Hermann Giesecke


Gesammelte Schriften

Band 23 (1997)

© Hermann Giesecke

Inhaltsverzeichnis aller Bände

Register


Zu dieser Edition
Dieser 23. Band meiner gesammelten Schriften enthält Arbeiten aus dem Jahr 1997. In diesem Jahr wurde ich emeritiert.  Nähere biographische Angaben finden sich in meiner Autobiographie Mein Leben ist lernen, Weinheim: Juventa Verlag 2000.

Die Edition der Schriften in diesem Band bemüht sich um Vollständigkeit. Aufgenommen wurden nur bereits gedruckte Texte. Allerdings wurden Texte, die nach Vorträgen mehrmals an unterschiedlichen Orten - z.B. in Verbandszeitschriften - wiedergegeben wurden, nur einmal berücksichtigt.
Die Plazierung der Fußnoten wurde vereinheitlicht; sie befinden sich nun am Ende des jeweiligen Beitrags. Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Darüber hinaus wurden die Originale jedoch nicht verändert. Nachträgliche Anmerkungen des Herausgebers sind durch (*) oder durch ein Namenskürzel ("H.G.") gekennzeichnet. Um die Zitierfähigkeit der Texte zu gewährleisten, wurden die ursprünglichen Seitenangaben mit aufgenommen und erscheinen am linken Textrand; sie beenden die jeweilige Textseite des Originals.
Die Beiträge werden von "1" an nummeriert, die vorangehenden Arbeiten befinden sich in den früheren Bänden.

Inhalt von Band 23

180. Unterricht ist nicht altmodisch (1997)
181. Zur Krise der politischen Bildung. Versuch einer Bilanz (1997)
182. Effizienzprobleme der Lehrerausbildung (1997)
183. Verteidigung des Unterrichts (1997)
184. Was ist ein "Schlüsselproblem"? (1997)
185. Lehreralltag - Alltagslehrer (1997)
185a. Über meine Erfahrungen als Hochschullehrer (1997)


 
 

180. Unterricht ist nicht altmodisch (1997)

In: Deutsche Lehrerzeitung Nr. 29/30, 24. Juli 1997, S. 3
 

In der gegenwärtig tonangebenden Schulpädagogik gilt die Unterrichtung der Schüler durch ihre Lehrer durchweg als altmodisch. Vielmehr sollen die Schüler möglichst selbst herausfinden und bestimmen, was, wie und in welchem Tempo sie lernen wollen. So steht es auch in der Denkschrift "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft", die im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung vorgelegt wurde. Sie faßt die künftigen Aufgaben der Schule im Bild vom "Haus der Lernens" zusammen, in dem zwar auch noch Unterricht stattfinden soll, aber nur noch als Teil vielfältiger und im einzelnen offener allgemeiner Lernprozesse. Der Begriff des Lernens hat den des Unterrichts weitgehend abgelöst. Das ist ein Fehler, wie die folgenden Thesen zeigen sollen.

1. Alle Wege zu einer beruflichen Qualifizierung - gleich auf welcher Ebene der Berufshierarchie - führen über Unterricht. Selbst das praxisorientierte "duale System" unserer Berufsausbildung, z.B. im Handwerk, ist ohne systematische schulische Unterrichtung nicht denkbar. Unterricht aber heißt von der Grundschule bis zur Weiterbildung im oberen Industriemanagement im Kern immer dasselbe: Da gibt es Lehrende, die etwas wissen oder können, und die diesen Vorsprung in didaktisch möglichst geschickter Weise an diejenigen weitergeben, die es noch nicht wissen oder können. Daran ist weder für Kinder noch für Erwachsene etwas Despektierliches. Die Fähigkeit, sich erfolgreich unterrichten zu lassen, ist vielmehr für die produktive Teilnahme am Berufsleben bis zu dessen Ende unerläßlich geworden. Je abstrakter die systematische Ausbildung angelegt ist, um so eher gelingt Disponibilität für wechselnde bzw. nicht voraussehbare berufliche Tätigkeiten; deshalb steigen auch die Aufwendungen der Wirtschaft für Fortbildungsmaßnahmen, die im Kern immer unterrichtliche Verfahren sind. In der Schule geht es also nicht um die Inszenierung irgendwelcher beliebiger Lernprozesse, sondern um ganz besondere, nämlich um unterrichtliche. Die Fähigkeit, sich unterrichten zu lassen, muß heute von allen erworben werden, und diese Fähigkeit ist durch nichts anderes ersetzbar.

2. Das liegt im wesentlichen daran, daß die Alltagswelt als solche weder lehrbar noch lernbar ist. Als solche besteht sie nur aus einem Sammelsurium von Eindrücken, Einwirkungen, Forderungen und Signalen. Erst die Erfindung des Unterrichts macht es möglich, komplizierte Sachverhalte und Zusammenhänge so zu vereinfachen und zu verdichten, daß sie Schritt für Schritt verstanden werden können und daß dabei grundlegende, modellhafte, exemplarische oder ähnlich strukturierte Kenntnisse und Einsichten entstehen, die wiederum nichts Endgültiges haben dürfen, sondern dem Weiterlernen dienen sollen. Unterrichten markiert einen Weg mit immer nur vorübergehenden Zielen. Das Nachdenken über die Aufgaben der Schule muß also primär von der Lehrbarkeit der Sachen ausgehen, nicht von der Lernbereitschaft der Lernenden, von deren Motiven und Interessen etwa.

3. Unterricht geschieht immer in Distanz zum sonstigen Leben, für dessen Bewältigung er andererseits gebraucht wird. Wer unterrichtet wird - ob Grundschüler oder Manager - verläßt zu diesem Zweck sein normales Leben und kehrt danach wieder dorthin zurück. Das Leben selbst lehrt zwar vieles und Wichtiges, aber es unterrichtet nicht. So gesehen ist Unterricht eine geniale kulturelle Erfindung, weil sie uns ermöglicht, die Unmittelbarkeit unserer Existenz zu überschreiten und für noch unbekannte spätere Verwendungssituationen gleichsam auf Vorrat zu lernen. Was dagegen das Leben lehrt, bleibt von sich aus fixiert an die Unmittelbarkeit der jeweiligen Situation. Diese grundlegende Polarität von Unterricht und Leben darf nicht eingeebnet werden; würde man schulische Lernprozesse ähnlich organisieren wie das Leben es selbst tut, wäre die Schule überflüssig. Sie würde dann nur verdoppeln oder verstärken, was das Leben sowieso beibringt.

4. Die Gesellschaft hat ein existentielles Interesse daran, daß die jeweils nachwachsende Generation das bereits vorhandene Potential an Kenntnissen und Fähigkeiten zumindest übernehmen, möglichst sogar übertreffen kann; sie muß immer wieder durch intelligente Arbeit und Tätigkeit reproduziert und weiter entwickelt werden, und dafür sind unterrichtliche Qualifizierungen unerläßlich. Deshalb muß es Lehrpläne bzw. Richtlinien, Leistungsanforderungen und deren Kontrolle geben, weil sonst die Lernarrangements in den Schulen beliebig würden und insofern am gesellschaftlichen Zweck der Veranstaltung Schule vorbeigehen könnten. Jede nachwachsende Generation braucht - wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen der Leistungsfähigkeit - einen gemeinsamen Bestand von Kenntnissen, Fähigkeiten und Weltvorstellungen, um die gesellschaftlichen Funktionen später wenigstens mit einem Minimum an Gemeinsamkeiten übernehmen zu können.

5. Ohne Unterricht könnten die Menschen im allgemeinen und die Kinder im besonderen die in ihnen schlummernden Fähigkeiten in nur sehr geringem Maße entfalten; sie könnten sich - "altmodisch" gesprochen - nicht "bilden". Die Fähigkeit, sich unterrichten zu lassen, liegt so gesehen also auch im wohlverstandenen Interesse des Kindes selbst und tritt zu diesem keineswegs in einen prinzipiellen Widerspruch, als sei sie per se nicht "kindgerecht". Im Gegenteil sind die Schulfächer mit ihren unterschiedlichen Anforderungen nicht zuletzt dazu da, unterschiedliche Fähigkeiten des Kindes herauszufordern, so daß es immer genauer zu erkennen vermag, was es gut kann und was weniger gut, was ihm mehr liegt und was weniger, damit es allmählich auf diesem Hintergrund seine Zukunftsplanung zu entwickeln vermag. So gesehen ist die weniger gute Zensur genau so wichtig wie die gute, aber auch unterschiedliche Unterrichtsmethoden, die z.B. eher auf Einzelarbeit oder eher auf Kommunikation setzen, sind dafür wichtige Erfahrungen. Das Kind hat im allgemeinen von sich aus keinen Bildungswillen, es will sich spontan lediglich in seiner unmittelbaren sozialen Umgebung erfolgreich bewegen und dafür dann auch das Nötige lernen; das ist wichtig, aber etwas ganz anderes. Pädagogische Konzepte, die sich vordergründig auf die aktuelle Befindlichkeit des Kindes einlassen und diese überschätzen, betrügen es in Wahrheit um seine noch unentdeckten Möglichkeiten. Die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit bedarf der Herausforderung durch objektive, gerade nicht aus der subjektiven Innerlichkeit sprießende Ansprüche und der tätigen und auch mühsamen Auseinandersetzung damit.

6. Schulunterricht ist die einzige Möglichkeit der Emanzipation des Kindes, über die es selbst verfügen kann; das einzige Kapital, das ein Kind von sich aus vermehren kann, sind sein Wissen und seine Manieren im Sinne öffentlich akzeptabler Verhaltensweisen. Ohne Schule würden die Reichen ihren Nachwuchs wieder wie früher privilegieren können, bliebe das Kind den gleichsam naturwüchsigen Mechanismen seiner Sozialisation ausgeliefert, die ihrerseits von den Zufälligkeiten seiner Geburt und seines Lebensmilieus abhängen.

7. Jeder erfolgreiche Unterricht muß an einer bereits vorhandenen schulischen oder außerschulischen Erfahrung anknüpfen, ist also insofern immer erfahrungsorientiert; er spricht die bereits vorhandenen Erfahrungen an, treibt sie weiter, differenziert sie, bringt sie auf den Begriff, klärt sie auf und verknüpft sie mit anderen. Aber er verlängert nicht einfach die bisherige Erfahrung oder verdoppelt sie nur, sondern betrachtet sie gleichsam aus der Vogelperspektive und präsentiert so Zusammenhänge, die die bisherige Wahrnehmung überschreiten und sie andererseits in eine systematische Ordnung bringen können.

8. Unterricht ist also eine künstliche, auf systematischer Lehre beruhende Sonderform des Lernens und weder durch andere Lernformen noch durch bloße Ausdehnung und Erweiterung von Alltagserfahrungen substituierbar.


 
 
 

181. Zur Krise der politischen Bildung. Versuch einer Bilanz (1997)


In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", Nr. B 32/1997, 1. August 1997, S. 3-10
 
 

Will man die gegenwärtige Krise der politischen Bildung verstehen, die offensichtlich von keinem Kundigen geleugnet, wenn auch unterschiedlich gedeutet wird (1), muß man die wesentlichen Determinanten ihrer Entwicklung in Westdeutschland seit dem Ende des 2. Weltkriegs in den Blick nehmen. Dann fallen vor allem vier Trends ins Auge: ihre Politisierung, ihre Moralisierung, ihre Professionalisierung und ihre Pädagogisierung. Sie spielen auch heute noch eine wenn auch nicht immer bewußte Rolle, und sie müssen kritisch überprüft werden, wenn von den künftigen Aufgaben und Chancen der politischen Bildung realistisch die Rede sein soll.

I.

Die politische Bildung nach 1945 war eine Reaktion auf die NS-Verbrechen und den verlorenen Krieg und konnte deshalb nicht einfach wieder an ihre Vorläufer aus der Zeit vor 1933 anknüpfen. Ihre ersten Impulse erhielt sie vom Umerziehungskonzept ("re-education") der alliierten Sieger. Sie stand also von vornherein unter einer politischen Zielvorgabe: Mit pädagogischen Mitteln - Lernen und Bildung - sollte das politische Ziel erreicht werden, Denazifizierung, Demilitarisierung und Demokratisierung in den Köpfen und Herzen der Deutschen - vor allem der jungen - zu verankern. Von diesem Ausgangspunkt her erschien sie nicht wenigen Deutschen damals als Teil des Siegerhandelns - im Zusammenhang mit anderen, zweifellos als repressiv gedachten Maßnahmen wie Entnazifizierung, Kriegsverbrecherprozesse und Demontage. Die politische Bildung begann also bei uns unter der Voraussetzung, daß es demokratische Strukturen und Normen noch gar nicht bzw. erst in Anfängen gab, deren Existenz sie eigentlich hätte voraussetzen müssen. Daraus ergab sich die pädagogische Paradoxie, daß die Erwachsenen, die traditionell für die Bildung und Erziehung der Jungen zuständig sind und dabei diesen gegenüber die normativen Prinzipien der Gesellschaft zur Geltung zu bringen haben, selbst erst einmal einer demokratischen Erziehung bedurften: die potentiellen Erzieher waren selbst Zuerziehende; denn schließlich waren sie in das undemokratische und dazu noch hochgradig kriminelle NS-System irgendwie verwickelt gewesen, das sich seinerseits auf anti-demokratische deutsche Traditionen stützen konnte.

Eine Folge dieses politischen Ausgangspunktes war, daß die politische Bildung von vornherein in die innenpolitische Diskussion über die Werte und Strukturen der neuen demokratischen Staats- und Gesellschaftsverfassung involviert wurde bzw. diese mit veranlaßte. In diesem Sinne war sie von Anfang an notwendigerweise parteilich und konnte keineswegs wie in anderen westlichen Demokratien von einem breiten Konsens ausgehen. In dem Bemühen, ihre pädagogischen Maximen und Praktiken zu finden, geriet sie unausweichlich in die innenpolitischen Debatten, die sich nach dem Krieg etwa über bestimmte Aspekte der Verfassung, über das ihr entsprechende Menschenbild und über die politische Kultur angesichts der unmittelbar zurückliegenden NS-Vergangenheit folgerichtig ergaben. Eine solche Grundsatzfrage war z.B.: Ist unsere demokratische Verfassung lediglich als ein formelles Regelsystem anzusehen, das Mehrheiten und Minderheiten auf der Grundlage von Wahlen zustande bringen soll, um so Regierungen zu legitimieren? Oder müssen mit dem Begriff "Demokratie" inhaltliche Entscheidungen verbunden werden, die dieser Staats- und Gesellschaftsverfassung erst ihren spezifischen Sinn im Unterschied zu den totalitären politischen Systemen des Nationalsozialismus und des Stalinismus geben? Theodor Litt (2) beantwortete diese Frage in den fünfziger Jahren formal, nämlich im Sinne einer allgemeinen Staatstheorie, in der das spezifisch Demokratische nicht in einem ideellen, sondern nur in einem formalen Sinne, als Legitimierung pluraler Macht- und Ordnungskonzepte, zum Ausdruck kam. Jürgen Habermas dagegen sah die politische Beteiligung der Bürger sehr viel weiter gefaßt; Demokratie müsse die Mündigkeit aller Bürger befördern und sei mehr als nur ein Set von Spielregeln für legitime Machtgewinnung und Machtveränderung. "Demokratie arbeitet an der Selbstbestimmung

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der Menschheit, und erst wenn diese wirklich ist, ist jene wahr"(3).

Eine weitere, damit zusammenhängende Grundsatzfrage war: Sollen außer dem Staat nur die Parteien und Verbände demokratisch verfaßt sein oder auch die Kirchen, Familien, Schulen? Hat Demokratie also auch etwas mit einer bestimmten Kultur des öffentlichen Umgangs zu tun, ist sie so etwas wie eine Lebensform? Friedrich Oetinger (4) (= Theodor Wilhelm) antwortete darauf mit seiner Partnerschaftsthese, nach der es vor allem um eine Neuordnung der unmittelbaren menschlichen Beziehungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen ging, auch im Verhältnis von Lehrern und Schülern; er verband diese Forderung mit einer vehementen Kritik an der überlieferten deutschen Unfähigkeit, öffentliches Verhalten von privatem zu unterscheiden und spezifisch zu kultivieren. Litt warf ihm deswegen vor, zwischen Politischem und Sozialem nicht genau genug zu unterscheiden. In der Tat stellte Oetinger weniger die inhaltlichen Fragen der Demokratie in den Mittelpunkt seines pädagogischen Konzepts als vielmehr pragmatische Übungen wie die demokratischen Verfahren der Debatte und der Diskussionsleitung; auch diese Fähigkeiten mußten die Deutschen ja erst einmal lernen.

Der "Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen" (5) versuchte einen Kompromiß zwischen den Grundpositionen von Oetinger und Litt, indem er daraus eine biographische Reihenfolge machte: zunächst, in jüngerem Alter, sollten die Schüler im Rahmen ihrer unmittelbaren Lebenswelt aufgeklärt und dort zu demokratischer Beteiligung befähigt werden, und erst in späterem Alter zu den grundlegenden politischen Einsichten geführt werden, wie es Litt verlangt hatte.

Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre geriet die Politische Bildung aus anderen Gründen in die öffentliche Aufmerksamkeit: Um das Jahr 1958 verunsicherten antisemitische Schmierereien und Schändungen jüdischer Gräber das Land, und die Politiker wurden schon deshalb zu Maßnahmen gedrängt, weil diese Taten dem Ansehen Deutschlands im Ausland erheblich schadeten. Zum anderen setzte in diesen Jahren eine massive Propagandakampagne der DDR gegenüber westdeutschen Jugendlichen ein, die z.B. zu relativ preiswerten Ferienlagern eingeladen und dort in ideologische Debatten verwickelt wurden, denen sie nicht gewachsen und auf die sie nicht vorbereitet waren. Ähnlich erging es westdeutschen Studenten und Oberschülern bei entsprechenden Einladungen. Das Gespenst einer unkontrollierbaren kommunistischen Infiltration tauchte auf und sorgte für Aufregung bei der politischen Administration. Nun war der Boden dafür bereitet, die politische Bildung besser als vorher zu fördern, und davon profitierte nun neben der Schule auch die außerschulische Jugendbildung; in deren Einrichtungen wurde politische Bildung fortan verhältnismäßig großzügig vor allem durch den Bundesjugendplan finanziert. Erneut geriet sie dabei aber in die Auseinandersetzung um politische Grundsatzfragen; denn die ideologischen Angriffe aus dem Osten blieben insofern nicht ohne Wirkung, als sie die scheinbar schon erledigte Frage nach den Grundlagen der eigenen Staats- und Gesellschaftsverfassung wieder aufwarfen. Nun wurde auch zum Problem, daß die bundesrepublikanische Verfassung von Anfang an nur als eine provisorische gedacht und insofern gleichsam nur mit halber Verbindlichkeit ausgestattet war. Sie enthielt ja den Auftrag der Wiedervereinigung, und so war es fast folgerichtig, daß in der politischen Bildung in den sechziger Jahren zum ersten Mal wieder die Kategorie des Nationalen, die Forderung nach Nationalgefühl als leitende pädagogische Idee auftauchte. Aber dieses Thema blieb Episode, weil es Ende der sechziger Jahre durch die Studentenbewegung überrollt wurde, die ganz andere Fragen in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückte.

Die inneren Widersprüche der westdeutschen Gesellschaft waren jedoch offenkundiger geworden, so daß diejenigen, die in der Schule wie in der Jugendarbeit politische Bildung betrieben, mit ihrer bisherigen Arbeit unzufrieden wurden. Es gab nämlich keine didaktischen Konzepte dafür, auch die inneren Widersprüche zum Thema zu machen, anstatt weiterhin "demokratische Märchenerzählungen" (Felix Messerschmid) zu verbreiten. In diesem Zusammenhang entstanden die konfliktorientierten didaktischen Konzepte (6), die schulpädagogisch insofern revolutionär waren, als sie die Exterritorialität des Jugendalters und der Schule erheblich relativierten, die rein propädeutische Funktion des politischen Unterrichts, wie sie noch der Deutsche Ausschuß vertreten hatte, aufgaben, und die Schularbeit und damit auch die Lehrer in die unmittelbare politische Aktualität stellten. In der Überlieferung der deutschen Bildungstradition dagegen hatte die Schule als poli-

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tisch abstinent zu gelten, was durch ihren Mißbrauch in der NS-Zeit erneut gerechtfertigt schien, und Jugendliche galten nicht als Subjekte eigener politischer Interessen. Mit dieser Tradition brachen die konfliktorientierten didaktischen Konzepte.

Aber nicht die Schulen wurden für die nächste Zeit zum Zentrum didaktischer Innovationen, sondern Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung, die didaktisch-methodisch besonders experimentierfreudig waren. Es war die Stunde der Jugendhöfe (Vlotho, Steinkimmen, später Dörnberg) und einiger Evangelischer Akademien. Zugute kam diesen Einrichtungen, daß sie im Unterschied zur Schule wenig bürokratisiert und nicht an vorgegebene Lehrpläne gebunden waren und daß die Teilnahme an ihren Veranstaltungen auf Freiwilligkeit beruhte. Was heute als "offener Unterricht" und "Projektunterricht" propagiert wird, entwickelte sich damals in diesen Einrichtungen in vielfältiger Form und deren Veranstaltungen wurden von den Jugendlichen oft als eine geradezu befreiende Alternative zur Schule erlebt (7).

Mit den konfliktorientierten didaktischen Ansätzen provozierte die politische Bildung aber erneut innenpolitische Auseinandersetzungen; denn sie thematisierten die unterschiedlichen Interessen der Bevölkerung und deren unterschiedliche Realisierungschancen im politischen Leben. Daher lag es auch nahe, Jugendliche bzw. Schüler zu ermutigen, ihre eigenen Interessen in ganz anderer Weise als bisher zu erkennen und zu vertreten. Dies brachte wiederum konservative Positionen auf den Plan, die etwa mit dem Begriff des "Gemeinwohls" diese Tendenz in Grenzen zu halten versuchten und im übrigen auf die überlieferte lediglich propädeutische Aufgabe aller Bildung, auch der politischen, verwiesen.

Obwohl also die politische Bildung stets in die innenpolitischen Konflikte über Sinn und Inhalt der westdeutschen Demokratie verwickelt blieb, behielt die didaktische Argumentation bei aller Widersprüchlichkeit dennoch einen inneren Zusammenhang, blieb einer gemeinsamen Problemlösung verpflichtet. Die Didaktiker lernten voneinander und versuchten, die unterschiedlichen Positionen in die eigene mit der Absicht zu integrieren, politisches Lernen optimal didaktisch zu strukturieren. Das änderte sich Anfang der siebziger Jahre, im Zuge der Studentenbewegung. Nun spaltete sich die politische Bildung ebenso, wie sich die Gesellschaft polarisierte. Keine didaktisch-methodische Konstruktion des politischen Unterrichts konnte bald mehr präsentiert werden, ohne daß sie sofort in einen komplizierten politisch-ideologischen Rechtfertigungszusammenhang geriet. Aufgabe didaktisch-methodischer Konstruktionen ist ja eigentlich, Lernen zu ermöglichen, und nicht, den Gegenstand selbst - also Politik - zu definieren und zu bearbeiten; dafür sind andere Kompetenzen zuständig - die Akteure selbst, die Politikwissenschaftler oder die Philosophen.

Diese Auseinandersetzungen waren rückblickend gesehen möglicherweise nützlich für das Selbstverständnis unserer demokratischen Ordnung, weil sie ja öffentliche Kontroversen darüber auslöste, aber der pädagogischen Sache haben sie eher geschadet, weil es - vor allem in den siebziger Jahren - kaum möglich war, das pädagogische Erfolgskriterium - Lernen ermöglichen - in didaktischen Szenarien zur Geltung zu bringen, ohne mehr oder weniger tiefsinnigen politisch-ideologischen Verdächtigungen ausgesetzt zu sein. Höhepunkte dieser fast totalen Identifizierung von Politik und Didaktik waren die erbitterten Auseinandersetzungen über neue Richtlinien für den politischen Unterricht in Hessen und Nordrhein-Westfalen Anfang der siebziger Jahre. Die alten Richtlinien enthielten neben einer im wesentlichen erzieherisch-moralisch formulierten Präambel lediglich allgemein gehaltene Stoffkataloge; die neuen verschmolzen nun den im engeren Sinne politischen Text - die Richtlinien - mit didaktischen Konzeptionen. Begründet wurde dies mit den damals im Mode gekommenen curricularen Lernzielstrategien. Das Unterrichten sollte sich präziser als vorher rechtfertigen, es sollte klarstellen, welche Ziele es eigentlich verfolge, diese öffentlich diskutierbar und vor allem auch kontrollierbar machen, inwieweit sie nämlich auch tatsächlich erreicht wurden. Dieses curriculare Verfahren führte u.a. dazu, daß z.B. die Hessischen Richtlinien für "Gesellschaftslehre" den Umfang eines Romans erhielten, während frühere Richtlinien lediglich allgemeine Zielvorstellungen mit ebenso allgemeinen Stoffhinweisen auf ein paar Druckseiten verbunden hatten. Darüber brach nun auch innerhalb der Reformer eine Debatte aus, inwieweit nämlich didaktische Entscheidungen, die eigentlich nur der Lehrer jeweils treffen kann, mit der Ebene des politischen Textes vermischt werden dürften und damit eine politische Offizialität bekämen, die ihnen von der Sache her nicht zustünde. Was am politischen Unterricht gehört in die ministerielle Kanzlei, was in die jeweilige Schulstube?

Eine neue politisch-ideologische Qualität erreichte die Auseinandersetzung durch jetzt zum Zuge kommende, an der "kritischen Theorie" bzw. neomarxistisch orientierte Autoren, die die politisch-

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didaktischen Konzepte nun ideologiekritisch sortierten. Was sich nicht "antikapitalistisch" verstand, wurde ausgegrenzt. Die so Etikettierten machten nun ihrerseits mobil, und ihren Höhepunkt erreichte diese innenpolitische Polarisierung in den schon erwähnten Richtliniendiskussionen. Die Energie dieses Streites verbrauchte sich jedoch in wenigen Jahren, und zurück blieb ein didaktisch-methodischer Trümmerhaufen; die didaktischen "Positionen" existierten nun nebeneinander, waren nicht mehr wie vorher an einen gemeinsamen Problemlösungszusammenhang gebunden, nämlich politisches Lernen zu ermöglichen. Es gab nur noch "Lager-Didaktiken", die von den jeweiligen Anhängern abgerufen wurden. Die radikalen "Anti-Kapitalisten" hatten die Fragen, die sie den Schülern stellten, ohnehin für sich längst beantwortet, so daß die didaktische Problematik ein für allemal erledigt schien und es nur darauf ankam, Methoden zu finden, mit denen das "richtige" Bewußtsein in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen transportiert werden konnte. Auch der sogenannte "Beutelsbacher Konsens" von 1977 konnte daran nur wenig ändern (8).

Aus dem voraussehbaren Scheitern dieses didaktischen Objektivismus entwickelte sich dann schon Ende der siebziger und verstärkt in den achtziger Jahren eine subjektive Wende; der Blick richtete sich nun auf die subjektive Befindlichkeit des Kindes, Politik wurde verstanden als Rohmaterial für das Drama der jeweiligen Subjektivität. Hatten die Neomarxisten die politischen Institutionen immerhin noch anerkannt - wenn auch mit dem Ziel, sie abzuschaffen oder umzukrempeln - so wurden diese nun intimisiert, nämlich auf unmittelbare menschliche Beziehungen reduziert. Hatten die Neomarxisten mit dem Klassenbegriff das gesellschaftlich Böse immerhin dingfest zu machen versucht, so verschwand es nun ins ungreifbar Allgemeine. "Irgendwie" liege es immer auch an der Gesellschaft, wenn Kinder und Jugendliche Probleme hätten und machten.

