Hermann Giesecke
Bildungsreform und Emanzipation
Ideologiekritische Skizzen
München 1973Zu dieser Edition
Inhalt
1. Allgemeinbildung, Berufsbildung, politische Bildung - ihre Einheit und ihr Zusammenhang =
http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke9.htm#72. 8. Was heißt: studentische Mitbestimmung?
= http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke7.htm#57.
2. Bildungspolitische Dogmen
= http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke10.htm#76.
3.
Vergessen will gelernt sein - Zum Problem des "lebenslangen Lernens"
4. Von der Einheitsschule zur Gesamtschule - Interessenwidersprüche zwischen Lehrern und Arbeiterkindern
= http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke10.htm#80.
5. Wissenschaft lernen. Die Krise der technologischen Hochschuldidaktik
= http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke8.htm#65.
6. Kritik des verwalteten Lernens. Über einige didaktische Probleme der "»wissenschaftlichen" Lehrerbildung
= http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke8.htm#63.
7. Überfüllte Seminare und hochschuldidaktische Fetische. Zur Kritik der antiwissenschaftlichen Lehrerbildung
= http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke11.htm#87.
= http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke7.htm#59.
9. Erziehung gegen den Kapitalismus? Neo-marxistische Pädagogik in der Bundesrepublik
= http://www.giesecke.uni-goettingen.de/werke11.htm#84.
Statt einer Einleitung:
Das gegen-emanzipatorische ideologische Syndrom der Bildungsreform
Dieser
Band fasst eine Reihe von Arbeiten aus den letzten vier Jahren
zusammen, die sich mit der Bildungsreform, insbesondere mit der
Hochschulreform, der Hochschuldidaktik und der Lehrerbildung befassen.
Sie sind zwar unabhängig voneinander entstanden, dienen aber alle der
gleichen Intention: es sind Versuche, bildungspolitische
Reformvorschläge und Ideen am Postulat zunehmender Emanzipation zu
messen. Da es sich um ursprünglich selbständige Beiträge handelt, sind
gewisse Überschneidungen und Wiederholungen unvermeidlich, allerdigs
steht gleichwohl
das Wiederholte in einem jeweils eigentümlichen gedanklichen und
argumentativen Kontext, ist also - didaktisch gesprochen -
"Wiederholung unter neuem Aspekt". Auch der Zeitpunkt der Entstehung
der einzelnen Arbeiten ist nicht unwichtig: Es hätte vielleicht
nahegelegen, alle Beiträge im Hinblick auf das gegenwärtige Bewusstsein
des Verfassers zu überarbeiten, die ursprünglichen Fassungen also nur
als Rohmaterial dafür zu betrachten. Aber das hätte den falschen
Eindruck erweckt, als ob der Verfasser in der Lage sei, ein in sich
abgerundetes, systematisches Konzept zur Sache vorzutragen. Tatsächlich
handelt es sich jedoch lediglich um einzelne mehr oder weniger
ausgeführte Vorstudien zu einem solchen systematischen Konzept, zu
deren Verständnis es nötig ist, auch wenigstens teilweise den
zeitlichen Prozess der Entwicklung einer Argumentation zur Kenntnis zu
nehmen. Nur dann wird zum Beispiel verständlich, warum auf die Dauer
immer stärker die Kritik der studentischen Ideologie in den Mittelpunkt
rückt, während die Kritik des Hochschullehrer- und
Bürokraten-Bewusstseins an sich nicht minder wichtig wäre. Darin
spiegelt sich jedoch nur die tatsächliche Entwicklung in den letzten
Jahren wider.
7
Diese Einleitung will nicht die einzelnen
Beiträge kommentieren, sondern versucht, die wichtigsten ideologischen
Faktoren des gegen-emanzipatorischen Reform-Syndroms, die in den
einzelnen Beiträgen eine jeweils unterschiedliche Rolle spielen, in
einem inneren logischen Zusammenhang zu skizzieren und abschließend die
Gründe für die öffentliche Dominanz dieses Syndroms wenigstens
anzudeuten. Im Verhältnis zu den einzelnen Beiträgen ist also diese
Einleitung eher so etwas wie ein paraphrasiertes Sachregister, während
die Beiträge selbst in einer verhältnismäßig groben sachlichen
Zuordnung aneinandergereiht sind: Auf den für das Ganze grundlegenden
ersten Aufsatz folgen zwei Beiträge zur allgemeinen Kritik zur
Bildungsreform; der 4. Beitrag leitet in der Form einer historischen
Kritik bildungspolitischer Prämissen über zu den Beiträgen 5 bis 7, die
sich mit der Lehrerbildung befassen; der 8. Beitrag erörtert die
Entwicklung der studentischen Mitbestimmung, und der 9. diskutiert die
Relevanz »linker« Gegen-Modelle zur offiziellen Bildungsreform. Die
gegenwärtige bildungspolitische Reformdiskussion könnte den Eindruck
erwecken, dass die "fortschrittlichen" und "rückschrittlichen"
Positionen klar unterschieden sind und dass es nur darauf ankomme, für
diese oder jene Position Partei zu ergreifen und sich unter ihre
Wortführer zu mischen. Die folgenden Beiträge sind jedoch getragen von
dem Misstrauen gegen das, was sich selbst fortschrittlich dünkt, und
von der Vermutung, dass es in der gegenwärtigen Bildungsreformdebatte
keine eindeutige "Fortschrittspartei" gibt, sondern dass alle
Positionen und Konzepte mehr oder weniger massive
gegen-emanzipatorische Tendenzen aufweisen, auch wenn sie einander
öffentlich und lautstark bekämpfen. Man kann dies ihre objektive, gegen
Fortschritt an Emanzipation gerichtete ideologische Allianz nennen.
Unsere These ist also, dass die gegenwärtige Bildungsreform im ganzen -
sieht man auf ihre Konzepte - überwiegend gegen-emanzipatorische
Tendenzen enthält, dass die unterschiedlichen Positionen und Konzepte
nur Varianten ein und derselben Ideologie sind.
