Hermann Giesecke

Methodik des politischen Unterrichts

München: Juventa-Verlag 1973

3. Kapitel:  Modalitäten der Bearbeitung politischer Themen: Methoden

© Hermann Giesecke
Inhaltsverzeichnis
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3. Kapitel:

Modalitäten der Bearbeitung politischer Themen: Methoden

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als ob über die politische Unterrichtskommunikation genügend gesagt sei, wenn man ihr Thema bezeichnet, Klarheit über die angebrachten Lernziele gewonnen hat und die verschiedenen Techniken der Bearbeitung kennt sowie diese optimal zwischen Thema und Lernzielen einschaltet. Dieser Eindruck kann jedoch nur dadurch entstehen, daß das klassische methodische Modell des Lehrgangs absolut, also als Invariante gesetzt wird, wobei sich dann Methodik darauf beschränkt, die Details des Lehrgangs zu modifizieren. Der wesentliche Kommunikationsinhalt des Lehrgangs ist, daß die einen (die Schüler) sich durch den Fachmann (den Lehrer) systematisch über ein politisches Problem belehren lassen. Es sind aber auch angesichts des gleichen Themas ganz andere Kommunikationsziele denkbar: Man kann über ein Thema etwas herstellen ("Produktion"); man kann es erforschen wollen ("Sozialstudie"); man kann die Art und Weise seiner eigenen subjektiven Erfahrung des Problems thematisieren ("Provokation"); man kann die in ihm implizierten Zwänge spielen ("Rollenspiel"); man kann eine wünschenswerte Änderung der Problemlage durchspielen ("Planspiel"). Wir sehen also, daß weder aus dem Thema noch aus den Lernzielen noch aus der Kombination von beiden eine bestimmte Intentionalität der Kommunikation eindeutig abgeleitet werden kann. Vielmehr verbleibt ein Entscheidungsspielraum für die Intentionen der Kommunikation. Das heißt nichts anderes, als daß ein politisches Thema "als solches" gar nicht lehr- und bearbeitbar ist, daß es vielmehr für den Zweck der kommunikativen Bearbeitung erst konkret definiert werden muß. Wir wollen diese Tatsache als "Methodische Variation" bezeichnen, d. h., jedes denkbare politische Thema läßt eine Reihe von methodischen Variationen zu und damit ganz unterschied-

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liche Organisationsformen der kommunikativen Bearbeitung.

In Anlehnung an den üblichen Sprachgebrauch nennen wir diese von dem allgemeinen Kommunikationsziel her unterscheidbaren Varianten "Methoden" im Unterschied zu den im fünften Kapitel zu behandelnden "Arbeitsweisen". Wir können die Methoden auch als die "Makrostruktur" der politischen Unterrichtskommunikation bezeichnen und die Arbeitsweisen als die "Mikrostruktur": Um eine Methode durchzuführen, bedarf es der Anwendung unterschiedlicher Arbeitsweisen. In der Methodik sind also nicht nur die Lernziele enthalten, sondern auch die unmittelbaren sozialen Ziele, die durch das Lernen selbst im Rahmen der Lernkommunikation mit befriedigt werden sollen. Damit ist ausgedrückt, daß das Lernen niemals den Zweck allein in sich selber trägt, auch nicht allein "für spätere" soziale Handlungen erfolgt, sondern immer auch unmittelbar befriedigenden Zielen dienen muß. Selbst der stupideste alte Lateinunterricht beruhte darauf, daß man gemeinsam eine Lesebuchgeschichte oder einen Klassiker übersetzen wollte, also eine Art kultureller Kommunikation anstrebte; das Lernen selbst war Mittel zum Zweck. Ebenso bei den eben angedeuteten Beispielen der politisch-intellektuellen Bearbeitung: Man muß gemeinsam in der Klasse nicht nur deshalb Politisches lernen, damit man später als Arbeitnehmer sich seiner Haut wehren kann oder damit man abstrakt "richtiges" Bewußtsein bekommt - das alles ist richtig und wichtig - , sondern auch, damit man sich in der Klasse darüber unterhalten kann, damit man andere überzeugen kann, damit man anderen etwas vorführen kann usw. Diese Tatsache, daß das politische Lernen nämlich nicht in sozial "reiner Form" erfolgt, sondern an unmittelbare andere soziale Intentionen gebunden ist, ist, wie sich zeigen wird, keineswegs nur Chance, sondern auch Problem und Grenze.