Der politischen Bildung ist im Verlaufe dieser Entwicklung das Politische als etwas Objektives, in das durch Lernen einzudringen sei, weitgehend abhanden gekommen. Walter Gagel spricht in diesem Zusammenhang vom "Syndrom des Subjektiven" (9). Die Kultivierung des Ich frage nur danach, was die fragliche politische Sache mit einem selbst zu tun habe; die menschlichen Beziehungen, gerade auch zwischen Lehrern und Schülern, würden wichtiger als die Inhalte; die menschliche Nähe werde zum Kult und Selbstzweck; die objektiven, nämlich außersubjektiven Strukturen von Gesellschaft und Politik verflüchtigten sich und alles Kognitive werde entwertet oder zumindest als nachrangig angesehen. In dieser Form ist die politische Bildung durch fast beliebige andere Fächer substituierbar geworden.

II.

Die eben skizzierte innenpolitische Polarisierung vermischte sich mit einer moralischen. Wegen der NS-Verbrechen war eine bloß sachlich-nüchterne Fundierung der politischen Bildung in der Bundesrepublik von Anfang an nicht möglich; dafür war die moralische Hypothek zu groß. Mit dieser Belastung sind die verschiedenen Pädagogengenerationen unterschiedlich umgegangen. Diejenigen Lehrer, die wie beschädigt auch immer die NS-Zeit überstanden hatten und nun nach einem geistigen Neuanfang suchten, flüchteten sich meist in eine bildungsbürgerliche Innerlichkeit und versuchten das moralische Desaster durch mehr oder weniger allgemeine normative Reflexionen darüber zu überwinden, wie man generell den Menschen vorm Bösen bewahren und zum Guten führen könne.

Aber schon in den fünfziger Jahren wurde der moralische Impetus, der von den NS-Verbrechen ausging, auf dem Vehikel des "kalten Krieges" unter dem Stichwort des "Totalitarismus" gegen den östlichen Kommunismus gewendet, der mit eben diesem Begriff dem Nationalsozialismus moralisch-politisch gleichgestellt wurde. Die moralistische Energie, die dieser Definition nun anhaftete, machte zeitweilig in der politischen Bildung eine sachliche Beschäftigung mit den damit gemeinten aktuellen wie auch historischen Phänomen - z.B. Geschichte der Arbeiterbewegung - ausgesprochen schwer. Sie wurde leicht der Verbreitung kommunistischer Lehren geziehen. Pikanterweise erfolgte diese moralische Umdefinition weitgehend von solchen Personen in Politik und Verwaltung, die zum großen Teil selbst Grund genug hatten, ihre NS-Vergangenheit unter die Lupe zu nehmen, was ihnen weitgehend erspart blieb durch die Blickwendung gen Osten. Diese Projektion führte nun zu der Erwartung und vielfach auch zu der Praxis, in der politischen Bildung nicht die Realität der westdeutschen politischen Verhältnisse in den Blick zu nehmen, sondern unter den Stichworten von "Freiheit" und "Demokratie" auf einer abstrakten moralischen Ebene gegenüber den andersartigen Verhält-

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nissen vor allem in der DDR ein Idealbild der BRD zu propagieren.

Moralisierung des Politischen kann ja zwei entgegengesetzte Folgen haben: entweder wird die Norm bereits für die Realität gehalten, oder die Realität wird an den Ansprüchen der Norm gemessen und dann verurteilt. Diese Kehrtwende vollzog die Bewegung der Achtundsechziger; sie nahm die hehre demokratische Selbsteinschätzung der jungen deutschen Demokratie ernst und fand dann in der Realität ein Menge, was damit nicht zusammenpaßte. Sie machte auf diesem Hintergrund Front gegen die Verdrängung der NS-Vergangenheit, aber damit zugleich auch gegen die gerade in den Anfängen steckenden aufklärerisch-rationalen Elemente der politischen Bildung. Sie gab der Moralisierung des Politischen neue, nun offensive Impulse. Ausgangspunkt war unter anderem die Abrechnung mit der Elterngeneration, deren aktive oder passive Verstrickung in die Kriminalität des Nationalsozialismus nicht nur als historische Tatsache "entlarvt" werden sollte - wie ein damaliges Modewort hieß; vielmehr wurde auch deren gesamte persönliche Lebensführung unter grundsätzlichen Verdacht gestellt: Ihre strikte Trennung von privater Sphäre und Öffentlichkeit habe vorher dazu gedient, die Augen vor den NS-Verbrechen zu schließen, also verschleiere sie auch jetzt die politischen Übel; ihr Leistungswille zum Wiederaufbau und die dafür benötigten verinnerlichten sogenannten "Sekundärtugenden" wie Fleiß und Disziplin hätten vorher zu Auschwitz geführt, also seien sie für immer von Grund auf moralisch diskreditiert. Die schon erwähnte politische Polarisierung im Zeichen neomarxistischer Ideologiekritik verband sich nun mit einer moralisierenden Polarisierung der politischen Gegenwart. Der westdeutsche "Antifaschismus" war geboren, der zu einem identitätsstiftenden Merkmal für einen wichtigen Teil der rebellierenden Generation wurde und die öffentliche Meinung und vor allem die pädagogische Diskussion nicht unwesentlich bis heute bestimmt. Mit ihm verband sich ein ebenfalls bis heute zumindest in der damals geprägten Pädagogengeneration anzutreffendes tiefes Mißtrauen gegen die demokratische Qualität des "politischen Systems" im eigenen Land, das es wiederum schwer machte, etwa das unbedingte Festhalten an rechtsstaatlichen Regelungen gegenüber jedermann - auch den "eigenen Leuten"! - als eine wichtige Lektion gerade aus der NS-Zeit zu begreifen. Das moralische Potential, das aus der Schuld der NS-Verbrechen gewachsen war, wurde als politisch frei flottierend verwendet: einerseits gegen den Kommunismus, andererseits gegen die eigene Staats- und Gesellschaftsverfassung und deren Repräsentanten.

Der moralistische Tenor hat nicht nur die öffentliche politische Diskussion in Westdeutschland nachhaltig bestimmt, sondern auch die politische Bildung. Sie hat dieser eine "erzieherische" Attitüde angeheftet, die der Aufklärung, die Bildung eigentlich erstreben soll, von Anfang an immer wieder im Wege stand. Die Schüler sollen demnach z.B. nicht nur etwas erkennen und Einsichten gewinnen, sondern darüber hinaus auch ein erwünschtes Verhalten daraus erwerben, z.B. bestimmte politische Gruppen oder Ziele für moralisch verwerflich halten und andere für gut befinden. Sie sollen nicht nur begreifen, warum die Nazis an die Macht gekommen sind, sondern diese Erkenntnis auch mit dem gebührenden Widerwillen gewinnen, so daß sie zeitlebens einen großen Bogen um Neonazis machen oder wen sie dafür halten (sollen). Einer Aufklärung ohne erzieherische Direktion wird immer noch zutiefst mißtraut, weil ihr keine eigenständige pädagogische Wirkung zugestanden wird, so daß nicht wenige Schüler die politische Bildung in den Schulen als ein "Laberfach" erleben.

III.

Zunächst fehlten nach dem Kriege die von den Nazis weitgehend verdrängten Politik- und Sozialwissenschaften, die der politischen Bildung einen realistischen wissenschaftsorientierten Bezug und damit eine eigentümliche Professionalität hätten verschaffen können; deren emigrierte Vertreter kamen erst zögernd im Laufe der fünfziger Jahre zurück. Sie vor allem schufen dann die wissenschaftlichen Grundlagen für einen an den politisch-gesellschaftlichen Realitäten orientierten politischen Unterricht in den Schulen, der sich vor allem an den Gymnasien im Laufe der sechziger Jahre langsam durchzusetzen begann. Publizistischer Mittelpunkt dieser Debatte war die Zeitschrift "Gesellschaft-Staat-Erziehung", deren grundlegende Beiträge zur politischen Bildung in den Schulen in der Regel ebenso praxisnah wie theoretisch durchdacht waren; es lohnt sich auch heute noch, sie zu studieren.

Die sachbezogenen Bezugswissenschaften Soziologie und Politikwissenschaft konnten aber das Terrain der politischen Bildung keineswegs kampflos übernehmen, weil im überlieferten deutschen Bildungsdenken ein hinreichendes Verständnis für soziale und politische Strukturen gar nicht vorgesehen war. Mit dem Perspektivenwechsel auf die

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soziopolitischen Realitäten verband sich also zwangsläufig eine kritische Distanz zum Bildungsverständnis der bisherigen politischen Bildung, wie sich überhaupt die Erziehungswissenschaft hinsichtlich ihres Weltverständnisses wie ihrer anthropologischen Grundannahmen einer grundsätzlichen Kritik durch diese Wissenschaften ausgesetzt sah; ich erinnere nur an die einschlägigen Auseinandersetzungen mit Helmut Schelsky.

Die weitere Entwicklung läßt sich vereinfachend auf den Nenner bringen, daß die Erziehungswissenschaft - vor allem in Gestalt der allgemeinen Didaktik und der Fachdidaktik - sich gegen die beiden Realwissenschaften wieder durchsetzte und zum wichtigsten Legitimator und Transporteur der moralisierenden und subjektorientierten Wende geworden ist. Sie expandierte zudem Anfang der siebziger Jahre - im Gefolge der Bildungsreformbewegung - an den Hochschulen und Universitäten, wovon nicht zuletzt auch die Fachdidaktiken profitierten. Nun gab es an den Universitäten neben der Professur für Politikwissenschaft eine solche für Didaktik der Politik, an den Pädagogischen Hochschulen in der Regel kombiniert und in Personalunion als "Politik und ihre Didaktik" oder in ähnlichen Formulierungen.

Man weiß heute kaum noch, daß die Fachdidaktiken in dieser Form ein Novum waren. An den Volksschulen gab es keine Fächer im heutigen Sinne und die Lehrerausbildung bestand aus einem theoretischen Teil an den Hochschulen und einem praktischen in den schulformbezogenen Vorbereitungsdiensten. Nun wurden recht zügig und großzügig Professuren für die Fachdidaktiken - auch für Politik - an den Hochschulen eingerichtet, aber deren Fachgebiete konnten nicht auf eine entsprechende akademische Tradition zurückblicken. Die Folge davon war, daß in vielen Fällen die Didaktik, vor allem wenn sie sich gegenüber der Bezugswissenschaft verselbständigte, ihre Profilierung dadurch betrieb, daß sie die Pädagogisierung der Fächer forcierte und somit auch zum bedeutsamen Träger der von Walter Gagel beklagten Entpolitisierung der politischen Bildung wurde.

Hinzu kam ein weiteres Problem. Die ersten didaktisch-methodischen Entwürfe Anfang der sechziger Jahre, die sich auf die politischen und sozialen Wissenschaften stützten, wurden von Praktikern aus der Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung vorgelegt, also von solchen Personen, die selbst politischen Unterricht erteilten und die Probleme, auf die sie dabei stießen, den anderen Kollegen in gleicher Lage mit dem Ziel präsentierten wollten, von ihnen Rückmeldungen zur Verbesserung ihrer eigenen Praxis zu erhalten. Hatten also zunächst die Didaktiker als Praktiker ihre Texte für andere Praktiker geschrieben, so mußten sie nun als Hochschulangehörige Rücksicht nehmen auf die wissenschaftlichen Erwartungen, die dem neuen Fach entgegen traten. Immer weniger für die pädagogische Praxis und immer mehr für die Akzeptanz an den Hochschulen wurden nun didaktische Konzepte entworfen. Diese Tendenz vermischte sich mit dem erwähnten Legitimationsdruck, der aus der vorgängigen Politisierung resultierte, und führte so nicht nur zu einer Überproduktion didaktischer Entwürfe und Gegenentwürfe, sondern auch zu immer praxisferneren Konstruktionen. Hochschullehrer präsentieren ja ihr Fach und damit auch sich selbst nicht zuletzt dadurch, daß sie für andere Professoren darüber schreiben. Hinzu kommt die Notwendigkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs, sich durch einschlägige Veröffentlichungen zu profilieren. Wenn nun aber der Gegenstand - Didaktik - dafür nur einen begrenzten Stoff hergibt, muß er eben immer weiter ausgedehnt werden, z.B. in historische, empirische, soziologische, psychologische bzw. psychoanalytische Dimensionen oder sich gar auf modische gesellschaftliche Trends berufen. Die Aufklärung der pädagogischen Praxis wird nebensächlich. So werden auch die erwähnten ideologischen Polarisierungen von einem anderen Gesichtspunkt her verständlich; sie gaben Gruppen von didaktischen Autoren die Möglichkeit eigener Profilierung, ohne daß sie dabei einem gemeinsamen Problemlösungszusammenhang unterworfen bleiben mußten. Der akademische Profilierungszwang führte so zu einer weitgehend additiven Reihung von Aspekten und Positionen, die teilweise von bestimmten Publikums-"Lagern" in Anspruch genommen wurden. Die "Linken" hatten "ihre" Didaktiker, die "Konservativen" eben andere. So gesehen drückte sich in der publizistischen Überproduktion auch einfach nur ein Marktverhalten aus. Es galt, Marktnischen zu suchen, aber dies gelang nur teilweise auf der akademischen Ebene, während die Praxis in den Schulen und in den außerschulischen Bildungseinrichtungen sich allmählich davon abkoppelte und sich ihre eigenen Verse machte. Außerdem wandelte sich das Selbstverständnis der Bezugswissenschaften Soziologie und Politologie, so daß sie nicht mehr ohne weiteres wie noch in den fünfziger Jahren die politische Bildung zu fundieren vermögen. Einen der wesentlichen Gründe dafür sehe ich in dem Bestreben, die universitären Studiengänge möglichst unmittelbar berufsorientiert zu gestalten. Auf einem solchen Hintergrund treten andere Überlegungen in den Vordergrund, als sie z.B. für die junge Politikwissenschaft in den fünfziger Jahren gültig waren, die sich damals eher als allgemeinbildende Demokratiewissenschaft verstand.

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4. Noch mehr jedoch als die bisher beschriebenen Trends hat die von Walter Gagel erwähnte subjektorientierte neue Reformpädagogik in den Schulen der politischen Bildung geschadet. Gemeinsam mit der innenpolitischen Polarisierung, der Moralisierung und der einseitig subjekt- und methodenorientierten Professionalisierung hat diese Pädagogisierung deren Substanz weitgehend zerrieben. In den tonangebenden schulpädagogischen Konzepten, die die Schulfächer am liebsten abschaffen wollen, findet das Fach nicht nur keine Unterstützung, in ihrem Rahmen ist auch keine vernünftige Rekonstruktion dessen mehr möglich, was politische Bildung eigentlich zu leisten hat. Im "Haus des Lernens" der "Rau-Kommission" ebenso wie im neuen Allgemeinbildungskonzept von Wolfgang Klafki verschwindet das Politische in allgemeinen, von möglichst allen Fächern zu bearbeitenden "Lerndimensionen" und "Schlüsselproblemen"(10).

IV.

5. Auf dem Hintergrund dieser knappen historischen Skizze schätze ich die Chancen der politischen Bildung in absehbarer Zukunft eher skeptisch ein. Sollen sie wieder erhöht werden, scheinen mir zumindest folgende Einsichten nötig:

a. Die ursprüngliche Ausgangssituation, daß nämlich die politische Bildung erst die demokratische Verfaßtheit mit konstituieren mußte, anstatt sich auf sie berufen zu können, hat sich inzwischen normalisiert. Wir können nun so verfahren, wie andere westliche Demokratien auch. Wie diese hat sich auch die Bundesrepublik eine wenn auch kurze demokratische Geschichte verschafft, und auf diese Vorgabe kann sich die politische Bildung nun beziehen, sie kann in diesem Sinne "normal" werden, zumal durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik der neue deutsche Staat nicht mehr als ein Provisorium verstanden werden muß. Mit dieser innenpolitischen Normalisierung hat die politische Bildung aber auch ihre frühere Bedeutung in der öffentlichen Meinung verloren; sie ist nun ein Schulfach wie andere auch und muß sich entsprechend rechtfertigen und bewerten lassen.

b. Im schulpädagogischen Klima einer unermüdlichen Kampagne gegen den fachorientierten Unterricht wird sie nur überleben, wenn sie zur Attacke bläst gegen deren anti-aufklärerische und subjektivistische Tendenzen und deren politisch-gesellschaftliche Implikationen aufdeckt. Politische Bildung muß wieder zur politischen Kritik der realexistierenden Bildung und ihrer Protagonisten werden. Je mehr sie ihnen auf den Leim geht und sich ihrer pädagogisierten Prämissen bedient, indem sie sich etwa auf deren methodischen Aktivismus einläßt, um so mehr betreibt sie ihre eigene Auflösung. Didaktisch-methodische Arrangements sind nicht schon deshalb fortschrittlich, weil sie dem medial vermittelten Erlebnischarakter der Freizeitgesellschaft entnommen werden und wegen ihrer angeblichen emotionalen Vertiefungen besonders ergiebig scheinen. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß Aufklärung sowohl im historischen wie auch im didaktisch-systematischen Sinne in erster Linie eine Sache des Kopfes, des Verstandes ist, und daß von Emotionalität und bloß vordergründigem Engagement ohne Leitung durch den Verstand nach aller Erfahrung nichts Gutes zu erwarten ist. Insofern steht die politische Bildung heute vor der Aufgabe, nicht nur die Auseinandersetzung mit diesem Zeitgeist zu suchen (11), sondern überhaupt die politischen Voraussetzungen und Dimensionen aller öffentlichen Pädagogik wieder ins Bewußtsein zu bringen.

3. Dazu gehört auch eine kritische Auseinandersetzung mit der erwähnten moralischen Ausgangslage. Die NS-Verbrechen sind zwar immer noch gegenwärtig und bestimmen die aktuelle politische Diskussion nach wie vor mit; solange dies so ist, kann die politische Bildung davon nicht absehen. Andererseits muß sie jedoch die Interessen aufdecken, die sich in der Vergangenheit damit verbunden haben und inzwischen damit verbunden sind; sie muß Front machen gegen die vorgängige Moralisierung des Politischen, die sich längst weitgehend vom Ausgangspunkt der NS-Verbrechen gelöst hat, wenn sie nicht an den jungen Generationen vorbei operieren will. Ihre Aufgabe in einer nun entfalteten Demokratie ist nicht, politische Phänomene vorweg durch die Brille einer bestimmten "erzieherisch wertvollen" Moral zu sehen, sondern umgekehrt moralische Begründungen in der Politik zum Thema der Reflexion zu machen.

4. In den vergangenen Jahrzehnten wurden alle nur denkbaren politischen, ideologischen und einzelwissenschaftlichen Begründungszusammenhänge sowie alle nur denkbaren didaktisch-methodischen Variationen der politischen Bildung durchgespielt, so daß wir uns heute von deren Plausibilität wie von ihrer Leistungsfähigkeit ein auf Erfahrung beruhendes Bild machen können - wenn wir denn überhaupt

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daraus etwas lernen wollen. Diese Fülle an didaktisch-methodischer Erfahrung sollte systematisch aufgearbeitet und kritisch gesichtet werden. Wir können den politischen Unterricht z.B. von den aktuellen Konflikten her konstruieren, oder als Institutionenkunde, oder als lebensweltliche Aufklärung (12). Aber jedesmal verfälschen wir damit auch die Realität im ganzen, und zu rechtfertigen ist dies nur unter der Voraussetzung, daß wir die jeweilige Lehr- und Lernsequenz nicht als dogmatisch endgültig, sondern als über sich hinausweisend anlegen, als Voraussetzung für weiteres Dazulernen. Es gibt keine allgemeingültige didaktische oder methodische Konstruktion der politischen Bildung, vertretbar sind vielmehr nur jeweils optimale Kombinationen von möglichen Varianten. Gleichwohl muß wieder versucht werden, den schulischen politischen Unterricht an grundlegenden Kenntnissen und didaktischen Strukturen zu orientieren.

5. Die politische Didaktik ist nicht dazu da, profilierte philosophische oder fachwissenschaftliche Theorien des Politischen zu erfinden; sie ist eher so etwas wie ein Zwischenhandel. Sie schafft die politische Wirklichkeit nicht, sie soll nur darüber aufklären. Zu diesem Zweck muß sie vereinfachen, aber nach Maßstäben, die an den zuständigen Wissenschaften orientiert bleiben und deren grundlegende Kategorien zum Zwecke des Lernens verdichten. Derartige didaktische Grundstrukturen können nur von Personen gefunden bzw. unterrichtlich praktiziert werden, die eine entsprechende fachwissenschaftliche Ausbildung absolviert haben.

6. Ein pädagogisches Grundphänomen ist auch in unserem Zusammenhang der Generationenwechsel. Was die nachwachsenden Generationen an der Politik für bedeutsam halten, ob und in welchem Maße sie sich dafür überhaupt interessieren, hängt sehr wesentlich von ihrer Sozialisation im ganzen ab. Die heutigen Schüler haben keinen eigenen Bezug mehr zu Krieg und Nachkriegszeit und somit z.B. auch nicht zu den moralischen Implikationen, die daraus für die älteren Generationen hervorgegangen sind. Aus dieser unausweichlichen Generationendifferenz ergeben sich eine Reihe von Problemen. Ich glaube z.B. nicht, daß die inzwischen geradezu ritualisierte Beschwörung der NS-Vergangenheit die Jungen auf Dauer beeindrucken wird, so daß sie dadurch gegen einen entsprechenden Extremismus zu immunisieren wären. Die emotionale Distanz ist dafür zu groß geworden. Primär muß wohl die Aufklärung über politischen Extremismus und seine Folgen für die demokratischen Essentials aus den gegenwärtigen Erfahrungen aufgebaut werden, vielleicht, wie Adorno schon betont hat, durch den Rekurs auf die unmittelbaren Interessen. Aber auch das wird wenig fruchten, wenn die Einsicht nicht mehr zu vermitteln ist, daß die unmittelbaren individuellen Bedürfnisse und Interessen nur dann zu verteidigen sind, wenn sie in eine nicht nur intellektuell, sondern auch vital erlebbare kollektive Solidarität eingebunden werden, die den Nachwachsenden weder geschenkt noch als Anspruch selbstverständlich erfüllt wird, sondern immer wieder neu durch Denken und Handeln hergestellt werden muß. Deshalb darf die politische Bildung den Jungen aber auch nicht nach dem Munde reden; sie haben das Recht, sich für Politik nicht zu interessieren, wie sie sich auch für andere Schulfächer oft nicht interessieren, aber daraus erwächst noch lange keine pädagogische Pflicht, dieses Desinteresse zu einer neuen Sicht des Politischen hochzustilisieren. Politik ist eine objektive Tatsache unseres Lebens und kann nur als solche auch mit der entsprechenden geistigen Anstrengung verstanden werden; dafür gibt es keinen adäquaten Ersatz.

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Anmerkungen:
(1) Vgl. beispielhaft: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung DAS PARLAMENT, Nr. 47/1996

(2) Theodor Litt: Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes, Bonn 1954

(3) Jürgen Habermas: Student und Politik, Neuwied 1961, S. 15

(4) Friedrich Oetinger: Wendepunkt der politischen Erziehung - Partnerschaft als pädagogische Aufgabe, Stuttgart 1951

(5) Deutscher Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen: Gutachten zur politischen Bildung und Erziehung, in: Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses, Folge 1, Stuttgart 1955

(6) Rudolf Engelhardt: Politisch bilden - aber wie? Essen 1964; Hermann Giesecke: Didaktik der politischen Bildung, München 1965

(7) Vgl. beispielhaft: Helmut Kentler: Jugendarbeit in der Industriewelt, 2. Aufl. München 1962; Hermann Giesecke: Politische Bildung in der Jugendarbeit, München 1966; Ulf Lüers u.a.: Selbsterfahrung und Klassenlage, München 1971

(8) Vgl. Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hg): Reicht der Beutelsbacher Konsens? Bad Schwalbach 1996

(9) Walter Gagel: Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland 1945 - 1989, Opladen 1994, S. 290

(10) Vgl. Wolfgang Klafki: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim 5. Aufl. 1996, vor allem die 2. Studie; Bildungskommission Nordrhein-Westfalen: Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft. Denkschrift der Kommission "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Neuwied 1995

(11) Vgl. dazu ausführlicher: Hermann Giesecke: Wozu ist die Schule da? Stuttgart 1996

(12) Vgl. Hermann Giesecke: Kleine Didaktik des politischen Unterrichts, Bad Schwalbach 1997


 
 
 
 

182. Effizienzprobleme der Lehrerausbildung (1997)


In: Wege zu einer neuen Bildungsökonomie. Pädagogik und Ökonomie auf der Suche nach Ressourcen und Finanzierungskonzepten, hrsgg. von Wolfgang Böttcher, Horst Weishaupt und Manfred Weiß, Weinheim-München 1997, S. 302-313
 

Die folgenden Thesen befassen sich mit der Frage, wie die Effektivität der Lehrerausbildung an der Universität gesteigert werden kann, welche Ressourcen dafür unbedingt nötig und welche entbehrlich sind. Dabei gehe ich von der Tatsache aus, daß es auf absehbare Zeit keinen Erfolg mehr verspricht, lediglich eine Vermehrung der Ressourcen zu fordern, ohne die Essentials eines modernen Lehrerstudiums zu klären und Entwicklungen zu revidieren, die sich nicht bewährt haben. Die folgenden Überlegungen gehen deshalb nicht von einem Idealbild aus, sondern von der gegenwärtigen Lage.

1. Überlegungen zur Effizienz des Lehrerstudiums müssen gerade solche Maßnahmen und Doktrinen einer genauen Überprüfung unterziehen, die einst zu deren Steigerung formuliert und durchgesetzt worden sind. Dazu gehören die Hoffnungen, die auf möglichst detaillierte Studienordnungen gesetzt wurden. Sie sollten einmal das Studium übersichtlich machen, in eine vernünftige Reihenfolge bringen und Leerlauf vermeiden. Von Anfang an waren sie aber in erster Linie das Produkt von Marktabsprachen unter den beteiligten Fächern. Deren Ansprüche wurden - in Stundenzahlen ausgedrückt - so hoch wie irgend möglich angesetzt, um das Prestige der jeweiligen Fächer und damit auch deren Stellenvermehrung zu sichern. Beides liegt aber nicht per se im Interesse der Studierenden. Die Erfahrung hat vielmehr gezeigt, daß zusätzliche Stellen nicht unbedingt den Studierenden bzw. ihrem Studium zugute kommen, weil sie auch zu einer weiteren inneren Bürokratisierung der Hochschulen bzw. ihrer Fächer

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führen können. Durch möglichst genaue Studienordnungen wurde zudem das Bedürfnis der Administration befriedigt, eine rechnerisch plausible Grundlage für Stellenentscheidungen zu erhalten: Wieviel Lehrende braucht man, um wieviel Studierende mit einer bestimmten Menge von Lehrveranstaltungen zu "versorgen"? Unter dem Druck des Finanzmangels interessieren inzwischen solche Konstruktionen bzw. Fiktionen die Administration kaum mehr, die Hochschulen bleiben auf ihren Berechnungen gleichsam sitzen.