8
Emanzipation durch Wissenschaft
Bevor
wir die wichtigsten Momente dieses ideologischen Syndroms unter Hinweis
auf die einzelnen Beiträge dieses Bandes aufzeichnen, muss das
Kriterium dargelegt werden, an dem unsere These belegt werden soll. Es
ist die von allem im 1. Beitrag ausführlich begründete Auffassung, dass
Emanzipation als Befreiung aus der hitorisch verschuldeten Unmündigkeit
und Unterdrückung nur zu haben ist im Durchgang durch die
wissenschaftliche Bearbeitung des Bewusstseins. Die "Herstellung eines
richtigen Bewusstseins" (Adorno), und zwar tendenziell für und durch
alle Menschen, ist die einzige Möglichkeit, sich der Idee der
Emanzipation theoretisch zu versichern, ihre konkreten
gesellschaftlichen Bedingungen und Chancen zu ermitteln und sich an
ihrer praktischen Realisierung im Kontinuum historischer Prozesse zu
beteiligen. Insofern es nämlich bei der Emanzipation immer um die
Befreiung aus historisch hergestellter Unmündigkeit und Unterdrückung
geht, muss das jeweils vorhandene Bewusstsein als ideologisch an diese
Verhältnisse gekettet betrachtet werden, und nur durch
wissenschaftliche Bearbeitung kann es sich Stück für Stück daraus
befreien. Dieses Postulat hat folgende Dimensionen:
1. Die
Differenz zwischen dem, was in relativ wenigen Köpfen als
wissenschaftlich erforschte bzw. theoretisch geordnete Einsicht in
gesellschaftliche Prozesse und Tendenzen vorhanden ist, und dem
empirisch vorfindbaren ideologischen Bewusstsein der Mehrheit muss so
gering wie möglich gehalten werden. Insofern ist jede der Emanzipation
verpflichtete Didaktik Wissenschaftsdidaktik - auch bereits für die
Grundschule. Es geht also nicht nur um den Fortschritt des
wissenschaftlichen Bewusstseins in separaten gesellschaftlichen
Institutionen (zum Beispiel Hochschule), sondern in der Gesellschaft im
ganzen. Reformkonzepte, die dies nicht zum Kernpunkt ihrer
Argumentation und Praxis machen, sind objektiv gegen-emanipatorisch.
9
2.
Der wissenschaftliche Betrieb, in dem der Fortschritt sowohl der
wissenschaftlichen Methoden und Kenntnisse selbst wie auch der
Verfahren ihrer öffentlichen Verbreitung produziert wird, kann nur in
dem Maße eine emanzipatorische Dienstleistung sein, wie der Fortschritt
der wissenschaftlichen Vernunft nicht durch gesellschaftliche Zwänge
beschnitten wird. Dies ist keineswegs selbstverständlich, denn wie die
Geschichte der bürgerlichen Wissenschaft zeigt, wurde die
aufklärerische Funktion der Wissenschaft, sofern sie der etablierten
Macht gefährlich werden konnte, immer wieder auf verschiedene Weise
"kanalisiert". Zum Beispiel wurden bestimmte Disziplinen wie
Psychoanalyse und Marxismus jahrzehntelang abgewehrt und abgedrängt.
Eine Geschichte der bürgerlichen Wissenschaft unter dem Aspekt ihrer
politischen Kanalisierung ist noch nicht geschrieben, wäre aber sehr
lehrreich; denn sie würde eine ganze Palette von
Behinderungsmöglichkeiten ergeben: Verfolgung missliebiger
Wissenschaftler (Beispiele: Verfolgung sozialistischer Profes-soren vor
dem Ersten Weltkrieg, anti-nationalsozialistischer Professoren im
Dritten Reich); Steuerung durch Finanzierung (Beispiel: Zweckbindung
von Forschungsmitteln etwa durch die Industrie oder auch schon durch
die Kultusbürokratie); Selbstzensur der etablierten Wissenschaft durch
Abwehr und Diffamierung neuer Methoden und Theorien und durch
entsprechende Berufungspolitik (Beispiel: die personelle
Selbst-Monopolisierung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik bis in
die unmittelbare Gegenwart hinein und ihre Abwehr empirischer Methoden
und marxistischer und psychoanalytischer Theoreme); Abdrängung
missliebiger Methoden und Positionen auf Randgebiete und durch
Begrenzung der Mittel für deren praktische Arbeit (Beispiel: das
jahrzehntelange Kümmer-Dasein der Psychoanalyse in der Medizin bzw. in
der Fürsorgeerziehung und Rechtsprechung); die Verbürokratisierung der
Hochschul-Intelligenz (Beispiel: das sinnlose Verheizen von
Hochschullehrern in durch Gesetze handlungsunfähig gehaltenen Gremien
und Selbstverwal-
10
tungsorganen,
während die von der industriellen und staatlichen Bürokratie benötigten
und gewünschten wissenschaftlichen Tätigkeiten zu ganz anderen
Bedingungen ausgegliedert werden).
Es kommt nicht darauf an, ob
diese Methoden jeweils mit der Absicht getroffen werden, die weitere
Entwicklung wissenschaftlicher Vernunft und Kritik zu kanalisieren,
allein entscheidend ist, dass sie dieses Ergebnis haben. Wissenschaft
ist nämlich nicht eo ipso emanzipatorisch. Auch der Faschismus hofierte
Wissenschaften, die seinen Zwecken dienen konnten. Emanzipatorisch ist
auch nicht die eine wissenschaftstheoretische Position im Unterschied
zu anderen, wie Dogmatiker meinen; emanzipatorisch ist Wissenschaft
vielmehr nur dann, wenn Fragen, Gegenstände und Methoden prinzipiell
nicht begrenzt werden. Emanzipatorisch ist - mit einem Wort - die
Durchsetzung des universellen Anspruchs der bürgerlichen Wissenschaft
gegen die mehr oder weniger sanften gesellschaftlichen Tabus und
Lernverbote. Wer also nicht gegen solche Beschränkungen angeht, sondern
sie sogar selbst noch - mit welchen Begründungen auch immer -
herstellt, handelt gegen-emanzipatorisch.
3. Die prinzipielle
Unbegrenztheit wissenschaftlichen Fragens und Arbeitens muss
folgerichtig nicht nur für die Forschung gelten, wo sie noch am ehesten
zugestanden wird, sondern auch für die Lehre. Die
emanzipatorisch-wissenschaftliche Aufklärung verträgt keine
Lernverbote. Zwar muss sich jede organisierte Lehre auf bestimmte
Gegenstände und Teilaspekte beschränken, aber es ist ein Unterschied,
ob diese Beschränkungen jeweils aus dem Zwang der didaktischen
Organisation erwachsen und insofern von den unmittelbar Beteiligten
auch wieder anders definiert werden können oder ob sie durch Lehrpläne,
Studiengänge und Curricula generell von außen festgelegt werden und
somit erzwingbar sind. Dies ist kein bloß formales Problem, sondern ein
inhaltliches: In einer Gesellschaft der Ungleichheit werden sich in
solchen Lern- und Lehr-Vorschriften immer diejenigen Kräfte und Inter-
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essen
durchsetzen, denen an der Emanzipation der anderen nicht gelegen sein
kann. Wer also für Studiengänge und Curricula eintritt, die nicht auch
jederzeit von denen, die eine Lernkommunikation eingehen, neu definiert
werden können - sofern nur die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens und
Argumentierens eingehalten werden -, der verhindert mögliche
Emanzipation.
4. Wissenschaft zum Zwecke der Emanzipation muss
am Primat des Bewusstseins festhalten. Das impliziert keine Ablehnung
solcher Methoden, die sich - wie etwa Psychotherapie oder
Gruppendynamik - in erster Linie der Bearbeitung menschlicher Gefühle
und Affekte zuwenden; im Gegenteil: ein der Emanzipation verpflichtetes
wissenschaftliches Bewusstsein wird jede Möglichkeit zur Behebung oder
Linderung menschlicher Leiden und zur Realisierung fundamentaler
menschlicher Bedürfnisse akzeptieren und fördern; allerdings muss sie
immer auch fordern, dass solche Verfahren auch von den Betroffenen ins
Bewusstsein genommen werden.
