - auch die nicht-pädagogischen - abends Zeit hatten, setzten sie sich dazu, tranken Tee und beteiligten sich an der Unterhaltung.

Obwohl also die Teeküche ihren Zweck weitgehend erfüllte, war sie ein einziger Beweis dafür, wie man ein wichtiges Teilproblem falsch lösen kann. Wir hatten die Teeküche nicht nur bewußt primitiv eingerichtet, sondern auch so, daß eigentlich jede Gruppe sie ohne große Mühe neu gestalten konnte. Die Einrichtung war in Eigenarbeit mit den Gruppen Stück für Stück fertiggestellt worden. Das Ergebnis war eine rustikale, elementarisierte Bauernstube, in der sich die Intellektuellen, die sie geplant hatten, sehr wohl fühlten. Die Jugendlichen aber - vor allem die Lehrlinge - fanden keine Möglichkeit, in dieser reduzierten Kneipe Stil zu entwickeln. Ihr Umgangsstil wurde noch primitiver, als er ohnehin schon war. Mädchen und Jungen "flezten" sich auf den Bänken derart, daß ein Beobachter, der von dem Verhalten in der Teeküche aus die ganze Tagung beurteilt hätte, die schlimmsten Befürchtungen gehegt hätte. Die primitive Umgebung - das Licht

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war keineswegs stark abgedunkelt! - hob jegliche Distanz zwischen den Geschlechtern auf. Man legte die schmutzigen Schuhe auf die Bänke, benutzte den Steinfußboden als Aschenbecher - und dies alles ohne jede Bösartigkeit, vielmehr in der Vorstellung, sich auf diese Weise in dem Raum angemessen zu verhalten. Dabei fühlten sich die Jugendlichen ausgesprochen wohl.

Dennoch war es nicht das, was wir pädagogisch damit wollten. Auch hier hatten wir wieder übersehen, daß das Einfache zwar logisch, aber nicht psychologisch am Anfang eines Kultivierungsprozesses stehen kann. Wir Intellektuellen hatten nicht bedacht, daß wir nur deshalb den einfachen Stil kultivieren konnten, weil wir mehr oder weniger schon die komplizierten Verhaltensformen des modernen Freizeitlebens beherrschten. Wir hatten einfach unsere eigenen Stil-Vorstellungen unreflektiert an die Jugendlichen herangetragen. Und wie bei jeder Selbsterkenntnis, so dauerte es auch hier recht lange, bis wir uns dessen bewußt wurden. Unsere Frage war nun: Wie schafft man ein Kommunikationszentrum, das sowohl auflockert, zugleich aber nicht derart rigoros die Distanzen abbaut? Und die Antwort lautete, nachdem wir eine Weile herumexperimentiert hatten: Wir brauchen eine richtige Bar, die schon von der Einrichtung her höhere Verhaltensanforderungen stellt; und wir brauchen das für eine Bar charakteristische "Rollen-Spiel", wie es vor allem durch den "Keeper" initiiert wird. Die Versuche gaben uns recht: Ein Mitarbeiter und ein Teilnehmer des anderen Geschlechts bedienten sowohl an der Bar selbst wie auch im "Restaurant". Die Mitwirkung eines Mitarbeiters gab dem anderen Partner immer eine gewisse Sicherheit, und die übrigen Mitarbeiter im Publikum sorgten dafür, daß die Rolle des Gastes optimal gespielt wurde. Vor allem die Lehrlinge spielten mit großem Vergnügen mit, denn was sie nun lernten, konnten sie in ihrem Alltag gut gebrauchen. Wenn sie sich auch selten in einer Bar aufhalten: sie meiden selbst gute Restaurants häufig nur deshalb, weil sie nicht wissen, wie sie sich dort verhalten sollen. Hier nun

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war alles echt: Wie man etwas bestellt, wie man sich bedankt, wie man Konversation treibt usw. Ein heikles Problem war das des Alkohols. Eine Bar ohne Weinbrand ist allzu offensichtlich eine "pädagogische Provinz". Wenn man sich aber entschließt, auch Alkohol auszuschenken, dann kann man nicht auf einmal unter Hinweis auf das Alter den Ausschank verweigern. Das wäre ein grotesker Stilbruch. Die Oberschüler waren von Hause aus schon eher an einen differenzierten Konsum gewöhnt. Die Getränkekenntnis der Lehrlinge hingegen überschritt selten den Horizont von "Pils" und "Korn". Es kam also darauf an, sie für alkoholische Getränke zu interessieren, bei denen der prozentuale Anteil von reinem Alkohol keinen Prestigewert mehr besaß, also etwa Tee mit Rum, Rotwein und Mixgetränke. Hier kam uns nun wieder zustatten, daß die Studenten bei den Lehrlingen im Hinblick auf gesellschaftliche Verhaltensweisen ein hohes Prestige hatten. Was sie vormachten, galt immer als die bessere Lösung.

Abgesehen von dem kaum zu überschätzenden Anteil an "social learning" hatte die Bar noch weitere, unersetzliche Funktionen für die Tagung: Sie war ihr Informationszentrum. Hier erfuhr man ziemlich genau die Einstellung der Jugendlichen zum Ablauf der Tagung. Kritik und neue Vorschläge formulierten sich fast von selbst. Fast müßte man sagen, unsere Bar war die vierte Institution der Tagung.

Grundsätze der Programmgestaltung

Immer wenn wir aus Verwaltungsgründen - zum Beispiel für einen Verwendungsnachweis - ein Programm unserer Tagungen verfassen mußten, gerieten wir in große Schwierigkeiten. Es gab kein Programm und keinen Tagungsablauf, der nicht mindestens zur Hälfte wieder ge-

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ändert wurde. Es würde dem Leser gar nichts nutzen, wenn wir jetzt einen solchen Verlauf rekonstruieren würden; denn er würde sich mit keinem zweiten Beispiel wirklich decken und hätte also gar keinen typischen Wert. Nur wo es sich um Seminare handelt, wo außer der Durchführung des Themas alles andere als unwichtig gilt, kann man den Verlauf überzeugend nachzeichnen. Bei uns galt nichts, was auf der Tagung geschah, als unwichtig. Uns kam es darauf an, alle Beziehungen auf der Tagung grundsätzlich als gleichrangig anzusehen und sie gleichsam in angemessener Weise zu "füttern", damit sie sich entfalten konnten.
 

Planung und Improvisation

Dazu war zunächst einmal nötig, ein ausgewogenes Verhältnis von Planung und Improvisation herzustellen, denn produktive Lernsituationen kann man nicht gut vorher planen. Etwa ein Drittel der Tagungszeit wurde mit Arbeitsgemeinschaften, Referaten und Diskussionen vorgeplant. Darauf bereiteten sich die Mitarbeiter vor. Die ersten Tage waren stärker verplant als die übrigen. Das Ausmaß der Planung hing auch ein wenig von den Teilnehmern ab. Bei den Oberschülern konnten wir mit einem erhöhten Interesse an politischen Problemen rechnen. Deshalb wurden hier etwa zwei Drittel der Gesamtzeit verplant.

Die Improvisation spielte nicht nur in den ungeplanten Zeiten eine Rolle, sondern auch bei den thematisch geplanten Abschnitten. Die politischen Interessen der Lehrlinge waren stark von der Aktualität abhängig. Die Mitarbeiter, die sich auf eine Arbeitsgemeinschaft mit einem bestimmten Thema vorbereitet hatten, mußten sich unter Umständen kurzfristig umorientieren, wenn die politische Auseinandersetzung ein anderes Thema in den Vordergrund gespielt hatte. Sie konnten nun nicht einfach an dem Thema festhalten, für das sie sich vorbereitet hatten, sie

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mußten sich vielmehr umstellen, wollten sie nicht den Motor des erweckten politischen Interesses ohne Benzin lassen. Solche Anpassung hätte normalerweise zu einem hoffnungslosen unterrichtlichen Dilettantismus geführt. Aber einmal waren die Studenten über aktuelle politische Probleme immer sehr gut informiert, und zum anderen wurden allzu einseitige Lehrpositionen durch den Team-Charakter der Tagungsleitung weitgehend vermieden. Dank der Mitarbeit des Teams konnte sich ein Student noch zu Beginn der Tagung ein neues Konzept ausdenken. Im Verhältnis zum geplanten Unterricht waren die improvisierten Veranstaltungsformen aber keineswegs nur ein Mangel. Dadurch, daß wir dem geplanten Unterricht nur einen Teil der Zeit einräumten, gaben wir den Jugendlichen Gelegenheit, in Diskussionen untereinander das Gelernte zu verarbeiten, es weiterzudenken und dasjenige an den Unterrichtsgehalten, was sie dann besonders interessierte, als Thema für die improvisierten Gespräche in der freien Zeit vorzuschlagen. Mit einer gewissen Vereinfachung darf man sogar sagen, daß jene Augenblicke, wo die persönliche Bedeutsamkeit des Gelernten auf einmal auf- und einleuchtete, seltener im Unterricht zu finden waren und häufiger in den Zeiten der Improvisation - der freien Gesprächsgruppen oder der privaten Gespräche. Der Unterricht bereitete sie eigentlich nur vor. Unter dem Gesichtspunkt des Lernens also war der scheinbare Widerspruch von Planung und Improvisation in Wahrheit ein fruchtbarer und notwendiger Zusammenhang.