Wegen der erwähnten anderen Interessen haben die Studienordnungen nicht zur Verbesserung des Studiums beigetragen, sondern es im Gegenteil nur verschult mit dem Ergebnis, daß die studentische Eigenleistung, nämlich das Studieren außerhalb der Lehrveranstaltungen, darin gar nicht vorkommt. Die Studierenden sitzen unvorbereitet in überfüllten Seminaren, während einige von ihnen Referate übernehmen, um einen der geforderten "Scheine" dafür zu erlangen, um sich dann in anderen, ebenfalls überfüllten Seminaren niederzulassen, wo andere ihre Scheine machen. Die Studienordnungen haben das Studieren und somit eine entscheidende ökonomische Ressource der Hochschule weitgehend vernichtet und bei den Studierenden den Eindruck erweckt, alles Wichtige finde in den Lehrveranstaltungen statt. Diese sind aber nur Dienstleistungen, deren sinnvolle Nutzung Eigenarbeit voraussetzt.

Studienordnungen sollten also dahingehend revidiert werden, daß sie nur noch vorschreiben, welche Leistungen vorzuweisen sind, wenn jemand sich zur Prüfung anmeldet. Wieviel Leistungsnachweise in welchen Fächern werden benötigt? Unter welchen Voraussetzungen werden diese Scheine ausgestellt? Wenn dafür zB. eine regelmäßige Teilnahme an einem thematisch einschlägigen Seminar erforderlich sein soll, muß sie auch entsprechend kontrolliert werden. Die Seminare gehören denen, die dafür arbeiten.

Ferner sollten Studienordnungen inhaltlich fixieren, was von den Studierenden bei einer Prüfung verlangt wird. Dabei sollte zwischen Pflicht- und Wahlbereich unterschieden werden, damit die Studierenden individuelle Schwerpunkte setzen können. Die Prüfungsanforderungen können entweder in Literaturlisten oder in anderer Form präzisiert werden, aber jedenfalls so, daß die Stu-

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dierenden von Anfang an möglichst genau wissen, was von ihnen wann erwartet wird. Dadurch soll zweierlei erreicht werden: Einmal müssen diese Erwartungen unabhängig von der Zahl der besuchten Lehrveranstaltungen werden, und andererseits muß auf diese Weise einer individuellen Studiengestaltung - zB. für solche Studierenden, die Kinder zu versorgen haben oder die arbeiten müssen - Rechnung getragen werden. Im Prinzip ist es für eine Prüfung gleichgültig, auf welche Weise die Studierenden ihre Kenntnisse erworben und wie lange sie dafür studiert haben. (Eine andere Frage ist natürlich, wer wie lange bereit ist, die Studienzeit überhaupt zu finanzieren).

2. Die Tendenzen zur inneren Hochschulreform in den 70er Jahren waren zunächst politisch motiviert: die Macht der Professoren sollte zugunsten derjenigen gebrochen werden, die (noch) keine Professoren waren. Diese schlossen gemeinsam mit den reformwilligen Professoren ein Bündnis mit den Studenten, indem sie suggerierten, daß die erwünschte Reform vor allem in deren Interesse liege. Tatsächlich jedoch wurde das studentische Interesse dadurch lediglich auf eine andere Weise okkupiert, als es vorher durch die Professorenschaft geschehen war. Die in diesem Zusammenhang entstandenen hochschuldidaktischen Forderungen haben sich inzwischen von ihrem früheren politischen Ausgangspunkt weitgehend gelöst und führen ein Eigenleben, das sich von rationalen Überlegungen über Sinn und Zweck des Studiums weitgehend entfernt hat. Geblieben ist vor allem die Tendenz, die Studierenden einseitig als Opfer der Verhältnisse darzustellen und die Schuld für die als ineffektiv empfundene Lehre unfähigen und unwilligen Professoren zuzuschieben. Das aber ist allenfalls ein Teil der Wahrheit, der andere besteht darin, daß auch viele Studierende unfähig oder nicht willens sind, sich für ein effektives Studium zu engagieren; es hat sich als weitgehend illusorisch erwiesen, diesen Mangel durch hochschuldidaktische Maßnahmen zu kompensieren. Vielmehr hat sich eine Anspruchshaltung breit gemacht, die den Hochschulbetrieb als eine einseitige Dienstleistung betrachtet, die dafür zu sorgen habe, daß die eigenen Probleme von anderen gelöst werden. Demgegenüber muß klargestellt werden, daß die erheblichen Ressourcen, die die Gesellschaft in Gestalt der Hochschulen bereitstellt, nicht zum geistigen Nulltarif zur Verfügung gestellt werden kön-

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nen, daß also das Recht zum Studium nur Sinn ergibt, wenn auch die Pflicht zur optimalen Anstrengung damit verbunden und auch eingefordert wird.

3. Jede Revision des geisteswissenschaftlichen Studiums im allgemeinen und des dazu gehörenden Lehrerstudiums im besonderen muß also von einer Neubesinnung darüber ausgehen, was Studieren eigentlich heißt. Es vollzieht sich nicht in erster Linie in den Lehrveranstaltungen, sondern in der je persönlichen Studienarbeit, die im Falle des Lehrerstudiums vor allem Lektürearbeit ist. Nicht alles, was Studenten studieren, muß auch in Lehrveranstaltungen angeboten werden. Wer das erwartet, bringt eine Pennäler-Mentalität zum Ausdruck, die in der Schule angebracht sein mag, zumal Verwaltungsgerichte entsprechende Urteile gefällt haben, wonach zB. in Klassenarbeiten nur das geprüft werden darf, was vorher intensiv unterrichtet wurde.

In der Universität müssen jedoch andere Maßstäbe gelten. Seminare zB. sind wissenschaftliche Werkstattsituationen, in denen nur das verhandelt werden kann, was vorher von den Teilnehmern erarbeitet wurde, wobei nicht nur die Referate weniger, sondern auch durch Lektüre fundierte Gesprächsbeiträge aller Teilnehmer von Bedeutung sind. Darin steckt ein hohes Sparpotential; denn pro Semester kann selbst der fleißigste Student an höchstens 4 Seminaren dieses Anspruchs sinnvoll teilnehmen,- das sind 8 Semesterwochenstunden, nicht 16, wie sie heute meist in den Studienordnungen stehen. Der hochschuldidaktische Zeitgeist wird dagegen auf das Motivationsproblem der Studierenden verweisen, das einen wesentlich höheren Zeitaufwand erfordere. Aber die Universität ist kein Kindergarten und muß das geistige Interesse an der Aufklärung der Sachverhalte voraussetzen dürfen; schließlich wird niemand zum Studium gezwungen, und selbst der arbeitslose Hochschulabsolvent ist noch ein Privilegierter im Vergleich zu den anderen, weil seine durch das Studium entwickelten Fähigkeiten ihm besondere Chancen geben, mit dieser Situation fertig zu werden.

Die notwendigerweise personalintensiven Seminare sind betriebswirtschaftlich als Mangelware zu handhaben, und wenn überhaupt Studierende zu den Kosten der Universität herangezogen werden sollten, dann wären sie für die Teilnahme an Semina-

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ren zu erbringen, nicht generell. Jedenfalls muß aufhören, daß jeder, der eingeschrieben ist, auch nach Lust und Laune zum intellektuellen Nulltarif an einem Seminar teilnehmen darf. Zugang dürfte vielmehr nur erhalten, wer am Ende des vorhergehenden Semesters bereits ein Referat oder einen anderen Beitrag dafür übernommen hat. Wenn er dafür keine Zeit hat, sollte er die der anderen nicht stehlen, sondern entweder eine Vorlesung hören oder zu Hause einschlägige Literatur lesen.

4. Eine andere Bedeutung haben die Vorlesungen, die ein Privileg der Professoren sind und es im Prinzip auch bleiben sollten, - was die Mitwirkung von anderen Lehrenden nicht ausschließen muß. Vorlesungen sind weit weniger personalintensiv als Seminare, haben gleichwohl eine unersetzbare Funktion. Jeder Professor sollte pro Semester eine Vorlesung halten, die das jeweilige Fachgebiet und die grundlegende Literatur dazu im Überblick vorstellt. Nur dann erhalten die Studierenden die Möglichkeit, Einzelaspekte ihrer Arbeit auch in den Seminaren in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Außerdem müssen die Vorlesungen Maßstäbe vorführen, wie ein Stoff gut gegliedert und didaktisch produktiv entfaltet wird, sonst können die Studierenden dies nicht lernen. Wenn die Studienordnungen wie oben gefordert inhaltlich fixiert sind, sind die entsprechenden Vorlesungen eine wichtige Dienstleistung.

Eine der verheerendsten Folgen der meisten Studienordnungen ist, daß sie die Unterschiede zwischen den Veranstaltungsformen - zB. Vorlesungen und Seminare - aufgehoben haben. Im Prinzip ist es im Sinne der Studienordnung egal, ob 16 Semesterwochenstunden in der einen oder anderen Veranstaltungsform angeboten werden. Vom einzelnen Studenten her gesehen, der sein Studium gestalten will, ist dieser Unterschied aber keineswegs gleichgültig. Da "Scheine" als Leistungsnachweise sinnvollerweise nur im Rahmen von Seminaren erworben werden sollten, sind Vorlesungen dank der bürokratischen Gleichmacherei der Veranstaltungsformen weitgehend aus der Mode gekommen. Den Nutzen davon haben - wenn auch nicht immer freiwillig - die Professoren, weil das Abhalten von Vorlesungen viel anstrengender ist und erheblich mehr Vorbereitungen erfordert, als die Abhaltung von Seminaren. Außerdem müssen die Lehrenden ihre

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fachlichen Fähigkeiten in einer Vorlesung in ganz anderem Maße öffentlich präsentieren als in der "geschlossenen Gesellschaft" eines Seminars.

Allerdings sollten Vorlesungen didaktisch überlegt gestaltet sein. Dazu gehört u. a. , daß die Hörer ein Papier bekommen, das zumindest eine detaillierte Gliederung enthält sowie die grundlegende Literatur nennt, auf die sich die Vorlesung bezieht. Ferner hat sich bewährt, anschließend Rückfragen und Einwände zu ermöglichen.

5. Zu den Kernforderungen der Hochschuldidaktik gehört die Evaluation der Lehre, also die Bewertung ihrer Effizienz insbesondere durch die Studierenden selbst. Dafür sind sogar sozialwissenschaftliche Erhebungs- und Interpretationsmethoden ausprobiert worden. Hinter der Forderung nach Evaluation steckt nicht selten der Verdacht, die Lehrenden - insbesondere die Professoren - kämen ihren Verpflichtungen nicht in genügendem Umfang nach. Das mag teilweise so sein und müßte dann selbstverständlich korrigiert werden. Ich bezweifle jedoch, daß eine derart inszenierte Bewertung auf absehbare Zeit mehr bewirken würde als eine weitere Bürokratisierung und den inneren oder äußeren Widerstand dagegen. Zu viele Einwände könnten erhoben werden sowohl im Hinblick auf die Meßbarkeit dessen, was da gemessen werden soll, wie auch im Hinblick auf das, worum es in der Sache geht. Die Lehrenden könnten daraus wiederum leicht den Schluß ziehen, daß sie wegen dieser Einwände ihr Verhalten gar nicht erst ändern müßten. Zudem wird man auf diese Weise solche Lehrenden nicht "bessern" können, die aus welchen Gründen auch immer ihre Schwierigkeiten mit einer verständlichen und interessanten Lehre haben.

Wir brauchen vielmehr für die Hochschullehre ähnlich wie für die Schullehre eine der Aufgabe angemessene Vorstellung von Professionalität, wozu selbstverständlich auch gehört, die Studierenden in den Lehrveranstaltungen zu entsprechenden Rückmeldungen zu ermuntern und dabei zu erkennen zu geben, daß didaktische Verbesserungen nicht nur erwünscht, sondern auch ohne Mithilfe der Studierenden letzten Endes nicht möglich sind. Ineffektive Lehre muß als Mangel an Professionalität bezeichnet und darf nicht durch Hinweis auf Leistungen in der Forschung entschuldigt werden. Fachlich souveräne Hochschullehrer bieten in

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der Regel auch eine didaktisch gute Lehre, dieser Zusammenhang muß hochschulintern wie in der Öffentlichkeit betont werden. Allerdings kann auch die beste Lehre Studierunfähigkeit oder -unwilligkeit nicht außer Kraft setzen.

6. Eine der wesentlichen Reformforderungen war die "Praxisorientierung" des Studiums. Sie war verständlich in einer Zeit, als die Lehre der Universität vielfach keine Rücksicht auf die besonderen Belange der künftigen Berufstätigkeit genommen hat. Davon kann heute kaum noch die Rede sein. Wie nie zuvor ist die Hochschule inzwischen auf die künftige Berufspraxis der Studierenden eingegangen. Sieht man sich jedoch den gegenwärtigen schulpädagogischen Zeitgeist genauer an, dann kann man die Früchte dieser Entwicklung nicht ohne Reue genießen. Über die Schiene der "Praxisorientierung" ist neben hohem Engagement auch viel fachliche Drittklassigkeit, didaktisch-methodische Dogmatisierung und weltanschauliches Ressentiment transportiert worden.

Andererseits entbehrt es nicht einer gewissen Logik, wenn Bildungspolitiker aus dem Anspruch der Praxisrelevanz inzwischen die Forderung ableiten, Teile der Lehrerausbildung an Fachhochschulen zu verlagern, weil sie unter diesem Anspruch dort besser aufgehoben seien. Abwehren läßt sich diese Konsequenz nur dann, wenn wieder präzisiert wird, was der Lernort Universität leisten kann und was nicht und wozu er unentbehrlich ist. Da an der Universität aus gutem Grund keine Kinder anzutreffen sind, kann man dort auch nicht lernen, mit Kindern umzugehen.

Aufgabe des Hochschulstudiums im Rahmen der Lehrerbildung ist, durch Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Forschungen, Methoden und Ergebnissen systematische Vorstellungen über wesentliche Gegenstände, Voraussetzungen und Bedingungen des pädagogischen Handelns zu erwerben: über die zu unterrichtenden Fächer sowie über Kindheit, Jugend, Aufwachsen, Sozialisation, Erziehung, Bildung, Schule, Jugendhilfe, Didaktik, Methodik usw.. Zu diesen inhaltlichen Aspekten kommen formale: die Fähigkeit, Sachverhalte methodisch kontrolliert zu recherchieren und das Recherchierte anderen didaktisch angemessen vorzutragen. Der berufspraktische Wert dieses Studiums besteht also in seinem allgemeinbildenden Charakter, gerade nicht in

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einer bereits handlungsorientierten Verengung; dafür würde in der Tat die Universität nicht benötigt. Das Lehrerstudium ist ein geisteswissenschaftliches bzw. sozialwissenschaftliches Studium wie andere auch, nur eben konzentriert auf Themen und Gegenstände, die für den künftigen Beruf des Lehrers von besonderem Interesse sind. Im Hinblick auf diese Gegenstände wären die vorhin erwähnten Prüfungsanforderungen inhaltlich zu präzisieren. Von allen anderen angeblich "praxisrelevanten" Erwartungen muß das Hochschulstudium entlastet werden. Selbst Themen wie "Didaktik" und "Methodik" sind hier einerseits nur im Hinblick auf das Studium der Unterrichtsfächer relevant, andererseits - im Rahmen der Grundwissenschaften - nur in ihrer theoretischen Allgemeinheit. An der Universität kann man nicht lernen, wie man Grundschulkinder unterrichtet, wohl aber, wie man Referate logisch gliedert und interessant für die Zuhörer präsentiert.

Eine zu sehr berufsorientierte Verengung des Lehrerstudiums wäre auch aus einem anderen Grunde problematisch. Vielleicht konnte man solange dafür plädieren, wie eine entsprechende spätere berufliche Verwendung gesichert schien. Inzwischen jedoch müssen Lehrerstudenten damit rechnen, in anderen Berufen tätig zu werden. Der dafür benötigten Disponibilität wäre jedoch eine zu enge Spezialisierung des Studiums hinderlich. Auch in anderen Bereichen der Berufsausbildung unterhalb der Hochschule setzt sich immer mehr die Einsicht durch, daß zu frühe Spezialisierung die spätere berufliche Kompetenz eher mindert, weil sie die nötige Flexibilität vermissen läßt.

7. Gegenwärtig wird wieder wie schon Anfang der 70er Jahre für eine Reform der Lehrerausbildung plädiert, allerdings meist leider unter erneuter Vorführung alter Hüte. Dabei wirken vor allem zwei Tendenzen zusammen: Einmal wird die Berufstätigkeit der Lehrer in der Schule vielfach als unbefriedigend erlebt; zum anderen kommen aus den Hochschulen Reformvorschläge, die eine Lösung der Probleme anbieten. Sie laufen im wesentlichen auf eine Veränderung, ja Umwertung des Unterrichts und auf höhere erzieherische Kompetenz hinaus. Es fehlt hier der Raum, im einzelnen darauf einzugehen. Geprüft werden muß aber sehr genau, ob diese Erwartungen - unterstellt, sie seien einigermaßen vernünftig - an der Universität erfüllt werden können. Ein "fä-

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cherübergreifendes" Studium zB. findet in der grundwissenschaftlichen Ausbildung seit langem statt, indem Themen wie "Kindheit", "Jugend", "Sozialisation" usw. von der Erziehungswissenschaft, Soziologie und Psychologie bearbeitet werden. Grundsätzlich gilt jedoch, daß methodisch überprüfbares wissenschaftliches Arbeiten nur in Anlehnung an das jeweilige Fach möglich ist. Was darüber hinausgeht, droht weltanschauliche Überfrachtung zu werden. Zwar ist die zu untersuchende natürliche und kulturelle Wirklichkeit immer komplexer als die Perspektive eines einzelnen Faches, aber diese Komplexität ist als solche wissenschaftlich nicht zugänglich. Ein Universitätsstudium kann nur nach Fächern gegliedert sein, weil auch der Lehrauftrag der Lehrenden daran gebunden sein muß.

Ähnlich problematisch ist das Postulat, die erzieherischen Fähigkeiten zu erhöhen. Insofern diese in einer besonderen Handlungskompetenz bestehen, ist die Universität dafür nicht zuständig. Sie kann lediglich die darin beschlossenen Sachverhalte systematisch zum Thema machen; versucht sie mehr, gleitet sie ins moralisierende Postulieren ab. Derartige Reformforderungen können also den Sinn des Universitätsstudiums für Lehrer in Frage stellen; das muß jeder wissen, der sie erhebt.

8. Wegen der notwendigen Beschränkungen, die im Lernort Hochschule beschlossen liegen, müssen andere Lernorte hinzugezogen werden. Das geschieht im Rahmen der Praktika an den Schulen und an sozialpädagogischen Einrichtungen; deren Wert für die Ausbildung ist nicht mehr umstritten. Erst das Praktikum bringt die Perspektive der beruflichen Handlungsorientierung als konkrete Erfahrung ins Spiel. Vielfach ist dieser Lernortwechsel heute jedoch mit unnötigen Kosten verbunden. Unter der Fahne der "Praxisorientierung" des Hochschulstudiums begleiten Hochschullehrer die Praktikanten in die Schulen, bereiten sie in Gruppen darauf vor und nach, anstatt die dabei verausgabte Arbeitskapazität in die übliche Hochschullehre zu investieren. Zur Vorbereitung auf ein Praktikum genügt nämlich eine darauf zugeschnittene Vorlesung; die Nachbereitung besteht darin, daß die Studierenden anschließend an den Lehrveranstaltungen mit einer geschärften Bewußtheit teilnehmen. Die Rechtfertigung für den unnötigen Aufwand wird im wesentlichen mit dem Argument

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geliefert, auf diese Weise die beiden Lernorte "integrieren" zu können. Aber Erfahrungen integrieren kann nur das einzelne Bewußtsein, das kann man nicht veranstalten, und wenn man es trotzdem versucht, hat das jedenfalls nichts mehr mit Wissenschaft zu tun, sondern speist sich aus anderen, meist dubiosen und unaufgeklärten Quellen. Der ursprüngliche Hintergrund war ja auch ein anderer: die Schule sollte auf diese Weise von der Hochschule aus verändert werden, was auch erklärt, wieso kaum jemand umgekehrt auf den Gedanken kam, durch die Mitwirkung von Schullehrern bzw. Sozialpädagogen auch die Hochschullehre verändern zu wollen. Praktika haben nur dann einen Sinn, wenn die Studierenden sich dort rückhaltlos auf die neue Wirklichkeit einlassen müssen, die Anwesenheit von Hochschulangehörigen verfälscht die Realität nur. Die viel zitierte "Verbindung von Theorie und Praxis" darf nicht zur inhaltslosen Sprechblase verkommen; an beiden Lernorten sind Theorie und Praxis erforderlich, allerdings mit unterschiedlichen Bedingungen und Zielen. Die Disparatheit der verschiedenen Lernorte beruht auf gesellschaftlicher Pluralität und Arbeitsteilung und könnte nur mit diesen wieder aufgehoben werden.

Inzwischen gibt es vielerorts eine regelrechte inneruniversitäre Bürokratie für die Organisation solcher "integrierter" Praktika. Das damit beschäftigte Personal wird der Hochschullehre entzogen, und die Praktikanten können sich ihre Praktikumsstelle nicht aussuchen, was billiger wäre und außerdem Initiative von ihnen verlangen würde. Das Praktikum ist nicht eine Aufgabe der Hochschule, sondern der jeweiligen Schule bzw. sozialpädagogischen Einrichtung. Die Einmischung der Hochschule, die teilweise durchaus inkompetent ist, weil ja Hochschullehrer eine andere Aufgabe als Lehrer haben, nimmt den Praktikumseinrichtungen nur die Verantwortung, das Ihre für die Ausbildung des Nachwuchses beizutragen.

9. Von den zahlreichen "hochschuldidaktischen" Projekten und Forderungen haben sich vor allem folgende bewährt:

a. Es ist sinnvoll, den Studienbeginn in besonderer Weise zu organisieren. Dazu sollte neben den üblichen Informationsveranstaltungen über Prüfungsordnung, Studienordnung usw. für das erste und vielleicht auch noch zweite Semester ein Tutorium

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gehören. Die Anfänger treffen sich dort in einer überschaubaren Gruppe mit einem ihnen zugeteilten Lehrenden und können über alle Probleme sprechen, die mit dem Studium in allen ihren Fächern zusammenhängen. Die Funktionen des Tutors wie die Pflichten der beteiligten Studierenden sollten in der Studienordnung etwa folgendermaßen festgehalten werden:

- Jeder Lehrende ist verpflichtet, als Tutor zur Verfügung zu stehen;

- die beteiligten Studierenden sind zur regelmäßigen Teilnahme am Tutorium verpflichtet;

- sie sind angehalten, dem Tutor über den Verlauf ihres Studiums zu berichten und können dabei auch Schwierigkeiten und Probleme zur Sprache bringen;

- betreffen die Schwierigkeiten den Umgang mit anderen Lehrenden, hat der Tutor das Recht, diese darauf vermittelnd anzusprechen.

b. Alle Leistungen, die Studierende in Form von Referaten, Hausarbeiten usw. erbringen, müssen von den betreffenden Dozenten mündlich so bewertet und erörtert werden, daß die Studierenden daraus Schlüsse für ihr weiteres Studium ziehen können; die bloße Benotung solcher Arbeiten reicht dafür nicht aus.

c. Für Prüfungskandidaten sollten rechtzeitig spezielle Kolloquien angeboten werden, in denen sie Gelegenheit erhalten, ihre bisherigen Studien im Hinblick auf die Prüfungserwartungen zu ordnen und noch vorhandene Lücken zu füllen.

d. Die Studienleistungen (Referate, Hausarbeiten usw.) sind nicht nur hinsichtlich ihrer fachlichen Zuverlässigkeit durch die Dozenten zu beraten, sondern auch hinsichtlich ihrer didaktischen Qualität. Referate haben den Zweck, die übrigen Seminarmitglieder über ein Thema zu unterrichten, schriftliche Arbeiten sollen Leser informieren; beides ist nur möglich, wenn bestimmte Standards erfüllt werden, zB. wenn die Texte systematisch gegliedert sind, so daß sie auch verstanden werden können.

Zusammenfassend läßt sich festhalten: Eine Neuordnung des Lehrerstudiums wird nur dann effektiv sein, wenn alle Beteiligten durch optimale Organisation ihrer eigenen Arbeitsleistung sparsam mit den Ressourcen umgehen, damit diese andererseits auch

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wieder durch ein für die Öffentlichkeit plausibles Konzept geltend gemacht werden können. Die Annahme, die bloße Vermehrung von Mitteln führe auch per se zur Steigerung des Nutzens, hat sich als falsch erwiesen. Aufs ganze gesehen werden wahrscheinlich zwar kaum Kosten eingespart werden können, aber ihre Umschichtung und Konzentration auf das Wesentliche ist notwendig. Dafür sind natürlich auch eine Reihe von Rahmenbedingungen erforderlich, die hier nicht genannt wurden, aber in anderen Beiträgen dieses Bandes zur Sprache kommen.

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183. Verteidigung des Unterrichts (1997)

Der Unterricht als systematische Veranstaltung in Distanz zum Leben

In: Der Bürger im Staat, H. 4/1997, S. 224-227
 

Prof. Dr. Hermann Giesecke lehrt Pädagogik an der Universität Göttingen. Seit seinem Buch: "Didaktik der Politischen Bildung", 1965 erstmals erschienen, ist er ein Begriff für alle, die mit politischer Bildung zu tun haben. 1996 erschien sein Buch: "Wozu ist die Schule da?" und 1997: "Kleine Didaktik des politischen Unterrichts".
Ist Unterricht "out"? Sollen Schüler, statt sich unterrichten zu lassen, nur das lernen, was ihnen die tägliche Erfahrung, "das Leben", nahelegt, lediglich unter Moderation des Lehrers? Leben und Lernen sind zweierlei, und Unterricht ist unentbehrlich: als eine künstliche, durchdachte Veranstaltung, die auf Distanz zur Erfahrung geht, systematisiert, neue Perspektiven eröffnet und auf Zukunft hin angelegt ist. Gerade auch die Fähigkeit, sich unterrichten zu lassen, zeitlebens, ist ein zentraler Lerninhalt. Und Lerninhalte können nicht beliebig sein, soll nicht der Fortbestand einer Gesellschaft gefährdet sein. Red.

Lernen statt Unterrichten?

Wer die gegenwärtige schulpolitische und schulpädagogische Diskussion verfolgt, wird feststellen, daß der Unterrichtung der Schüler durch ihre Lehrer immer weniger Bedeutung beigemessen wird. Viel mehr sollen die Schüler möglichst selbst herausfinden und bestimmen, was, wie und in welchem Tempo sie lernen wollen. Unterricht der vom Lehrer ausgeht, gilt im Vergleich dazu als unmodern oder gar als politisch reaktionär. Der Lehrer müsse sich verändern, vom Unterrichter zum Erzieher und zum Moderator von Lernprozessen werden, heißt es vielfach. Das im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung erstellte Gutachten "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft"' faßt die künftigen Aufgaben der Schule im Bild vom "Haus des Lernens" zusammen, in dem zwar auch noch Unterricht stattfinden soll, aber nur noch als Teil vielfältiger und im einzelnen offener allgemeiner Lernprozesse (1); diese Vorstellung findet sich auch in anderen verbreiteten Texten (2). Der Begriff des Lernens hat den des Unterrichts weitgehend abgelöst. Fragt man Lehrer nach dem Kern ihres beruflichen Handelns, verweisen sie meist nicht auf ihre unterrichtliche Aufgabe, sondern auf die möglichst gute Beziehung zu ihren Schülern. Die verbreitete Abwertung des Unterrichts zeigt inzwischen auch dort Wirkung, wo Lehrer sich davon nicht leiten lassen wollen, denn ihre Schüler bleiben von dieser Meinung nicht unbeeindruckt und halten die Leistungsanforderungen der Schule leicht für eine unnütze Quälerei. Ist aber jener altmodische Unter richt, wie wir ihn früher als Schüler in den verschiedenen Schulfächern erlebt haben, wirklich unmodern geworden? Ist er den Aufgaben der Zeit nicht mehr angemessen?