Die These vom Primat des
Bewusstseins gilt erst recht gegen jene voreiligen
Handlungsaufforderungen, die in den letzten Jahren gang und gäbe
geworden sind, sei es in Form eines politischen Aktionismus, der von
sich selbst nichts mehr weiß, sei es in der Form der armseligen
Reduktion didaktischer Ziele auf Verhaltensziele. Die fadenscheinige
Alternative, als ob die einen wissenschaftlich "an und für sich"
arbeiteten, während die anderen "praxis-bezogen" und deshalb
"gesellschaftsverändernd" tätig seien, verdeckt nur dürftig die
Aversion gegen die Stringenz des Denkens. Wer überhaupt
wissenschaftlich arbeitet, tut dies im Kontext seiner
gesellschaftlichen Praxis, und zwar mehr oder weniger affirmativ. Die
Unterschiede ergeben sich nur daraus, in welchem Maße jemand seine
gesellschaftliche Praxis transzendiert, indem er sich gerade auch
diejenigen Fragen stellt bzw. stellen lässt, die nicht aus seiner
Praxis kommen, sondern an diese gerichtet sind. An politischer oder
pädagogischer Emanzipation orienierte Praxis kommt diesem Ziel nur in
dem Maße zugute,
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als das diese Praxis tragende Bewusstsein
sich wissenschaftlicher Bearbeitung unterworfen hat. Wer also nicht für
den Primat des Bewusstseins plädiert, verhält sich
gegen-emanzipatorisch.
Nun wird sofort der Einwand kommen, dass
dieser skizzierte Anspruch von Emanzipation durch Wissenschaft für
tendenziell alle Menschen gesellschaftlich gar nicht realisierbar, weil
unbezahlbar sei. Müssen nicht gerade deshalb Studienreglementierungen
eingeführt werden, weil die Zahl der Studenten zu groß geworden ist,
weil verlängerte Studienzeiten nicht mehr verkraftet werden können?
Dieser
Einwand verfängt jedoch nur zum Teil, nämlich nur dann, wenn man diese
Forderung über Nacht erfüllen will und nicht von einem längeren
Zeitraum ausgeht. Auch die Tatsache, dass die materielle Situation der
Mehrheit immer noch unbefriedigend ist, ist ja ebenso kein Einwand
dagegen, sie weiter verbessern zu wollen. Und was die Lage im
Bildungssektor angeht: Die vorhandenen Schulen mit den vorhandenen
Lehrern könnten ohne Mehrkosten ebenso gut wissenschaftliche Aufklärung
betreiben wie alten Volksbildungs- oder neuen Curriculum-Tiefsinn. Und
der Lehrernachwuchs könnte mit den heute vorhandenen personellen und
sachlichen Mitteln auch wissenschaftlich studieren, anstatt mit
fragwürdigen Pädagogisierungen beschäftigt zu werden. An zwei konkreten
Beispielen wird gezeigt, dass wissenschaftliches Studium auch unter den
heutigen Bedingungen möglich wäre, wenn man es wirklich wollte (vgl.
die Beiträge 6 und 7). Der Hinweis auf die Finanzlage ist nur ein
Vorwand, um die emanzipatorischen Möglichkeiten der Bildungsreform zu
minimieren.
Faktoren des ideologischen Syndroms
Misst
man also den eben entwickelten Anspruch an vorliegenden
Reform-Konzepten und Reform-Vorstellungen, so wird deren reaktionärer
Charakter sehr bald deutlich,
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wenn man darangeht, die Mosaik-Steinchen des gegen-emanzipatorischen Fortschritts zusammenzustellen.
a) Die technokratisch halbierte Vernunft
Der
technokratische Umgang mit wissenschaftlichen Methoden und Ergebnissen
lässt sich dadurch kennzeichnen, dass diese zur Steuerung und Kontrolle
gesellschaftlicher Prozesse und Ziele eingesetzt werden, ohne dass die
so Gesteuerten des sie steuernden Bewusstseins teilhaftig werden können
oder sollen. Nicht, dass wissenschaftliche Methoden und Ergebnisse zur
Planung gesellschaftlicher Prozesse eingesetzt werden, ist das Problem,
sondern dass die betroffene Mehrheit nicht durch wissenschaftliche
Bildung in die Lage versetzt wird, Ziele, Mittel und Konsequenzen
solcher Planungen mit zu vollziehen und darüber hinaus zu korrigieren
oder zumindest einigermaßen verständig zu diskutieren. Was ihrer
Einsicht durchaus zugänglich sein könnte, erscheint ihnen weiterhin als
Natur-Ereignis, gegen das sich nichts machen lässt. Die technokratisch
halbierte Vernunft beschränkt sich auf die Bereitstellung von Mitteln,
die Diskussion und Entscheidung der Ziele überlässt sie den dafür
politisch Legitimierten - was formal völlig in Ordnung geht, solange
nicht der Anspruch erhoben wird, den Demokratisierungsprozess weiter
voranzutreiben, was auch heißt: wissenschaftliches Bewusstsein weiter
zu verbreiten. Geradezu listig haben die empirisch-technokratischen
Disziplinen einen solchen Anspruch aus ihrem Wissenschaftsbegriff
herausdefiniert, um ihn als Ideologie, als Utopie, als "Werturteil",
und, wenn es hochkommt, als "Philosophie" austreiben zu können. Während
die emanzipatorische Qualität technokratischer Konzepte gerade in ihrer
technischen Begrenzung auf gesamtgesellschaftlich reflektierte Ziel-
und Bedingungsanalysen bestünde, dient sie nur der technischen
Optimalisierung der "alten" und "lbstverständlichen" kapitalistischen
und bürokratischen Leistungsziele, deren eigene Vernunft in der
Vernunft, mit der sie realisiert werden, nicht mehr erkennbar ist.
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Die
technokratische Vernunft ist in der Bildungsreform allgegenwärtig, und
sie wird auch blind von denen übernommen, die sie lautstark bekämpfen.
Dazu gehört: die Faszination des Bildungsplänemachens, die so tut, als
könne allüberall der historische Nullpunkt anbrechen, wenn man dies nur
wolle, und deren technischer Aufwand deshalb auch überall im krassen
Missverhältnis zur dürftigen theoretischen Fundierung steht (man will
eben "Chancengleichheit" "machen"); die bis in die "linke"
Studentenschaft verbreitete Hoffnung, man könne fortschrittliche
Studiengänge einfach dadurch herstellen, dass man das, was man gerade
in seinem Kopf hat, zu Protokoll gibt; die geradezu kindliche Spielerei
mit Organisationsplänen, ob man etwa die Gesamtschule so oder so machen
solle oder ob die Lehrerbildung sechs oder acht Semester dauern müsse
oder ob man besser in Gruppen oder alleine lerne usw. - all dies und
vieles andere sind nur Variationen derselben Mentalität. Und nicht zu
vergessen der technokratischen Vernunft Musterkind: die
Curriculum-Konstruktion. Sie ist gewissermaßen das Gegenstück zum
herrschenden Wissenschaftsverständnis: wissenschaftlicher Service für
die Mächtigen, Lernziele als Verhaltensziele für die Masse der anderen,
mit eben jenem wissenschaftlichen Service ermittelt. Dass
wissenschaftliches Bewusstsein als solches nicht unters Volk kommen
könne, gehört zum technokratischen Selbstverständnis. Und dass das
wissenschaftlich überprüfbare Begreifen der gesellschaftlichen
Verhältnisse und ihrer Prozesse selbst auch Lernziel genug sein könne,
das seine Dignität sich nicht von irgendeinem messbaren Verhalten her
ausborgen muss, dass ferner Bewusstsein eine Disposition ist, die nicht
jederzeit auf messbare Weise abrufbar ist: solche Überlegungen sind für
die technokratische Vernunft unvorstellbar oder zumindest irrelevant.