Programm und freie Zeit

Zwischen Programm und freier Zeit wurde deutlich unterschieden. Die Jugendlichen sollten sich auf diese Weise besser in den ihnen angesonnenen Rollen zurechtfinden. Das von der Leitung veranstaltete Programm war für alle verbindlich. Auch die Sprecher konnten eine Veranstaltung verbindlich machen. In der freien Zeit behielten die Teil-

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nehmer die Entscheidung, ob sie an einem Angebot der Mitarbeiter teilnehmen wollten oder nicht. Es wurde sorgsam vermieden, freie Zeit mehr oder weniger trickreich zu verplanen. Die sachlichen oder unterhaltsamen Angebote mußten für sich werben. Fielen sie durch, so war das vielleicht bedauerlich, aber nicht zu ändern. Es gab bei uns auch keine besonderen Freizeitinhalte. Es war nicht so, daß das Wichtige im Programm vorgeplant war und das Unwichtige in der Freizeit geschehen konnte. Es galt also keineswegs das beliebte Motto: In der Arbeitszeit wird diskutiert, in der Freizeit wird getanzt. Es konnte auch genau umgekehrt sein: Eine Tanzveranstaltung war verbindlich und eine wichtige Diskussion konnte freiwillig besucht werden. Was in der freien Zeit geschah, hing natürlich auch sehr vom Wetter ab. Im Sommer lagen wir ganze Nachmittage in der Sonne. Dabei war die "Sache" des Unterrichts tabu, wenn nicht gerade eine besonders heftige Auseinandersetzung zur Fortsetzung des Gespräches zwang. Meistens aber bewegten sich dann die Unterhaltungen auf der Ebene einer mittleren Konversation. "Tiefe" des Gespräches wurde dabei von keiner Seite angestrebt, auch von uns nicht, die wir genauso wenig wie die Jugendlichen die "geistige Auseinandersetzung" für den Normalfall menschlicher Kommunikation hielten.

Typische Veranstaltungsformen

Es wurde schon gesagt, daß es einen typischen Tagungsverlauf bei uns eigentlich nicht gab. Wohl aber hatten wir eine Reihe typischer Veranstaltungsformen entwickelt, deren jeweilige Kombination das Tagungsprogramm bestimmte. Sie hatten aber bei den Lehrlingen und bei den Oberschülern verschiedenes Gewicht. Bei den Oberschülern hatten die fachlich und sachlich betonten Veranstaltungsformen - vor allem die Arbeitsgemeinschaft - ein deutliches Übergewicht. Die wichtigsten und typischen Veranstaltungsformen werden hier kurz charakterisiert.

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1. Der Einführungsabend

Am Abend des Anreisetages wurden die Teilnehmer mit dem Programm der Tagung, den Spielregeln und den technischen Möglichkeiten des Hauses sowie mit den Mitarbeitern bekannt gemacht. Das war mehr als die übliche "Begrüßung". Gelang es nämlich an diesem ersten Abend nicht, sich den Jugendlichen verständlich zu machen, waren zwei bis drei Tage für die Arbeit verloren, in denen die Verständigung angesichts einzelner Fälle nachgeholt werden mußte. Dieser erste Abend bestimmte das Klima für den ersten Teil der Tagung. Er mußte also exemplarisch demonstrieren, wie wir uns das Verhältnis zu den Teilnehmern wünschten. Die Jugendlichen wurden mit "Meine Damen und Herren" begrüßt, eine Anrede, die sich zwar im Verlauf der Tagung durch die Tonart änderte, aber nicht im Wortlaut. Die Jugendlichen, die unsere Arbeit noch nicht kannten, reagierten immer interessiert, aber abwartend. Ein einziger falscher Zungenschlag bei der Erläuterung der Spielregeln, ein Wort, das bei ihnen negative Assoziationen auslöste, konnte die Zurückhaltung in Mißtrauen verwandeln. "Demokratie", "Gemeinschaft", "Verantwortung" und ähnliche Begriffe waren in diesem Zusammenhang unbedingt zu vermeiden. In fast geschäftsmäßigem Ton wurden statt dessen Probleme beschrieben, die vermutlich auftauchen würden und für deren Lösung man dies und jenes unternehmen müsse. Als Mißgriff erwiesen sich alle Versuche, den ersten Abend gesellig zu gestalten. Selbst Tanzabende scheiterten. Offensichtlich erwächst die Fähigkeit zur Geselligkeit erst während eines Kommunikationsprozesses und steht nicht an seinem Anfang
 

2. Die Arbeitsgemeinschaft

Die schon beschriebenen Arbeitsgruppen arbeiteten im Stile der Arbeitsgemeinschaft. Deren Sitzungen hatten das höchste Maß an Verbindlichkeit für alle Teilnehmer. Sie fanden mindestens einmal täglich statt. Für ihre Leitung hatten sich die Mitarbeiter vorbereitet, dort fungierten sie als kompetente Fachleute.
 

3. Freie Gesprächsgruppen

In dem Bewußtsein, daß die für die Arbeitsgemeinschaft vorgesehenen Themen bestenfalls nur einen Teil der thematischen Interessen der Teilnehmer treffen und daß in der Zeit zwischen Planung und Beginn der Tagung die politische Entwicklung neue Aktualitäten schaffen konnte, wurde die "freie Gesprächsgruppe" als Korrektiv geschaffen. Sie wurde eingerichtet, wenn die Teilnehmer Themen für ein Gespräch vorschlugen, die im Programm nicht vorgesehen waren.

Auf solche Themen war ein Mitarbeiter höchstens zufällig vorbereitet. Er stand ihnen selbst als Fragender in der gleichen Verlegenheit wie die Jugendlichen gegenüber. Zwar hatte er noch einige Stunden Zeit, sich mit Hilfe der Bibliothek und unserer privaten Archive vorzubereiten, aber auch dies verschaffte ihm nicht die gleiche Rolle, wie er sie in der Arbeitsgemeinschaft hatte. Er mußte hier vor allem vormachen, wie man sich als "Gebildeter" mit einem neuen Problem auseinandersetzt, über das man nicht einmal hinreichend informiert ist.

Wir waren lange Zeit uneins darüber, ob es pädagogisch vertretbar sei, auch ein Gespräch zu leiten, für dessen Inhalt man nicht kompetent war. Gerade die Studenten äußerten wegen ihres wissenschaftlichen Engagements zunächst heftige Bedenken. Würde man im Bewußtsein der Teilnehmer nicht nur die ohnehin schon vorhandene Gewohnheit, daß in Sachen Politik jeder über alles redet, verstärken? Wir kamen schließlich zu dem Ergebnis, daß diese Situation ja doch den Normalfall politischer Meinungsbildung darstelle; denn im allgemeinen ist Meinungsbildung eine Reaktion auf eine politische Auseinandersetzung, für die das Wissen nicht fertig bereit liegt, sondern erst herbeigeschafft oder neu geordnet werden muß.

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4. Die Neigungsgruppe

In der freien Zeit wurden "Neigungsgruppen" angeboten. Die Sprecher ermittelten dazu die Meinungen der Teilnehmer, sammelten Vorschläge und koordinierten sie mit den technischen Möglichkeiten des Hauses. Diskussionen, Sport, Musizieren, Musikhören, Tanzen, Filminterpretation, Tonbandarbeit und Kurzspiele waren die häufigsten Inhalte. Die Teilnahme an solchen Vorhaben, die zwischen einer und vier Sitzungen dauern konnten, war grundsätzlich freiwillig. Lediglich die Lehrlinge, die zum ersten Mal bei uns waren, wurden aufgefordert, sich für eine solche Gruppe zu entscheiden. Dies durchbrach zwar den Grundsatz, daß sie über ihre freie Zeit selbst verfügen sollten, andererseits waren unsere Angebote für sie fast immer so neu, daß sie sich von vornherein auch nicht zu einem vernünftigen "Ja" oder "Nein" hätten entscheiden können. Erst nach der ersten Sitzung wurde ihnen freigestellt, ob sie weiter mitmachen wollten. Die meisten blieben dann dabei.
 