Der Begriff "methodische Variation" muß also sogleich vor Mißverständnissen geschützt werden. Er meint eben nicht nur "technische" Variationen - was der übliche Ge-

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brauch des Wortes Methodik nahelegen könnte - , sondern zugleich auch immer inhaltliche: die Art und Weise der kollektiven Bearbeitung bestimmt auch das Arbeitsprodukt mit.

Im folgenden sollen die wichtigsten bisher in der politischen Bildung realisierten Variationsmodelle erörtert werden. Dabei interessiert uns zunächst gar nicht die Frage, inwieweit sie für den Gebrauch in Schulen geeignet sind; manche von ihnen sind nämlich gar nicht in der Schule, sondern in der außerschulischen Jugendarbeit bzw. in der Erwachsenenbildung erprobt worden. Es kommt uns vielmehr zunächst darauf an, dem Lehrer diese Variationen im Zusammenhang zu präsentieren - ganz abgesehen davon, daß unsere Methodik auch für die Verwendung in außerschulischen Bildungseinrichtungen gedacht ist.

Jedoch wäre es unbefriedigend, diese Varianten einfach nebeneinander aufzuführen, so, als ob sie alle gleich wichtig und daher beliebig verwendbar wären. Dies ergäbe keine Kriterien für die methodische Reflexion und Entscheidung. Nun gibt es aber eine Fülle von denkbaren und zu definierenden Kriterien, an denen die Varianten gemessen werden könnten. Man könnte sie z. B. danach sortieren, welche am meisten Spaß machen bzw. den Partnern die größte Befriedigung verschaffen. Oder man könnte sie hinsichtlich ihrer Eignung für die spezifischen Bedingungen der Schule prüfen

Wir wollen jedoch diese Varianten hinsichtlich ihrer Lernziele überprüfen, und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits können wir davon ausgehen, daß jede Variante von ihrer immanenten Struktur her bestimmte Lernmöglichkeiten enthält und andere wieder nicht oder weniger. Diese Dimensionen sollen im Anschluß an die Darstellung einer Variante erörtert werden.

Andererseits wären diese Implikationen, oder besser: die in den einzelnen Varianten favorisierten Lernchancen, zu messen an den in meiner »Didaktik" dargelegten und begründeten Lernzielen. Dies soll in einer zusammenfassenden Schlußbetrachtung zu diesem Kapitel geschehen.

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Für den ersten Gesichtspunkt der immanenten Lernreichweite der einzelnen Varianten seien folgende Kriterien vorausgeschickt und begründet:

1. In einem sozial relevanten - nicht erkenntnistheoretisch gemeinten - Sinne "gibt" es ein Thema erst, insofern darüber kommuniziert wird. Wir nennen eine intentionale, also zweck- und zielgerichtete Kommunikation über ein Thema seine Bearbeitung. Das bedeutet nichts anderes, als daß Art und Weise seiner Bearbeitung ein Thema auch mitkonstituieren, daß also die meist vorherrschende Vorstellung, erst habe man ein Thema und dann wähle man die geeignete Modalität seiner Bearbeitung, so einfach nicht zutrifft. Indem man vielmehr sich für eine bestimmte Form der Bearbeitung entscheidet, entscheidet man sich auch für eine bestimmte Strukturierung des Themas, z. B. für das Hervorheben einiger Aspekte auf Kosten anderer. Man könnte sagen, die Art der Bearbeitung macht erst das Thema zum Thema. Da aber im Hinblick auf die Intentionen des Unterrichts - nämlich ein richtiges Bewußtsein über das Thema herzustellen - die Strukturierung des Themas nicht einfach den zufälligen Kommunikationsmodi überlassen bleiben kann, sondern an objektiven Kriterien gemessen werden muss - als deren Inbegriff der Stand der wissenschaftlichen Diskussion auf dem jeweils fortgeschrittensten Standard angesehen werden muss - , muß eben diese Differenz zwischen Kommunikationsvariation und objektivem Anspruch zum Problem gemacht werden. Ein erstes Kriterium für die Beurteilung der folgenden Varianten wäre also: Welche sachlichen Aspekte, Dimensionen und Zusammenhänge werden durch diese spezifische Bearbeitung erreicht und welche werden nicht erreicht bzw. weniger?