Nach meinem Abitur Anfang der fünfziger Jahre habe ich in einem großen Industriebetrieb ein Praktikum absolviert. Einige Wochen davon verbrachte ich in der Lehrwerkstatt, zu der eine betriebseigene Berufsschule gehörte. Nachdem wir eine bestimmte Aufgabe in der Werkstatt erledigt, z.B. ein Metallstück mit einer Feile auf eine vorgegebene Meßgenauigkeit hin bearbeitet hatten, führte uns der Ausbildungsleiter in einen Nebenraum und unterrichtete uns dort wie ein Lehrer über Möglichkeiten der Metallbearbeitung überhaupt. Danach kehrten wir in die Werkstatt zurück, um eine neue praktische Aufgabe zu erhalten, die dann eben falls mit einer systematischen Unterrichtung abgeschlossen wurde, und so ging es weiter. An diesem Beispiel lassen sich einige grundsätzliche Einsichten über die Bedeutung des Unterrichts gewinnen.

Unterricht führt nicht einfach fort, was wir schon wissen

Offensichtlich führt der Unterricht nicht einfach fort, was wir schon wissen und kennen, sondern er konfrontiert uns mit einer neuen Perspektive, in der das, was wir bereits kennen, in einem neuen Licht als Teil eines größeren Zusammenhangs erscheint. Welche Formen der Metallbearbeitung es überhaupt gibt, wäre uns nicht dadurch aufgegangen, daß wir nur lange genug Eisen gefeilt hätten.

Wenn wir diese Einsicht verallgemeinern, zeigt sich, daß jeder Unterricht an einer bereits vorhandenen Erfahrung anknüpfen muß. In unserem Beispiel war es die sinnliche Wahrnehmung der Wirklichkeit, wie sie uns damals angesichts der vom Feilen schwielig gewordenen Hände spürbar bewußt wurde. Diese Erfahrung weckte z.B. das Interesse an der Frage, ob die Bearbeitung nicht auch weniger mühsam möglich ist. Aber was wir gemeinhin als Erfahrung bezeichnen, geht weit über dieses Beispiel hinaus. Kinder und Jugendliche halten sich ja nicht nur in der Lehrwerkstatt oder in der Schule, sondern auch in anderen sozialen Zusammenhängen auf. Sie erleben ihre Familie, ihre Freunde, treten als Käufer in den Geschäften auf und sitzen vor dem Fernsehschirm, und erst in diesem Wechselspiel mit den übrigen Lebenssituationen ergibt Unterricht in der Schule einen Sinn. Im außer schulischen Bereich lernen die Kinder nicht nur manches, was sie in der Schule gar nicht lernen könnten, vielmehr bringen sie Erfahrungen aus diesen außer schulischen Lebensbereichen auch in den Unterricht mit. Sie beziehen das, was sie sonst erleben, auf das, was sie im Unter richt kennenlernen, und stellen von daher ihre Fragen. Indem sie dies tun, versuchen sie den Stoff für sich sinnvoll in einen Bezug zu ihrem bisherigen Leben zu setzen; deshalb muß der Unterricht dafür Zeit lassen. Niemand kann im Unterricht also etwas lernen, ohne an etwas anknüpfen zu können, was er bereits im bisherigen Unterricht oder außerhalb der Schule gelernt bzw. erfahren hat. Das Grundschulkind kann z.B. deshalb lesen und schreiben lernen, weil es die Bedeutung von Symbolen bereits kennt, also von Zeichen, die für etwas anderes stehen und dennoch damit nicht identisch sind. Einfaches Beispiel: Das Markenzeichen der Tankstelle, die die Eltern benutzen; es bekommt einen Sinn, obwohl es mit dem Benzin, das dort verkauft wird, nicht identisch ist. Erfolgreicher Unterricht ist immer erfahrungsorientiert, er spricht die bereits vorhandenen Erfahrungen an, treibt sie weiter, differenziert sie, bringt sie auf den Begriff, klärt sie auf und verknüpft sie mit anderen. Insofern muß der Unterricht, wenn er erfolgreich sein will, immer auf das bisherige Leben Bezug nehmen, auch wenn das nicht jedesmal ausdrücklich betont wird; es gibt keinen Nullpunkt, von dem aus man lernen könnte. Jeder neue Unterrichtsanlauf muß zudem den Fortschritt an Erfahrung berücksichtigen; die Lernanforderungen müssen sich mit dem Älterwerden der Schüler steigern. Ge schieht dies nicht, dann fühlen sich die Schüler unterfordert oder für dumm gehalten. Aber der Unterricht verlängert nicht einfach die bisherige Erfahrung oder verdoppelt sie nur, sondern er betrachtet sie gleichsam aus der Vogelperspektive und präsentiert so Zusammenhänge, die die bisherige Wahrnehmung überschreiten und sie andererseits in eine systematische Ordnung bringen könnte.

Produktion und systematische Unterrichtung sind von unter schiedlicher Logik

Wenn wir das Wort "Unterricht" hören, denken wir meist nur an die Schule. Aber er füllt auch einen großen Teil der Berufsausbildung aus. Das sogenannte "Duale System" unserer Berufsausbildung, das ich im Praktikum kennengelernt habe, besteht aus zwei mit einander verbundenen Säulen: aus der praktischen Ausbildung und aus systematischer Unterrichtung. Nun ist die Verbindung zwischen beiden Ebenen selten so anschaulich möglich, wie ich es damals erlebt habe, als wir ständig zwischen ihnen wechseln konnten. Viele Lehrer halten diese Kombination für den Idealfall des Unterrichts überhaupt und versuchen, ihm im Rahmen schulischer Projekte zu kopieren; dabei wird dann etwas hergestellt - z.B. eine Ausstellung zu einem Thema - und in möglichst enger Anlehnung an diesen Arbeitsprozeß auch

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unterrichtet. Das ist jedoch nur gelegentlich möglich, weil die Zahl vernünftiger Projekte begrenzt ist und die Schule ja im Unterschied etwa zum Handwerksbetrieb - nichts produziert.

Normalerweise finden auch in der Berufsausbildung die schulische bzw. die praktische Phase zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten statt - im Be trieb einerseits und einmal oder zweimal die Woche in der Berufsschule andererseits. Das ist schon aus organisatorischen Gründen meist nicht zu ändern, weil ja nicht jeder Betrieb eine eigene Berufsschule unterhalten kann. Es gibt aber auch einen sachlichen Grund dafür, daß der von vielen gewünschte pädagogische Idealfall selten zu verwirklichen ist: Die handwerkliche oder industrielle Produktion hat eine andere Logik und eine andere Reihenfolge als die systematische Unterrichtung. Die anschauliche Verschränkung von Theorie und Praxis, wie ich sie damals er lebt habe, war auch bei uns nur solange möglich, wie wir uns in der pädagogischen Provinz der Lehrwerkstatt befanden, sie mußte aufhören, als wir danach unsere Ausbildung im Betrieb fortsetzten. Dann mußten wir lernen, das Abrufen unserer Erfahrungen durch Unterricht im wörtlichen Sinne zu "vertagen", und das ist der Normalfall jeder Unterrichtung. Zum Prozeß der geistigen Reife gehört also auch die Fähigkeit, spontane Reaktionen zurückzustellen und aufkommende Fragen und Einwände für spätere Gelegenheiten aufzuschieben.

Die Fähigkeit, sich erfolgreich unterrichten zu lassen, muß von allen gelernt werden

In der allgemeinen Schule lernen die Kinder zwar, sich unterrichten zu lassen, aber sie brauchen diese Fähigkeit bis zum Ende ihres Berufslebens. Sonst würden sie als Erwachsene nicht in der Lage sein, einen Beruf zu finden, von dem sie sich ernähren könnten. Alle Wege zu einer solchen beruflichen Qualifizierung gleich auf welcher Ebene der Berufshierarchie - führen über Unterricht. Unterricht aber heißt von der Grundschule bis zur Weiterbildung im oberen Industriemanagement im Kern immer dasselbe: Da gibt es Lehrende, die etwas wissen oder können, und die diesen Vorsprung in didaktisch möglichst geschickter Weise an diejenigen weitergeben, die es noch nicht wissen oder können. Daran ist weder für Kinder noch für Erwachsene etwas Herabsetzendes, wie manche Schultheoretiker zu glauben scheinen, wenn sie das Unterrichten durch einen Lehrer als eine menschliche Zumutung, als jedenfalls nicht kindgerecht betrachten. Wenn ich an einem Fachkongreß teilnehme, erwarte ich von den dort auf tretenden Rednern ja auch, daß sie mich über ein Thema unterrichten, von dem sie mehr verstehen als ich, und in diesem Augenblick befinde ich mich wieder in der Rolle des Schülers. Dem Vortragenden kann ich jedoch nur deshalb folgen, weil ich bereits in der Schule und im weiteren Verlauf meines Lebens gelernt habe zuzulassen, daß mich jemand unterrichtet. Dazu gehört eine Reihe von Teilfähigkeiten wie: sich konzentrieren können, aufmerksam sein, zuhören können und ein Mindestmaß an innerer und äußerer Disziplin wahren. Würde ich auf dem Kongreß mit meinem rechten Nachbarn schwätzen, den linken anrempeln, weil mir sein Gesicht nicht gefällt, oder mit Papierkügelchen auf Frauen zielen, würde man mich vermutlich als Störer hinauswerfen, jedenfalls könnte ich aus dem Vortrag nichts lernen. Die Fähigkeit, sich erfolgreich unterrichten zu lassen, ist für die produktive Teilnahme am Berufsleben bis zu dessen Ende unerläßlich geworden, und diese Tendenz nimmt zu und nicht ab, wenn man etwa die steigenden Aufwendungen der Wirtschaft für Fortbildungsmaßnahmen in Betracht zieht, diese beruhen nämlich alle auf Formen des Unterrichts. Deshalb kann es in der Schule nicht um die Inszenierung irgendwelcher beliebiger Lernprozesse gehen, vielmehr geht es um ganz besondere, nämlich um unterrichtliche. Die Fähigkeit, sich unterrichten zu lassen, muß also heute von allen gelernt werden, und diese Fähigkeit ist durch keine anderen Lernleistungen ersetzbar - so wichtig diese für sich genommen auch sein mögen. Das hat folgenden Grund: Die Welt, mit der wir täglich zu tun haben - Wirtschaft, Politik, Kultur - ist als solche weder lehrbar noch lernbar; sie sagt uns von sich aus nicht, wie sie beschaffen ist. Um dies zu erfahren, müssen wir sie erforschen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse anderen mitteilen. Für sich genommen besteht die Welt nur aus einem Sammelsurium von Eindrücken, Einwirkungen, Forderungen und Signalen, so wie wir es etwa an einem abendlichen Fernsehprogramm ablesen können, wo nichts zusammenzupassen scheint. Erst die Erfindung des Unterrichts macht es möglich, komplizierte Sachverhalte und Zusammenhänge so zu vereinfachen und zu verdichten, daß sie Schritt für Schritt verstanden werden können. Dabei entstehen dann grundlegende, modellhafte, exemplarische oder ähnlich strukturierte Kenntnisse und Einsichten, die wiederum nichts Endgültiges haben dürfen, sondern dem Weiterlernen dienen sollen. Der Unterricht schlägt gleichsam Schneisen in die Wirklichkeit, auf denen wir uns bewegen und von denen aus wir uns dem zuwenden können, was wir noch nicht kennen. Unterrichten markiert einen Weg mit immer nur vorübergehenden Zielen, deshalb kann er ein Leben lang stattfinden und ist keineswegs auf die Schulzeit beschränkt. Von sich aus kann der Schüler im allgemeinen auf die grundlegenden Strukturen der Wirklichkeit nicht kommen, dafür braucht er seine Lehrer. Von der Alltagserfahrung aus gibt es keinen direkten Weg dorthin. Zudem ist ein didaktisch und methodisch gut geplanter Unterricht die einfachste Möglichkeit, komplizierte Zusammenhänge zu verstehen, zu diesem Zweck ist er ja auch erfunden worden. Gerade lernschwache und unsichere Schüler sind auf einen gut strukturierten Unterricht angewiesen.

Die Polarität von Leben und Unterricht darf nicht eingeebnet werden

Dafür ist allerdings ein Preis zu zahlen: Unterricht ist ein künstliches Arrangement, das nicht aus dem Leben von selbst erwächst; er geschieht immer in Distanz zum sonstigen Leben, für dessen Bewältigung er andererseits gebraucht wird. Der Grundschüler wie der Manager verlassen ihr normales Leben, um sich unterrichten zu lassen, und kehren danach wieder in dieses zurück. Das Leben selbst lehrt zwar Vieles und Wichtiges, aber es unterrichtet nicht. So gesehen ist Unterricht eine geniale kulturelle Erfindung, weil er uns er möglicht, die Unmittelbarkeit unserer Existenz zu überschreiten und für noch unbekannte spätere Verwendungssituationen gleichsam auf Vorrat zu lernen. Was dagegen das Leben lehrt, bleibt von sich aus fixiert an die Unmittelbarkeit der jeweiligen Situation. Das merken wir nur des halb in unserem Alltag nicht, weil wir durch Unterricht die Fähigkeit erworben haben, das, was wir unmittelbar erfahren und erleben, zu systematisieren und zu verallgemeinern und es uns so für weitere Verwendungen nutzbar zu machen. Diese grundlegende Polarität von Unterricht und Leben darf nicht eingeebnet werden, wie gelegentlich mit Parolen einer "lebensnahen Schule" gefordert wird, würde man schulische Lernprozesse ähnlich organisieren wie das Leben es selbst tut, wäre die Schule überflüssig; ihr Sinn kann nicht darin bestehen, bloß zu verdoppeln oder zu verstärken, was das Leben sowieso beibringt. Der Unterricht muß zwar bei den Erfahrungen des Kindes ansetzen, darf aber nicht dabei stehen bleiben.

Die eigenen Fähigkeiten kennenlernen - dank Unterricht

Vom Schüler aus gesehen dient der Schulunterricht dem Zweck, die in ihm schlummernden Fähigkeiten, die niemand vorher kennen kann, zu entfalten, damit er sich auf diese Weise "bilden" kann. Die Forderung an das Kind, sich unterrichten zu lassen, liegt so gesehen also auch in seinem wohlverstandenen Interesse; sie widerspricht keineswegs seinen wohlverstandenen Bedürfnissen, als sei sie per se nicht "kindgerecht". Im Gegenteil sind die Schulfächer mit ihren unterschiedlichen Anforderungen nicht zuletzt dazu da, die Fähigkeiten des Kindes herauszufordern, so daß es immer genauer zu erkennen vermag, was es gut kann und was weniger gut, was ihm mehr liegt und was weniger, damit es allmählich auf diesem Hintergrund seine Zukunftsplanung im Hinblick auf einen Beruf oder auf weitere Bildungsgänge zu entwickeln vermag. So gesehen ist die weniger gute Zensur genau so wichtig wie die gute, aber auch unterschiedliche Unterrichtsmethoden, die z.B. eher auf Einzelarbeit oder eher auf Zusammenarbeit mit anderen setzen, sind dafür wichtige Erfahrungen. Im Umgang mit verschiedenen Methoden des Lernens und in der Auseinandersetzung mit den Fächern und deren Stoffen lernt das Kind sich und seine Fähigkeiten immer besser kennen.

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Nun besteht eine immer wieder in der Schule zu beobachtende Schwierigkeit darin, daß das Kind diesen Zusammenhang zwischen seiner Gegenwart und seiner Zukunft zunächst nicht versteht; es verbleibt lieber in seiner begrenzten, unmittelbaren Lebensaktualität. Es will zwar lernen, was ihm in seinem Alltag sofort zugutekommt, damit es sich erfolgreicher in seiner sozialen Umgebung bewegen kann; aber es hat von sich aus meist keinen darüber hinausgehenden Bildungswillen, den es aber andererseits für die Entfaltung seiner Fähigkeiten und somit auch zur Wahrnehmung seiner künftigen gesellschaftlichen Chancen braucht. Pädagogische Konzepte, die sich vordergründig auf die aktuelle Befindlichkeit des Kindes einlassen und diese überschätzen, betrügen es in Wahrheit um seine noch unentdeckten Möglichkeiten. Die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit, ihre Individualisierung, ist kein inneres Programm, dem man nur seinen Lauf lassen und das man allenfalls noch ermutigen müsse; vielmehr bedarf diese Entfaltung der Herausforderung durch objektive, gerade nicht aus der subjektiven Innerlichkeit sprießende Ansprüche und der tätigen und auch mühsamen Auseinandersetzung damit. Durch keinen pädagogischen Trick sind die Mühen und die Anstrengungen, die der Unterricht abverlangt, zu umgehen.

Im Dienste von Chancengleichheit

Indem das Kind seine Fähigkeiten einerseits durch Teilnahme am sozialen Leben seiner unmittelbaren Umgebung, andererseits aber eben auch durch systematischen Unterricht in der Schule erkennt und entwickelt, wird es in die Lage versetzt, seinen künftigen Standort in der Gesellschaft, seinen Status, in einem hohen Maße selbst zu bestimmen, zum Beispiel ohne Rücksicht auf die finanziellen Grenzen seiner Herkunftsfamilie. Schulleistungen sind die einzige Möglichkeit der Emanzipation des Kindes, über die es selbst verfügen kann. Das einzige Kapital, das ein Kind von sich aus vermehren kann, sind sein Wissen und seine Manieren. Ohne das für alle Kinder geltende Unterrichtsangebot der Schule würden die Reichen ihren Nachwuchs wieder wie früher privilegieren können. Ohne das Angebot des schulischen Unterrichts bliebe das Kind fixiert auf die Mechanismen seiner Sozialisation, die ihrerseits von den Zufälligkeiten seiner Geburt und seines Lebensmilieus abhängen. Wie bedeutsam dieser Zusammenhang ist, können wir in denjenigen Ländern beobachten, die sich eine höchstmögliche Bildung für alle Kinder finanziell nicht leisten können oder wollen. Dort bleiben die Armen unausweichlich arm.

Lerninhalte dürfen nicht beliebig sein: im Interesse der Gesellschaft und ihres Fortbestandes

Es geht aber nicht nur um die Ausstattung des Schülers für seine künftigen Lebenschancen. Vielmehr hat die Gesellschaft, die das Bildungssystem ja finanziert, ein existentielles Interesse daran, daß die jeweils nachwachsende Generation das bereits vorhandene Potential an Kenntnissen und Fähigkeiten zumindest übernehmen, möglichst sogar übertreffen kann. Ohne eine Garantie für diesen Stabwechsel der Generationen würden das gesellschaftliche Leben und damit auch die Lebensqualität eines jeden einzelnen zusammenbrechen. Die Gesellschaft, in der wir im Gemenge der Generationen leben, muß immer wieder durch intelligente Arbeit und Tätigkeit reproduziert und weiter entwickelt werden, und dafür sind unterrichtliche Qualifizierungen unerläßlich. Deshalb muß es Lehrpläne bzw. Richtlinien, Leistungsanforderungen und deren Kontrolle geben, weil sonst die Lernarrangements in den Schulen beliebig würden und insofern am gesellschaftlichen Zweck der Veranstaltung Schule vorbeigehen könnten. Es reicht nicht aus, die Kinder nur das lernen zu lassen, was sie wollen.

Während der Unterricht im Rahmen der Berufsausbildung auf bestimmte berufliche Tätigkeiten ausgerichtet ist, dient er in der Schule der Allgemeinbildung der Schüler. Das heißt einerseits, wie schon er wähnt, daß er den Schülern helfen soll, ihre Fähigkeiten breit zu entfalten. Es heißt auf der anderen Seite aber auch, daß die Gesellschaft auf einen gemeinsamen Bestand von Kenntnissen, Fähigkeiten und Vorstellungen angewiesen ist, damit die nachwachsenden Generationen die gesellschaftlichen Funktionen später wenigstens mit einem Minimum an Gemeinsamkeiten übernehmen können. Darüber heute einen politischen Konsens zu finden, ist nicht einfach, bleibt aber gleichwohl notwendig. Wegen dieser Bedeutung des allgemeinbildenden Schulunterrichts für das Gemeinwesen kann auch auf Zensuren nicht verzichtet wer den; wer das trotzdem fordert, verkennt den gesellschaftlichen Auftrag der Schule.

Rationalität und Emotionalität

Hält man sich nun vor Augen, daß Unterricht eine ganz besondere Form des Lehrens und Lernens ist, die nicht einfach durch andere Formen, wie sie das Leben sonst bietet, ersetzt werden kann, dann ist Skepsis angebracht gegenüber modisch gewordenen Versuchen, umgekehrt die Fülle und die Komplexität des Lebens selbst zum Maßstab des Unterrichts zu machen. Diese Tendenz läßt sich etwa in der Forderung vernehmen, Lernen müsse "ganzheitlich", also "mit Kopf, Herz und Hand" erfolgen.

Nun ist nicht zu bezweifeln, daß jedes menschliche Handeln - also auch das Lernen - rationale und emotionale Aspekte miteinander verbindet. Gleichwohl werden diese in unterschiedlichen Lebenssituationen verschieden akzentuiert - in Intimsituationen z.B. anders als in der Öffentlichkeit. Der Mensch muß jeweils entscheiden, welcher der beiden Dimensionen er in einer bestimmten Situation die Führung überläßt. In seiner Freizeit wird er vielleicht eher solche Angebote wahrnehmen, die primär seine emotionale Gestimmtheit ansprechen. Aber im Unterricht geht es in erster Linie um die Schulung des Denkens, was nicht ausschließt, daß die emotionalen Aspekte dabei durchaus angesprochen werden. Es ist also keineswegs kinderfeindlich, im Unterricht den intellektuellen Fähigkeiten einen Vorrang einzuräumen; denn berufliehe Zuverlässigkeit - zumal wenn Sicherheitsrisiken minimiert werden sollen – beruht in hohem Maße ebenfalls auf rationalem Verhalten, und dort betrachten wir es ja auch nicht als menschlich einseitig. Außerdem gibt es keinen logisch zwingenden Zusammenhang zwischen bestimmten Gedanken und den durch sie mobilisierten Gefühlen und umgekehrt. Deshalb reagieren Schüler auf ein und denselben Schulstoff emotional durchaus unterschiedlich. Schon aus diesem Grunde ist es gar nicht möglich, Betroffenheiten ins unterrichtliche Kalkül einzubeziehen. Außerdem gehorcht die "Hand" letztlich den Befehlen des Kopfes. Rationales Lernen ist keineswegs generell erfolgreicher, wenn es mit praktischen Tätigkeiten verbunden ist. Wäre dies anders, dann hätten wir damals in der Lehrwerkstatt nur solange etwas lernen können, wie wir zwischen Werkstatt und Unterricht pendeln konnten.

Unterricht bedarf einer kalkulierbaren zeitlichen Begrenzung

Den besonderen Sinn des Unterrichts verkennt auch die oft zu vernehmende schulpädagogische Forderung nach Abschaffung der45-Minuten-Schulstunde, weil sie die Lernprozesse zerreiße und die Schüler sich immer wieder auf neue Stoffe und Themen einstellen müßten. Aber eine konzentrierte Beschäftigung mit einer Sache ist kaum über 45 bis allenfalls 60 Minuten hinaus nach aller Erfahrung möglich. Danach muß ein neues Thema mit möglichst auch einem neuen Lehrer einsetzen. Der Unterricht bedarf auch einer für die Schüler kalkulierbaren zeitlichen Begrenzung, und die Lehrer müssen angehalten werden, ökonomisch mit der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit um gehen.

Fächereinteilung abschaffen?

Noch weiter geht die Forderung, die Schulfächer weitgehend abzuschaffen und den Unterricht möglichst fächerübergreifend zu gestalten; das Leben sei ja auch nicht in einzelne Fächer aufgeteilt. Diese Argumentation verkennt die notwendige Distanz von Unterricht und Leben gründlich. Ohne Aufteilung in Fächer, die ja verschiedene Aspekte der Wirklichkeit - der Natur, Kultur, Politik, Wirtschaft usw. - repräsentieren, wäre eine Wissenschaftsorientierung des Unterrichts nicht möglich; diese ist aber Voraussetzung für die sachliche Zuverlässigkeit dessen, was unterrichtet wird. Alle denkbaren Alternativen dazu wären von vorn herein weltanschaulich-parteilich fundiert, wie wir aus der Geschichte des Schulunterrichts wissen. Die Fächer garantieren eine öffentlich kontrollierbare Ausbildung der Lehrer, ohne die wiederum weder Schüler noch Eltern Vertrauen in die Kompetenz der Lehrer haben könn

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ten. Zudem könnten die Schüler ihre erworbenen Kenntnisse, Einsichten und Vorstellungen ohne Rückgriff auf die einzelnen Fächer nicht ordnen. Es ist nämlich nicht möglich, an und für sich zu lernen, vielmehr brauchen wir dafür begrenzte Aufgaben, die aus einem überschaubaren sachlichen Zusammenhang stammen. Das menschliche Denken braucht gleichsam Schubladen, in denen Ergebnisse abgelegt werden können.

Werden Schüler methodenresistent?

Nun machen nicht wenige Lehrer aus ihrer Erfahrung geltend, daß die überlieferten Vorstellungen von Unterricht bzw. die damit verbundenen Erwartungen für eine zunehmende Zahl von Schülern nicht mehr anwendbar seien, weil sie zu große intellektuelle oder soziale Schwierigkeiten damit hätten. Um ihnen gerecht zu werden, müßten andere Formen des Lernarrangements gesucht werden, und der Begriff des Unterrichts müsse von daher neu gefaßt werden. Die Kindheit habe sich eben radikal verändert, und der Unterricht müsse das in Rechnung stellen.

Nun wird gewiß ein guter Lehrer nicht ständig frontal unterrichten, sondern durch Methodenwechsel immer wieder neue und vielleicht sogar gelegentlich überraschende Perspektiven der Sache ins Spiel bringen. Aber die Hoffnung, dadurch könnten die Mühen des Lernens herabgesetzt werden, hat sich nicht er füllt. Im Gegenteil scheinen die Schüler nachgerade methodenresistent zu werden. Was immer die Lehrer sich einfallen lassen, sie kurieren damit nicht, woran es hapert: den Mangel an Disziplin, an Konzentration, an Leistungsbereitschaft. Wenn es jedoch so ist, daß die Fähigkeit, sich unterrichten zu lassen, durch keine andere Lernfähigkeit ersetzt werden kann, ergibt es keinen Sinn, nach Alternativen dazu Ausschau zu halten, bloß weil sie angenehmer erscheinen. Selbstverständlich muß man schwächere Kinder besonders fördern, aber das ergibt nur Sinn, wenn dafür der Normalfall im Visier bleibt, daß nämlich auch diese Schüler irgendwann in die Lage versetzt werden, am üblichen Unterricht erfolgreich teilzunehmen. Dessen Maßstäbe selbst können nicht zur Disposition stehen, weil die Schule sie nur stellvertretend für die Anforderungen des Lebens zur Geltung zu bringen hat. Wenn man etwas für diejenigen Schüler tun möchte, die besondere Schwierigkeiten damit haben, sich unterrichten zu lassen, dann muß man das Bildungswesen so vernünftig gliedern, daß auch sie so weit wie möglich auf ihre Kosten kommen können. Geholfen wäre aber gerade ihnen nicht mit einer schulpädagogischen Sozialromantik, die das Leben spätestens dann bestraft, wenn der Berufseintritt bevorsteht.