5. Tanzabende

Der Tanzabend war immer ein Höhepunkt der geselligen Kommunikation auf einer Tagung. Er fand ein bis zweimal statt. Zunächst überließen wir seine Gestaltung immer den Jugendlichen. Dabei zeigte sich zu unserer Überraschung, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Jugendlichen dazu nicht fähig waren; außer dem unermüdlichen Arrangement heißer Musik fiel ihnen kaum etwas ein. Da aber immer eine starke Minderheit nicht tanzen konnte oder wollte, stellten sich bald Mißstimmung und Langeweile ein. Oder aber einige "Jugendbewegte" versuchten in richtiger Interpretation der schlechten Stimmung Spiele anzubringen, die von anderen als unter ihrem Niveau stehend boykottiert wurden. Nun ist eine mißlungene Veranstaltung immer noch guter Stoff für die Bewußtmachung einiger Grundbedingungen geselligen Wohlbefindens. Aber damit war die Enttäuschung des Erleb-

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nisses nicht zu kompensieren. So entschlossen wir uns also, den ersten Tanzabend einer Tagung selbst zu gestalten.

Es erschien uns unglaublich, daß insbesondere die Oberschüler von sich aus nicht in der Lage sein sollten, einen solchen Abend zu gestalten. In Gesprächen mit ihnen versuchten wir den Grund herauszufinden. Wenn sie in ihrem Alltag tanzen gingen (Hausparty, Schulfest, öffentliche Tanzveranstaltung), dann befanden sie sich in einer privaten Umgebung. Selbst eine öffentliche Massenveranstaltung besuchte man entweder mit einem einzelnen Partner oder mit einer Gruppe von Bekannten und blieb so "unter sich". Für die gesellige Dimension eines Tanzabends hatten sie weder Erfahrungen noch auch eine besondere Antenne. So meinten sie zunächst immer, jeder müsse sich eben so gut amüsieren, wie er könne.

Wir legten nun Wert darauf zu demonstrieren, von welchen Bedingungen im einzelnen das gesellige Wohlbefinden aller an einem solchen Abend abhängt: gemütliche Tischrunden, wo jeder im Verlauf des Abends auch Platz und Partner wechseln kann; die Musik nur so laut, daß die Nicht-Tänzer sich weiter unterhalten können; regelmäßige Musikpausen, damit Partnerwechsel möglich ist und alle sich zwischen den Tänzen unterhalten können; wenige, aber sorgfältig ausgesuchte Darbietungen für die Tanzpausen, wobei eine gute Kabarett- oder Chansonplatte besser sein kann als das wiederholte Abspielen eigener Sketche, die ohnehin jeder kennt; sorgsam dosierte Tanzspiele, um den Partnerwechsel zu erleichtern; gemeinschaftliche Einlagen, wie Singen, nur dann, wenn Text und Musik angemessen sind und die Atmosphäre dies zuläßt. Die Mitarbeiter saßen verteilt unter den Teilnehmern und bestimmten so unauffällig den Stil mit.

Leider mußten wir in den Lehrlingstagungen fast immer auf die Tanzabende verzichten, weil nicht genug Mädchen da waren. Um trotzdem auch den Lehrlingen Möglichkeiten gesellschaftlichen Lernens zu bieten, richteten wir Tanzkurse für die Nichttänzer ein, für die sich die weiblichen Mitarbeiter zur Verfügung stellten. Außerdem ersannen

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wir kleine Spiele. Kleinen Gruppen wurden charakteristische gesellschaftliche Situationen als Stegreifspiel aufgetragen. Um ihnen die Hemmungen zu nehmen, baten wir, wenige kleine Fehler zu machen, die die anderen dann herausfinden sollten. Auf diese Weise konnten sie die unbeabsichtigten hinter den beabsichtigten Fehlern verstecken.
 

6. Der Tagesbeginn

Daß man das Programm des Tages mit einer gemeinsamen musisch-kulturellen Einstimmung beginnen müsse, ist undiskutierter Grundsatz fast aller Tagungsveranstalter. Der Überlieferung entspricht, den Tag mit gemeinsamem Singen zu beginnen. Dagegen waren in unserem Falle zwei Bedenken anzumelden. Einmal erwies es sich als undurchführbar, die Jugendlichen überhaupt und schon gar jeden Morgen zum Singen zu bewegen. Dagegen schien es bei ihnen eine unüberbrückbare seelische Barriere zu geben. Allerdings war diese geradezu affektive Ablehnung des Singens meist durchaus zu überwinden, wenn dafür eine informelle Form gefunden wurde. Aber es blieb immer noch die weitere Frage, ob denn die Mobilisierung musischen Tuns tatsächlich so erstrebenswert sei. Waren nicht angesichts der Kürze der Zeit andere Inhalte wichtiger? Für die Lehrlingstagungen war das nicht schwer zu beantworten. Die Lehrlinge wiesen - wie wir sahen - ein derartiges Defizit an allgemeinen kulturellen Erfahrungen auf, daß wir uns entschlossen, die zwanzig Minuten des Tagesbeginns dazu zu benutzen, die Lehrlinge mit ihnen mehr oder weniger unbekannten kulturellen Aussageformen bekannt zu machen. Klassische und moderne Musik, Kabarett, Chansons, Spirituals, moderne Lyrik, Auszüge aus modernen Theaterstücken bildeten das Programm.

Entscheidend war, daß die Mitarbeiter sich dabei wahrheitsgemäß nicht als Fachleute gaben, sondern als "interessierte Laien". Umgekehrt interessierten die Lehrlinge

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sich für diese Angebote nicht deshalb, weil sie "bildend" waren, sondern weil ein Mitarbeiter mit dem, was er darbot, sich auch persönlich vorstellte. Daher galt als Regel: Der Mitarbeiter führt nur etwas vor, was ihn selbst auch besonders interessiert. Nach einer sehr knappen, informativen Einleitung sprach dann nur noch das Werk selbst. Es wurde in dieser Veranstaltung weder interpretiert noch diskutiert. Es war auch nicht unsere Absicht, daß alle alles Dargebotene verstünden, sondern daß wenigstens einige im Verlauf der Tagung den Wunsch äußerten, mehr darüber zu wissen. Diese Hoffnung trog selten.

Die Reaktion der Lehrlinge war für uns insofern verblüffend, als diese Veranstaltung sich bei ihnen großer Beliebtheit erfreute, obwohl hier keinerlei methodische und didaktische Überlegungen angestellt wurden, sondern das kulturelle Interesse des jeweiligen Mitarbeiters das einzige Auswahlkriterium blieb. Da das Programm des Tagesbeginns immer geheim blieb, warteten die Lehrlinge jeden Morgen mit Spannung darauf, womit sie diesmal überrascht würden.
 

7. Abendgespräche

Als besonders ergiebig hat sich das Experiment erwiesen, bestimmte Bereiche der Erwachsenenwelt, institutionalisiert in Berufen, durch Personen in die Tagung hineinzuholen (Geistliche, Offiziere, Architekten, Bankfachleute, Fürsorger, Kommunalpolitiker, Krankenschwestern usw.). Wie wenig selbstverständlich eine solche Begegnung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen ist, zeigte dieses Experiment. Trotz stundenlanger Vorbereitungsgespräche mit den betreffenden Erwachsenen scheiterten unsere Versuche oft, weil die Erwachsenen trotz allen guten Willens spontan immer wieder in die Rolle des "Erwachsenen" zurückfielen, der "der Jugend" endlich klarmachen müsse, worauf es im Leben ankomme. Sie hatten oft eine merkwürdige Vorstellung von "Pädagogik", die ihnen ihre Unbefangenheit nahm. Anstatt sich so zu geben, wie sie waren,

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und von der Sache zu sprechen, von der sie etwas verstanden, gaben sie sich übertrieben feierlich und würdevoll und umgaben ihre sachlichen Informationen mit einem unnötigen allgemeinen moralischen Ballast. Pädagogisch aufzutreten hieß für sie, ihrem normalen Habitus eine Art Sonntagsanzug umzuhängen.

So dauerte es einige Zeit, bis wir die richtigen Partner für solche Veranstaltungen herausgefunden hatten. Sie mußten erstens in der Lage sein, in knappen Strichen über ihren Beruf zu informieren. Zweitens mußten sie wenigstens ungefähr den funktionalen Ort ihres Berufes im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtgefüge bezeichnen können. Daran scheiterten schon die meisten, die wir in Aussicht genommen hatten. Drittens mußten sie den nicht unerheblichen Mut haben, Probleme ihrer beruflichen Tätigkeit zu exponieren. Dies setzte voraus, daß sie sich von der kurzatmigen Zweck-Mittel-Relation ihres beruflichen Alltags distanzieren konnten. Viertens mußten sie schließlich den Jugendlichen gegenüber offen auftreten, sie gewissermaßen ins Vertrauen ziehen, ihren kritischen Einwänden ohne Affekt begegnen.