Auch hier geht es nicht darum, die emanzipatorischen Momente neuer
technologischer Forschungen und Strategien zu verleugnen, es geht
vielmehr um die Kritik eines bloß technischen Machbarkeits-Wahns, der
das, was sich ihm nicht fügen
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kann oder will, nicht nur ausklammert, sondern immer mehr auch ausschaltet.
b) Geschichtslosigkeit - Funktion statt Prozess
Charakteristisch
für die technokratische Vernunft ist, dass sie nicht im historischen
Kontext argumentiert. Sie denkt notwendig systematisch, vom
historischen Nullpunkt her, so, als ob gesellschaftliche Planung zu
jeder Zeit machbar sei, wenn man es nur wolle. Erst in der Hand der
Politiker bekommen solche Planungen zeitliche Dimensionen: Es muss
unterschieden werden zwischen dem, was überhaupt, was sofort und was
später realisierbar ist. Auch das ist jedoch keine historische, sondern
eine zukünftige Perspektive. Eine historische Dimension bekäme die
Planung erst dann, wenn die Ziele der Planung sich einbauten in den
historischen Kontext des Abbaus historisch gewordener Ungleichheiten.
Die technokratische Mentalität jedoch kennt diese Perspektive nicht,
für sie ist Vergangenheit das den gegenwärtigen Zielen Nützliche oder
Schädliche; der Vergleich mit der Vergangenheit fällt für die Gegenwart
immer positiv aus: es ist besser geworden. Die Ziele selbst stehen
nicht im zeitlichen Kontinuum, als Fortsetzung oder Korrektur früherer
Ziele, sie ergeben sich aus dem aktuellen Mechanismus politischer
Willensbildungen und sind in diesem Sinne beliebig. Ihre leitenden
Vokabeln wie "Chancengleichheit" oder "Mitbestimmung" werden daher zu
Leerformeln, die fast unbegrenzt mit neuem Sinn erfüllbar sind und
morgen das genaue Gegenteil von dem bedeuten können, was sie heute
bedeuten (vgl. Beitrag 4).
Der geschichtslose
Argumentationshorizont zeigt sich nicht nur im Begründungszusammenhang
der Schul- und Hochschulreformen, sondern auch in den Konzepten
"linksradikaler" angeblich marxistisch orientierter Studenten, die jene
technokratische Reform bekämpfen, aber doch nur den Teufel mit
Beelzebub austreiben können (vgl. Bei-trag 9).
16
c) Mitbestimmung aller gegen alle
Das
vielleicht eindrucksvollste Beispiel für die a-historische Reformpraxis
ist die Mitbestimmung an den Hochschulen als Kernstück der
organisatorischen Reform überhaupt. Der kindliche Glaube daran, es sei
schon ein Fortschritt an Emanzipation, wenn alle über alles gegen alle
mit abstimmen dürfen, ist inzwischen wohl allgemein einer Ernüchterung
gewichen. Dabei wird ohnehin nur über die jeweils eigenen Privilegien
abgestimmt. Nicht nur "konservative" Hochschullehrer haben inzwischen
gemerkt, dass die neugeschaffene Abhängigkeit aller von allen zu jeder
Zeit, die würdelose Prostitution bei Berufungsveranstaltungen vor allem
jüngerer, noch nicht etablierter Wissenschaftler, die mit der alten
Unfähigkeit zur sachlichen und organisatorisch effektiven
Selbstverwaltung nun kumulierenden Ressentiments,
Minderwertigkeitskomplexe und schlichten Dummheiten, dass dies alles
keinen Zuwachs an Emanzipation erbracht hat, sondern ganz ohne Zweifel
eine Minderung. Das liegt nicht etwa daran, dass die Mit-bestimmung der
Studenten und Assistenten überhaupt eingeführt wurde, es liegt auch
nicht am Quorum; vielmehr ist in die Reformüberlegungen und
-entscheidungen überhaupt nicht die Vorstellung eingegangen, daß eine
überlieferte Hochschulpraxis und -struktur unter emanzipatorischen
Gesichtspunkten verändert und korrigiert werden müsse, sondern die
technokratische Vernunft hat in der ihr eigentümlichen Weise den
überlieferten Formationen die neuen, historisch nicht mehr
vermittelbaren Muster einfach übergestülpt. Genau wie die
Schulreform-Diskussion, ist die öffentliche und interne Diskussion über
die Hochschulreform bis zum heutigen Tag von großer Geschäftigkeit,
aber armseliger intellektueller Dürftigkeit geblieben. Geregelt wurden
die Dinge so, wie sie der Mechanismus der politischen Kräfte zu
erzwingen schien: Die einen waren eben dafür, die anderen dagegen.
Blindlings und Bewusstlos hat die technokratische, nämlich
geschichtslose Borniertheit die alten Struktur- und Selbstdefinitionen
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liquidiert,
ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob bestimmte
überlieferte Privilegien, Regelungen und Aufgabenstellungen nicht
gerade im Interesse weiterer Emanzipation hätten erhalten bleiben und
nach "unten" (Assistenten, Studenten) hätten sozialisiert werden
müssen; oder ob die Freiheit des wissenschaftlichen Studiums und der
Forschung und Lehre, die eine Voraussetzung emanzipatorischer
Weiterentwicklung ist, nicht auch dringend solcher Regelungen bedarf,
die die Mitglieder der Hochschule voreinander schützen. So ist die
"Freiheit von Forschung und Lehre" nicht auch für Assistenten und
Studenten garantiert, sondern weitgehend abgeschafft; alle sind gleich
frei von beidem geworden. So geschichtslos wie die Mitbestimmung aller
gegen alle eingeführt wurde, so funktioniert sie auch. Reform des
Status quo wird nicht verstanden als eine planmäßige Strategie zur
Verbesserung des bestehenden Zustandes, die Stück für Stück reflektiert
und realisiert würde, vielmehr schrumpft die Handlungs- und
Denkperspektive auf zeitlose Gegenwart zusammen: Mit einem geradezu
wahnwitzigen Aufwand an Menschen und Zeit wird doch nur der Status quo
immer wieder reproduziert mit Kriterien, die den jeweils Beteiligten
gerade in den Sinn kommen und die von intellektueller Arbeit nicht mehr
erreicht werden können. Dass der Zweck der Institution Hochschule
wissenschaftliche Ausbildung ist, ist dabei fast belanglos geworden
(vgl. Beitrag 8). Die gegenwärtig etablierten "fortschrittlichen"
Selbstverwaltungsstrukturen an den Hochschulen werden die eingangs
skizzierten emanzipatorischen Möglichkeiten des wissenschaftlichen
Studiums nur weiter liquidieren können. In den Schubladen mancher
Ministerien liegen bereits die Entwürfe, die der technokratischen
Vernunft zum endgültigen Sieg verhelfen werden, falls die
Selbstverwaltungsorgane nicht schnell genug sein sollten:
Studienregelungen, die die Hochschule zur straff organisierten
Ganztagsschule, die Hochschullehrer zu Dauer-Unterrichtern und das
Studium zu einem fremdbestimmten verwalteten Lernen machen werden.