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Literaturhinweise

(1) Bildungskommission Nordrhein-Westfalen: Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft. Denkschrift der Kommission "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Neuwied 1995

(2) Vgl. etwa Faust-Siehl Gabriele/Garlichs, Ariane/Ramseger, Jörg/Schwarz, Hermann/Warm, Ute: Die Zukunft beginnt in der Grundschule. Empfehlungen zur Neugestaltung der Primarstufe, Reinbek 1996 

 

184. Was ist ein "Schlüsselproblem"? (1997)

Anmerkungen zu Wolfgangs Klafkis "neuem Allgemeinbildungskonzept"

In: Neue Sammlung, H. 4/1997, S. 563-583

 
Wolfgang Klafkis Überlegungen zur Bildungstheorie und Didaktik haben seit Ende der fünfziger Jahre die bildungspolitische und schulpädagogische Diskussion und nicht zuletzt auch die Schulreformen seit den siebziger Jahren in einem erheblichen Maße mitbestimmt. Klafki hat über die Jahrzehnte seine Überlegungen immer wieder modifiziert und z.B. neue wissenschaftstheoretische und einzelwissenschaftliche Erkenntnisse und Resultate einbezogen und im Rahmen seines Konzeptes verarbeitet. Als ein Ergebnis dieses Prozesses verstehe ich auch seine Neuformulierung der Allgemeinbildungstheorie, wie er sie in der "2. Studie" seines Buches "Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik" (Weinheim, 5. Aufl. 1996) vorgetragen hat. Daran möchte ich im folgenden anknüpfen. Dieses Konzept hat in der Schulpädagogik und Bildungspolitik eine erhebliche Zustimmung gefunden und gilt vielfach als mehr oder weniger selbstverständliche Grundlage für entsprechende Entscheidungen. Es hat jedoch eine Reihe problematischer Implikationen, die ich im folgenden kennzeichnen und kritisieren möchte. Der gewiß notwendig gewordene Versuch, die Idee der Allgemeinbildung wieder zu einem zentralen Thema der fachlichen und öffentlichen Diskussion zu machen, hat nämlich nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn dabei ein breiter innenpolitischer Konsens erzielt werden kann. Das Allgemeine an der Bildung muß auch allgemein akzeptiert werden können. Eben dies vermag Klafkis Entwurf jedoch nicht zu leisten; er ist vielmehr vor allem wegen seiner politischen Implikationen eher einem bestimmten bildungspolitischen Lager zuzurechnen.

Politische Implikationen

Klafkis Argumentation beginnt mit einem Rückgriff auf die Idee der Aufklärung, die es verbiete, Bildung unkritisch am technisch-ökonomisch bedingten Fortschrittsoptimismus festzumachen. Vielmehr gehe es um "die Einsicht in den dialektischen Zusammenhang zwischen den personalen Grundrechten ... und der Leitvorstellung einer fundamental-demokratisch gestalteten Gesellschaft, einer konsequent freiheitlichen und sozialen Demokratie" (S. 51). Diesem Satz wird kaum jemand widersprechen - solange er jedenfalls nicht präzisiert wird. Erste Bedenken stellen sich aber ein, wenn man etwa daran denkt, daß z.B. die katholische Kirche als Teilverband der Gesellschaft nicht "fundamental-demokratisch" strukturiert ist, daß sie nicht daran denkt, sich entsprechend zu ändern und daß

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sie gemäß unserer Verfassung auch so bleiben darf, wie sie ist. Das Beispiel verweist generell auf die bekannte Tatsache, daß die Grundrechte sich auf das Verhältnis des Individuums zum Staat und seinen Organen beziehen, nicht jedoch auch in gleicher Weise auf gesellschaftliche Verbände und Organisationen, zumal nicht auf jene, denen - wie der katholischen Kirche - niemand zwangsweise angehören muß. Als ein weiteres Beispiel in diesem Zusammenhang kann der "Tendenzbetrieb" gelten, der - anders als etwa der öffentliche Dienst - besondere Anforderungen an die Lebensführung seiner Mitarbeiter stellen darf. Nun ist den Mitgliedern einer solchen Organisation selbstverständlich unbenommen, in ihren Reihen auf eine Fundamentaldemokratisierung zu drängen, und der allgemeinbildende Unterricht kann in didaktisch geeigneter Weise die innere Struktur solcher Organisationen zum Thema machen, aber darum geht es hier nicht. Vielmehr soll der Einsatz für die so verstandene Demokratisierung nicht nur des Staates, sondern auch der gesellschaftlichen Teilverbände ("Fundamentaldemokratisierung") von vornherein das Allgemeinbildungskonzept mit konstituieren. Das geht deshalb zu weit, weil auf diese Weise das Arrangement von Bildung mit einer strategischen politischen Handlungsanweisung gekoppelt wird, die nach den Grundlagen unserer Verfassung zwar möglich, aber keineswegs geboten ist, und über die deshalb die Bürger nur je einzeln für sich entscheiden können. Klafkis politische Prämisse ist nun keineswegs als allgemeine Präambel gemeint, vielmehr setzt sie sich in den folgenden Überlegungen fort.

"Grundfähigkeiten"

Obwohl nicht ausdrücklich so begründet, leitet Klafki daraus nämlich drei "Grundfähigkeiten" ab, die "Bildung" vermitteln soll: die "Fähigkeit zur Selbstbestimmung", die "Mitbestimmungsfähigkeit" und die "Solidaritätsfähigkeit" (S. 52). Der individuelle Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung könne - so die Begründung - "nur gerechtfertigt werden", "wenn er nicht nur mit der Anerkennung, sondern mit dem Einsatz für diejenigen und mit dem Zusammenschluß mit ihnen verbunden ist, denen eben solche Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse, Unterprivilegierung, politischer Einschränkungen oder Unterdrückungen vorenthalten oder begrenzt werden" (S. 52).

Dies ist wiederum eine politisch parteiliche Argumentation, mag sie moralisch auch zunächst überzeugend sein. Der Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung ergibt sich politisch aus unserem Grundgesetz und muß (und darf) deshalb keineswegs mit etwas anderem gerechtfertigt werden, als verspiele jemand diese Rechte, wenn er dieses andere nicht verfolge. Die beiden erstgenannten Fähigkeiten können zwar durchaus als solche betrachtet werden, die der Staat in seinem Bildungswesen gemäß der Verfassung zu ermöglichen hat; das gilt für die "Solidaritätsfähigkeit", wie sie von Klafki verstanden wird, aber keineswegs auch. Sie geht nämlich als allgemeines moralisches Postulat, wie es hier formuliert ist, weit über den Rahmen unserer Verfassung hinaus; denn "politische

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Einschränkungen oder Unterdrückungen" sind - jedenfalls auf der politisch-verfassungsrechtlichen Ebene - bei uns nicht mehr gegeben, also muß dies weltweit gemeint sein. Als Bürger unseres Staates können wir aber nur Einfluß nehmen auf den Handlungsrahmen, den uns unsere Verfassung eröffnet, darüber hinaus haben wir - außer vielleicht durch Druck auf bestimmte außenpolitische Entscheidungen - keine Einflußmöglichkeit, - wenn man davon absieht, daß unsere politische Mitwirkung sich demnächst vielleicht auf Europa ausdehnen wird; aber auch dann würde unsere Verantwortungsreichweite sich lediglich vergrößern, aber grundsätzlich weiterhin beschränkt bleiben. Wegen dieses Widerspruchs von Anspruch und Wirklichkeit handelt es sich bei Klafkis "Solidarität" um ein bloß moralisches Postulat, was sofort einleuchtet, wenn man sich etwa überlegt, was Schulkinder faktisch durch "Einsatz" zur Minderung der Unterdrückung von Kindern etwa in Ländern der Dritten Welt beitragen können außer moralisch zu räsonnieren und vielleicht sogar Überheblichkeitsgefühle zu entwickeln. Selbstverständlich kann dieses Problem zum Thema etwa der politischen Bildung in den Schulen werden, und Jugendliche können sich z.B. im Rahmen von Jugendorganisationen freiwillig für entsprechende Aufgaben engagieren, aber das allein ist ja nicht gemeint; es geht Klafki um "Zusammenschluß" mit und "Einsatz" für tendenziell alle Unterdrückten dieser Welt. Beides darf man jedoch gerade als Gebildeter sowohl aus politischen wie aus praktischen Gründen - z.B. wegen zu geringer Erfolgsaussichten - auch verweigern. Abgesehen davon also, daß eine derart exzessiv gedachte "Solidarität" schlicht illusorisch ist, wenn sie in dieser Form und in diesem Ausmaß als eine "Grundfähigkeit" von Bildung gelten soll, wird hier eine Fähigkeit mit einer bestimmten Anwendung gleichgesetzt. Es kann nämlich jemand durchaus fähig zur Solidarität sein, sich aber aus vielerlei Gründen jeweils vorbehalten, wem er sie aus welchen Gründen, unter welchen Bedingungen und für wie lange gewährt. Die Fähigkeit als solche verrät noch nichts über die Bedingungen ihrer Anwendung. Soll "Solidarität" mehr sein als ein unverbindliches moralisches Postulat, dann hängt ihre Anwendung von einer prinzipiellen Gegenseitigkeit ab und entspringt keineswegs einem einseitigen Wohltätigkeitsverhalten. Die Arbeiterbewegung, die den Begriff populär gemacht hat, verwandte ihn gegenüber allen, die der gleichen Klassenlage angehörten, aber eben nicht - oder jedenfalls nicht so ohne weiteres - gegenüber Mitgliedern anderer ökonomischer Klassen. Nur so, nämlich in dieser Beschränkung, war dieser Begriff als soziale Kategorie überhaupt anwendbar. In diesem Sinne können Individuen nicht einfach anderen Individuen Solidarität erweisen, vielmehr sind sie dafür auf verfaßte soziale Strukturen angewiesen, die zugleich eine prinzipielle Gegenseitigkeit garantieren. Deutsche Gewerkschaften können gemeinsam mit denen eines Entwicklungslandes solidarisch handeln, nicht aber die einzelnen Mitglieder. Auf den Einzelnen muß aber der Bildungsbegriff abheben, da "Bildung" nur die Fähigkeiten je einzelner Menschen sinnvollerweise bezeichnen kann.

Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise ein Allgemeinbildungskonzept, das im Grunde ja immer auf Vermittlung von Stoffen, jedenfalls auf geistig geordnete Auseinandersetzung mit der Welt aus ist, solche grundlegenden Fähigkeiten überhaupt planmäßig zu entwickeln vermag. Woran soll man "Selbstbestimmungsfähigkeit" und "Mitbestimmungsfähigkeit" in der Schule erkennen, ohne dabei kaum überprüfbaren Interpretationen auf den Leim zu gehen? Andere Fähigkeiten, etwa ein Thema sorgfältig zu recherchieren oder seine Gedanken argumentativ einzubringen, kann man immerhin am beobachtbaren Resultat ablesen. Der Unterricht selbst jedenfalls kann nur solche Fähigkeiten entwickeln, die in seinem Rahmen auch gebraucht werden. Hinzu kommen kann die Gestaltung des sozialen Arrangements, etwa Stil und Ton des Umgangs zwischen Lehrern und Schülern und der Schüler untereinander; aber auch diese Möglichkeiten sind begrenzt. "Solidarität" kann man in der Schule nur für deren sozialen Kontext lernen, inwieweit jedoch die dabei gewonnenen Grundhaltungen auf außerschulische, z.B. politische Dimensionen übertragen werden können, bleibt grundsätzlich wie auch in jedem Einzelfall unentscheidbar und deshalb auch nicht planbar. Das gilt auch für die Fähigkeit zur "Mitbestimmung"; in der Schule kann sie nur in dem Rahmen gelernt werden, der dort zur Verfügung steht, und der ist in der Regel sehr begrenzt. Die Schule ist (auch) in diesem Punkte kein Exempel für das soziale Leben überhaupt, sondern gerade eine vom üblichen Leben abgehobene Einrichtung, in der zunächst einmal besondere Regeln gelten, die im Zweck dieser Institution und ihres darauf bezogenen Arrangements beschlossen liegen und insoweit eben auch partikular sind. Die Fähigkeit zur Mitbestimmung in einem politisch relevanten Sinn des Wortes kann der Schüler vermutlich eher durch Mitwirkung in einem Jugendverband lernen. Die von Klafki genannten "Grundfähigkeiten" sind im Grunde erzieherische Instrumentalisierungen und Rechtfertigungen, die dem Bildungsanliegen vorgegeben werden, mit diesem selbst aber nichts zu tun haben. Die Beziehungen zwischen veranstaltbarer Bildung welcher Art auch immer und den daraus hervorgehenden allgemeinen persönlichen und charakterlichen Resultaten beruhen generell und erst recht im Einzelfall auf Spekulation. Wird das übersehen, droht dem allgemeinbildenden Unterricht eine gesinnungsorientierte Instrumentalisierung.

"Bildung für alle"

In einem weiteren Schritt entwickelt Klafki nun "drei Bedeutungselemente des Begriffs ‘Allgemeinbildung’",- nicht ohne einleitend erneut eine politische Distanzierung vorzunehmen, indem er auf "problematische konservative Leitvorstellungen" (S. 52) verweist, die er ohne weitere Begründung - etwa im Hinblick auf sein Konzept - und lediglich unter Hinweis auf einige Autoren und deren Publikationen zurückweist. Allgemeinbildung muß demnach
- "Bildung für alle" sein,
- "einen verbindlichen Kern des Gemeinsamen haben" ("Bildung im Medium des Allgemeinen") (S. 53), und
- "als Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten verstanden werden" (S. 55).

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Das erste, an und für sich wieder einleuchtende und gewiß konsensfähige Merkmal - "Bildung für alle" - wird nun mit Einzelforderungen belastet, die wohl nur aus der politischen Grundposition des Autors erklärbar sind. Der "Abbau selektiver Faktoren" und "entschiedener Widerspruch gegen den Einbau neuer Selektionselemente" seien zu fordern, ebenso "Ausdehnung und Intensivierung gemeinsamer Bildungseinrichtungen" - gemeinsam für alle Kinder - , "Ausbau der 4jährigen zur 6jährigen Grundschule" sowie "Einsatz für die Integrierte Gesamtschule auf der Sekundarstufe I bis zum 16. Lebensjahr" (S. 55).

Nun hat der Bürger Wolfgang Klafki selbstverständlich das Recht, sich gemäß seinem Demokratieverständnis für diese schulpolitischen Grundsätze öffentlich einzusetzen. Mißlich ist nur, daß dies im Rahmen eines Plädoyers für eine neue Allgemeinbildung geschieht. Dann muß nämlich entgegnet werden, daß unter dem Maßstab der Selbstbestimmung jemand auch das Recht hat, sein Bildungsbedürfnis von einem bestimmten Niveau an als befriedigt zu betrachten; daß ein anderer unter eben dieser Maxime verlangen darf, optimal im Rahmen gleich Begabter gefördert zu werden und nicht über Gebühr in einer heterogenen Zwangslerngemeinschaft verweilen zu müssen. Aus dem an sich richtigen Postulat nach "Bildung für alle" kann nur gefolgert werden, daß jedem Kind als Grundrechtsträger ohne Rücksicht auf finanzielle Voraussetzungen, u. U. sogar gegen den Willen seiner Erziehungsberechtigten, die Chance gegeben werden muß, denjenigen Bildungsstandard zu erreichen, der seinen Fähigkeiten bzw. seinem Lernwillen entspricht. In welcher Form der Schulorganisation dies geschieht, ist daran gemessen eine eher technische Frage, jedenfalls keine einer vorgängigen demokratischen Legitimation, als seien diejenigen, die die Grundschule nicht erweitern oder die Gesamtschule nicht ausdehnen wollen, per se weniger demokratisch Gesinnte.

"Selektion" ist zudem nicht ohne weiteres ein Widerspruch zur "Bildung für alle", sondern nur dann, wenn sie bestimmte Gruppen von Kindern aus anderen Gründen als denen ihrer Leistungsfähigkeit aus dem Bildungsprozeß vorzeitig aussondert; damit dies möglichst nicht geschieht, müssen zur Förderung benachteiligter Kinder geeignete Maßnahmen ergriffen werden, damit sie selbst wie auch die für sie zuständigen Erwachsenen ein realistisches Bild der tatsächlichen Leistungsfähigkeit gewinnen können. Aber das kann nicht mit dem Versprechen verbunden sein, ohne entsprechende Leistungen zu höheren Bildungsstufen gelangen zu können. Ist Selektion jedoch in vernünftigen Stufen der Leistung verankert, ist sie sogar im wohlverstandenen Interesse des Kindes selbst geboten, weil es sonst nämlich seine schulische bzw. unterrichtliche Leistungsfähigkeit nicht realistisch wahrnehmen und seine Zukunftsplanung nicht wirklichkeitsgerecht vornehmen könnte. In diesem Punkte wäre dann wieder das Selbstbestimmungsrecht des Kindes heranzuziehen.

"Schlüsselprobleme"

Das Kanonproblem ("Bildung im Medium des Allgemeinen") löst Klafki nun auf eine Weise, die sich vom traditionellen Lösungsversuch, nämlich einen Kanon

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von Fächern zu nennen und die darin beschlossenen Bildungsgehalte zu analysieren, grundlegend unterscheidet. Er präsentiert statt dessen einen Katalog von "Schlüsselproblemen", an denen die Schulfächer gemeinsam zu arbeiten haben. "Allgemeinbildung bedeutet..., ein geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Problemen der Gegenwart und - soweit voraussehbar - der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher Probleme und Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken. Abkürzend kann man von der Konzentration auf epochaltypische Schlüsselprobleme unserer Gegenwart und der vermutlichen Zukunft sprechen" (S. 56). Er nennt - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - die Friedensfrage, die Umweltfrage, die gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, "die Gefahren und die Möglichkeiten der neuen technischen Steuerungs- Informations- und Kommunikationsmedien" und schließlich "die Subjektivität des einzelnen und das Phänomen der Ich-Du-Beziehung", nämlich "die Spannung zwischen individuellem Glücksanspruch, zwischenmenschlicher Verantwortung und der Anerkennung des bzw. der Anderen" (S. 60).

Man darf diese "Schlüsselprobleme" wohl als das Kernstück des Entwurfs bezeichnen, wobei Klafki betont, daß seine knappe Skizzierung dieser Probleme sowie auch deren Auswahl keineswegs das letzte Wort in der Sache sein müßten. Meine kritischen Rückfragen sollen sich deshalb auch auf das Prinzip beziehen und nicht auf die Einzelheiten, die Klafki zur Veranschaulichung seines Vorschlags ausbreitet.

1. Zunächst wird hier wieder wie bei der "Solidarität" Erkenntnis mit Appellation verbunden: die Schüler sollen "Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher Probleme" und "Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken" gewinnen. Gewiß ist das wünschenswert, die Frage ist nur, ob solche Intentionen von vornherein Bestandteil eines Allgemeinbildungskonzeptes sein können. Daß alle in irgendeiner Weise teils für die Entstehung, teils für die Aufrechterhaltung solcher "Probleme" (z.B. Umwelt) und deshalb auch für deren Lösung verantwortlich sind, ist sicher nicht zu leugnen; gleichwohl sind je nach Alter und gesellschaftlichem Status die Verantwortlichkeiten sehr unterschiedlich zu gewichten. Und die Bereitschaft, an der "Bewältigung" mitzuwirken, ist einerseits nicht zuverlässig zu messen und kann andererseits bei Schülern zu kaum mehr als zum moralischen Protest führen. Warum sollte der Unterricht sich nicht einfach darauf beschränken, die Probleme ins Bewußtsein zu nehmen und sachlich möglichst fundiert zu klären? Eine Garantie für ein darauf bezogenes vernünftiges und moralisches Verhalten ist das gewiß nicht, aber ist mehr im beschränkten Handlungsrahmen des schulischen Unterrichts überhaupt möglich?

2. Spätestens an dieser Stelle muß geklärt werden, welche Rolle in diesem neuen Bildungskonzept eigentlich die Schule spielen soll; denn über die erwähnten epochalen Probleme werden wir ja nicht nur durch die Schule, sondern jeden Tag immer wieder neu durch die Berichterstattung der Massenmedien informiert. Genau genommen erfahren wir nur über diese Medien, welche "Schlüsselprobleme" durch wen definiert werden, wie die daraus resultierenden Konflikte und

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Widersprüche sich aktualisiert oder auch wieder verflüchtigt haben, durch neue abgelöst wurden usw.. Demnach müßte es Aufgabe der Schule sein, die Schüler fähig zu machen, an dieser Berichterstattung vernünftig partizipieren zu können. Dann aber wäre der Auftrag der Allgemeinbildung anders zu formulieren, nämlich als Schulung der Fähigkeit, die Informations- und Meinungsbildung dieser Medien optimal zu nutzen. In diesem Falle stünden aber nicht die "Schlüsselprobleme" selbst im Mittelpunkt der Allgemeinbildung, sondern die Verarbeitungs- und Verbreitungsweisen der Medien, zusammengefaßt vielleicht in einer Art von "Medienkunde" in Analogie zum überlieferten Literaturunterricht. Zwar könnten dann "Schlüsselprobleme" als Beispiel oder Aufhänger eines solchen Unterrichts gewählt werden, aber systematisch ginge es in erster Linie nicht um sie, sondern eben um einen bestimmten Fachunterricht. Aber welches Fach soll für eine "kritische informations- und kommunikations-technische Grundbildung als Moment einer neuen Allgemeinbildung" (S. 60) zuständig sein, wenn oberflächliches kulturkritisches Räsonnieren vermieden werden soll? Anders gefragt: Ist die moderne Kommunikationstechnologie als Stoff eines bestimmten Faches zu verstehen oder eher als Implikation eines jeden Schulfaches oder gehören entsprechende Kenntnisse zu den kulturtechnischen Grundlagen wie Lesen und Schreiben, die möglichst jeder Schüler beherrschen lernen sollte?

Dem Konzept Klafkis fehlt jedenfalls eine deutliche Unterscheidung zwischen dem, was das Leben sowie lehrt, und dem, was die Schule im Hinblick auf die Teilnahme an diesem gegenwärtigen und künftigen außerschulischen Leben als ihre Aufgabe unter der Fahne der Allgemeinbildung ansehen soll. Man könnte ja das Konzept der Allgemeinbildung auch im Sinne eines idealen Entwurfes des gebildeten Menschen verstehen, an dessen Entfaltung die Schule nur mit einem bestimmten und begrenzten Auftrag mitwirkt, während andere gesellschaftliche Wirklichkeitsbereiche wie Politik, Wirtschaft, Kultur und Massenmedien ebenfalls ihren Teil dazu beitragen. Eine solche Vorstellung wäre schulübergreifend, nämlich sozialisationstheoretisch fundiert. Wenn ich Klafki aber richtig verstehe, ordnet er seine Konzeption der Allgemeinbildung lediglich der allgemeinbildenden Schule zu; dann aber bleibt die Frage zumindest offen, in welcher Beziehung dieses Konzept zur außerschulischen Erfahrung der Schüler zu sehen ist.

3. Offensichtlich liegen die "Schlüsselprobleme" auf unterschiedlichen sachlichen Ebenen. Während die ersten drei (Friedensfrage, Umweltfrage, soziale Ungleichheit) globale politische Probleme bezeichnen, stellt sich die Medienfrage als ein merkwürdiger Zwitter dar: einerseits als politisches Phänomen, insofern etwa Meinungsmacht und ihre öffentliche Kontrolle angesprochen sind; andererseits geht es um die eben erwähnte kulturtechnische Dimension der optimalen Nutzung. Eine gänzlich andere Saite klingt beim letzten "Schlüsselproblem" an. Hier steht die unmittelbare menschliche Beziehungsebene zur Debatte, also ein primär normatives Problem, das gewiß auch politisch bedingt ist, aber doch im Kern die Alltagsmoral der Menschen zum Inhalt hat. Schon immer war diese vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern ein bevorzugtes Thema

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des allgemeinbildenden Unterrichts, vermittelt über einschlägige Stoffe und Texte. Damit verband sich die Hoffnung, daß die Beschäftigung etwa mit bedeutender Literatur oder mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens mittelbar auch die persönlichen Einstellungen und Handlungsmaximen der Schüler beeinflussen würden. Insofern war die menschliche Beziehungsdimension immer auch ein fächerübergreifendes Thema der Allgemeinbildung, eingebettet jedoch in die übergeordneten Aufgaben und Gesichtspunkte des jeweiligen Fachunterrichts. Allerdings wurden die "Regeln des Lebens" (Korczak) im wesentlichen außerhalb der Schule im Rahmen der familiären, nachbarschaftlichen und kirchlichen Sozialisation gelernt. Mir ist nicht klar geworden, ob Klafki es bei dieser mittelbaren Thematisierung belassen will oder ob er die Beziehungsdimension und die damit verbundene Moralität nun unmittelbar zum Gegenstand des Unterrichts machen will. In diesem Falle wäre darauf hinzuweisen, daß die Schule für eine solche direkte Intervention keinerlei Legitimation mehr hat, da ihr dafür weder ein kollektives Milieu mehr als Umfeld zur Verfügung steht, noch der Staat als Bezugsgröße gewählt werden kann, weil dieser diesseits der Legalität alle normativen Entscheidungen, auch für minderjährige Schüler, freigegeben hat. Deshalb wäre die Beziehungsebene nur in weltanschaulicher Einseitigkeit im Unterricht zu behandeln, wenn die disziplinierende Sachbezogenheit der Fächer unterlaufen würde.

4. Im Grunde wird zumindest bei den ersten drei "Schlüsselproblemen" eine didaktische Konstruktion, die für ein bestimmtes Fach, nämlich die politische Bildung, entwickelt wurde, auf den gesamten Fächerzusammenhang übertragen und somit verallgemeinert. Für die politische Bildung in der Schule war es aber von Anfang an ein Problem, wie man die aktuellen politischen Kontroversen, in denen sich ja in der Regel darüber hinausgehende strukturelle politische Konflikte verbergen, für den Schulunterricht didaktisch derart rekonstruieren könne, daß einerseits diese Aktualität zum Ausgang genommen, andererseits aber auch allgemeine, also auf neue Konfliktfälle zu übertragende Einsichten dabei gewonnen werden könnten; das waren die Ansätze der sogenannten "Konfliktdidaktik". Im Zusammenhang solcher Überlegungen entstand die Idee, umgekehrt nach grundlegenden Problemen und Konflikten zu suchen - vergleichbar den "Schlüsselproblemen" - , die nun unabhängig von der politischen Aktualität, auf die der Unterricht ja nicht immer warten kann, systematisch behandelt werden könnten, wobei die jeweilige Aktualität allenfalls als Einstieg oder Aufhänger zu benutzen wäre. Die Lösung dieses Problems erwies sich jedoch als ungemein schwierig, wenn man parteiliche Einseitigkeiten oder bloß moralisierende Kurzschlüsse vermeiden wollte. Die sachlichen Schwierigkeiten ergeben sich vor allem daraus, daß das, was ein scheinbar klares "Schlüsselproblem" zu sein scheint - wie etwa das Problem des Friedens - , in Wahrheit sich als ungemein komplexer und sich ständig verändernder Sachverhalt darstellt, und zwar um so mehr, je präziser die didaktische Analyse wird und je mehr z.B. wegen der Verständnisfähigkeit der Schüler verdichtet und somit eben auch aus der Komplexität gestrichen werden muß. Zudem setzt ein derart strukturierter Unterricht eine besonders hohe fachliche Kompetenz des Lehrers voraus, der ja diese Komplexität

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selbst erst einmal begriffen haben muß, um sie dann vernünftig didaktisch reduzieren zu können (1). In der Praxis hat sich schnell gezeigt, daß von diesem Ansatz oft nur moralisierende Vereinfachungen übrig blieben.