Waren diese Bedingungen erfüllt, so gehörten die Abendgespräche zu den ergiebigsten Ereignissen der Tagung. Der Erfolg hing keineswegs unbedingt vom allgemeinen Bildungsniveau eines Berufes ab; im Gegenteil: die "höheren" Berufe waren viel eher der oben genannten pädagogischen Ideologie verhaftet als die "niedrigeren". Diese Erwachsenen wurden übrigens nicht als "Referenten" - diesen Anspruch hätten sie selten erfüllen können - sondern als "Gäste" eingeführt, ein Status, der ihnen von vornherein eine günstige Gesprächsposition einräumte.

Zum Abendgespräch wurden gelegentlich auch Personen-Gruppen eingeladen. In der Nähe hatte sich zum Beispiel ein Laienkabarett aufgetan, das der Gewerkschaft nahestand und sich noch ganz bewußt als "Agitations-Theater" verstand. Nach der Vorstellung saßen die Jugendlichen mit den Spielern in der Teestube, luden sie zu Tee, Kaffee oder Bier ein und äußerten sich dabei kritisch zum

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Programm und vor allem auch zu den darin enthaltenen politischen Vorstellungen.
 

8. Das Abschlußgespräch

Am Nachmittag des letzten Tages fand das Abschlußgespräch statt. Es diente der Tagungsleitung dazu, eine sachliche Zusammenfassung vorzunehmen. Außerdem wurden die Teilnehmer um Kritik gebeten.

Die sachliche Zusammenfassung nahm immer der Tagungsleiter vor. Voraus ging eine längere Sitzung des Mitarbeiter-Teams, in der sich der Tagungsleiter für seine Zusammenfassung die wichtigsten Informationen über den Tagungsablauf holte, da er ja nicht an allen Veranstaltungen teilgenommen hatte. Das so sorgfältig vorbereitete Referat mußte immer drei Gesichtspunkte berücksichtigen.

a) Zunächst mußten die unterrichtlichen Ergebnisse zusammengefaßt werden. Das war vor allem in den Lehrlingstagungen wichtig, weil die Vielzahl der behandelten Stoffe unbedingt einer zusammenfassenden Deutung bedurfte. In den Oberschultagungen wurden die Schüler in folgender Form an der Zusammenfassung beteiligt: Jede Arbeitsgemeinschaft wählte einen Berichterstatter, der in etwa 15 Minuten über Arbeitsweise und Ergebnisse seiner Gruppe berichtete. Auf die Wahl hatte der für die Gruppe zuständige Mitarbeiter keinen Einfluß. Die Gruppe sollte dabei lernen, aus ihrer Mitte für eine bestimmte Aufgabe den geeigneten Mann zu bestimmen. Nur in wenigen Fällen tat sie dabei einen Mißgriff. Viel öfter zeigte sich vielmehr, daß die Gruppe über die Fähigkeiten ihrer Mitglieder besser informiert war als der Mitarbeiter. Die Berichte mußten selbständig verfaßt werden, der Mitarbeiter durfte während der Vorbereitung nur auf konkrete Fragen antworten. Die Berichterstatter erhielten eine kurze Instruktion über die rein formalen Probleme eines so knappen Berichtes (Verhältnis von schriftlicher Aufzeichnung und freiem Sprechen; Problem des Spannungsbogens eines Kurzreferates; usw.).

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b) Es war notwendig, noch einmal Einzelheiten des gemeinsamen Zusammenlebens zu deuten, vor allem im Hinblick auf die schon beschriebenen Verhaltensexperimente. Dabei wurde nicht nur nach "richtig" und "falsch" gewertet, sondern vor allem wurden soziologische Voraussetzungen und Folgerungen bestimmter Verhaltensweisen und Krisen innerhalb der Tagung ins Bewußtsein gehoben. Erst durch eine solche rationale Interpretation konnten die vielfältigen Tagungserlebnisse wirklich zu Erfahrungen werden.

c) Schließlich mußte die Ausnahmesituation der Tagung selbst gedeutet werden, wollten wir illusionäre Erwartungen an den Alltag vermeiden. Es mußte gezeigt werden, warum die direkte Kommunikationsform der Tagung weder in der Schule noch im Beruf realisierbar ist, daß sowohl menschliche Unzulänglichkeit wie aber auch objektive Bedingungen dies verhindern. Unsere Deutung, unterstützt von konkreten Beispielen aus Schule, Betrieb und Tagung, lief im wesentlichen darauf hinaus, Verständnis für die widersprüchliche Mehrschichtigkeit des modernen menschlichen Daseins zu erwecken und dem Rollenwiderspruch etwa zwischen beruflichen Funktionen und den Kommunikationen in der Freizeit einen positiven Sinn abzugewinnen.

Für die kritische Stellungnahme der Teilnehmer zur Tagung wurden mehrere Formen entwickelt. Gelegentlich führten wir kurze Tests durch. Besonders beliebt wurde die Form des "Meet-the-Team" - begrifflich entlehnt vom "Meet-the-press" des amerikanischen Fernsehens. Die Mitarbeiter saßen dann den Teilnehmern gegenüber und durften nach allem gefragt werden, auch nach sehr persönlichen Dingen, auf die der Betreffende dann meist humorig oder mit "no comment" antwortete. Im ständigen Wechsel zwischen unernsten Anfragen, die nur die Schlagfertigkeit der Mitarbeiter auf die Probe stellen sollten, Informationsfragen und kritischen Fragen zur Tagung erfuhren wir mehr über die tatsächliche Einstellung der Jugendlichen als durch einen offiziellen Appell an ihre Kritik.

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9. Das Abschlußfest

Brachte das Abschlußgespräch die sachliche Zusammenfassung der Tagungsarbeit, so stellte das Abschlußfest am letzten Abend den geselligen Ausklang dar. Allgemein gilt hier das, was schon über den Tanzabend gesagt wurde. Bei den Oberschultagungen war Tanz auch für den Abschlußabend das wesentliche Merkmal - unterbrochen von kabarettistischen Eigenproduktionen, die meist an die Anschrift der Mitarbeiter gerichtet waren. Persönliche Gespräche unter dem Schutz der anonymisierenden Tanzmusik waren häufiger als bei den Tanzfesten vorher. In den Lehrlingstagungen dominierte der Abschluß eines über die ganze Tagung sich erstreckenden Wettbewerbs, dessen Schlußergebnis dann ausgiebig gefeiert wurde.

Diese hier beschriebenen verschiedenen Veranstaltungsformen waren Ausdruck der Verschiedenheit der Beziehungen zwischen uns und den Jugendlichen, wie wir sie vorhin unter dem Stichwort des "Rollen-Ensembles" beschrieben haben. In jeder Veranstaltungsform galt eine andere Beziehungsstruktur. Allgemeiner ausgedrückt: Wenn man eine pädagogische Beziehung unter dem Aspekt des Rollenwechsels charakterisiert, dann gibt es notwendig auch verschiedene Unterrichtsformen mit verschiedenem Sinn.
 

Auf der Suche nach der besten Unterrichtsform: vom "Lehrgang" zur "Produktion"
 

Wir gingen bei der inhaltlichen Gestaltung unserer Tagungen zunächst von unseren schulischen Erfahrungen aus. Politik, so meinten wir, sei ein Stoffbereich wie andere auch und müsse nun als logisch aufgebauter Sachzusammenhang gelehrt werden. Deshalb stellten wir auch zunächst keine didaktischen, sondern nur methodische Reflexionen

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an. So merkten wir etwa bald, daß eine Arbeitsgemeinschaft meist effektvoller ist als eine Aufeinanderfolge von Referaten. Unsere Tagungsgestaltung sah zunächst also einfach so aus, daß wir etwa die Hälfte der Zeit in diesem Sinne unterrichtlich vorplanten und die andere Hälfte den Teilnehmern zur freien Verfügung überließen.

Aber bald stellten sich erhebliche Schwierigkeiten ein. Unsere Oberschüler machten zwar mit, weil diese Unterrichtsorganisation dem von der Schule her gewohnten Rhythmus entsprach. Aber auf diese Weise blieb die Tagung einseitig stofflich leistungsorientiert. Was sollte man in der Freizeit tun? War sie "uneigentlich", lediglich dazu da, sich zu entspannen, damit man anschließend den unterrichtlichen Ansprüchen genügen konnte? Gehorchten wir aber damit nicht schon einer bestimmten gesellschaftlichen Ideologie, in der außer der Arbeitsleistung andere soziale Beziehungen kaum zur Geltung kommen?