2. Bei der Bearbeitung eines Themas geht es niemals nur um das abstrakte Endergebnis des Bewußtseins - etwa in Form sachbezogener Einsichten - , sondern auch um die Aneignung bestimmter Fähigkeiten und Fertigkeiten, die wir zusammenfassend als die Arbeitsmethoden bezeichnen

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können. Wer etwa einem Vortrag zuhört, übt die Fähigkeit, einem logischen Gedankengang zu folgen und ihn mit bisherigen Ansichten und Erfahrungen zu konfrontieren; wer eine lokale Sozialstudie über ein Thema erarbeitet, übt den Gebrauch empirischer Erhebungsmethoden. Es liegt also auf der Hand, daß jede Variante der Arbeitsorganisation bestimmte Arbeitsmethoden mehr und bestimmte andere weniger oder gar nicht trainiert. Unser zweites Kriterium lautet deshalb: Welche Arbeitsmethoden werden durch eine Variante mehr und welche weniger oder gar nicht geschult?

3. Jede denkbare Variation setzt unterschiedliche Möglichkeiten der Mitbestimmung der Lernenden an den Lernprozessen frei. Beim Lehrervortrag ist das anders, als wenn die Klasse über ein Thema selbst etwas herstellt. Deshalb lautet das dritte Kriterium: Welche Möglichkeiten der Mitbestimmung an den gemeinsamen Arbeitsprozessen ermöglicht eine bestimmte Variante der Arbeitsorganisation? Oder allgemeiner ausgedrückt: Welche Rollen kann der Schüler in einer bestimmten Unterrichtsvariation einnehmen und welche nicht?

4. Jede denkbare Variation weist auch dem Lehrer unterschiedliche Rollen zu, wonach also unser viertes Kriterium fragt.

Diese Kriterien zeigen schon, daß die Frage nach "der" besten Methode falsch gestellt ist. Jede Variante der Arbeitsorganisation hat vielmehr bestimmte Chancen, aber auch bestimmte Grenzen, mit jeder kann man bestimmte Teilziele erreichen, andere wieder nicht oder weniger gut. Unsere These lautet daher: Nicht das Votum für bestimmte methodische Varianten und gegen andere ist ein Beweis für das methodische Können des Lehrers, sondern seine Fähigkeit, die verschiedenen Varianten optimal im Rahmen der angestrebten Lernziele miteinander zu kombinieren. Erst die Art und Weise der Kombination läßt ein Urteil über den Unterricht zu, ob er z. B. autoritär oder weniger autoritär ist Für sich genommen sind die Kommunikations-

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varianten nur dann problematisch, wenn sie verabsolutiert, d. h. ohne Rücksicht auf ihren partiellen Sinn für allgemeingültig gehalten werden.
 

Der Lehrgang -
Oder: Man kann sich von einem Fachmann über ein Problem belehren lassen.
 

Die in der Schule nach wie vor am meisten verbreitete Form der Arbeitsorganisation dürfte immer noch der Lehrgang sein, ja, es erscheint außerordentlich schwierig, seine Dominanz zu brechen. Selbst die Schulorganisation ist etwa mit der Aufteilung in Fachstunden und der Zeiteinteilung in 45-Minuten-Stunden auf diesen Typus hin angelegt. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Schulunterricht in verschiedenen Fächern abläuft, die ihre Lehrgänge nach der ihnen zugewiesenen Wochenstundenzahl kalkulieren und organisieren. Auch die Ausbildung der Lehrer ist überwiegend immer noch an dieser Organisationsform orientiert. "Methodik" in diesem Verständnis ist der Versuch, den Typus des Lehrgangs zu variieren, nicht jedoch, den Lehrgang selbst als eine Variante zu behandeln.