18
d) Beruf, die halbierte Praxis
Ein
ideologisches Kernstück der Bildungsreform-Diskus-sion ist die
Forderung, Studiengänge "berufspraktisch" bzw. "berufsbezogen" zu
gestalten. Daran gemessen erscheinen die alten Formen des
geisteswissenschaftlichen Studiums als ein unwirtschaftlicher Luxus.
Nicht zufällig halbiert die technokratische Mentalität, die auch in
diesem Punkte von "rechten" Politikern bis zu "linken" Studenten
reicht, neben der Vernunft auch die gesellschaftliche Praxis selbst.
Denn diese versteht sie primär als berufliche, weniger als politische
oder private. So enthüllt sich die technokratische Mentalität als die
ideologische Widerspiegelung einer gesellschaftlichen Praxis, für die
ökonomische und damit berufliche Effizienz der primäre Wert ist, dem
sich alle anderen unterzuordnen haben. Natürlich ist nichts dagegen
einzuwenden, wenn die wissenschaftliche Ausbildung für den künftigen
Beruf so gut wie irgend möglich qualifiziert - wobei die Frage, was das
im einzelnen heißt, hier nur am Rande erwähnt werden soll.
Gegen-emanzipatorisch ist dieses Postulat jedenfalls dann, wenn "Beruf"
- etwa im Falle der Lehrerbildung - zur Eingrenzung von Studieninhalten
und damit zum Lernverbot für andere führt. Wissenschaft ist nur dann
emanzipatorisch, wenn sie zur Aufklärung der ganzen gesellschaftlichen
Praxis der Individuen zugelassen wird, und insofern hat jedes
emanzipatorische wissenschaftliche Studium auch Luxus-Charakter, also
einen Anteil, der zwar mittelbar wieder dem Beruf zugute kommen kann,
aber nicht unmittelbar darauf hin konzipiert ist. Schon der Versuch,
das Studium als "gesellschaftlich nützliche Arbeit"! zur Begründung des
Stipendiensystems zu definieren, war ein Sündenfall. Dies verstellte
den Blick dafür, dass emanzipatorisches wissenschaftliches Studium -
wenigstens in den geisteswissenschaftlichen Fächern - die Utopie eines
ganz anderen Verhältnisses von Arbeit, Freizeit und Politik hätte
durchhalten müssen, zumal in einer Zeit, in der "Antikapitalismus" als
Kritik am Wachstumsfetischis-
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mus und an bloß effizienten
Arbeitsverhältnissen eine keineswegs nur von "Linken" getragene
gesellschaftliche Stimmung wiedergibt. Statt dessen sind aber unter dem
Schlagwort der "Berufsbezogenheit" die Hochschulen den Bedingungen des
kapitalistischen Arbeitsverhältnisses unterworfen worden: Unter
Mithilfe von Lernforschung und Curriculum-Konstruktionen soll möglichst
kurz und effektiv studiert und jeder Umweg ausgemerzt werden; in der
immer armseliger und inhaltsleerer werdenden "Freizeit" wird nicht mehr
studiert, zu den Lehrveranstaltungen erscheint man dafür ebenso
unvorbereitet wie zur Arbeit im Büro (vgl. Beitrag 7).
Die
einseitige "Berufsbezogenheit" hat jedoch noch eine weitere
gegen-emanzipatorische Tendenz, die besonders bei den pädagogischen
Hochschulen deutlich wird. In deren Tradition spielte ja "Schulpraxis"
immer eine dominierende Rolle, und zwar auf Kosten des systematischen
wissenschaftlichen Studiums, das auch überflüssig erscheinen konnte,
solange der Volksschulunterricht nicht wissenschaftlich zu sein hatte.
Die ideale Ausbildungssituation war eigentlich das Abhalten oder
Beobachten von Unterricht, mit anschließendem mehr oder weniger
strukturiertem Gespräch. Nur langsam und gegen viele Widerstände hatte
sich die Einsicht durchgesetzt, dass man zumindest das, was man
unterrichten sollte, auch systematisch wissenschaftlich studieren
müsste. In dieser Entwicklung bedeutet die neue Ideologie der
Berufsbezogenheit einen unverkennbaren Rückschlag.
e) Hochschuldidaktik - machen statt denken
Wie insbesondere der 7. Beitrag in diesem Band zeigen
will, fügt sich auch die hochschuldidaktische Reform-Ideologie in
diesen anti-emanzipatorischen Kontext ein. Unter der Fahne der
Praxisbezogenheit wird systematisches, an vorliegenden Forschungen und
Theorie-Entwürfen orientiertes Studium immer stärker abgewehrt
zugunsten neuer "Gemeinschaften von Lehrenden und Lernen--
20
den",
die möglichst lange und oft tagen, aber möglichst ohne neue
außersubjektive Inputs vor sich hin kommunizieren sollen. Möglichst
kein Gedanke soll mehr gedacht werden, der nicht unmittelbar und ohne
Umwege der praktischen Manipulation dienen könnte. Praxis ist längst
definiert als die von den heute noch Lernenden später erfolgreich zu
manipulierende Praxis. Deshalb die Favorisierung von "Projekten",
"forschendem Lernen" und "Seminaren in Gruppenform". Deshalb die Flucht
in einen Projekt-Aktivismus mit Randständigen, in Kinderläden und in
Schulversuchen - durchweg schlecht vorbereitet, ohne intellektuelle
Durcharbeitung. Lassen dann die dabei gemachten Erfahrungen eine
systematische intellektuelle Bearbeitung unausweichlich erscheinen,
greift man zur Flucht ins nächste "Projekt". Der bewusstlose
Aktionismus ist nicht nur charakteristisch für die im 9. Beitrag
nachgezeichneten "antikapitalistischen Gegen-Modelle", sondern in der
gegenwärtigen Studentengeneration sehr viel weiter verbreitet.
Unsere
These ist also, dass sich der gegen-emanzipatorische Charakter der
Reformideologien an den eben beschriebenen Dimensionen verifizieren
lässt, die ihrerseits in einem inneren logischen Zusammenhang stehen:
technokratisch halbierte Vernunft, geschichtslose Argumentation, die
Reduktion gesellschaftlicher Praxis auf Berufspraxis, die Sicherung des
falschen Bewusstseins durch die Mitbestimmungspraxis und die
Ausschaltung systematischer Lernprozesse in hochschuldidaktischen
Neuerungen sind nur unterschiedliche Komponenten ein und derselben
Mentalität, die der durch wissenschaftliches Studium und durch seine
Verlängerung in die Schulen hinein möglichen Emanzipation im Wege
stehen.