Außerdem zeigte sich sehr bald, daß die unterrichtliche Orientierung einseitig blieb. So kam es nicht selten vor, daß unsere Oberschüler am Ende einer Tagung gut über Hitlers Machtergreifung Bescheid wußten, aber das Fernsehen schlechthin für eine Erfindung des Teufels hielten. Die einseitige, noch so umfangreiche Verbesserung der Kenntnisse führte offenbar nicht unbedingt auch zu einem korrigierten politischen Bewußtsein. Das erste Ergebnis dieser Überlegungen war, daß wir in der eben skizzierten Weise das Unterrichtsprogramm differenzierten, also zum Beispiel zwischen Referaten, Arbeitsgemeinschaften, Neigungsgruppen und Abendgesprächen unterschieden

Bei unseren Lehrlingen war dieses schulische Verfahren von vornherein aussichtslos. Sie brachten uns erst eigentlich richtig auf den Zusammenhang von allgemeiner und politischer Bildung. Wie wir schon vorher bei der Charakteristik unserer Lehrlinge gezeigt haben, setzt die Fähigkeit zur geistigen Auseinandersetzung mit politischen Problemen viele andere Lernleistungen voraus, die bei den Lehrlingen nicht anzutreffen waren. Ihr Nachholbedarf war zu groß.

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Wie das in der Praxis aussah, mag folgendes Beispiel verdeutlichen. Eine Gruppe von Lehrlingen (Durchschnittsalter 16 Jahre) sollte ein Tonbandfeature herstellen und zu diesem Zweck in der Volksschule der benachbarten Gemeinde Interviews mit Jugendlichen machen. Wir hatten die Lehrerin der Schule zur Mitarbeit gewonnen und mit den Interviewern das Gespräch sorgfältig vorbereitet. Auf einmal wollten die Jungen nicht mehr. Sie meinten, es käme doch nichts dabei heraus und man solle lieber gleich Bücher lesen. Nur mit Mühe gelang es uns, sie bei der Stange zu halten. Als es endlich so weit war, waren sie von einer unvorstellbaren Nervosität gepackt und fürchteten sich davor, die Gleichaltrigen (vor allem die Mädchen) zu befragen, die sie ja nicht persönlich kannten. - Die Ergebnisse waren übrigens über Erwarten gut, aber die Jungen freuten sich noch mehr darüber, daß sie ihre sozialen Hemmungen erfolgreich überwunden hatten.

Dieses scheinbar ganz unbedeutende Beispiel mag eine Vorstellung davon erwecken, wie groß der erzieherische Nachholbedarf schon auf der Ebene des sozialen Selbstbewußtseins war, vom Unterricht einmal ganz zu schweigen.

Unsere ersten Versuche, mit unseren Lehrlingen in gleicher Weise Lehrgänge durchzuführen wie mit den Oberschülern, scheiterten also völlig. Die Ergebnisse waren im Gegenteil so deprimierend, daß wir einige Male kurz davor standen, diese Arbeit überhaupt abzubrechen. Es war eigentlich nur die einmalige Chance, ganze Lehrjahre dreimal hintereinander bei uns zu haben, die uns weitermachen ließ.

Der zweite Ansatz ging von der bekannten sozialpädagogischen Regel aus, daß man dort anfangen solle, wo die Gruppe steht. Dieser Ansatz hatte bei uns zwei verschiedene Stadien. Zunächst überlegten wir selbst, was die Lehrlinge interessieren könnte, wo ihre tatsächlichen Probleme waren, die sie mit uns gemeinsam lösen könnten. Wir glaubten, mit dem Stichwort "Film" ein solches Interesse getroffen zu haben. Nun programmierten wir unsere Tagungen so, daß wir einige Filme zeigten, aus deren

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Diskussion sich ein sachlicher Leitgedanke ergeben konnte. Dafür gab es zwei mögliche Gliederungsprinzipien. Entweder ging man von einem sachlichen politischen Problem aus (etwa "unbewältigte Vergangenheit" mit den Filmen "Rotation", "Affäre Blum", "Stresemann" usw.), oder man gruppierte einige Filme um individuelle Lebensprobleme, die zugleich Widerspiegelung objektiver gesellschaftlicher Probleme sind (etwa "Warum sind sie gegen uns?", "Gesicht von der Stange?", "Beruf oder Job?", "Glas").

Die Tageseinteilung war nun so, daß vormittags diese Filmdiskussionen stattfanden und nachmittags Hobbygruppen angeboten wurden. Der Erfolg war aber nicht so überzeugend, wie wir gehofft hatten. Zunächst hielten wir mit dieser Aufteilung den gewohnten Unterschied von Arbeit und Vergnügen aufrecht. Der Unterricht selbst lief nun zwar etwas flüssiger voran, aber dennoch schien es so, daß die Lehrlinge am Film gar nicht so interessiert waren, wie wir vermutet hatten. Wir begannen zu merken, daß der gruppenpädagogische Leitsatz, von dem wir ausgegangen waren, nur abstrakt richtig ist. Die große Schwierigkeit liegt nämlich darin, im Einzelfalle herauszufinden, wo die Gruppe denn nun wirklich steht. Wir glaubten, daß Film ein handfestes Interesse unserer Lehrlinge sei, aber sie schienen gar nicht so versessen darauf zu sein, daß ihre Interessen so von uns gehätschelt wurden. Manche gaben ihrer Enttäuschung Ausdruck: "Kino können wir auch zu Hause haben".

Auch die Unterrichtsgestaltung selbst wurde im Grunde nicht einfacher. Abendfüllende Spielfilme waren in der Regel eine sachliche und ästhetische Überforderung, und es kostete unendliche Mühe, im anschließenden Gespräch erst einmal zusammenzutragen, was man überhaupt gesehen hatte. In dieser Hinsicht waren die Kurzfilme schon eher geeignet. Man konnte sie mehrmals vorführen und sie auf diese Weise besser ins Gedächtnis bringen.

Der Grund, weshalb wir diesen Ansatz schließlich wieder aufgaben, lag in einem kurzen Test. Nachdem wir mit einer Klasse einer Höheren Handelsschule aus einer nord-

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deutschen Großstadt (37 Mädchen, Durchschnittsalter 15 Jahre) ausführlich den einstündigen Spielfilm "Warum sind sie gegen uns?" durchgesprochen hatten, ließen wir die Mädchen einen kurzen Aufsatz schreiben über die Frage: "Was habe ich aus dem Gespräch über den Film 'Warum sind sie gegen uns?' gelernt?" Da wir spontane Antworten haben wollten, gaben wir nur 20 Minuten Zeit dafür, zumal ja auch die Diskussion noch unmittelbar im Gedächtnis sein mußte. Dieser Film war für seinen solchen Test deshalb besonders geeignet, weil sich die Mädchen mit seinem Problem durchaus identifizieren konnten. Es geht um eine Liebesgeschichte zwischen einem jungen Hilfsarbeiter und einer Prokuristentochter, die ohne Happy-End endet. Die qualitative Analyse dieser Aufsätze hatte folgendes Ergebnis:

Die Analyse von 37 Arbeiten über das Filmgespräch hat ergeben, daß etwa 27 Arbeiten durchaus unzulängliche Stellungnahmen darstellen. Das zeigt sich in folgenden Punkten:

1. Willkürliche und ungenaue Inhaltsangabe des Films ohne Berücksichtigung des Gesprächs.

2. Betonung von Nebensachen, die sich unmittelbar einprägten (Beispiel: Thema des Films sei "Motorradlärm auf der Straße").

3. Hervorhebung des "ordentlichen und anständigen Benehmens". Es werden Antworten gegeben, von denen die Mädchen glauben, daß die Erzieher sie von ihnen erwarten. (Beispiel: Man soll keinen Krach machen, nicht so viel tanzen gehen usw.. Gelegentlich werden rein assoziativ weitere "Gebote" genannt; die mit dem Film in keinerlei Zusammenhang stehen, wie: man soll alten Leuten immer behilflich sein, sich nicht von Rowdies verführen lassen oder "mit uns fremd erscheinenden Menschen nicht mitgehen".)

4. Unfähigkeit, über die Unmittelbarkeit des Geschehens in irgendeiner Hinsicht hinauszugehen. Man gibt sich zufrieden mit Gegensätzen wie "schlechte Familie" oder "anständige Familie".
 