Das Grundmodell des Lehrgangs ist, daß der Lehrer - oder auch mehrere Lehrer - auf der Grundlage seiner wissenschaftlichen Ausbidung einerseits und der didaktisch-methodischen Ziel- und Bedingungsanalyse (z. B. Altersstufengemäßheit) andererseits ein bestimmtes Stoffgebiet zur Lehre vorbereitet und in der vorgesehenen Zeiteinheit den Schülern "darbietet". Die Zeiteinheit ist mindestens die 45-Minuten-Stunde, meist jedoch eine Vielzahl davon. In der Ausbildung wird großer Wert darauf gelegt, daß jede Stunde hinsichtlich der angestrebten Lernziele und des zeitlichen Ablaufs vorbereitet wird, daß sie in sich einen sinnvollen Abschluß hat, an den die nächste Lehrgangsstunde anknüpfen kann. Insofern die Einzelstunde Teil eines größeren Stoffdurchganges ist, soll zu Beginn das Ergebnis der letzten Stunde wiederholt werden, woran sich

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die neue Darbietung anschließt; gegen Ende der Stunde sollen gegebenenfalls die Hausaufgaben vorbereitet werden.

Dem Grundprinzip des Lehrgangs, daß die vom Lehrer vorgeplante Arbeitsorganisation und Zielstruktur auch tatsächlich von den Schülern nachvollzogen wird, sind alle weiteren methodischen Aspekte untergeordnet. Die Auswahl der Medien wird von daher im Sinne einer technischen Konsequenz abgeleitet; die Schülerfrage ist z. B. nicht als solche Thema der Bearbeitung, sondern nur insofern sie sich im Rahmen der vorgeplanten sachlichen Perspektive hält bzw. der Vergewisserung des Verständnisses dient. Der Lehrgang muß also keineswegs vom Lehrervortrag und Frontalunterricht beherrscht werden; möglich ist vielmehr auch über weite Strecken Gruppenunterricht oder Arbeitsunterricht, wo in Rede und Gegenrede unterrichtet wird. Immer bleibt es jedoch dabei, daß der Lehrer gegenüber den Schülern die "Sache" vertritt und deren Bearbeitungsstruktur organisiert.

Überprüfen wir nun diese Arbeitsorganisation an unseren vier Kriterien

1. Sachliche Reichweite: Beim Typ des Lehrgangs wird besonders deutlich, daß die Art und Weise der Arbeitsorganisation den Gegenstand der Arbeit mit konstituiert. In ihn gehen nämlich wichtige Vorentscheidungen über die Sache selbst ein: z. B. Annahmen darüber, was wichtiger und was weniger wichtig ist, auf welche Aspekte es besonders ankommt und auf welche weniger. So oder so nämlich beruht der Lehrgang auf einer logisch plausiblen Ordnung von Erkenntnissen, Denkschritten, Informationen und Methoden - so wie etwa ein guter Vortrag oder ein gut geschriebenes Buch verfahren würden. Ferner zwingt der didaktische Zweck zu Annahmen darüber, was "leichter" und was "schwerer" sei. Ist es z. B. "leichter", von einem komplexen Gegenstand - etwa einem politischen Konflikt - auszugehen und dann einzelne Aspekte logisch-systematisch zu behandeln? Oder ist es umgekehrt leichter, erst die

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Grundlagen und Begriffe zu klären, um dann sich der Komplexität zu öffnen? Der oft erhobene Vorwurf der "Lebensferne" des Unterrichts hängt mit der Dominanz der Lehrgangsorganisation zusammen; denn in dem Maße, wie der Stoff lehrgangsgerecht organisiert wird, ordnet er sich nicht mehr nach den Strukturen des lebensbezogenen praktischen Bewußtseins, sondern nach denen seiner eigenen immanenten Logik. Daraus folgt, daß die Organisationsform des Lehrgangs zwar sehr geeignet und auch unentbehrlich ist für das systematische Training des Bewußtseins, nicht jedoch auch für das Training des handlungsorientierten praktischen Bewußtseins. In Lehrgängen lernt man, ein systematisches Bewußtsein über politische Sachverhalte zu trainieren, aber man lernt nicht, es auch für praktische Zwecke zu strukturieren. Ferner folgt daraus, daß der politische Unterricht immer Anteile vom Typus des Lehrganges aufweisen muß, insofern eben die systematische Bearbeitung des Bewußtseins ohne ihn nicht möglich ist.