5. Wegen dieser Schwierigkeiten schon für dasjenige Fach, das der Sache nach dafür am ehesten zuständig wäre, muß als ausgeschlossen erscheinen, die von Klafki skizzierten "Schlüsselprobleme" - oder auch andere dieser Art - als Grundlage einer neuen Allgemeinbildung zu definieren, deren Aufklärung alle Fächer zu ihrer Aufgabe machen sollen. Dafür sind diese Probleme ihrer Natur nach zu unscharf gegeben, und jeder Versuch, sie für den Unterricht didaktisch zu präzisieren, wäre willkürlich und allenfalls nur assoziativ möglich. Die von einem solchen Verfahren erhoffte Integration der Vorstellungen - die Schüler wissen jederzeit, an welchem Problem sie arbeiten, gleichgültig, in welchem Fach sie gerade unterrichtet werden - ist eine Illusion; herauskommen könnten vielmehr nur additiv aneinander gereihte Stoffinseln. Die Lehrer andererseits müßten nicht nur ihr Fach beherrschen, sondern zugleich auch noch genügend Sachverstand für die politische Komplexität der fraglichen "Schlüsselprobleme" aufbringen - normalerweise eine glatte Überforderung. Diese Probleme lassen sich ohne erheblichen Wirklichkeitsverlust didaktisch nicht komprimieren. Wendet man sich jedoch lediglich daraus abgeleiteten Teilthemen zu, die vielleicht fachspezifisch zu bearbeiten wären, dann wird der Kontext zum übergeordneten Problem wiederum zufällig und willkürlich.

6. Die "Schlüsselprobleme" sind in ihrem Kern ein politisches Phänomen, d.h. sie sind nicht einfach gegeben, sondern beruhen auf einer interessenbedingten Definition. Es gibt kein soziales oder politisches "Problem", es sei denn, jemand definiert es entsprechend mit Aussicht auf öffentliche Aufmerksamkeit. Solange z.B. niemand die Benachteiligung von Frauen im öffentlichen Leben problematisierte, war sie zwar eine Tatsache, aber für niemanden im politischen Sinne ein Problem. Weil das so ist, ist die Bestimmung von "Schlüsselproblemen", also solchen, die als gleichsam exemplarische Kernprobleme weiterer Detailprobleme angesehen werden können, jedenfalls nicht so zuverlässig möglich, wie es für einen über Jahre verlaufenden schulischen Bildungsgang notwendig wäre. Das lehren uns schon die mit dem Zusammenbruch des Ostblocks entstandenen neuen Problemlandschaften, von denen wir vor dem Fall der Mauer kaum etwas geahnt haben. Die "Schlüsselprobleme" sind kein Stoff, der sich didaktisch zweckmäßig reduzieren ließe. Entsprechend ihrem Definitionscharakter erwachsen sie vielmehr aus dem politischen Handeln und seinen Begründungen selbst. Ein erheblicher Teil des politischen Argumentierens besteht bekanntlich darin, die jeweils eigene Problemdefinition ins politische Spiel und in die öffentliche Meinung zu bringen.

7. Weil das so ist, gibt es für die Formulierung solcher Schlüsselprobleme in jener Erweiterung, die Klafki über den politischen Unterricht hinaus vornimmt, kei-

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ne besondere fachwissenschaftliche und somit auch keine fachdidaktische Kompetenz mehr, welche die notwendigen und komplizierten Sachdefinitionen geistig disziplinieren, sachlich fundieren und somit auch öffentlich vertreten könnte. Deshalb wäre eine willkürliche oder sogar weltanschaulich aufdringliche didaktische Konstruktion der daraus abgeleiteten Themen und ihrer Interpretation Tür und Tor geöffnet. Ich schließe mit dieser Skepsis nicht aus, daß es sinnvoll sein könnte, zumindest teilweise die Schulfächer an übergreifenden Themen und Stoffen zu orientieren; sollen aber die eben erwähnten Gefahren vermieden werden, dann muß dabei die innere Logik der Fachstruktur gewahrt bleiben können. Von sich aus fächerübergreifend sind Handlungsstrategien und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsstrukturen bis hin zur ideologischen Verhärtung, aber die Aufklärung dieser Phänomene ist immer an begrenzte fachliche Perspektiven gebunden, schon weil sonst die Schüler ihr Wissen nicht ordnen könnten. Schulfächer sind auch wichtige geistige Ordnungsinstrumente, - nicht zuletzt für die Lehrer selbst. Deshalb plädiere ich wie Klafki durchaus dafür, grundlegende politisch-gesellschaftliche Probleme, die die Heranwachsenden voraussichtlich später zu den ihren machen müssen, in den Kanon der Allgemeinbildung aufzunehmen, aber nicht als fächerübergreifende Aufgaben, sondern als Kern des dafür zuständigen Faches: der politischen Bildung.

8. Ein weiteres, ebenfalls schon in der politischen Bildung ausführlich erörtertes Problem ergibt sich aus dem Pluralismus jedes problemorientierten didaktischen Konzepts. Klafki stellt mit Recht fest, daß es zur Selbstbestimmung des Schülers gehöre, seine eigene Position zur Geltung bringen zu dürfen, woraus er folgert, "daß die Lehrenden in einem so verstandenen pädagogischen Dialog den Lernenden gegenüber bestenfalls graduelle Vorsprünge haben, also Mit-Lernende, kritisch Befragte und Befragende sind und es ständig bleiben müssen" (S. 61 f.). Andererseits habe dies "nichts mit Beliebigkeit und prinzipienlosem Pluralismus zu tun" (S. 62). Gerade in diesem Widerspruch stecken aber die Schwierigkeiten. Eine politische oder sonstige Meinung darf jeder Bürger ohne irgendeine Begründung oder sonstige Rechtfertigung äußern. Klafki möchte aber unter seinem Bildungsanspruch solche Meinungsäußerungen in der Schule an bestimmte Bedingungen knüpfen, etwa an "Argumentationsbereitschaft" und "Empathie" (S. 62). Ich halte das insofern für richtig, als in der Schule - genauer gesagt: im Unterricht - nicht irgendwie, sondern nur unter derartigen Ansprüchen miteinander geredet werden sollte. Aber eine solche Maxime, die sonst für den Umgang der Bürger nicht gelten muß, macht die schulische Kommunikation gerade politisch exterritorial. Wenn Klafki dem zustimmen sollte, dann besteht der "Vorsprung" des Lehrers aber doch gerade darin, diese Maxime gegen "Beliebigkeit" und "prinzipienlosen Pluralismus" durchzusetzen. Auch in ihrer Rolle als Unterrichtende haben die Lehrer nicht nur "graduelle Vorsprünge", sondern hier ist ihr Vorsprung geradezu konstitutiv für den Unterricht; denn nur durch diese Differenz kann er sich legitimieren.

Es gibt offensichtlich einen Widerspruch zwischen dem Schüler als Bürger, der Meinungen ohne Begründungen äußern darf, und dem Schüler als Unterrichtsteilnehmer, der nur unter dem Vorbehalt der "Argumentationsbereitschaft" und

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der "Empathie" sprechen darf. Nun widerspräche es aller pädagogischen Vernunft, den Schüler als Bürger grundsätzlich nicht zu Wort kommen zu lassen. Zu lösen ist dieses Problem wohl nur dadurch, daß der Lehrer den Schülern ebenfalls in diesen beiden Rollen gegenüber tritt. Indem er zwischen diesen Rollen wechselt und diesen Wechsel jeweils deutlich macht, vermag er wenigstens tendenziell die sachlichen Zusammenhänge, die zu unterrichten seine Aufgabe ist, von deren normativen Implikationen zu trennen, die - wie z.B. alle politischen Fragen - der Diskussion unterliegen können. Stehen diese letzteren Fragen zur Debatte, hat er gar keinen Vorsprung mehr vor seinen Schülern, weil auf dieser Ebene alle Staatsbürger gleichrangig sind - was nicht ausschließt, daß seine Art der Argumentation und der persönlichen Stellungnahme durchaus Vorbildwirkungen haben mag; aber darauf kann er nicht setzen. Politisch gesehen ist der Pluralismus nun einmal "beliebig", was die erlaubten Meinungsäußerungen betrifft, und deshalb gehören diese nicht ohne vorgängige Klärung der Sachverhalte in den Unterricht. Ob bei solchen Klärungen auch an und für sich gewiß wünschenswerte "Einstellungen und Fähigkeiten" wie "Kritikbereitschaft- und -fähigkeit", "Argumentationsbereitschaft- und -fähigkeit" und "Empathie"( S. 63) dauerhaft angeeignet werden, bleibt wieder nur zu hoffen. Klafki erliegt hier der Versuchung, zuviel an sich Wünschenswertes in sein Bildungskonzept hineinzupacken, dadurch die Argumentation zu überfrachten und den Blick für das praktisch Realisierbare zu verlieren.

9. Zu den zu fordernden "Einstellungen und Fähigkeiten" zählt Klafki aber auch "vernetzendes Denken" bzw. - weniger modisch ausgedrückt - "Zusammenhangsdenken" (S. 63 f.). Dieser eher beiläufige Hinweis zielt nun aber auf den eigentlichen Kern der didaktischen Problematik. Soll nämlich die Arbeit an den Schlüsselproblemen nicht in einer geradezu endlosen Reihung von Einzelthemen versanden, die - um es im Schülerjargon zu sagen - "irgendwie" zusammenhängen, müssen die Themen um didaktische Grundmodelle herum organisiert sein, die die Schlüsselprobleme von sich aus - wie wir sahen - nicht hergeben. Für dieses Problem bietet Klafki leider keine Lösung an, und das liegt gewiß auch an der Struktur seines Konzeptes. Modellhafte didaktische Verdichtungen, um die herum sich viele Einzelthemen gruppieren ließen, sind nämlich nur auf dem Hintergrund einer fachlich-systematischen Strukturierung des Unterricht möglich. Sie finden sich jedoch inzwischen nicht einmal mehr durchgängig in der didaktischen Literatur der politischen Bildung. Beispiele für solche generellen Modelle wären etwa "Parlament", "Vertrag" und "Haushalt". Die Schlüsselprobleme jedoch, wie Klafki sie versteht, enthalten aus den bereits erwähnten Gründen von sich aus, d.h. von ihrer sachlichen Struktur her, keinerlei Hinweise auf ihre mögliche kategoriale Verdichtung. Da hilft auch Klafkis wiederholter Hinweis auf die Notwendigkeit fächerübergreifender Veranstaltungen nichts, denn in Probleme, die als solche didaktisch nicht hinreichend verdichtet werden können, vermögen auch kooperierende Fächer durch ihre bloße Kooperation keine Struktur zu bringen. Trotz der eigentlich jedermann einleuchtenden Schlüsselprobleme bleibt deshalb Klafkis Konzept auf eine eigentümliche Weise inhaltsleer.

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10. Es schwankt zudem zwischen der Aufklärung der Welt - als Aufklärung der Schlüsselprobleme - , die ein allgemeinbildender Unterricht vielleicht tatsächlich bis zu einem gewissen Grade leisten könnte, und der Herstellung personaler Dispositionen wie Einstellungen und Fähigkeiten, die der Unterricht nicht oder jedenfalls nicht planbar erreichen kann. Es gehe nicht nur um "kognitive Ansprüche", sondern auch darum, "emotionale Erfahrungen und Betroffenheiten zu ermöglichen, zum Ausdruck zu bringen und zu reflektieren, und die moralische und politische Verantwortlichkeit, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit anzusprechen" (S. 65).

Gegen die Betonung solcher außerkognitiver Aspekte läßt sich mancherlei einwenden, etwa daß sie in Wahrheit gar nicht realisiert werden können und deshalb illusorisch sind, oder daß sie möglicherweise sogar unerlaubt in die Persönlichkeitsrechte des Schülers eingreifen, weil betroffen zu sein und sich entsprechend zu äußern kein Anspruch öffentlicher Einrichtungen wie der Schule sein darf. Mir kommt es angesichts der Häufung solcher Postulate und ihrer offensichtlich konstitutiven Bedeutung für das Konzept aber eher auf die grundsätzliche Feststellung an, daß es zumindest in diesem Punkte kein "neues" Konstrukt ist, sondern ein altes. Neu wäre ein Bildungskonzept, das nun endlich auf vorgängige intentionale erzieherische Instrumentalisierungen verzichtet und uneingeschränkt auf die Aufklärung der Welt durch Unterricht setzt. Erzieherische Rückversicherungen im Bildungskonzept haben ja eine konservative, um nicht zu sagen autoritäre Tradition; sie dienten in der Vergangenheit nicht zuletzt dazu, die kritischen Implikationen, die dem Bestreben nach Aufklärung der Welt und der Position des einzelnen in ihr von Anfang an anhafteten, gegenüber den Herrschenden abzuschwächen. Es wäre lohnend, diesem Zusammenhang von aufklärender Bildung und diese Aufklärung sogleich wieder zurücknehmender Erziehung historisch einmal genauer nachzugehen. In einer modernen, demokratisch verfaßten und pluralistisch strukturierten Gesellschaft sind derlei Rücksichtnahmen und ihre Absicherung in bildungstheoretischen und didaktischen Konstruktionen einfach überholt.

Allseitige Bildung

Neben die Bestimmung der Allgemeinbildung als "Bildung für alle" und als "Bildung im Medium des Allgemeinen" tritt als dritte Dimension die "Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten" (S. 54). Darunter versteht Klafki "die Mehrdimensionalität menschlicher Aktivität und Rezeptivität" (S. 69), wie die Entwicklung entsprechender kognitiver, emotionaler, ästhetischer, sozialer, praktisch-technischer und ethischer bzw. religiöser Sinndeutungen. Mit dieser dritten Ebene wird die eben erörterte zweite der "Schlüsselprobleme" zugleich begrenzt, weil die einseitige Konzentration darauf die Gefahr der Blickverengung, der mangelnden Offenheit und auch der intellektuellen, emotionalen und moralischen Überforderung enthalte. Auf dieser Ebene komme es vor allem darauf an, "das Lernen zu lernen" (S. 70) durch

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Offensein für neue Erfahrungen, durch die Gewinnung von "Grundkategorien" und durch das Erlernen von Methoden zur Gewinnung neuer Informationen.

Während "der Problemunterricht über Schlüsselprobleme ... als verbindlicher curricularer Bestandteil gelten" (S. 73) soll, fehlen ähnlich verbindliche Aussagen über den subjektorientierten Teil der Allgemeinbildung. Jeder Unterricht setzt schließlich das "Offensein für neue Erfahrungen" voraus, und "Grundkategorien" müssen ja in irgendeiner Weise an Inhalte geknüpft sein. Hier führt Klafki keinen Gesichtspunkt ein, aus dem sich ein plausibler Kanon ergeben könnte, und der Hinweis auf das Lernen des Lernens bleibt von sich aus gänzlich inhaltsleer. Statt dessen wird die Inhaltsfrage den Schülern zugespielt. Sie sollen in beiden Bereichen Schwerpunkte setzen können, damit sie sich gemäß ihren Interessen und Begabungen auf einen von ihnen gewünschten Berufsbereich orientieren können; denn die "schematische Trennung von Allgemeinbildung und Berufsbildung" (S.74) müsse ebenso wie die Scheidung von theoretischer und praktischer Ausbildung aufgehoben werden.

Auch zu diesem dritten Teil des Allgemeinbildungskonzepts drängen sich einige Fragen auf:

1. Ausdrücklich nimmt Klafki hier Abschied von der Humboldtschen Vorstellung, daß Allgemeinbildung dasjenige Konzentrat an Bildung sei, daß jeder beruflichen Spezialisierung vorausgehen müsse, damit es gerade dadurch disponibel mache für eine ganze Reihe von möglichen beruflichen Tätigkeiten; diese Vorstellung beruhe auf "irrigen Voraussetzungen" (S.74). Mir scheint das Gegenteil richtig zu sein; denn ein Blick in die Einstellungspraxis der modernen Industrie zeigt schnell, daß allgemeine Qualifikationen hier im Vergleich zu früher heute eher als wichtiger angesehen werden. So sind viele Stellen für qualifizierte Facharbeiter, die früher mit Volks- bzw. Hauptschulabgängern besetzt wurden, längst für Fachhochschulabsolventen vorgesehen. Diese scheinen wegen ihrer höheren Allgemeinbildung - was immer das heißen mag - offensichtlich disponibler zu sein für Anlernprozesse an Aufgaben, die jeweils anliegen. Die überhaupt zunehmende Tendenz, auch für untere und mittlere Positionen in der Wirtschaft möglichst hohe Allgemeinbildungsabschlüsse vorauszusetzen, spricht jedenfalls gegen Klafkis Schlußfolgerung. Der in den siebziger Jahren erneuerte Versuch, der für hinfällig gehaltenen allgemeinen Bildung durch Berufs- und insoweit auch Praxisorientierung neues Leben einzuhauchen, ist auf der ganzen Linie - auch im Rahmen der Lehrerbildung - gescheitert, weil solche Fixierungen die notwendige Mobilität nur eingeschränkt haben. Das läßt sich an folgender Überlegung demonstrieren: Wären alle Jugendlichen fähig, das Abitur zu machen, gäbe es kaum einen Bedarf mehr für das "duale System", dessen Niedergang ja ebenfalls etwas mit den gestiegenen allgemeinen Qualifikationsanforderungen zu tun hat. Das duale System der deutschen Berufsausbildung entstand ja nicht deshalb, weil hier die Verbindung von Theorie und Praxis, von Kopf und Hand, ideal zu realisieren war; vielmehr handelte es sich dabei um eine Notlösung, weil höher gebildete Kräfte für derartige Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt jahrzehntelang nicht zu bekommen waren, was wiederum nicht zuletzt daran lag, daß die Gesellschaft sich eine höchstmögliche Bildung für alle ökonomisch nicht

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leisten konnte - teilweise sicher auch nicht wollte - , und daß andererseits auch nicht genügend Bildungspotential in der Bevölkerung vorhanden war. Eine höchstmögliche "Bildung für alle" scheiterte nämlich auch mangels Akzeptanz bei denjenigen Bevölkerungsschichten, die man dabei im Auge hatte; denn diese fanden dazu von ihrer familiären Tradition und von ihrem Milieu her über viele Generationen hinweg keinen sozio-emotionalen Zugang. Die Bildungswerbung der sechziger Jahre hat diesen Zusammenhang ja noch einmal deutlich sichtbar gemacht.

Klafkis Plädoyer für die Zusammenführung von beruflicher und allgemeiner Bildung ist historisch überholt. Seit Kerschensteiners Vorstoß in diese Richtung um die Jahrhundertwende entsprang das Thema ohnehin eher einer moralischen Verlegenheit als zweckmäßigen Überlegungen. Es ging damals um die Lösung der "sozialen Frage", nämlich um die Integration der Arbeiterschaft in die bürgerliche Gesellschaft, die das Bürgertum wesentlich auch als kulturelle Integration verstand. Dazu gehörte, daß auch die Arbeiterkinder in den Olymp des deutschen Bildungsdenkens einziehen sollten - allerdings ohne daß dadurch ihre tatsächlichen gesellschaftlichen Chancen nennenswert verbessert wurden. Daß Berufsbildung - richtig verstanden - auch Allgemeinbildung sein könne, hat seither die Pädagogik immer wieder beschäftigt. In dem Maße jedoch, wie die Bildungsschranken fielen - mit einem letzten großen Schub seit Anfang der siebziger Jahre - verlor dieses Thema an Bedeutung. Aktuell ist es nur noch insofern, als der Übergang von einer berufsorientierten Bildungskarriere in das Hochschulsystem ohne unzumutbare Belastungen - im Prinzip also auch ohne Abitur - möglich sein und verbessert werden müßte.

Diese prinzipielle Frage nach dem Verhältnis von Allgemeinbildung und Berufsbildung ist zu trennen von der anderen, welche Bildungsgänge denjenigen Schülern angeboten werden können oder sollen, die den Ansprüchen einer allgemeinbildenden Schule nur in Grenzen gewachsen sind; hier würde es um optimale Förderung einer Minderheit gehen, und dafür mag eine etwa am Handwerk orientierte Kombination von unterrichtlicher und praktischer Bildung besonders geeignet sein. Moderne Berufsausbildung setzt sich jedoch zunehmend aus einer möglichst hohen schulischen bzw. hochschulischen Qualifikation einerseits und An- bzw. Umlernprozessen im Betrieb andererseits zusammen. Das vielfach hochgelobte "Praktische" an der alten handwerklichen bzw. gewerblichen Berufsausbildung verliert in dem Maße an allgemeiner Bedeutung, wie die "alten Industrien" - im Ruhrgebiet deutlich erkennbar - aussterben und technologisch anspruchsvolleren Unternehmen Platz machen müssen. Diese Tendenz legt vielleicht nahe, in den Kanon der Allgemeinbildung stärker als bisher Elemente aus dem Wirtschaftsbereich einzubeziehen, aber nicht wegen ihrer jeweiligen Nähe zu bestimmten Berufen oder Berufsgruppen, sondern weil sie heute zu den generellen Grundlagen einer allgemein gebildeten Persönlichkeit gehören. Skepsis ist jedoch angebracht gegen individuelle Schwerpunktbildungen auf der gymnasialen Oberstufe oder als individualisiertes "Bildungsprofil" in anderen Schularten bzw. - stufen, weil sie jedenfalls von der Berufsorientierung her nicht mehr sinnvoll begründbar sind. Wenn die allgemeinbildende Schule das Allgemeine im

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Sinne dessen, was der beruflichen Qualifikation vorangeht, nicht mehr lehren zu können glaubt, muß sie ihre Schüler in die berufsbezogenen Schulen entlassen, anstatt berufliche Scheinqualifizierungen unter dem Signum der Allgemeinbildung anzubieten. Jedenfalls scheint gerade derjenige Aspekt des Humboldtschen Konzeptes, den Klafki für "irrig" hält, heute im Gegenteil einer besonderen Aufmerksamkeit würdig.

2. Auch die alte, an Humboldt orientierte Bildungstheorie hat ja den Gesichtspunkt der Förderung möglichst aller Fähigkeiten des Kindes ernst genommen, was etwa dem Fächerkanon zu entnehmen ist, zu dem ja immer auch künstlerisch-ästhetische Fächer gehörten. Weil Klafki aber gerade der Aufteilung des schulischen Lernens in Fächer eher ablehnend gegenüber steht und statt dessen einen möglichst fächerübergreifenden Unterricht favorisiert, vermag er auch den subjektorientierten Teil seines Allgemeinbildungskonzepts nicht weiter zu präzisieren; auch dieser ist folgerichtig auf eine eigentümliche Weise inhaltsleer. Ungeklärt bleibt auch, welche Fähigkeiten die Schule eigentlich mit ihren Mitteln, nämlich denen des Unterrichts, überhaupt entwickeln helfen kann, und welche zu ihrer Entfaltung außerschulischen Angeboten überlassen bleiben müssen. Diese Frage wäre leichter zu beantworten, wenn Allgemeinbildung als ein die Schule übergreifendes Konzept verstanden würde, an dem sich dann auch andere pädagogische Instanzen wie Jugendarbeit oder Freizeitpädagogik orientieren könnten.

Vorschläge

Meine Kritik des von Klafki vorgelegten Allgemeinbildungskonzeptes löst natürlich die damit angesprochen Probleme nicht. Aber möglicherweise könnten die folgenden Überlegungen die Diskussion weiterführen:

1. Ich stimme Klafki darin zu, daß ein modernes Allgemeinbildungskonzept eine höchstmögliche Bildung für alle im Blick haben muß. Das ist schon aus politischen Gründen in unserer demokratischen Staats- und Gesellschaftsverfassung geboten. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß die damit verbundenen Anforderungen nicht gegliedert sein dürften, - ob nun im Sinne eines mehrgliedrigen Schulwesens oder im Sinne einer schulforminternen Stufung der Leistungsansprüche. Ich warne auch davor, mit dieser Maxime schulorganisatorische, didaktische und unterrichtsmethodische Einzelfragen zu koppeln, - nicht nur, weil das den erforderlichen politischen Konsens gefährden muß, sondern vor allem auch, weil eine solches Verfahren wissenschaftlich nicht zu halten ist. Die Antwort darauf, welche Unterrichtsmethode oder welche Zusammensetzung einer Lerngruppe für ein bestimmtes Bildungsziel optimal ist, ist von so vielen variablen Bedingungen abhängig, daß sie nicht von vornherein mit einem allgemeinen Bildungskonzept verbunden werden darf. Andererseits ergibt sich aus der Maßgabe einer höchstmöglichen Bildung für alle unstreitig auch eine besondere Pflicht zur Förderung benachteiligter Kinder, was aber nur unter Vorgabe des Normalanspruchs einer bestimmten Bildungsstufe sinnvoll sein kann.

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2. Auch der Forderung nach allseitiger oder jedenfalls möglichst vielseitiger Bildung kann ich mich grundsätzlich anschließen. Beschränkt man jedoch den Begriff der Allgemeinbildung auf die Schule, muß man auch die Grenzen sehen. Sie liegen zum einen in den Unterrichtsstoffen und zum anderen im methodischen Repertoire beschlossen. Im allgemeinen dürfte z.B. der Mathematikunterricht andere menschliche Saiten zum Klingen bringen als der Musikunterricht, obwohl das tatsächlich nicht immer der Fall sein muß. Unterrichtsmethoden, die auf Einzelarbeit setzen, fordern andere Fähigkeiten heraus als solche, die nur kooperativ zu erledigen sind. Aber schulische Arbeit ist in erster Linie Kopfarbeit. Andererseits ist nicht zu bezweifeln, daß jedes menschliche Handeln - also auch das Lernen - rationale und emotionale Aspekte miteinander verbindet. Gleichwohl werden diese in unterschiedlichen Lebenssituationen verschieden akzentuiert - in Intimsituationen z.B. anders als in der Öffentlichkeit. Der Mensch muß jeweils entscheiden, welcher der beiden Dimensionen er in einer bestimmten Situation die Führung überläßt. Insofern ist durchaus statthaft, im Unterricht den Primat der Rationalität zu verlangen, was nicht ausschließt, daß die emotionalen Implikationen dabei ebenfalls angesprochen werden können, wenn die Schüler dies wünschen; aber da man über Gefühle schlecht argumentieren kann - außer über ihre Folgen für das Verhalten - müssen sie hier, im Raum der Schule, den rationalen Ansprüchen des Unterrichts untergeordnet bleiben. Es ist also keineswegs anthropologisch widersinnig, in bestimmten Lebenssituationen den Vorrang des rationalen Diskurses zu fordern, schließlich beruht berufliche Zuverlässigkeit - zumal wenn Sicherheitsrisiken minimiert werden sollen - in hohem Maße darauf. Zudem gibt es keinen logisch zwingenden Zusammenhang zwischen bestimmten Gedanken und den durch sie mobilisierten Gefühlen, deshalb reagieren auch Schüler auf ein und denselben Schulstoff emotional durchaus unterschiedlich. Schon aus diesem Grunde ist es gar nicht möglich, Betroffenheiten ins unterrichtliche Kalkül einzubeziehen. Pestalozzis gegenwärtig oft zitierte Maxime, Lernen müsse "mit Kopf, Herz und Hand" erfolgen, hatte die besondere Bildungssituation einer bestimmten Klientel im Blick und kannte zudem noch keine moderne Arbeitsteilung (2). Die Geschicklichkeit der "Hand" muß gewiß geübt werden, aber letzten Endes gehorcht sie den Befehlen des Kopfes, und rationales Lernen ist generell keineswegs erfolgreicher, wenn es mit praktischen Tätigkeiten verbunden ist; "Praxis" in diesem Sinne kann Denken auch stören und behindern. Überhaupt wäre es ein Fehler, ein Allgemeinbildungskonzept von vornherein mit bestimmten methodischen Vorgaben zu versehen; das inzwischen reiche Repertoire an methodischen Inszenierungsmöglichkeiten muß vielmehr grundsätzlich offen gehalten werden.