 

10 von 37 Arbeiten zeigen, daß entweder die eine oder die andere Fragestellung begriffen worden ist. Es werden genannt:

1. Was ist ein guter Film? Wirklichkeitsnähe, Bedeutung des optischen Symbols usw.

2. Warum handelten die Personen des Films so und nicht anders? Psychologie von Jugendlichen und Erwachsenen in der Gegenüberstellung.

3. Wer hat richtig und

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wer hat falsch gehandelt? Versuche einer Beurteilung. Vorurteile und Standesunterschied.

4. Hätten die Verhältnisse anders sein müssen? Bedeutung der Berufswahl. Skeptische Beurteilung der "gleichen Chancen für alle". Gelegentlich ist auch aus unvollkommenen Formulierungen zu sehen, daß dies erkannt wurde: "Denn wenn man den ganzen Tag das gleichmäßige Stampfen der Maschine hört. Auch wenn man Hilfsarbeiter ist, kann man nicht weit kommen. Durch Abendkurse, das wäre sehr anstrengend."

Zusammenfassung: Arbeiten, in denen die im Gespräch hauptsächlich behandelten Probleme wiederkehren, sind zahlenmäßig sehr gering. Die Erinnerung an die Filmbilder schiebt sich bei den Mädchen vor die Erinnerung an das Gespräch. Beschreibung von Einzelszenen, die Eindruck gemacht haben, ersetzt die Wiedergabe von Problemen, Ursachen, Begründungen. Anstatt zu schreiben, was sie hierbei, lernen konnten, zitieren die meisten allgemeine Verhaltens- und Benehmensregeln, die weder für den Film noch für das Filmgespräch von Belang waren, ihnen aber in Schule und Elternhaus beigebracht werden und somit assoziativ bereitliegen, wenn gefragt wird, was man gelernt habe. Was über die eigene beschränkte Erfahrung hinausgeht, steht zumeist außerhalb jeden Verständnisses. Ausdrucksschwierigkeiten und über die Maßen fehlerhafte Orthographie lassen es zweifelhaft erscheinen, daß in dem Alter von 15 Jahren auf sinnvolle Weise die gesellschaftlichen Zusammenhänge klargemacht werden können, auf die es hier ankommt. (Manfred Jäger)

Nach diesem Fehlschlag versuchten wir einen anderen Weg, um die Interessen unserer jugendlichen Partner zu ermitteln. Wir legten ihnen zu Beginn einer Tagung einen Fragebogen vor. Nach der Überschrift "Worüber möchten Sie am liebsten in dieser Tagung diskutieren?" folgten 28 verschiedene Vorschläge aus allen Lebensbereichen. Alle Vorschläge waren in Frageform abgefaßt und möglichst interessant formuliert. Es konnten beliebig viele Fragen angekreuzt werden. Am meisten wurden allgemeine Lebensfragen und technische Fragen bevorzugt. Aber auch aus diesen Angaben ließ sich kein Programm ableiten. Das tatsächliche Interesse an den vorgeschlagenen Themen war nicht größer als vorher auch.

Aus diesen Erfahrungen mußten wir schließen, daß das Anknüpfen an ein artikuliertes oder vermutetes Interesse

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der Jugendlichen kein fündiges didaktisches Prinzip ist. Die Vermutung, jeder Mensch müsse doch irgendwelche Interessen haben, ist wohl selbst schon eine unzulässige Verallgemeinerung eines typisch intellektuellen Selbst- und Weltverständnisses. Man beachtet dabei zuwenig, daß Interessen zu haben und sie artikulieren und nach außen als Anspruch durchsetzen zu können, nicht etwa Voraussetzung, sondern bereits Ergebnis der komplizierten Vorgänge der Ichfindung ist. Das Problem war gerade, daß unsere Lehrlinge solche Interessen eben nicht hatten und vertraten. Was da vorliegt, das sind sehr vage Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse, die mehr oder weniger zufällig gesellschaftlich vermittelt sind und die unsere Jugendlichen viel weniger ernst nahmen als wir. Mit den Interessen scheint es so zu sein wie mit den Begabungen: Sie sind erst da, wenn sie in der Auseinandersetzung mit einer Belastung hervorgelockt worden sind. Wir konnten also nicht von den vorhandenen Interessen der Jugendlichen ausgehen, sondern wir mußten Bedingungen schaffen, in denen solche Interessen erst deutlich werden konnten.

Der nächste Schritt war folgerichtig, daß wir möglichst viele verschiedene Belastungsproben erfanden, angesichts derer so etwas wie Interessen zum Durchbruch kommen konnten. Nun wurde der Gruppenwettkampf unser didaktisches Prinzip. Wir teilten durch Abzählen die Teilnehmer in vier bis fünf gleich starke Gruppen auf. Diesen Gruppen gaben wir vielfältige Aufgaben: sportliche, gesellige, intellektuelle (zum Beispiel über einen diskutierten Film eine Filmkritik zu schreiben; politische und sensationelle Nachrichten in die Sprache der Bildzeitung zu setzen; über ein aktuelles Thema ein Tonbandfeature herzustellen usw.).

Die Vorteile dieses Prinzips waren zunächst überzeugend. Alle engagierten sich, die Tagung verlief abwechslungsreich, die bisherige Trennung von Arbeit und Vergnügen war aufgehoben, die verschiedenen Aufgaben ließen in den Gruppen verschiedene Talente zum Zuge kommen, und

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der Wettbewerb dramatisierte die Tagung bis zum letzten Abend.

Dennoch waren auch hier die Nachteile nicht zu übersehen. Der Unterricht selbst war nun kaum noch in einen kontinuierlichen Zusammenhang zu bringen, und die Lernergebnisse mußten daher als ausgesprochen gering erscheinen. Vor allem war es schwer, eine Punktwertung zu finden, die der Verschiedenartigkeit der Aufgaben gerecht wurde (wieviele Punkte für den Fußballsieg, wieviele Punkte für das beste Feature?). Dies war deshalb wichtig, weil bei einem nicht überzeugenden Punktsystem das Interesse am Spiel sofort abgesunken wäre. Der Druck des Wettkampfes schließlich war nicht nur deshalb problematisch, weil er doch immer "Stars" in den Vordergrund stellte und die anderen zu kurz kamen, sondern vor allem deshalb, weil auf diese Weise eine nur schwer vermeidbare Hochtourigkeit in die Tagung kam und die besinnlichen Phasen nicht zu ihrem Recht kamen. Zwar ließ sich diese Schwierigkeit einschränken, aber die Lehrlinge waren nur mühsam davon abzubringen, nur noch an den Gruppensieg zu denken. Nun war gewissermaßen das Pendel nach der anderen Seite ausgeschlagen: erst war die Aktivität zu gering, nun drohte sie sich zu überschlagen.

Dennoch waren wir jetzt auf dem richtigen Weg. Es kam nun darauf an, die Vorteile des Wettbewerbsprinzips festzuhalten und seine Nachteile möglichst auszuschalten. Das Wettkampfprinzip wurde auf bestimmte, zeitlich begrenzte gesellige Vorhaben zurückgenommen, zum Beispiel auf ein Fußballturnier oder auf einen Spielabend, wenn nicht genug Mädchen zum Tanzen da waren. Im übrigen wurden die Gruppen an ein gemeinsames Thema gebunden, zu dem sie verschiedene Produktionen zu liefern hatten. Ein besonders gelungenes Beispiel dafür hat meine damalige Kollegin Nina Brumm veröffentlicht. ("Wie leben wir morgen?" im Juliheft 1965 der Zeitschrift "deutsche jugend", S. 314-322)

Nun wurde also nicht nur ein politisches Thema in kleinen Gruppen behandelt, sondern jede Gruppe produzierte dar-

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über etwas. Diese Produkte waren aber nicht nur Mittel zum Zwecke des Unterrichts, sondern sie standen selbst im Mittelpunkt der Tagung und sollten sachlich wie formal so gut sein, daß sich die Gruppe damit identifizieren konnte. Auch dies war noch eine Form des Gruppenwettbewerbs, aber nur noch insofern, als man mit seinem Produkt beim Publikum der anderen Gruppen Eindruck machen wollte, ohne daß ein Punktsystem darüber entschied, welche Produktion nun die beste sei.
 