Bisher wurde das ideologische Syndrom jedoch nur
beschrieben, nicht auch erklärt. Nach ideologiekritischen Methoden wird
ein solches Syndrom dadurch erklärt, dass es auf die Interessenlage
einer gesellschaftlichen Gruppe bzw. auf ihre Stellung im Rahmen der
gesellschaftlichen Arbeitsteilung bezogen wird. Dies soll gleich für
die Rolle
21
der Studenten noch speziell versucht werden. Zu
beachten ist jedoch grundsätzlich, dass ideologiekritische
Untersuchungen nur dann etwas einbringen, wenn sie detailliert genug
vorgehen, wenn also zum Beispiel nicht einfach von "kapitalistischer
Ideologie" gesprochen wird, sondern etwa von der Ideologie der Lehrer
(vgl. Beitrag 4), der Studenten, des kulturpolitischen Managements usw.
Je nachdem, welche Gruppe man im Auge hat, ergeben sich unter Umständen
gerade für praktische Fragen wichtige Unterschiede. Es gehört zum
Beispiel zur Lehrerideologie, eine möglichst ganztägige Verschulung des
Kindes anzustreben, nicht jedoch auch unbedingt zur Ideologie des
Kultur-Managements bzw. der Kultur-Bürokratie, weil diese zum Beispiel
für jedes Postulat Finanzmittel bereitstellen müsste.
Nicht
zufällig sind in den letzten Jahren ideologiekritische Methoden und
Arbeiten aus der Mode gekommen, denn das skizzierte ideologische
Syndrom widersetzt sich selbstverständlich seiner eigenen Kritik und
Aufklärung. Die Kritik des Bewusstseins wird statt dessen unter Hinweis
darauf heruntergespielt, dass es primär auf die Kritik der ökonomischen
Basis ankomme, dass nur die Veränderung der kapitalistischen Basis eine
Veränderung des Bewusstseins zur Folge haben könne. Abgesehen davon,
dass das Bewusstsein von den Verhältnissen der ökonomischen Basis
immerhin auch Bewusstsein ist, und dass die Basis selbst nicht sagen
kann, ob das Bewusstsein von ihr richtig oder falsch ist, und dass
schließlich gerade diese These dazu taugt, dem eigenen Bewusstsein
Lernverbote aufzuerlegen, erbringen die zum Teil aufwendigen
politik-ökonomischen Analysen wenig, was man nicht sowieso schon
wüsste: dass Profitmaximierung und dementsprechende Effektivität der
Arbeitsorganisation die herrschenden kapitalistischen Prinzipien sind,
und dass diesen alle anderen gesellschaftlichen Intentionen entweder
untergeordnet werden oder dass sie sich in kulturelle Reservate
abdrängen lassen müssen. Ferner ist unbestreitbar, dass Innovationen,
die diesen Prin-zipien widersprechen, wenig Chancen der Realisierung
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haben.
Wo jedoch versucht wurde, eindeutige Abhängigkeiten zwischen bestimmten
Bewusstseinsstrukturen oder kulturellen Institutionen und den
Prinzipien der kapitalistischen Gesellschaft abzuleiten, wurde die
Kompliziertheit des Basis-Überbau-Zusammenhangs kurzgeschlossen und es
ergaben sich blutleere Abstraktionen. Nach meinem Eindruck haben die
bisherigen politik-ökonomischen Detailuntersuchungen etwa zur
Bildungsökonomie oder zur Lehrerrolle über die Konstatierung der
allgemein bekannten kapitalistischen Prinzipien hinaus wenig
handlungsrelevante Detailergebnisse erbracht. Sie haben viel eher die
Notwendigkeit ideologischer Auseinandersetzungen - nicht zuletzt mit
den politik-ökonomischen Autoren selbst - neu dringlich gemacht, als
dass sie deren Überflüssigkeit bewiesen hätten - ganz abgesehen davon,
dass die meisten sich fortschrittlich dünkenden Gruppen die Einführung
bzw. Radikalisierung kapitalistischer Prinzipien in Schule und
Hochschule selbst betreiben, die sie andererseits zugleich bekämpfen
wollen. Die heute im Schul- und Hochschulbereich möglichen Fortschritte
an Emanzipation werden jedenfalls sehr viel weniger durch Zwänge des
kapitalistischen Systems verursacht als durch das falsche und bornierte
Bewusstsein der dort miteinander Agierenden selbst.
Furcht und Elend des studentischen Bewusstseins
Es
könnte nun so scheinen, als ob die Studenten als soziale Gruppe am
ehesten in der Lage seien, das skizzierte ideologische Syndrom zu
durchbrechen. Diese besondere Möglichkeit der studentischen
Intelligenz, die bestehende Wirklichkeit intellektuell zu
transzendieren, wird immer wieder begründet mit dem Hinweis darauf,
dass sich Studenten in einer privilegierten Situation befänden, noch
geschützt vor den späteren Ansprüchen, vor allem denen der Arbeitswelt.