3. Wir werden nicht darum herumkommen, das Kanonproblem wieder aufzugreifen: Welche Fächer sind mit welchen Themen warum allgemeinbildend? Was soll die Schule lehren und in welcher geistigen Struktur soll sie das tun? Aus praktischen Gründen schlage ich vor, dieses Problem nicht vom Nullpunkt aus

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zu entwickeln, sondern den Weg der Korrektur des gegenwärtigen Zustandes zu wählen. Auf jeden Fall müßten dabei mehrere Gesichtspunkte miteinander kombiniert werden:

a. Allgemeinbildung muß strukturiert sein im Hinblick auf die gegenwärtigen und künftigen Partizipationsmöglichkeiten des Kindes. Bildung ist so gesehen Teilhabehilfe. Dabei geht es vor allem um die berufliche, kulturelle und politische Beteiligung, und charakteristisch für Allgemeinbildung ist eben, daß keine von ihnen einen Vorzug erhält, - im Unterschied zur späteren beruflichen Ausbildung. Nur in diesem Sinne läßt sich die eben erwähnte Forderung verstehen, daß alle Fähigkeiten des Kindes zu fördern seien, sofern dies mit den Mitteln der Schule möglich ist. Allerdings ziehe ich für die Konkretisierung dieser Forderung eine soziale bzw. politische Definition der sonst üblichen anthropologischen vor. Man kann zwar Allgemeinbildung gleichsam an und für sich denken, ohne Rücksicht auf historisch gebotene Konkretisierungen, und dann liegt der anthropologische Ansatz natürlich nahe. Aber unsere Kinder wachsen nicht überhaupt, sondern in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft auf. Wie die pädagogische Diskussion immer wieder zeigt, werden bei anthropologischen Ableitungen neben wissenschaftlich einigermaßen gesicherten Erkenntnissen stets eine Reihe von Spekulationen und nicht konsensfähigen Sinndeutungen mobilisiert, die eine pragmatische Verständigung ungemein erschweren. Die notwendige Neuformulierung der Allgemeinbildung muß sich jedoch beschränken auf das, was allgemeine Zustimmung finden kann, und deshalb auf die Beantwortung von Sinnfragen verzichten, diese vielmehr dem Bildungsprozeß selbst überantworten. Nicht strittig kann dagegen sein, daß die Kinder die tatsächlichen Chancen, die unsere Gesellschaft ihnen bietet, auch nutzen lernen sollen. Dafür brauchen sie aber grundlegende Kenntnisse über die jeweiligen Wirklichkeitsaspekte, die zwar auch unter dem von mir gewählten sozialen Maßstab nicht eindeutig zu bestimmen sind, aber doch wohl mit hinreichender Übereinstimmung gefunden werden könnten. Diese Chance erhöht sich in dem Maße, wie man darauf verzichtet, im Angebot der Allgemeinbildung mehr zu sehen als Grundlagen für weitere schulische und außerschulische Lernprozesse. Die traditionelle Vorstellung von einem Kanon als in sich geschlossenem geistigen System ist nicht mehr realistisch.

Die Chance zur Partizipation muß allen Kindern vom Eintritt in die Schule an als eine grundsätzlich gleiche gewährt werden. Jedes Kind muß dann allerdings in seinem weiteren Bildungs- und Lebensweg selbst entscheiden, wieweit es sie nutzen, also bis zu welcher Stufe es vordringen will. Damit ist eine zusätzliche Schwierigkeit angesprochen. Früher, als die Chancen des Kindes jeweils schichten- und klassenspezifisch weitgehend vorweg, also ohne Zutun des Kindes selbst, prädestiniert waren, konnte man von verschiedenen "Bildungsaufträgen" der - von der Grundschule abgesehen - nebeneinander existierenden Schulformen ausgehen. Das aber ist politisch nicht mehr vertretbar. Heute können wir allenfalls noch im Hinblick auf die unterschiedlichen Leistungsstufen (Grundschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium) von verschiedenen Bildungsaufträgen, genauer gesagt: von verschiedenen Stufungen des Bildungskonzepts spre-

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chen. Ohne eine solche Rangfolge, die subjektiv auch erfahrbar wird, ergäbe es für die Schüler kaum einen Sinn, sich jahrelang Tag für Tag in Schulen aufzuhalten. Solche Graduierungen können aber nicht aus der je subjektiven Innerlichkeit abgleitet werden ("Lernen lernen"), sondern nur aus entsprechenden auseinander hervorgehenden Aufgaben, die wiederum nur von der sachlichen Seite, also von den Unterrichtsstoffen her definiert werden können. Gerade weil wir aber die Partizipationsperspektive nicht mehr klassen- oder schichtspezifisch vorgeben können, ist die Festsetzung der Bildungsinhalte, die zunächst für alle Kinder (etwa in der Grundschule) gelten sollen, um sich dann in Schulstufen bzw. Schulformen zu differenzieren, schwierig geworden. Wir müssen heute für alle Kinder eine Allgemeinbildung formulieren, obwohl wir nicht wissen, in welchem sozialen Rahmen, mit welchem Status und unter welchen Handlungskonstellationen sie später davon Gebrauch machen werden. Diese Unklarkeit zwingt zu relativ abstrakten Überlegungen, - so ähnlich, als wollte man eine Berufsausbildung planen ohne zu wissen, welchen Berufen sie eigentlich dienen soll. Dieser Problematik kann man jedoch nicht dadurch entgehen, daß man die inhaltlichen Entscheidungen zunehmend auf die Schüler verlagert und das euphemistisch als Individualisierung bezeichnet. Die Gesellschaft muß schon selbst sagen und begründen, was sie warum von der nachwachsenden Generation an Bildungsanstrengungen erwartet.

b. Die allgemeinbildende Schule ist schließlich eine Veranstaltung der ganzen Gesellschaft, keine bloß pädagogische. Die Gesellschaft hat ein existentielles Interesse daran, daß die jeweils nachwachsende Generation das bereits vorhandene Potential an Kenntnissen und Fähigkeiten zumindest übernehmen, möglichst sogar übertreffen kann. Ohne eine Garantie für diesen Stabwechsel der Generationen würden das gesellschaftliche Leben und damit auch die Lebensqualität eines jeden einzelnen zusammenbrechen. Deshalb muß es Lehrpläne bzw. Richtlinien, Leistungsanforderungen und deren Kontrolle geben, weil sonst die Lernarrangements in den Schulen beliebig würden und insofern am gesellschaftlichen Zweck der Veranstaltung Schule vorbeigehen könnten. Jede nachwachsende Generation braucht - wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen der Leistungsfähigkeit - einen gemeinsamen Bestand von Kenntnissen, Fähigkeiten und Weltvorstellungen, um die gesellschaftlichen Funktionen später wenigstens mit einem Minimum an Gemeinsamkeiten übernehmen zu können. "Bildung im Medium des Allgemeinen" darf deshalb nicht auf wenige, zudem im wesentlich politisch definierte "Schlüsselprobleme" reduziert werden. Zugleich dienen die gesellschaftlichen Vorgaben dazu, den Kindern und Jugendlichen aus eigenem Recht, nicht aufgrund ihrer Geburt oder Herkunft, einen ihren Leistungen angemessenen gesellschaftlichen Status zu ermöglichen. Diese Gemeinsamkeiten in Lehrplänen und Richtlinien festzulegen, ist heute nicht einfach und wohl nur im Rahmen eines möglichst großen gesellschaftlichen Konsenses zu erreichen. Bei Klafki allerdings spielen die gesellschaftlichen Vorgaben der Allgemeinbildung kaum eine Rolle.

c. Der künftige Kanon wird nicht mehr in erster Linie auf bestimmten Wissensmengen basieren können, obwohl die gegenteilige Erwartung schon wegen ihrer

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praktikablen Verwaltungsfähigkeit schwer auszutreiben sein wird. Informationen werden aber in Zukunft jederzeit und überall verhältnismäßig leicht abrufbar sein. Vielmehr kommt es auf die Herausbildung grundlegender, exemplarischer oder sonstwie modellhafter Vorstellungen an, in der bedeutsame Aspekte der Wirklichkeit so konzentriert werden können, daß diese Verstehensstrukturen flexibel mit neuen Informationen verbunden werden können. Gewiß spielt dabei auch ein Mindestmaß an Wissen nach wie vor eine Rolle, aber nur insofern es zum Aufbau grundlegender geistiger Strukturen bzw. zu ihrer Erweiterung benötigt wird. Die Aufgabe besteht paradoxerweise darin, mit einem Minimum an Wissen (im Sinne von Informationen) ein Optimum an Vorstellungskraft zu erzielen. Dafür wäre übrigens Klafkis ursprüngliches Konzept der "kategorialen Bildung" nach wie vor hilfreich. Solche grundlegenden Strukturen können nur von den jeweiligen Fachdidaktiken in Zusammenarbeit mit den Fachwissenschaften gefunden werden.

d. Abschied zu nehmen ist von solchen Lernzielkonstruktionen, die nicht diese geistigen Strukturen aufgliedern, sondern ihnen als außersachliche, z.B. handlungsorientierte Zielvorstellungen vorgegeben sind. Dieses Verfahren löst die logische Struktur der Fächer auf zugunsten additiv herausgepickter Stoffinseln, wie sie sich längst in Richtlinien und Schulbüchern niedergeschlagen haben. Diese Tendenz wird durch fächerübergreifende Stoffpläne oder durch Zusammenlegung von Fächern noch verstärkt, falls dabei nicht logisch gegliederte Strukturen herauskommen, die auch dem Schüler plausibel werden lassen, wieso er sich über Jahre hinweg damit beschäftigen soll.

e. Allgemeinbildung ist nur aufgeteilt in Fächer denkbar, die bestimmten Bereichen der Wirklichkeit entsprechen. Deren Zahl, innere Struktur und Stoffe sind jedoch nicht einfach aus wissenschaftlichen oder allgemeindidaktischen Prämissen ableitbar, sie können nur pragmatisch verhandelt werden. Das Streben nach Konsens kann aber dadurch erleichtert werden, daß in keiner Hinsicht Vollständigkeit angestrebt werden muß und kann. Die Fachorientierung ist aus mehreren Gründen unerläßlich:

- Ohne sie wäre keine Wissenschaftsorientierung des Unterrichts möglich; diese ist aber Voraussetzung für die sachliche Zuverlässigkeit dessen, was unterrichtet wird. Alle denkbaren Alternativen dazu wären weltanschaulich begrenzt und deshalb nicht konsensfähig.

- Ohne Fächer wäre eine öffentlich kontrollierbare Ausbildung der Lehrer nicht möglich.

- Ohne fachorientierten Unterricht könnten weder Schüler noch Eltern Vertrauen in die Kompetenz der Lehrer haben.

- Ohne Fächer könnten die Schüler ihre erworbenen Kenntnisse, Einsichten und Vorstellungen nicht ordnen. Es ist nicht möglich, an und für sich zu lernen.

f. In den letzten Jahrzehnten ist üblich geworden, auf gesellschaftliche Probleme mit neuen Fächern, Stoffen oder Fächerkombinationen zu reagieren. Auch den angeblichen Bedürfnissen und Perspektiven der Schüler sollte auf diese Weise

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Rechnung getragen werden. Zustande gekommen ist aber lediglich eine Addition, die längst keinen erkennbaren inneren geistigen Zusammenhang mehr zum Ausdruck bringt. Die Diskussion einer neuen Allgemeinbildung muß diesen Prozeß bilanzieren und prüfen, was davon wirklich grundlegend für gegenwärtig und künftig offene Optionen und Partizipationen ist und was auch später noch gelernt werden könnte, wenn Interessen, Status und Handlungsrichtung der Schüler genauer erkennbar sind. So wäre etwa zu fragen, ob nicht eine Fremdsprache, nämlich Englisch, möglichst früh und möglichst gut gelernt werden sollte, während weitere Fremdsprachen höheren Bildungsstufen bzw. entsprechenden Berufsausbildungen vorbehalten werden sollten. In ähnlicher Weise wären andere Fächer und Stoffe zu durchforsten mit dem Ziel, die wirklich bedeutsamen Grundlagen einer für alle Kinder konzipierten und sich gleichwohl in Stufen zu entfaltenden Bildung zu ermitteln. Das wird allerdings nur gegen einschlägige politische wie verbandliche Interessen möglich sein.

4. Kommt es einerseits unter dem Leitmotiv der Allgemeinbildung auf die Herausbildung von angemessenen Weltvorstellungen an, auf die "Herstellung eines richtigen Bewußtseins" (Adorno), so andererseits auf die Übung der dafür benötigten formalen Fähigkeiten. Für das damit Gemeinte ist der Begriff "Schlüsselqualifikationen" populär geworden. Wie das Wort ausdrückt, soll es sich dabei um solche Fähigkeiten und Fertigkeiten handeln, die, einmal gelernt, wie ein Schlüssel die Tür zu weiteren sich daraus ergebenden Fähigkeiten zu eröffnen vermögen. Ich verwende dieses Bild jedoch nur ungern, weil es zu viele noch ungeklärte Implikationen enthält. Was ist dabei ein Schlüssel für was? So gilt "Teamfähigkeit" vielfach als eine solche Qualifikation, etwa in dem Sinne, daß diese soziale Fähigkeit, von der Grundschule an gelernt, später auf das Berufsleben übertragbar sei - eine Ansicht, die auch von Wirtschaftsvertretern gelegentlich geäußert und deshalb gern als positive Rückmeldung in der Schulpädagogik vermerkt wird. Sieht man genauer hin, dann stellt sich jedoch schnell heraus, daß es sich dabei um kaum mehr als bloße Analogie handelt. In der Grundschule wird darunter meist verstanden, daß in kleinen Gruppen z.B. drei gute Schüler mit zwei weniger guten ("soziales Lernen") zum gemeinsamen Erfolg gelangen. Das aber können Wirtschaftsvertreter nicht ernsthaft meinen, denn zu dem Zweck, weniger Leistungsfähige zu fördern, würden sie diese nicht einstellen. Wahrscheinlich meinen sie einen bestimmten Umgangsstil in ihrem Unternehmen, der dem Betriebsklima und damit auch der Effizienz zugute kommt. Den kann man in der Tat auch in der Schule lernen, Voraussetzung dafür sind aber nicht bestimmte didaktisch-methodische Arrangements. "Teamarbeit", die dieses Wort im Unterschied zur allgemein üblichen Zivilität des Umgangs verdient, ist auch in der Wirtschaft keineswegs generell üblich, sondern auf bestimmte Projekte beschränkt, bei denen Mitarbeiter zusammenwirken müssen, die einerseits eine hohe gemeinsame Qualifikation aufweisen und zugleich einzeln über jeweils spezielle Kenntnisse verfügen, die für die Lösung eines Problems notwendig sind.

Die formalen Fähigkeiten, die im allgemeinbildenden Unterricht der Schule gelernt werden können, sind demgegenüber begrenzt. Es sind vor allem die folgenden:

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- die Fähigkeit, dem Unterricht überhaupt zu folgen, oder allgemeiner: einem anderen konzentriert, aufmerksam und unter Verzicht auf unmittelbare materielle (Essen, Trinken) und emotionale Bedürfnisbefriedigung zuzuhören;

- die Fähigkeit, Arbeitsaufgaben (Hausaufgaben, Referate) zu übernehmen und selbständig zu gestalten;

- die Fähigkeit, sich argumentativ an der Klärung von Sachverhalten und an der Lösung von Konflikten zu beteiligen;

- die Fähigkeit, sich empathisch in andere zum Zweck des Verstehens hineinzuversetzen;

- die Fähigkeit, Informationen selbständig zu recherchieren und anderen in einem geordneten gedanklichen Zusammenhang zu vermitteln;

- die Fähigkeit, allein oder mit anderen Strategien für die Lösung von Problemen zu entwickeln.

5. Die Neuformulierung der Allgemeinbildung wird die Tatsache der pluralistischen Sozialisation voraussetzen und akzeptieren müssen. Daraus resultiert aber, daß die Schule nur ein Instrument im Konzert der gesamten Sozialisation darstellt, und daß die Allgemeinbildung, die sie vermittelt, nur eine Intervention in Lebenszusammenhänge darstellt, über die sie im übrigen nicht verfügen kann. Die der Allgemeinbildung zugrunde liegende Idee der Aufklärung kann außerhalb der Schule nur in dem Maße wirksam werden, wie die durch sie vermittelten Qualifikationen dort auch gebraucht und abgerufen werden.

6. Bildungsreformen können - und müssen wohl auch - politisch-parteiliche Ausgangspunkte und Tendenzen ins Feld führen; denn dabei geht es immer in irgendeiner Form um die Korrektur von Benachteiligungen bestimmter Gruppen von Kindern. Die letzte Reformdebatte dieser Art setzte bekanntlich Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre ein.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt geht es jedoch eher um eine Bilanz und Konsolidierung der Entwicklung der letzten 30 Jahre. In diesem Zusammenhang ist auch das neue Interesse an der Allgemeinbildung zu verstehen. Soll sie jedoch realistisch formuliert werden, bedarf sie eines breiten gesellschaftlichen Konsenses, um den möglicherweise auch erst wieder öffentlich gestritten werden muß. Aus den erwähnten Gründen ist Klafkis Entwurf als Grundlage für einen solchen Konsens nur bedingt geeignet; weil er zu sehr den alten, seinerzeit nicht unberechtigten reformpädagogischen Vorstellungen parteilich verhaftet ist.

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Anmerkungen:
(1) Ausführlicher dazu: H. Giesecke: Kleine Didaktik des politichen Unterrichts, Bad Schwalbach 1997, ferner: ders.: Politische Bildung, Weinheim - München 1993

(2) Vgl. H. Giesecke: Die pädagogische Beziehung, Weinheim 1997


 
 

185. Lehreralltag - Alltagslehrer (1997)

In: Die Deutsche Schule, H. 1/1997, S. 123

 
Ernst Rösner/ Wolfgang Böttcher/ Hjalmar Brandt (Hg): Lehreralltag - Alltagslehrer. Authentische Berichte aus der Schulwirklichkeit. Reihe Pädagogik Beltz, Beltz-Verlag Weinheim-Basel 1996, 270 S., DM 29,80

GEW und VBE hatten 1994 in verschiedenen Verbandszeitschriften Lehrerinnen und Lehrer dazu aufgerufen, über ihren Alltag zu schreiben. Das Ergebnis ist beachtlich. Von 150 eingegangenen Manuskripten wählten die Herausgeber 62 aus. Die Beiträge stammen aus allen Schularten, von Referendaren und "alten Hasen", von Männern und Frauen, und sie berichten über Schwierigkeiten und Erfolge, Enttäuschung und Zorn, über gelungene und gescheiterte Projekte. Insgesamt ist dabei ein interessantes Lesebuch voller produktiver Widersprüche entstanden. Allerdings bleiben, da ja die Autoren mit vollem Namen zeichnen und der Ort ihrer Tätigkeit angegeben ist, Konflikte innerhalb des Kollegiums und mit der Administration nur angedeutet. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zu den Schülern, die teils konventionell, teils aber auch in eindringlichen Szenen und Verläufen erzählt wird. Einige Kostproben: Da wird z.B. eine Lehrerin von einer Schülerin ermutigt, das Loszubrüllen zu lernen, um dem Chaos ein Ende zu setzen. Oder eine 8. Gesamtschulklasse will endlich einmal "richtige" Literatur lesen, stürzt sich mit Begeisterung auf "Romeo und Julia", versucht, zentrale Szenen in verteilten Rollen zu sprechen, ringt dabei mit der "altmodischen" Sprache des Textes; die Lehrerin vergißt darüber ihre "Lernziele" und gerät ins Grübeln, ob die Schüler mit den üblichen "Lernzielhäppchen" nicht unterfordert seien. Ein Lehrer beschreibt am Beispiel eines einzigen Vormittags, wieviele Vorschriften er mißachten muß, um vernünftig handeln zu können. Eingestreut in die Texte sind "Fundstücke aus Klassenbüchern" wie "Olaf wirft gezielt mit Kreide auf den Lehrer" oder "Töhne bohrt Schrauben in die Tische".

Gemessen an diesen Texten wirkt ein als Einleitung gedachtes Interview mit den Vorsitzenden der GEW und des VBE eher konventionell, weil verbandspolitisch abgewogene Äußerungen nun einmal eine andere Textsorte darstellen; dabei soll wohl insbesondere der Wille zur Zusammenarbeit beider Organisationen deutlich werden, dessen Produkt ja auch das vorliegende Buch ist. Von ihm können alle profitieren, die in welcher Weise auch immer mit der Schule zu tun haben. 





Hermann Giesecke

185a. Über meine Erfahrungen als Hochschullehrer (1997)

In: Hermann Giesecke zur Emeritierung. Abschiedsveranstaltung am 1. November 1997. Hrsgg. vom Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen.  = Reden und Vorträge in der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät 16. Göttingen 1997, S. 13 - 25

(Der Text ist hier vollständig wiedergegeben, die Rechtchreibung wurde aktualisiert. H.G. Nov. 2013)

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich bin in dieser Fakultät, die zunächst Pädagogische Hochschule, dann Pädagogische Hochschule Niedersachsen, Abteilung Göttingen, dann - nach der Integration in die Universität Göttingen - Fachbereich Erziehungswissenschaften hieß, und kurz vor ihrem Ende nun den Status einer Fakultät bekommen hat, 30 Jahre tätig gewesen. Das ist eine lange Zeit, die eine ausführliche Bilanz durchaus rechtfertigen würde, für die hier aber natürlich die Zeit fehlt. Deshalb möchte ich mich darauf beschränken, einige gute und einige weniger gute Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen. Ich beginne mit den guten.

Vorgestellt habe ich mich hier Anfang 1967 mit einem Vortrag über "Didaktische Probleme der Freizeiterziehung" - nicht ahnend, dass wir zu diesem Thema einmal einen Studiengang bekommen würden. Den Beginn meiner Professorenkarriere verdanke ich einer Reihe glücklicher Umstände. Der erste war, dass meine Berufung in einer Zeit der Bildungsexpansion erfolgte, als der Professorenmarkt sozusagen leergefegt war, aber dringend Hochschullehrer gebraucht wurden. Als ich im Sommersemester 1967 hier zu lehren begann, konnte ich nämlich außer meiner Dissertation kaum etwas vorweisen, was diese Berufung fachlich gerechtfertigt hätte. Die Kolleginnen und Kollegen, die mich damals gewählt haben, hatten also großes Vertrauen in meine Zukunft - das war der zweite glückliche Umstand; ich hoffe, ich habe dieses Vertrauen nicht allzu sehr enttäuscht. Meine Dissertation mit dem Titel "Die Tagung als Stätte politischer Jugendbildung" hat wohl außer den Gutachtern und meinem damaligen Kieler Assistentenkollegen und Freund Hans-Georg HERRLITZ niemand gelesen. Ich musste sie nämlich nicht drucken, und das war ebenfalls ein Glück; denn sie war so miserabel geschrieben, dass mein Doktorvater Theodor WILHELM - der ein glänzender Stilist ist - mit Kritik an der "Imponiersprache", wie er es nannte, 

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nicht sparte. Dass diese Arbeit trotzdem zu einem Bestseller wurde, lag einmal daran, dass ich den Originaltext nicht drucken musste, so dass mir der Stoff frei verfügbar blieb, zum anderen daran, dass ich in dem damaligen Inhaber des Juventa-Verlages - Martin FALTERMAIER - einen Verleger fand, der einerseits den Mut hatte, den gänzlich unbekannten Autor herauszubringen, der andererseits aber die sprachlichen Mängel des ursprünglichen Manuskriptes ebenso kundig wie entschieden kritisierte; er konfrontierte mich mit der schlichten Frage, wer das eigentlich warum lesen solle. Das war der vierte Glücksfall. So wurde aus dem nahezu unlesbaren Original die erfolgreiche "Didaktik der Politischen Bildung"; sie wurde über die Jahre mehr als 80.000 mal verkauft. Der auch für den Verleger überraschende Erfolg war allerdings ein weiterer Glücksfall, weil das Thema offensichtlich in der Luft lag und andere Autoren sich nur etwas später mit der Sache beschäftigten als ich; ich war mit diesem Buch also in eine Marktlücke gestoßen.

Aber das Thema und die Art und Weise seiner Bearbeitung sollten ein Grundmotiv meiner weiteren Arbeit bleiben. Ich möchte es als den Versuch bezeichnen, das, was ich praktisch tat, auf den Begriff zu bringen, und von daher mein Handeln auch wieder zu überprüfen. Vielleicht kann man es auch psychologisch ausdrücken: ich versuchte auf diese Weise, professionelle Sicherheit zu gewinnen, die ich keineswegs von Anfang an besaß. Die Dissertation ging aus der außerschulischen politisch-bildenden Lehrgangsarbeit in den Jugendhöfen Viotho und Steinkimmen hervor, an der ich fast während meiner ganzen Studienzeit mitgewirkt hatte. Ich fasste im Wesentlichen die intensiven Diskussionen, die wir damals über die Ziele und Schwierigkeiten unserer pädagogischen Arbeit geführt hatten, zusammen und versuchte, sie in ein didaktisches System zu bringen. Einige der hier Anwesenden werden sich daran noch erinnern.

Nun aber war ich Hochschullehrer, und diese neue Praxis hat mich seither ebenso intensiv beschäftigt. Fast alles, was ich seit 1967 geschrieben habe, geschah in didaktischer Absicht. Ich habe kaum etwas für Professoren verfasst, was ja eigentlich akademischer Usus ist, sondern hatte immer als Leser meine neuen Partner im Auge: die Studenten - und im weiteren Sinne alle, die sich für das Thema interessieren könnten - und die Kollegen - nicht nur die hiesigen -, die vor denselben praktischen Problemen standen wie ich selbst. Ich glaube nicht, dass ich mit meinen Arbeiten sehr viel zur erziehungswissenschaftlichen For- 

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schung im strengen Sinne beigetragen habe; empirisch habe ich ohnehin nie gearbeitet, auch nicht an noch unveröffentlichten Quellen. Es ging mir immer eher darum, das Bekannte - also von anderen bereits Erforschte - aber noch nicht Gewusste lehrbar zu machen, also um so etwas wie geschriebene Vorlesungen. Da man aber solche Texte verstehbar gliedern muss, ergab sich daraus dann doch notwendigerweise so etwas wie eine Strukturierung der Erziehungswissenschaft im Ganzen: Wer lehrt, definiert dadurch immer auch die Sache selbst. Als wir z.B. praktisch über Nacht nach der Auflösung unserer Lehrerstudiengänge den Studiengang "Freizeitpädagogik" bekamen, habe ich in wenigen Wochen - weil die Zeit ja drängte - das Buch "Leben nach der Arbeit. Ursprünge und Perspektiven der Freizeitpädagogik" geschrieben - gleichsam als eine Art Aufriss für diesen Studiengang. Aber der schon erwähnte Martin FALTERMAIER vom Juventa-Verlag wollte es eigentlich gar nicht haben und warnte mich: "Freizeitpädagogen lesen nichts". Er sollte insofern Recht behalten, als das Buch ein Flop wurde, pro Jahr wurden - nachdem sich die Bibliotheken versorgt hatten - zwischen 16 und 36 Exemplare verkauft. Ein anderes Beispiel: Das Buch "Hitlers Pädagogen" war insbesondere motiviert durch die jahrelange Erfahrung, dass ich für Seminare über das so wichtige Thema der Pädagogik im Nationalsozialismus trotz der an sich umfangreichen Literatur kein einführendes Buch fand, mit dem Studenten arbeiten können; also schrieb ich es selbst. Pädagogisch gesprochen habe ich mit meinen Publikationen meine Lehrveranstaltungen vor- und nachbereitet. Sogar im Genre der Ratgeberliteratur habe ich mich versucht, mit dem Bändchen "Wenn Familien wieder heiraten" - einer Art von Bau- und Betriebsanleitung für Patchwork-Familien, entstanden auf autobiographischem Hintergrund.