2. Favorisierte Arbeitsmethoden: Sieht man auf die Arbeitsmethoden, die der Lehrgang seitens der Schüler benötigt, so stehen im Vordergrund Fähigkeiten der logischen Gliederung und der begrifflichen Unterscheidung. Auch wissenschaftliche Methoden können je nach Stoff und Arbeitsmaterial gelernt werden. Relativ weniger wichtig sind kommunikative Fähigkeiten, etwa die Fähigkeit, andere für die eigenen Vorstellungen zu werben oder eigene Positionen unter sozialem Druck durchzuhalten bzw. zu variieren.

3. Schülerrolle: Die Schüler spielen beim Lehrgang eine wesentlich rezeptive Rolle, wenn man davon absieht, daß der Nachvollzug der im Lehrgang organisierten Lernschritte auch eine spezifische intellektuelle Aktivität erfordert. Da im allgemeinen jedoch nur der Lehrer aufgrund seines fachlichen und didaktischen Vorsprungs für die Vorplanung eines Lehrgangs in Frage kommt, haben die Schüler eine tatsächliche Mitbestimmungsmöglichkeit nur für die Wahl des Gegenstandes und im übrigen für die opti-

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male Durchführung; d. h. sie müssen signalisieren, wenn Lernschritte nicht plausibel sind, zu schnell erfolgen oder nicht verstanden wurden. Zudem unterwirft der Lehrgang die Schüler gleichen Lernleistungen, nämlich intellektuell-verbalisierenden, so daß andere, für die politische Bildung nicht weniger wichtige Verhaltensfähigkeiten hier weniger zum Zuge kommen können.

4. Lehrerrolle: Entsprechend kann die Rolle des Lehrers gekennzeichnet werden. Er allein ist für die inhaltliche Konstruktion des Unterrichts verantwortlich und behält die Führung auch im Unterrichtsprozeß selbst. Andere Rollen - z. B. die des Beraters - sind in diesem Arbeitstyp nicht oder höchstens am Rande vorgesehen.

Die Produktion -
Oder: Man kann über ein Problem etwas herstellen.

Alle nun folgenden Typen der unterrichtlichen Arbeitsorganisation haben sich entwickelt als Korrektur des in der Schule dominanten Organisationstypus des Lehrganges, um nämlich dessen Einseitigkeiten zu kompensieren. Für solche Innovationen boten besonders außerschulische Bildungseinrichtungen der Erwachsenenbildung und der Jugendarbeit relativ günstige äußere Voraussetzungen.

Das Organisationsmodell der "Produktion" wurde in einer Jugendbildungsstätte für Tagungen mit Volksschulklassen und Lehrlingsgruppen entwickelt (vgl. H. Giesecke: Politische Bildung in der Jugendarbeit, 3. Aufl. 1972). Ausgangspunkt war die Erfahrung, daß die Teilnehmer für eine Fortsetzung des lehrgangsgemäßen Unterrichts unter den Freizeitbedingungen der Tagungsstätte nicht sonderlich motiviert waren und daß ihnen nicht nur formale Fähigkeiten für systematisches intellektuelles Arbeiten fehlten, sondern auch kommunikative Fähigkeiten (kooperieren; Interessen und Meinungen gegen andere durchhalten; schriftliche und optische Darstellungen der eigenen Position verfassen usw.). Im Vergleich zum Lehrgang er

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gab sich daraus eine Aufgabenverschiebung: Nicht nur das Bearbeiten eines politischen Problems sollte angestrebt werden, sondern auch die Darstellung der Arbeitsergebnisse für andere mit dem Zweck, bei diesen anderen für die eigenen Einsichten zu werben und mit ihnen darüber in eine Diskussion einzutreten.