Das Beispiel: "Jungsein heute"

Um dieses Verfahren und seinen Ertrag etwas genauer zu beschreiben, will ich ein Beispiel wählen, das wir mehrmals durchgeführt haben: Das Thema: "Jungsein heute". Dazu mußte von uns aus zunächst ein Einstieg inszeniert werden. Dafür gab es mehrere Möglichkeiten. Man konnte sich am ersten Tag zusammensetzen und gleichsam mit der Tür ins Haus fallen, indem wir einfach sagten, was wir geplant hatten. Die Gefahr, daß die Lehrlinge sich weigerten mitzumachen, bestand nicht. Besser aber war es, sich zunächst ein Medium für die erste Kommunikation zu schaffen. Der Anfang lief besser, wenn man sich erst einmal warmdiskutiert hatte. Dazu diente uns meist ein Film wie "Jazzbanditen" oder "Warum sind sie gegen uns?". Nach einer solchen Diskussion ergab sich wie von selbst der Vorschlag, daß man doch zu einem solchen Thema auch selbst etwas machen könnte. Nun war es nicht mehr schwer, einzelne Gruppenprojekte zu unterbreiten.
 
 

1. Die "Arbeitsgemeinschaft Wissenschaft". Sie erhielt die Aufgabe, ein Referat von etwa 30 Minuten Dauer auszuarbeiten über die wesentlichen Ergebnisse der wissenschaftlichen Jugendkunde. Dafür interessierten sich vor allem die "Intellektuellen" in einer Gruppe. Diese Aufgabe kann natürlich nur Erfolg haben, wenn die Mitarbeiter vorher die dafür wesentlichen Textstellen aussortiert haben und bei der Durcharbeitung unentwegt zur Verfügung stehen.

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Diese Gruppe ist meist zuerst fertig und trägt ihre Ergebnisse. dem Plenum vor. Die Mitarbeiter stellen kritische Fragen und animieren die Teilnehmer ebenfalls dazu: Woher habt Ihr das? Wie kommt Ihr darauf? Wie kriegt man sowas überhaupt heraus? - Dies ist für alle Teilnehmer eine gute Gelegenheit, mit elementaren wissenschaftlichen Techniken bekanntzuwerden (Was ist eine Quelle? Was ist eine Anmerkung in einem wissenschaftlichen Buch und wozu dient sie?). Nach der Kritik erhält die Gruppe den Auftrag, das Manuskript zu korrigieren und zu vervielfältigen, damit es jeder mit nach Hause nehmen kann.

Das Lernergebnis bei der Herstellung dieser Produktion ist verhältnismäßig groß. Es fängt beim Bekanntwerden mit wissenschaftlichen Techniken an und hört bei dem didaktischen Problem auf, was man auf welche Weise den anderen, die die Bücher nicht gelesen haben, mitteilen muß, damit sie das, was die Gruppe jetzt weiß, auch verstehen. Eine wichtige Hilfe ist auch die stilistische Korrektur. Klingt das gut? Ist das verständlich? Ist das richtig ausgedrückt? Sind die Sätze zu lang? Wo soll man zitieren, wo lieber eigene Worte verwenden?

2. Die "Arbeitsgemeinschaft Dokumentation und Statistik". Diese wird mit der Aufgabe betraut, auf sieben bis zehn Maschinenseiten in Zusammenarbeit mit der Gruppe "Wissenschaft" eine Dokumentation zu erstellen, die die wichtigsten Fakten und die interessantesten Kontroversen beinhaltet. Auch diese Gruppe trägt ihren Entwurf dem Plenum vor. Die Mitarbeiter nutzen die Gelegenheit, auf elementare Editionstechniken hinzuweisen ("Drei Pünktchen", Quellenangabe usw.). Diese Produktion wird ebenfalls gemäß der Kritik und den Abänderungsvorschlägen im Plenum korrigiert und für alle hektographiert.

Auch bei dieser Gruppe liegen die formalen Lernergebnisse auf der Hand. Hinzu kommt noch, daß man sich überlegen muß, wo man am schnellsten gutes Material für eine solche Dokumentation erhalten kann, denn die im Hause verfügbaren wissenschaftlichen Texte reichen dafür ja nicht aus. Bei dieser Gelegenheit lernt man also, daß es

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in unserer Gesellschaft Institutionen gibt, die solche Informationen sammeln und deren Hilfe man sinnvollerweise in Anspruch nehmen sollte, bevor man selbst sich mühsam solche Informationen zusammensucht. In unserem Falle suchten einige Lehrlinge die nächste Jugendabteilung einer Gewerkschaft und die nächste Jugendbehörde auf.

3. Die "Arbeitsgemeinschaft Reportage". Diese Gruppe erhält den Auftrag, eine Tonreportage von 20 bis 30 Minuten Dauer zu produzieren. Bei den Vorüberlegungen stellt sich bald heraus, daß man dazu das Thema eingrenzen muß, zum Beispiel auf "Generationskonflikte auf dem Lande" oder "Landjugend in ihrer Freizeit". Da die Tonreportage eine besonders bewegliche Informationsform ist, ist sie gut geeignet für sozialkritische Fragestellungen.

Hier war die Vorbereitung besonders wichtig. Material, das man nicht rechtzeitig beschafft hatte, war später nicht mehr zu bekommen. Man brauchte also einen gut durchdachten Interviewplan und mußte Hypothesen entwerfen. Wen muß man fragen? Was muß man fragen?

Das Rohmaterial der Interviews mußte dann zu einer Hörfolge gestaltet werden, eine keineswegs leichte Aufgabe, wenn man es auf optimale dramaturgische und tontechnische Gestaltung anlegte.

Diese Gruppe bedurfte der besonderen Aufmerksamkeit durch die Mitarbeiter. Mißlang eine solche Reportage, dann war die Enttäuschung angesichts der investierten Mühe groß; gelang sie aber, dann konnte der Lerneffekt nicht hoch genug veranschlagt werden. Das fertige Tonband konnte zwar nicht jeder mit nach Hause nehmen, aber einige, die ein Tonbandgerät besaßen, kopierten sich das Band.

4. Die "Arbeitsgemeinschaft Fotografie". Sie erhält die Aufgabe, eine Fotoausstellung zum Thema zu machen. Auch hier empfiehlt es sich, wie bei der Reportage, das Thema einzugrenzen ("Großstadtjugend in der Freizeit"; "Kinder im Verkehr"). Das Thema muß so gewählt werden, daß man es auch bei Tageslicht fotografieren kann.

Diese Gruppe mußte wieder anders verfahren als die an-

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deren. Ein oder zwei Tage mußte man das Thema erst einmal beobachten, bevor man Pläne für das Fotografieren entwerfen konnte.

Die Aufnahmen wurden in unserer Dunkelkammer entwickelt und vergrößert. Hierbei stellten sich die ersten ästhetischen Probleme einer Fotoausstellung ein. Man konnte schließlich nicht einfach Fotos hintereinander an die Wand kleben. Wie kann man eine solche Ausstellung gestalten? Wie groß müssen die Fotos sein? Welche Ausschnitte muß man vergrößern? Braucht man Bildunterschriften? Woher bekommt man diese?

5. Die "Arbeitsgemeinschaft Jugend im Spielfilm". Ihre Aufgabe ist, das Jugendbild in einigen Spielfilmen zu analysieren und zu kritisieren. Die Filme werden abends für alle gezeigt, damit die spätere Analyse auch ein Publikum hat. Die Gruppe faßt ihre Analyse schriftlich ab, so daß sie auch vervielfältigt werden kann.

Für diese Gruppe stehen filmästhetische Probleme im Vordergrund. Sie muß sich gründlich mit ihnen befassen, sonst kann auch die Analyse nichts taugen.

6. Die "Arbeitsgemeinschaft Jugend in der illustrierten Presse". Diese Gruppe stellt eine Montage über das Jugendbild in der illustrierten Presse her. In welchem Zusammenhang ist hier von Jugend die Rede? Über welche Probleme der Jugend wird berichtet, über welche nicht? Gibt es da Unterschiede zwischen einzelnen Illustrierten? Auch diese Aufgabe ist von besonderer Art. Eine Montage ist eine satirische Form der Darstellung. Was heißt das? Was sind satirische Elemente der Darstellung? Wie ist überhaupt die Logik einer Satire?

Um das Jugendbild in der Illustrierten interpretieren zu können, muß man eine Menge von der illustrierten Presse wissen, vor allem auch von ihrer ökonomischen und sozialpsychologischen Funktion. Wo kann man das (außer in Büchern) erfahren?

Eine solche Gemeinschaftsproduktion, wie sie in den Arbeitsgemeinschaften versucht wurde, ist - wenigstens für

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Lehrlinge - die ideale Unterrichtsorganisation: Alle Informationen können in dem Augenblick erteilt werden, wo sie gebraucht werden, damit die gemeinsame Sache weitergeht; das Produkt ist ein Erfolg, mit dem man sich sichtbar identifizieren kann; Politik ist kein isolierter, äußerlich aufgepfropfter Themenbereich mehr, sondern bleibt eingebettet in die Steigerung vieler anderer wichtiger Fähigkeiten und Fertigkeiten: Techniken der geistigen Arbeit, rentable Organisation der geistigen Arbeit in den Gruppen, Selbstbewußtsein im Auftreten nach außen, dramaturgische Einsichten im Umgang mit Texten, Ton und Bild und nicht zuletzt ein durch die Sache selbst immer wieder vorangetriebenes Zweifeln und Fragen stehen in einem überzeugenden Zusammenhang zueinander.