Aber auch Zorn ließ mich zur Feder greifen. Aus Verärgerung über die zur Phrase verkommene angeblich notwendige Handlungsorientierung des Pädagogikstudiums schrieb ich "Pädagogik als Beruf. Grundformen pädagogischen Handelns", das zu meiner und des Verlegers Freude - inzwischen war es Lothar SCHWEIM - wesentlich erfolgreicher war und ist als das Freizeitbuch. In diesem Buch ging es mir vor allem darum klarzustellen, dass soziales Handeln - also auch das des Lehrers im Unterricht - einen eigentümlichen Erkenntniszugang zur Welt darstellt, der nicht im Sandkasten der Hochschule vorweggenommen werden kann, weil soziales Handeln immer auf das unkalkulierbare Handeln an- 

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derer - z. B. der Schüler - trifft und sich mit diesem verwickelt. Selbst Planspiele können diesen Ernstfall nicht angemessen simulieren, weil hier das Handeln der anderen zwar eingebaut wird, aber erstens nur in typisierbarer Form und zweitens nur so, dass der Handelnde das Handeln der anderen selbst definiert und es somit im Griff behält - was im wirklichen Leben kaum vorkommt.

Auch das Buch "Wozu ist die Schule da?" war ein Produkt des Zorns, nämlich darüber, was inzwischen aus der Schule geworden ist; dieses Motiv merkt man dem Text allerdings kaum noch an, weil ich auf Anraten des Verlages - in diesem Fall war es Klett-Cotta - die bissigsten Polemiken wieder entfernt habe. Dabei liebe ich Polemiken als spielerische Maulfechtereien.

Aber hinter den Polemiken stand immer die Verteidigung der Idee der Aufklärung, die Überzeugung - vielleicht sollte ich sogar sagen: der Glaube -, dass die Menschen mit Hilfe ihres an den Methoden und Ergebnissen der Wissenschaften geschulten Verstandes ihre Lebensbedingungen verbessern könnten. Dieses Leitmotiv habe ich erst gegen konservative moralisierende Bildungsvorstellungen geltend gemacht und führe es nun gegen den Irrationalismus derer ins Feld, die die überlieferte Bildungsvorstellung überwunden zu haben glauben und etwa aus der Schule eine Wohnstube unter Leitung einer multikulturellen Übermutter machen wollen.

Meine didaktische Obsession muss für meine Kollegen manchmal anstrengend gewesen sein. Kaum war ich hier im Amt, führte ich gemeinsam mit einigen Kollegen für unsere mündlichen Prüfungen die Prüfungspapiere ein: die Studenten müssen für ihre Prüfungsthemen Papiere vorlegen, die neben der benutzten Literatur auch die sachliche Gliederung enthalten, so wie der Student seine Themen eben studiert hat; diese Papiere darf er auch selbst während der Prüfung vor sich liegen haben.

Wie Sie bemerken, verstoße ich gegen die Political correctness, weil ich die weiblichen Studierenden unter die männliche Form subsumiere. An die feministische Sprachregelung habe ich mich aber nie gewöhnen können, ich gebe ihr auch keine Zukunft - außer vielleicht in pädagogischen oder theologischen Zirkeln; schließlich weiß doch jeder, dass wir erfreulicherweise viele weibliche Studierende haben, die in unserer Fakultät sogar die überwältigende Mehrheit bilden. Unlängst sprach ein Student - ein männlicher - in seinem 

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Referat ständig von der "Arbeiterinnenbewegung", was ich zunächst nicht verstand; er meinte die von August Bebel geführte Arbeiterbewegung und hielt es einfach für ungerecht, dass die Arbeiterinnen von damals mit der nur männlichen Bezeichnung nicht genügend gewürdigt würden.

Aber zurück zu den Prüfungen. Meine Unbekümmertheit brachte unser Prüfungsamt anfangs in Bedrängnis, weil zunächst gar nicht sicher war, ob dieses Verfahren rechtlich zulässig ist. Inzwischen jedoch machen, soviel ich weiß, alle Kollegen davon Gebrauch. Neben praktischen Erwägungen - ich wusste einfach nicht, was ich die Kandidaten fragen sollte - war auch hier wieder eine didaktische Überlegung maßgebend: aufgrund der Erfahrungen meiner eigenen Studienzeit und meiner Kieler Assistentenzeit war und bin ich davon überzeugt, dass das geisteswissenschaftliche Studium, wozu die Pädagogik ja gehört, nur als jeweils individuelles erfolgen kann. Die Lehrveranstaltungen sind dafür nur ein Service, ein Anlass, eine Ermutigung, eine Werkstatt. Unter dieser Voraussetzung ist es nur folgerichtig, dass der Prüfungskandidat kundgibt, was er in welcher geistigen Ordnung studiert hat, und dass der Prüfer - wenn es vorher mit ihm verabredet war - sich auch daran hält. Das Prüfungspapier macht aus der Abfrageprüfung eine dialogische. Selbst wenn jemand Jahrzehnte lang studiert und selbst wenn er dabei Professor wird, kann er mühelos jemanden finden, der ihn bei einer Prüfung hereinlegt; in diesem Raum sitzen einige, die mich entsprechend vorführen könnten.

Übrigens bin ich auch bei schriftlichen Arbeiten entsprechend verfahren. Ich habe nicht bewertet, was ein Kandidat nicht geschrieben hat, aber vielleicht oder vielleicht sogar eigentlich hätte schreiben sollen oder gar müssen; meine Texte muss ich schon selbst schreiben. Zur Autonomie des Studierens gehört auch die je persönliche Verantwortung als Autor, der lediglich danach zu bewerten ist, ob er die allgemeinen Regeln des sorgfältigen Recherchierens und der logisch plausiblen Darstellung erfüllt hat. Um das zu üben, diente mein eigens dafür eingerichtetes Kolloquium, das seit mehr als 25 Jahren in meiner Wohnung stattfindet. Dieser Tapetenwechsel sollte je nach Thema und Engagement des Teilnehmerkreises ein "open end" ermöglichen und über den Anlass hinaus auch allgemeine Diskussionen zulassen. In den siebziger Jahren wurde das Kolloquium als Diskussionsforum teilweise exzessiv bis in die Nacht hinein genutzt. In diesem Kreis werden Gliederungen 

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diskutiert unter dem Gesichtspunkt des Nutzens, den ein imaginierter gutwilliger Leser von der Lektüre des späteren Textes haben könnte; der muss z. B. auf Seite 50 wissen, warum er die 49 Seiten davor hat zur Kenntnis nehmen müssen. Etwas zu schreiben ist immer auch eine Zumutung für den, der es lesen soll oder gar muss. Als kleine Eselsbrücke habe ich den Kandidaten die Vorstellung zu vermitteln versucht, ihre Texte - werbend um Aufklärung - für ihresgleichen zu schreiben, also etwa für die Mitglieder des Kolloquiums; erst Dissertationen werden bekanntlich für Professoren verfasst - und so sind sie dann meistens auch geschrieben. Außer vielleicht in Tagebüchern kann man nicht schreiben, ohne eine Vorstellung vom Leser zu haben; das nicht zu wissen, war schon der entscheidende Mangel meiner Dissertation.

Mit meinem Amtsantritt brach die Studentenbewegung los. Sie hat mich eine Zeitlang sehr verwirrt, weil ich ihren politischen Zielen zunächst nahestand, aber für ihre rabaukischen Attitüden einerseits schon zu alt war, andererseits die Tendenzen zur Entwertung der akademischen Ansprüche entschieden ablehnte. Ich konnte z.B. der Idee der Gruppenprüfungen nichts abgewinnen, in denen die Zensuren nach den Leistungen der besten Gruppenmitglieder für alle vergeben werden sollten. Diese Vorstellung ist übrigens inzwischen in der Grundschule gelandet, wo unter "Teamarbeit" verstanden wird, dass drei gute Schüler zwei schlechte mitschleppen, weil das angeblich die Wirtschaft so verlange. Ich war nicht davon zu überzeugen, dass der Kapitalismus weniger repressiv würde, wenn nur noch gute Zensuren erteilt würden. Nicht wenige hielten das Privileg des Studierens offensichtlich für eine soziale Diskriminierung. Damals kam in Mode, die Professoren geradezu advokatorisch zu fragen, welche Lernziele sie denn mit ihrer Lehrveranstaltung verfolgten; meine Antwort war, dass ich nicht einmal von mir selbst vorher wisse, was ich am Ende einer Veranstaltung gelernt haben würde, wie könne ich das dann für 40 Studierende vorher einplanen. 

Es war eine verrückte Zeit, voller Engagement und Erfindungsreichtum, aber auch gesättigt mit Verstiegenheiten - und mit unübersehbaren gegen-aufklärerischen Tendenzen, die erst heute in der sich fortschrittlich dünkenden Schulpädagogik und Schulpolitik voll durchschlagen. Von heute aus gesehen scheint es so, als hätten die Studenten die sogenannte

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Hochschulreform, die uns dann soviel zu schaffen machen sollte, erzwungen; tatsächlich waren sie jedoch ihre Opfer. Damit bin ich schon bei den weniger guten Erinnerungen.

Angeblich war die Reform wegen der Überfüllung notwendig, aber die gab es auch schon zu meiner Studienzeit und sie begründete geradezu die Freiheit des individuellen Studierens. Dieses setzt offenbar ein Mindestmaß an Überfüllung und damit seine faktische Unkontrollierbarkeit voraus. Die Überfüllung war in der Tat auch bei uns im wörtlichen Sinne nicht zu übersehen. Mein erstes Proseminar fand in dieser Aula mit über 300 Teilnehmern statt - die Teilnehmerliste habe ich noch. Meine erste Vorlesung hielt ich ebenfalls hier - der Raum war bis zu den Rängen gefüllt. Aus ihr entstand das Buch "Einführung in die Pädagogik".

Normalerweise schreibt man Einführungen auf der Grundlage einer umfassenden Kenntnis seines Faches. In meinem Falle war es umgekehrt: ich habe zunächst dieses Buch geschrieben und danach erst seine einzelnen Themen gründlicher studiert. Verfasst habe ich es im Wesentlichen während einer Kur im Schwarzwald, wo ich mich langweilte und nachts wenig Schlaf fand. Es beruhte im Kern auf einem intuitiven Einfall, der von der Frage ausging, von welchem unbestreitbaren Ausgangspunkt her man die Pädagogik als Wissenschaft überhaupt entwerfen könne, die ich ja nun lehren sollte. Dass der Mensch von Natur aus ein erziehungsbedürftiges Wesen sei, wie Kant gesagt hatte, ist immer wieder bestritten worden; aber dass er von Geburt an ein lernbedürftiges Wesen sei, hat noch niemand geleugnet. So hatte ich mit dem Oberbegriff des Lernens einen festen Bezugspunkt gewonnen, von dem aus sich alles andere einigermaßen mühelos entfalten und dann eben auch wissenschaftlich bearbeiten ließ. Er war zudem wertfrei, wie es sich für eine ordentliche Wissenschaft gehört, und mit ihm ließen sich nun auch solche gesellschaftlichen Phänomene pädagogisch untersuchen, die sich nicht pädagogischen Absichten verdanken, wie etwa der Strafvollzug, der Tourismus oder der Industriebetrieb. Die Tragweite dieser These ist mir allerdings erst später bewusst geworden; denn auf diese Weise wurde der Begriff der Erziehung ja dem des Lernens untergeordnet und meine spätere Streitschrift "Das Ende der Erziehung" war hier bereits vorbereitet, ohne dass ich es selbst schon wusste.

Die Studenten waren natürlich einerseits Nutznießer der erwähnten Expansion, weil nun viele studieren konnten, denen dies aus mancherlei Gründen früher nicht möglich gewesen 

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wäre. Zugleich waren sie auch Opfer dieser Entwicklung, weil nun ein Studium immer weniger mit einer fraglos privilegierten Berufsperspektive verbunden war. Opfer waren sie aber auch noch in anderer Hinsicht: die neue drittelparitätische Gruppenuniversität - diese Parität wurde dann durch das Verfassungsgericht geändert - ermöglichte ihnen zwar Mitbestimmung in den Gremien, aber sie waren und sind die einzige Gruppe, die dafür nicht bezahlt wird, sondern ihre Studienzeit dafür investieren muss. Manche haben sich damals dabei regelrecht aufgerieben und hatten dann Mühe, ihren Abschluss zu machen. Ich habe seinerzeit in einem Aufsatz eine andere Auffassung vertreten: die Studenten sollten ihre Interessen gegenüber den Lehrenden gewerkschaftsähnlich organisieren, aber sich nicht in den Gremien verschleißen; die Arbeit sollten die tun, die auch dafür bezahlt werden. Auch heute noch halte ich zwar nicht den Grundsatz, aber die Art und Weise der studentischen Mitbestimmung für eine Fehlkonstruktion, und im Grunde ist sie ja auch weitgehend gescheitert.

Opfer sind die Studierenden noch in einer dritten Hinsicht geworden und bis heute geblieben, und das hat mich am meisten erzürnt, weil es die Substanz meines professionellen Selbstverständnisses tangierte. Sie waren nämlich die 'nützlichen Idioten' - um einen Ausdruck von damals zu verwenden - der Bürokratisierung der Universitäten, für die ganz andere Interessen maßgeblich waren als die ihren. Auf dem Hintergrund des Hochschulrahmengesetzes von 1976 wurden in Niedersachsen mit einem gigantischen Personalaufwand berufsbezogene Studienordnungen entwickelt. Für uns bedeutete dies, dass wir nicht mehr wie früher einfach ein Seminar z.B. über Johann Heinrich Pestalozzi anbieten sollten für diejenigen, die es interessierte; vielmehr musste nun gesagt werden, ob es für diesen oder jenen Studiengang, im Haupt- oder Nebenfach, im Grundstudium oder Hauptstudium usw. vorgesehen sei. Nun erst wurde die Studienplanung für die Studierenden gänzlich unkalkulierbar. 

Die Studienordnungen sollten das Studium übersichtlich machen, in eine vernünftige Reihenfolge bringen und Leerlauf vermeiden. Von Anfang an waren sie aber in erster Linie das Produkt von Marktabsprachen unter den beteiligten Fächern. Je mehr Wochenstundenzahlen für mein Fach dabei herausspringen, um so bedeutsamer ist mein Fach, und je wich- 

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tiger mein Fach ist, um so wichtiger bin ich als Vertreter meines Faches. Auf diese Weise haben wir die Arbeit der ministeriellen Administration erledigt, der es nur um eine rechnerisch plausible Grundlage für Stellenentscheidungen ging: Wie viel Lehrende braucht man, um wie viel Studierende mit einer bestimmten Menge von Lehrveranstaltungen zu 'versorgen'? Unter dem Druck des Finanzmangels interessieren inzwischen solche Konstruktionen, die schnell zu Fiktionen wurden, die Administration kaum mehr; die Hochschulen bleiben auf ihren aufgeblasenen Berechnungen von damals gleichsam sitzen.

Wegen der unterschiedlichen Interessen an den Studienordnungen haben diese nicht zur Verbesserung des Studiums beigetragen, sondern es im Gegenteil nur verschult, mit dem Ergebnis, dass die studentische Eigenleistung, nämlich das Studieren außerhalb der Lehrveranstaltungen, darin gar nicht mehr vorkommt. Nun übertrugen die Studierenden ihre Schulerfahrungen vertrauensvoll als Erwartungen an die Universität. Sie verstanden jetzt die Lehrveranstaltungen als den Inbegriff der Studieninhalte selbst, nicht mehr als eine Hilfe für selbstständiges Studieren; was geprüft wurde, musste vorher auch gelehrt worden sein, und zwar in ständigem Turnus, damit jeder im Laufe seines Studiums auch damit befasst werden konnte. Die Studienordnungen haben das Studieren und somit eine entscheidende ökonomische Ressource der Hochschule weitgehend vernichtet. Die Hochschulreform war insofern von Anfang an selbst das Übel, das sie beseitigen sollte; sie hat für die Studierenden buchstäblich nichts verbessert, außer dass die Praktika einen hohen Stellenwert bekamen, den sie bei uns hier allerdings immer schon hatten.  

Da das alles streng genommen gar nicht organisierbar ist, trat notwendigerweise eine Doppelbödigkeit ein, die die Studierenden noch mehr verunsicherte: offiziell sollten sie sich daran orientieren, aber die Lehrenden selbst konnten sich beim besten Willen nur sehr eingeschränkt daran halten, wenn sie das nicht - wie ich - überhaupt für Unsinn hielten. Ich habe den Studierenden immer geraten: Studieren Sie erst einmal, was Sie interessiert, und bei der Anmeldung zur Prüfung verstauen wir dann das Ganze in die einzelnen Rubriken. Studieren war über weite Strecken nur noch als subversiver Akt möglich.

Nun wurden die Unterschiede zwischen den Veranstaltungsformen - z.B. Vorlesungen und Seminare - faktisch aufgehoben. Im Prinzip ist es im Sinne der Studienordnung gleichgültig, ob 16 Semesterwochenstunden in der einen oder anderen Form studiert werden. Da 

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'Scheine' als Leistungsnachweise sinnvollerweise nur im Rahmen von Seminaren erworben werden sollten, sind Vorlesungen weitgehend aus der Mode gekommen, weil man dafür eben keine Scheine bekommt. Den Nutzen davon haben - wenn auch nicht immer freiwillig - die Professoren, weil das Abhalten von Vorlesungen natürlich viel anstrengender ist und erheblich mehr Vorbereitungen erfordert als die Abhaltung von Seminaren. Außerdem müssen die Professoren ihre fachlichen Fähigkeiten in einer Vorlesung in ganz anderem Maße öffentlich präsentieren als in der 'geschlossenen Gesellschaft' eines Seminars. Die Entwertung der Vorlesungen führte dazu, dass die Studierenden nicht mehr lernen konnten, wie man einen Stoff didaktisch gut gegliedert studiert und präsentiert; sie konnten es nur noch voneinander lernen. 

Ein geisteswissenschaftliches Studium ist aber ganz überwiegend ein privates Lektürestudium, das nicht durch Lehrveranstaltungen ersetzt werden kann. Die Teilnahme an einem Seminar macht nur Sinn, wenn jeder Teilnehmer sich entsprechend vorbereitet hat, sonst vergeudet er seine und seiner Dozenten Zeit. Wem soviel Lektüre auf den Nerv geht, der tanzt in den Geisteswissenschaften auf der falschen Party und kann nicht erwarten, dass ihm als Kompensation dafür ein Motivationskindermädchen an die Seite gestellt wird. 16. Semesterwochenstunden und mehr für ein geisteswissenschaftliches Studium sind eine erhebliche Verschwendung von Ressourcen; warum sagt man den Studierenden nicht, was man von ihnen am Ende, nämlich bei der Prüfung erwartet? Dann könnten sie selbst entscheiden, wie viel Semesterwochenstunden sie dafür brauchen und würden nicht sowohl irregeführt wie auch bestraft, wenn sie mit sechs oder acht Stunden auskommen. Wenn man Studiengebühren einführen will, sollte man dies nicht pauschal tun, weil das nichts verbessern würde, sondern die Teilnahme an Seminaren kostenpflichtig machen, die Vorlesungen aber kostenfrei halten.

Noch verheerender wirkte sich die im Hochschulrahmengesetz vorgeschriebene Orientierung an der beruflichen Praxis aus. Wenn das Studium zu einem bestimmten Beruf - z.B. dem des Lehrers - führen soll, so lautet die Begründung, dann könne man doch den Studierenden nicht freistellen, was sie in ihren gewählten Fächern studieren, und schon gar nicht den Professoren, dass die gerade das lehren, was ihnen im Augenblick an ihrem Fach besonders wichtig erscheint. Angesichts einer solchen Vorstellung schüttelt sich offensicht- 

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lich jedes ehrbare Schulmeistergemüt. Aber nach aller Erfahrung ist es im Hinblick auf den künftigen Beruf nahezu gleichgültig, was jemand in seinen Fächern studiert, wenn er bzw. sie es nur intensiv genug tut - und so, dass dabei das Handwerk des wissenschaftlichen Recherchierens und Argumentierens gelernt wird. Sollte der Beruf später das verlangen, was nun gerade nicht besonders intensiv studiert wurde, so wird das einigermaßen mühelos nachgeholt werden können. Zudem ist die Frage, was für den späteren Beruf nun tatsächlich benötigt wird und was nicht, sachlich unentscheidbar und letztlich nur durch Machtentscheidungen - z.B. eines Hochschulgremiums -, also durch einen schlichten politischen Willensakt zu beantworten. Solche Entscheidungen mochten solange hingenommen werden, wie die Berufaussichten für Pädagogen einigermaßen gut waren. Inzwischen jedoch sind sie für alle geisteswissenschaftlichen Berufe sehr unsicher geworden. Studienreglementierungen - welcher Art sie auch sein mögen - entsprechen keiner Realität mehr, sie versprechen etwas, was sie nicht halten können, nämlich eine positive berufliche Perspektive, wenn man sich ihnen brav unterwirft. Der Praxisfetischismus der pädagogischen Studiengänge wird über kurz oder lang dazu führen, sie wieder aus der Universität herauszunehmen und an Fachhochschulen zu verlagern.

Geisteswissenschaften studieren heißt heute wie immer schon, sich in einem allgemeinen Sinne marktfähig zu machen und flexibel auf den Arbeitsmarkt reagieren zu können. Wer z.B. 'Freizeitpädagogik' studiert, kann anschließend in einem Freizeitheim landen oder im Journalismus oder im Tourismus oder auch in einem Wirtschaftbetrieb, weil man dort davon ausgeht, dass jemand, der Pädagogik studiert hat, anderen auch etwas beibringen kann. Vorhersehbar sind solche Möglichkeiten im Einzelfalle nicht, und deshalb muss die Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung des Studiums wieder an die Studierenden zurückgegeben werden.

Der berufspraktische Wert dieses Studiums besteht also paradoxerweise in seinem berufsunspezifischen, allgemeinbildenden Charakter, gerade nicht in einer bereits handlungsorientierten Verengung; dafür wird die Universität nicht benötigt. Selbst das 'praxisorientierte' Duale System der Berufsausbildung im Handwerk steuert, wie sich immer mehr zeigt, zunehmend auf eine berufsunspezifische, möglichst hohe Allgemeinbildung zu, nach dem Motto: "Je allgemeiner und grundlegender, um so berufstauglicher". Erst in die- 

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sem Vergleich wird klar, dass 'Praxisorientierung' kein fortschrittliches, sondern ein eklatant rückschrittliches Leitmotiv der Studienreform war und ist, jedenfalls in unserem Bereich, und die gegenwärtigen Vorschläge zur Neufassung des Hochschulrahmengesetzes versprechen keine Einsicht oder gar Besserung. Sachlich richtig bleibt nach wie vor, was der Soziologe Helmut SCHELSKY schon zu Beginn dieser Fehlentwicklung sinngemäß gesagt hat: Es gibt keine pädagogische Soziologie, es gibt nur soziologische Themen, die für angehende Lehrer vielleicht interessanter sind als andere soziologische Themen. 

Angesichts dieser Entwicklung, von der alle Beteiligten profitiert haben, nur die Studenten nicht, werde ich nicht ungern emeritiert. Allerdings hätte ich gerne noch mitbekommen, wie sich Lehren und Studieren durch die modernen Informationsmedien verändern werden. Ich bin davon überzeugt, dass die Veränderungen ähnlich nachhaltig sein werden wie seinerzeit durch die Erfindung des Buchdrucks. Dabei denke ich nicht nur an das Internet, sondern vor allem an die wissenschaftsdidaktischen Möglichkeiten der CD-ROM. Aber derlei mich faszinierende Perspektiven kann ich nur noch aus der Distanz beobachten. Mein Ausscheiden verläuft zeitlich fast synchron mit der Schließung dieser Fakultät. Diese Tatsache erspart mögliche Enttäuschungen. Ich kenne Kollegen in anderen Fachbereichen, die darunter leiden, dass ihre Professur nicht wieder besetzt wird, als sei das, was sie gelehrt haben, inzwischen überflüssig geworden. Eine solche Kränkung muss ich nicht befürchten, denn bei uns werden alle Stellen nach dem Ausscheiden gestrichen. Damit entfällt auch die sonst übliche Sorge, ob es gelingt, einen Nachfolger zu finden, der 'würdig' genug erscheint, die eigene Arbeit fortzusetzen; solche Nachfolgen können sich, wie die Erfahrung zeigt, zu persönlichen Tragödien auswachsen. Auch so etwas stand in meinem Fall gar nicht erst zur Debatte. So gesehen ist mein Abschied unbeschwert.

Er gibt mir aber Gelegenheit, allen denjenigen Dank zu sagen, die für meine berufliche Laufbahn und Tätigkeit von Bedeutung waren: meiner Familie, meinen akademischen Lehrern und hier insbesondere Theodor WILHELM, von dem ich mehr gelernt habe, als er wissen kann. Zu erwähnen sind meine Freunde, die mich unterstützt und ermutigt, aber auch zu meinem Nutzen kritisiert haben, und nicht zuletzt auch die Verleger und Schriftleiter - männlich wie weiblich -, mit denen ich zu tun hatte, und die mir durch Kritik und Ermutigung geholfen haben, ein professionelles Verhältnis zu meinen Texten zu gewinnen. 

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Zu danken habe ich aber auch den Studierenden, die mich in der Differenz der Generationserfahrungen immer wieder gezwungen haben, meine eigene Sicht der Dinge zu überdenken. Je älter der Professor wird, um so jünger werden bekanntlich die Studenten und vor allem die Studentinnen, und wenn sie schließlich so jung geworden sind, dass der Professor zu fragen beginnt, ob sie denn das alles schon dürfen, was sie tun: dann wird es Zeit für die Emeritierung.

Gerade an diesem Ort hier gehört mein Dank aber in besonderem Maße meinen Kolleginnen und Kollegen. Einige sind mir zu Freunden geworden, mit niemandem fühle ich mich verfeindet, das halte ich für eine akzeptable Bilanz von 30 Jahren Berufstätigkeit. Es war wegen der erwähnten Umbrüche unvermeidlich, dass wir uns teilweise heftig gestritten haben, und vermutlich hat mein Eigensinn, den ich soeben noch einmal angedeutet habe, manchen irritiert; ich hoffe, ich habe niemanden dabei gekränkt. Ich weiß sehr wohl zu schätzen, dass mir meine Kolleginnen und Kollegen erlaubt haben, meinen Weg zu gehen, und sie haben mich dabei etwa im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung erheblich unterstützt und entlastet. Besonders erwähnen möchte ich diejenigen Kolleginnen, die in all den Jahren meine Texte geschrieben haben, bevor ich mich - mit ihrer Hilfe - selbst noch auf den Computer einließ; ohne ihre geduldige und engagierte Unterstützung wären meine Veröffentlichungen so nicht möglich gewesen.

Nicht zuletzt möchte ich ganz besonders herzlich denjenigen danken, die mir bei der Gestaltung dieses Tages geholfen haben, vor allem meinem Kollegen Prof. Dr. HOFFMANN für seine liebenswürdigen und kollegialen Worte zur Eröffnung dieser Veranstaltung, und natürlich den Musikern, die mir eine große Freude bereitet haben.
Ich wünsche Ihnen allen beruflich wie privat das, was Sie sich von ihrem weiteren Leben selbst erhoffen, und ich danke Ihnen noch einmal herzlich, daß Sie mir heute die Ehre gegeben haben.

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