Unter diesem Aspekt muß nicht nur das politische Thema formuliert werden, es muß vielmehr auch von vornherein geprüft werden, auf welche Weise sich das Thema (auch technisch) darstellen läßt. Wählen wir für die Beschreibung des Modells das Thema "Freizeit" - bewußt noch ohne nähere Charakterisierung. Darstellen läßt sich dieses Thema z. B. in Form einer Tonband-Reportage (Feature) und einer Fotoausstellung. Obwohl also die ganze Klasse am selben Thema arbeitet, müssen sich Gruppen für die einzelnen Darstellungsformen bilden, deren Größe abhängt von der Art der Aufgabe (jedes Gruppenmitglied muß für irgendeine Funktion gebraucht werden). Es wäre auch möglich, daß jede Gruppe ein eigenes Thema wählt; wichtig ist nur, daß die Gruppen wechselseitig zum Publikum werden können, und der Sachverstand des Publikums ist größer, wenn alle Beteiligten am gleichen Thema gearbeitet haben.

Die erste Schwierigkeit der einzelnen Gruppen besteht darin, die Aufgabe im Hinblick auf die gewählte Darstellungsform zu konkretisieren - etwa: "Freizeit in einer Vorstadt" für die Fotogruppe und "Feierabend in einem Dorf" für die Tonbandgruppe.

Dann folgt die Phase der Erhebung des Materials. Dazu müssen Hypothesen gebildet werden, die möglichst alternativ formuliert werden, etwa: Die Menschen sind zufrieden - sie sind nicht zufrieden; sie haben genug Freizeit - sie haben nicht genug Freizeit; die örtlichen Freizeitmöglichkeiten sind ausreichend - sie sind nicht ausreichend. Ferner muß überlegt werden, welche Informanten man was fragen will, und man muß wiederum möglichst alternative Hypothesen darüber haben, was sie antworten werden. Vor allem für spontane Interviews ist wichtig, sich

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vorher anhand solcher Alternativen zu überlegen, was man nachfragen könnte.

Der Entwicklung solch alternativer Hypothesen kann eine systematische Beschäftigung mit dem Thema vorausgehen; es genügt zunächst aber auch, wenn die vorliegenden Erfahrungen und Meinungen der Gruppe auf diese Aufgabe hin strukturiert werden. Man kann gleichsam davon ausgehen, daß die Gruppe ihre bereits vorliegenden politischen Überzeugungen zum Thema darstellen und zur Diskussion stellen will.

Wenn das Material unter den genannten Gesichtspunkten der Hypothesen gesammelt ist, muß es für die Darstellung bearbeitet werden. Material an sich sagt noch nichts aus, ist auch für Außenstehende weitgehend uninteressant. Da die Gruppe nicht nur nach dem gefragt hat, was sie vorher selbst zum Thema meinte, sondern Alternativen zugelassen hat, muß sie sich zunächst zumindest mit denjenigen Ergebnissen befassen, die den eigenen Vorannahmen widersprechen: sie muß das Material interpretieren. Da sie zudem ihre Darstellung anschließend mit einem Publikum diskutieren soll, muß sie wohl oder übel sich nun etwas "theoretischer" mit dem Thema befassen: sie braucht jetzt kurze systematische Lehrgänge zum Verständnis des Materials. Im Unterschied jedoch zum klassischen Typus des Lehrgangs, der in gewisser Weise Selbstzweck ist, bekommen die einzelnen Lehrgänge nun eine instrumentelle Funktion, und zwar in einem doppelten Sinne: Einmal dient das Gelernte nun einem konkreten Zweck, nämlich eine eigene Produktion über ein Thema mit Publikum diskutieren zu können; es dient gewissermaßen einer konkreten Situation mit exemplarischem politischen Charakter. Zum anderen stehen die Lehrgänge nun im Dienst von Fragen, die die Schüler im Rahmen ihrer Produktion aufwerfen, etwa: "Was ist eine Subkultur und wie entsteht sie?" Oder: "Warum nehmen die Menschen es hin, daß die Stadt so wenig Freizeiteinrichtungen hat?" Oder: "Warum gibt es so wenig Kinderspielplätze?" usw. Wird der Lehrer nun um die systematische Beantwortung solcher

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Fragen gebeten, tritt er zwar auch als Leiter und Planer eines Lehrgangs auf, gleichwohl aber in einer im Unterschied zum klassischen Lehrgang modifizierten Rolle: in einer Mischung aus Informant und Berater.