Die Entwicklung der letzten Jahre hat jedoch gezeigt, dass erstens
gerade die Studenten die dafür nötigen Bedingungen der Möglichkeit an
den Hochschulen mit
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zerstören und dass diese Bedingungen
zweitens auch gar nichts nutzen, wenn die Perspektive nach dem Studium
keine gesicherte und relativ privilegierte mehr ist. Gerade Studenten
sind dem skizzierten ideologischen Syndrom am meisten verfallen und
präsentieren es am militantesten. Im Jahre 1968, angesichts der
intellektuellen Führer des Studentenprotestes, konnte man noch
annehmen, dass wenigstens aktive Minderheiten von Studenten die
traditionellen Lernverbote der bürgerlichen Wissenschaften aufzuheben
trachteten - etwa die Verdrängung psychoanalytischer und marxistischer
Theoreme. Aber schon bald nach dem Abtreten der ersten Führungsgruppe
zeigte sich immer mehr, dass diesem Protest kein nennenswerter
intellektueller Impuls innewohnte, auch keine fortschrittliche
praktische Perspektive, sondern dass er zutiefst reaktionär ist. Die
ideologische Funktion hochschul- und schulpolitischer Forderungen,
hochschuldidaktischer Präferenzen, ja selbst neomarxistischer Parolen
besteht fast nur noch in einer Art von Defensive nach unten: Der durch
Studium immer noch privilegierte, gleichwohl angegriffene Status soll
nicht nur zum finanziellen, sondern möglichst auch zum intellektuellen
Nulltarif garantiert werden. Die wissenschaftliche Bearbeitung des
Bewusstseins überhaupt wird abgewehrt - nicht nur die "technokratische"
Verengung - und die Ansprüche eines emanzipatorischen Studiums müssen
gegenwärtig in erster Linie gegen sich fortschrittlich und kritisch
dünkende Studenten durchgesetzt werden; sie sind für die Erhaltung des
bedrohten Status irrelevant, was dafür zählt, ist einzig das
Abschlusszeugnis. Auch der Kampf gegen Prüfungsordnungen richtet sich
kaum mehr gegen deren reaktionäre antiemanzipatorische Momente, sondern
gegen die darin zu formulierenden Ansprüche überhaupt. Mehrere Beiträge
dieses Bandes versuchen, diesen inneren ideologischen Zusammenhang
eines durch gesellschaftlichen Wandel und durch dessen
Demokratisierungselemente gefährdeten und radikalisierten
kleinbürgerlich-mittelständischen Bewusstseins deutlich zu machen, im
Rahmen dessen die Studenten ihren konservativen
24
Hochschullehrern
heute näher stehen, als sie selbst wahrhaben wollen (vgl. vor allem die
Beiträge 8 und 9). In diesem Punkte unterscheiden sich auch die meisten
sogenannten "linken" Gruppen nicht von den anderen. Ganz falsch ist die
inzwischen offiziell gewordene Erklärung, die "radikalen" Studenten
seien eine Minderheit, die die anderen nur terrorisiere, und sie
wollten als Marxisten die freiheitlich demokratische Grundordnung
untergraben. Weder handelt es sich bei den gegenwärtig öffentlich
vernehmbaren "Radikalen! um Überzeugungen im Sinne eines intellektuell
fundierten Bewusstseins, noch wollen sie etwas, auf das man sich
wirklich verlassen könnte. Sogenannte Überzeugungen, Theorie-Fetzen und
Willenserklärungen sind jederzeit austauschbar, wenn sie die ihnen
zugedachte manipulative Funktion nicht mehr erfüllen - zum Beispiel
wäre es ganz falsch, zu erwarten, dass diese Überzeugungen im späteren
Beruf auch durchgehalten werden. Dort werden sie vielmehr leicht gegen
andere, in der neuen Situation effektivere mittelständische
Versatzstücke ausgewechselt. Man muss sich nur ansehen, wie bereits in
der Hochschule "schonungslose" Kapitalismus-Kritik etwa angesichts der
Unterschicht-Benachteiligung einhergeht mit hemmungslos autoritären
Einstellungen zum späteren Unterricht. Nicht, dass die "radikalen"
Studenten später die Schüler "revolutionieren", ist das Problem,
sondern dass sie umgekehrt dem autoritären Lehrerverhalten insbesondere
gegenüber Arbeiterkindern weitere Impulse und Begründungen geben
werden. Parlamentarier und professorale Kritiker, die den
"Radikalismus" beim Wort nehmen, haben nicht begriffen, worum es hier
wirklich geht. Und sie übersehen, dass die "radikalen" Minderheiten von
der Mehrheit der anderen nicht zuletzt deshalb toleriert werden, weil
sie die "nützlichen Idioten" für die unmittelbaren Interessen aller
sind. Weder Marxismus noch die Befreiung der Arbeiterschaft noch die
Befreiung der Hochschule von kapitalistischen Zwängen stehen dabei
ernsthaft zur Debatte, sondern höchst partikulare und egoistische
unmittelbare Interessen.
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Wirklich marxistische Gruppen,
die sich mit der längst überfälligen Aufarbeitung marxistischer
Theoreme und der Geschichte der Arbeiterbewegung intellektuell und
praktisch - zum Beispiel im unmittelbaren Kontakt mit jungen Arbeitern
- befassen, gibt es zwar an den Hochschulen ebenso noch wie andere
Gruppen, die die nötigen Hochschul- und Wissenschaftsreformen
nachhaltig betreiben - nicht zuletzt an sich selbst. Aber sie sind in
der Minderheit und bestimmen das öffentliche Bild der Hochschulen kaum,
ihre Impulse kommen in dem beschriebenen Mechanismus der
Selbstverwaltung und Mitbestimmung nicht zur Wirkung. Nicht nur die
aufwendige Forschung gliedert sich allmählich aus den Hochschulen aus,
sondern auch die "linke Kritik"; wer sie heute an der Arbeit finden
will, muss in Gewerkschaftsversammlungen, betriebliche Basisgruppen
oder in Bildungstagungen der Jung-Demokraten und der Jung-Sozialisten
gehen. Das, was etwa die Jung-Sozialisten theoretisch und praktisch
vertreten, hätte an den Hochschulen keine Chance mehr. Es ist kein
Zufall, dass es zwischen "linken" Gruppen an den Hochschulen und den
ebengenannten außerhalb der Hochschule kaum noch eine
Verständigungsmöglichkeit und Zusammenarbeit gibt. An den Hochschulen
beherrschen zum Beispiel sogenannte "kommunistische" Gruppen in allen
möglichen Spaltungs-Varianten das Feld, deren militante Dummheit für
niemanden beschrieben werden kann, der sie nicht wenigstens einmal
agieren gehört hat. Dieser subkulturelle Kleinbürger-Marxismus zerstört
die Perspektive einer Rekonstruktion der marxistischen Theorie und
Praxis nachhaltiger, als es die anti-kommunistische Adenauer-Ära
vermocht hat, die wenigstens nicht verhindert hat, dass sich an den
Hochschulen (zum Beispiel "kritische Theorie") die Ideen von
Emanzipation durchhalten und eines Tages für die gesellschaftliche
Praxis bereitstehen konnten.
Ein Plädoyer gegen die ideologische
Qualität und Funktion des studentischen Bewusstseins impliziert jedoch
nicht ohne weiteres auch ein Plädoyer gegen dessen Träger.
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Nicht
Feindschaft gegen Studenten im allgemeinen und "Radikale" im besonderen
ist unsere Intention. Auch ideologisch kaschierte Interessen sind
ernstzunehmen. Zu unterscheiden wäre jedoch zwischen den persönlichen
Konflikten und Leiden, die als solche Respekt und Solidarität
verdienen, und der politisch-emanzipatorischen Qualität der
angestrebten praktischen und ideologischen Lösungen. Eine falsche
politisch-ideologische Solidarität nützt auf die Dauer auch den
persönlichen Schwierigkeiten und Problemen nichts. Es war ohnehin schon
der Fehler der anti-autoritären Phase, die schichtspezifische innere
persönliche Widersprüchlichkeit für das allgemeine kapitalistische
Problem zu halten, während es doch nur ein partikulares war -
hervorgerufen unter anderem dadurch, dass die Betreffenden für
gesellschaftliche Verhältnisse sozialisiert worden waren, die sich noch
während ihrer Sozialisation grundlegend geändert hatten.
Über
die in der gegenwärtigen studentischen Existenz sichtbar werdende
Sozialisationsproblematik müssen hier wenigstens einige Andeutungen
gemacht werden, weil sie in den nachfolgenden Arbeiten nur am Rande
angesprochen wird (vgl. die Beiträge 3 und 5); sie ist nicht von
unmittelbarer Bedeutung für die ideologiekritische Betrachtung,
andererseits muss sie hier aber gerade deshalb erwähnt werden, damit
unsere Polemik nicht zu massenhaften persönlichen Diffamierungen
verführt. Gemessen an den überlieferten sozialpädagogischen Kriterien,
die im allgemeinen nur auf Unterschichtkinder angewendet wurden, bietet
ein sehr großer Teil der gegenwärtigen Studenten das Bild einer
massiven "manifesten Verwahrlosung". Vieles spricht dafür, dass sie
erst unter den Bedingungen der Hochschule wirklich manifest wird, da
sie sich bei Studienanfängern zumindest nicht so auffällig zeigt.