Aber die einleuchtende pädagogische Logik solcher Produktionen täuscht leicht über die immensen Schwierigkeiten hinweg, die bei einer solchen Unterrichtsorganisation unweigerlich auftauchen.

1. Solche Tagungen sind ungemein kostspielig und mit den normalen Zuschüssen gar nicht zu finanzieren. Die Kosten für teures Fotomaterial, für die Reisen der Reporter und Fotografen sowie die Kosten für die Vervielfältigung der Gruppenproduktionen übersteigen bei weitem die üblichen Zuschüsse. Wir konnten uns die Defizite solcher Tagungen höchstens vier bis fünf mal im Jahre leisten, und dies auch nur deshalb, weil fast alle Titel unseres Haushaltsplanes gegenseitig deckungsfähig waren.

2. Jede Arbeitsgemeinschaft braucht, auch wenn sie nur wenige Mitglieder hat, einen eigenen Tutor, der ständig für sie da ist. Auch das treibt die Kosten hoch. Zunächst nahmen wir an, wir könnten bei diesem Verfahren Mitarbeiter sparen, weil ein Tutor doch mehrere Gruppen versorgen könnte. Aber aus diesem Grunde scheiterten die ersten beiden Experimente dieser Art vollständig. Das Gegenteil war richtig. Sollten die zahlreichen Lernsituationen, die nun auftauchten, in der richtigen Weise und im richtigen Zeitpunkt aufgegriffen werden, so mußte ein Mitarbeiter sich ständig auf seine Gruppe und ihren Prozeß

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konzentrieren können. Einige wenige Mißerfolgserlebnisse konnten genügen, um der Gruppe, die sich ohnehin "zu dumm für sowas" hielt, die Lust zu nehmen.

3. Für diese Experimente kamen wir nicht mehr mit dem bisherigen Mitarbeitertyp aus, der sich im wesentlichen auf seine Sache vorbereitet hatte. Nun brauchten wir viel eher einen Koordinator, der die Ideen der Gruppe produktiv organisieren konnte, eigene Einfälle hatte, wenn die Gruppe sich festgefahren hatte, zum richtigen Zeitpunkt die Arbeit abbrach, wenn man sich "verbiesterte", einen Mißerfolg, wenn schon nicht behob, so doch wenigstens erklärte und damit Mut zu einer besseren Wiederholung machte. Etwa sechs bis acht von unseren Studenten waren in der Lage, sich auf diesen Wechsel einzustellen, aber sie waren verständlicherweise nur mühsam für denselben Termin zu gewinnen.

4. Die Organisation der Tagung wurde nun sehr kompliziert. Man konnte den einzelnen Gruppen nur sehr begrenzt vorschreiben, wann sie arbeiten sollten. Die verschiedenartigen Projekte führten notwendig auch zu verschiedenen Arbeitsrhythmen. Damit wurde der Zusammenhang der Tagung aber immer gefährdet, weil sich die einzelnen Gruppen zu isolieren drohten. Es mußten neue Plenumsveranstaltungen erfunden werden, damit das gemeinsame Problembewußtsein erhalten blieb. Außerdem wurden alle Produktionen erst in den letzten Tagen fertig, und es bedurfte präziser Organisation, damit es nicht zu einem Sturm auf die technischen Einrichtungen des Hauses kam (Tonstudio, Schreibmaschinen). Schließlich war es problematisch, daß sich die Höhepunkte der Tagung in Gestalt der Gruppenproduktionen in den letzten Tagen häuften, während es vorher lange Zeit keine Höhepunkte gab. Die einzelnen Gruppen mußten ihre Arbeit also so organisieren, daß am Schluß möglichst nicht mehr als ein Produkt am Tag vorgeführt werden mußte. Dann aber begannen sich die, die schon fertig waren, zu langweilen und mußten schon deshalb neue Aufgaben im Rahmen des Gesamtthemas erhalten, damit sie nicht störten.

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5. Wenn ein Unterricht unwirksam ist, fällt das nach außen nicht auf. Nun aber stand viel auf dem Spiel. Wenn jetzt eine Gruppe versagte, dann war das für alle deutlich sichtbar, und die Enttäuschung war durch nichts wieder gutzumachen. Das Bewußtsein davon war für die studentischen Tutoren eine große Belastung. Es war wichtig, daß das Endprodukt so gut war, daß man sich damit identifizieren konnte und nach Möglichkeit auch zu Hause etwas davon vorzeigen konnte. Der technische Apparat des Hauses aber war darauf nicht eingestellt. Die einzige Sekretärin konnte unmöglich in wenigen Tagen einige Dutzend Schreibmaschinenseiten zusätzlich schreiben oder gar Hunderte von Blättern hektographieren. Das mußten die Teilnehmer also unter Assistenz der Mitarbeiter selbst besorgen.

6. Damit wird aber deutlich, daß eine solche Unterrichtsorganisation an ein gut eingespieltes Team gebunden ist. Nur ein solches Team - und auf keinen Fall ein einzelner Mitarbeiter - ist in der Lage, die komplizierten Gruppenprozesse und die anfallenden organisatorischen Schwierigkeiten so unter Kontrolle zu behalten, daß die Lernchancen bei solchen Produktionen gezielt genutzt werden und die Tagung nicht in einem Chaos hektischer Aktivität versinkt.

Vielleicht wird man auch fragen, ob sich der eben geschilderte Aufwand überhaupt lohne. Huldigt er nicht möglicherweise einem gewissen pädagogischen Perfektionismus? In der Tat ist das, was wir "Produktion" nennen, für die Oberschüler keine unbedingt nötige Lösung. Sie würden auch innerhalb eines nur modifizierten "Lehrgangsmodells" noch genügend lernen. Trotzdem sollte man klar sehen, daß das, was bei der Herstellung von Produktionen gelernt wird, nicht dasselbe ist wie das, was man bei einem sachlogisch gestalteten Unterricht lernt. Unsere Erfahrungen zeigten immer wieder, wie gut es auch den Oberschülern tat, wenn sie etwas zum Zwecke einer bestimmten Anwendung lernen mußten.

Für die Lehrlinge hingegen war dieses Verfahren das ein-

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zig erfolgversprechende. Natürlich kann man sich - wie wir auch - eine gewisse Zeit über das tatsächliche Bildungsdefizit dieser jungen Leute täuschen und glauben, man müsse mit ihnen eben ganz einfach "politische Kurse" machen. Und natürlich setzt man sich gerade als Pädagoge höchst ungern dem Verdacht aus, man wolle eine ganze Schicht von jungen Leuten intellektuell disqualifizieren. Aber auch auf diese Gefahr hin müssen wir es ganz klar aussprechen: Unsere Lehrlinge waren in der Regel nicht "zu dumm für Politik", wie sie sich das gerne einredeten. Ihre Fähigkeiten waren nur nicht entwickelt worden. Und man würde sich um das Ausmaß dieser Tatsachen nur herumdrücken, wenn man ihnen einfach nur "politische Kurse" anböte und anschließend "politisches Desinteresse" feststellte. So leicht macht es sich zum Beispiel der Jugendbericht der Bundesregierung, wenn er behauptet, die meisten jungen Menschen interessierten sich nicht für das, was über die eigene Person und den Beruf hinausführt (Bundestags-Drucksache IV/3515 S. 72). Die Wahrheit sieht aber anders aus. Wenn die Tagungsarbeit dazu beitragen soll, daß auch Lehrlinge und junge Arbeiter ihr öffentliches Selbstbewußtsein und ihre Fähigkeiten zur politischen Beteiligung verstärken, so wird das viel mehr Geld kosten, als man sich heute träumen läßt, und einer erheblichen didaktischen Phantasie bedürfen. Schon wenn es möglich würde, jedem Lehrling vier Wochen "Bildungsurlaub" im Jahr zu gewähren und wenn diese Wochen so intensiv genutzt würden, wie wir es hier vorgeschlagen haben, würde sich das Bild erheblich verändern. Da die meisten Ausbildungsverhältnisse sehr unrentabel organisiert sind (vgl. Lempert/Ebel, Lehrzeitdauer, Ausbildungssystem und Ausbildungserfolg, Freiburg 1965), ließe sich bei gutem Willen diese Zeit durchaus erübrigen.

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