Aufgrund unserer allgemeinen Kenntnisse über Sozialisation können wir
nicht annehmen, dass die Hochschulbedingungen diese "Verwahrlosung"
produzieren, vielmehr verhelfen sie ihr doch wohl nur zum Durchbruch.
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Die klassischen Kriterien der Verwahrlosung erfüllen sich in folgenden Punkten:
a)
Eine tiefgreifende Arbeitsunfähigkeit (im Fürsorgejargon würde man das
"Arbeitsscheu" nennen), verbunden mit Konzentrationsunfähigkeit und der
Schwierigkeit, längere Zeit bei einer Sache zu bleiben.
b) Die
Unfähigkeit, das private Leben, zum Beispiel die Freizeit, einigermaßen
befriedigend zu planen und zu organisieren. Es gibt kaum "harte"
Freizeitinteressen, und gesellige Kommunikationen sind im allgemeinen
durch Langeweile, Humorlosigkeit und depressive Grundstimmungen geprägt.
c)
Die mangelnde Fähigkeit, verlässliche soziale Beziehungen bzw.
Absprachen einzugehen - sowohl für relativ intime wie auch für
distanziert-kooperative Beziehungen.
d) Ein latenter Hang zur
Aggression und Gewalttätigkeit, weniger im Sinne von unmittelbar
physischer als vielmehr von intellektueller und psychischer Gewalt. Die
Diskussionswut zum Beispiel zeigt eine besonders häufige Form sublimer
Gewaltanwendung. Ziel solcher Diskussionen ist sehr oft nicht die
Klärung einer Frage oder das Üerzeugenwollen für die eigene Position
oder das Werben um Bündnis und Solidarität, sondern schlicht die
Bekämpfung der anderen als purer Selbstzweck.
e) Die
Unfähigkeit, für irgend etwas, und sei es für das eigene
private Leben oder für Misserfolge im Studium, irgendeine persönliche
Verantwortung zu übernehmen. Die psychische Funktion der
antikapitalistischen Hysterie besteht weitgehend darin, Verantwortung
abzulehnen und auf "das System" zu projizieren.
Die
"Auffälligkeit" bestimmter "linker" Gruppen und vor allem die
kriminellen Taten weniger markieren nur die Spitze eines Eisberges,
dessen Größe noch völlig unbekannt ist. Unter
sozialisationstheoretischen Gesichtspunkten stellt sich diese
massenhafte "Verwahrlosung" als vielfaches subjektives Unglück dar, das
nicht als selbstverschuldet angenommen werden darf und dem weder die
technokratischen Reformkonzepte etwas nützen noch
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jene
öffentlichen Verhätschelungen der "wilden jungen Leute". Wir haben es
hier mit massenhaften misslungenen Sozialisationsprozessen zu tun, und
zwar nicht wie seit langem in der Unterschicht, sondern in der Schicht
der "staatstragenden Mitte" bzw. der »schweigenden Mehrheit«. Wenn ich
recht sehe, gibt es darüber - abgesehen einmal von der "Drogen-Szene" -
noch kaum Untersuchungen, und die für die misslungene
Unterschicht-Sozialisation vorliegenden Theorien dürften nicht ohne
weiteres hier übertragbar sein. Misslungene Mittelschicht-Sozialisation
in einem solchen Ausmaß ist zumindest für die Geschichte der
Bundesrepublik ein völlig neues politisches und pädagogisches Thema.
Möglicherweise
werden die Hochschulen auf die Dauer Funktionen der "Resozialisierung"
mit übernehmen müssen, was dem auf knappen Einsatz der Ressourcen
erpichten technokratischen Kalkül nicht sehr gelegen käme. Jedoch ist
fraglich, was das heißen könnte: Verlängerung eines weniger
restriktiven Studiums, um pubertären Identitätsproblemen mehr Ruhe zu
gönnen? Oder ein Wechsel zwischen größeren "klinischen Phasen", also
praktischer Tätigkeit im voraussichtlichen Beruf, und "Studienphasen"?
Oder für den Anfang streng reglementierte Studiengänge, die sich erst
später zur individuellen Disposition öffnen? Die bisherige Erfahrung
zeigt jedenfalls, dass die hier in Rede stehenden
Sozialisationsprobleme weder durch neue hochschuldidaktische Formen wie
Gruppenarbeit und Projektstudium gelöst werden noch durch
Selbstbestimmung der Studieninhalte (vgl. Beitrag 8). Gemessen an
diesen Problemen hat die Hochschuldidaktik noch gar nicht begonnen.
Auch
die alte Hochschule hatte neben ihrer Funktion der wissenschaftlichen
Bildung bzw. Ausbildung eine ganz bestimmte Funktion für die
Sozialisation des studierenden Mittel- bzw. Oberschicht-Nachwuchses im
Rahmen der Emanzipation von der Herkunftsfamilie und des Übergangs in
neue gesellschaftliche Rollen. Dabei spielte nicht nur der formelle
Teil des Studiums (Lehrveranstaltungen,
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universitäre Riten
usw.) eine Rolle, sondern auch die für das Studium eigentümliche
Freizeitsituation. Ein sozialisationsgeschichtlicher Vergleich mit der
gegenwärtigen Studiersituation, auf den hier nur hingewiesen werden
kann, wäre sicher sehr aufschlussreich, weil sich dabei zum Beispiel
herausstellen könnte, dass die gegenwärtige, eben geschilderte
Sozialisationsproblematik grundsätzlich gar nicht so neu ist. Der
Vergleich könnte aber auch ergeben, dass sich die wichtigsten
Sozialisationsleistungen des Studiums gar nicht formell organisieren
lassen, dass sie nur informell von den Studenten selbst organisiert
werden können oder eben ganz entfallen müssen. Wichtig ist in unserem
Zusammenhang nur die Feststellung, dass diese Aspekte einer
Sozialisation durch Studium in den techno-kratischen Konzepten
überhaupt keine Rolle spielen, zumal sie nicht auf Erfolgsmessung hin
planbar sind. Ein engagiertes Buch wie dieses kann sich nur schwer vor
Mimverständnissen und vor Beifall von der falschen Seite schützen. Dass
kompromisslose Kritik an der Ideologie, die Menschen repräsentieren und
die sie an die Macht bringen wollen, durchaus einhergehen kann mit
Sympathie und Respekt vor ihren Problemen und dass beides zusammen erst
Solidarität von Opportunismus unterscheidet, wird nur schwer
klarzumachen sein. Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch dazu beitragen
kann, die Probleme des Zusammenhangs von Bildungsreform, Didaktik und
Emanzipation in eine neue öffentliche theoretische Diskussion zu
bringen, die falsche Klischees und Selbstdefinitionen überwindet und
neue Perspektiven für eine Reform öffnet, die diesen Namen wirklich
verdiente. Dafür sind gegenwärtig die herrschenden Reform-Ideologien
ein größeres Hindernis, als die sogenannten "konservativen" Traditionen
der Hochschule es je waren.
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