Die Probleme der Darstellung des Materials sind jedoch mit der Klärung der Sachfragen nicht bereits gelöst. Da vielmehr die Darstellungen Wirkungen beim Publikum erzeugen sollen, muß überlegt werden, wie diese Wirkungen am besten hergestellt werden können; die Darstellung darf nicht langweilig wirken, aber auch nicht zu kompliziert. Sie muß sich um wenige Thesen gruppieren, deren Differenziertheit angedeutet, aber nicht im einzelnen ausgeführt wird. Zudem müssen Grundkenntnisse der mediengerechten Darstellung angewendet werden, die der Lehrer oft weniger kennt als die Schüler, etwa: eine einzelne Stimme, zumal wenn sie ungeschult ist, wirkt auf dem Tonband sehr schnell uninteressant; an den selbstgemachten Texten muß also gearbeitet werden, die Sätze müssen einfach und unkompliziert sein. Oder: Eine Ausstellung von selbstgemachten Fotos ist erst dann mehr als eine Summe von Bildern, wenn optisch klar gegliedert wird usw.

Da es sich hier um journalistische Produktionen handelt, müßte nun eigentlich ein Exkurs über Techniken der journalistischen Darstellung eingefügt werden. Darüber jedoch muß sich der Lehrer an anderer Stelle informieren, am besten durch die Analyse journalistischer Produkte selbst. Wir müssen uns hier mit einigen prinzipiellen Hinweisen begnügen:

Erstens ist die bloß sachlich-systematische Darstellung wenig interessant; auch seriöse journalistische Beiträge versuchen zumindest ein Vorurteil oder eine falsche Ansicht zu korrigieren. Eine Darstellung hat nur Sinn, wenn sie für etwas und gegen etwas eintritt.

Zweitens muß sich die Widersprüchlichkeit des politischen Lebens selbst auch in der Darstellung widerspiegeln. Das kann milde geschehen ("zwar ... , aber ... ") oder auch in harten Schnitten: Reichtum wird gegen Armut gestellt, Macht gegen Ohnmacht, ideologischer Schein gegen die

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Realität usw. Eine auf Wirkung bedachte Darstellung müßte diese Widersprüche selbst "zum Sprechen bringen".

Drittens: Die gesellschaftlichen Widersprüche zeigen sich jedoch nicht nur verteilt auf unterschiedliche Personen bzw. Personengruppen, sondern auch innerhalb der Vorstellungen ein und derselben Person. Eine Möglichkeit, diesen Widerspruch aufzudecken, ist die von Bert Brecht entwickelte Technik der "Verfremdung". Sie besteht darin, daß Dinge, Meinungen, Sentenzen usw. aus ihrem gewohnten Zusammenhang herausgenommen und in einen ungewöhnlichen Zusammenhang hineingestellt werden. Beispiel: Der Titel des Stückes von Brecht: "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" ("Aufstieg" wird gemeinhin mit "unaufhaltsam" und nicht mit "aufhaltsam" kombiniert). Oder: In einem Bild erscheint ein Auto auf der Bühne. Oder: Bei einem Weihnachtsfest werden Weihnachtslieder gesungen, während zur gleichen Zeit stumm ein Film über den Krieg in Vietnam abläuft. "Verfremdungen" sind jedoch kaum aus der Wirklichkeit, etwa aus der abfotografierbaren, herauszuholen, sie müssen vielmehr immer als solche montiert werden, bedürfen also immer eines hohen Maßes an intellektueller Kreativität und Phantasie, die ihrerseits wieder ein hohes Maß an politischer Bewußtheit zur Voraussetzung haben. Im Schulunterricht werden solche Einfälle verhältnismäßig selten sein, aber es wäre nötig, das Prinzip der Verfremdung gelegentlich zu erklären.

Produktionen also im hier gemeinten Sinne sind keine Schulaufsätze oder biedere Traktate, sondern auf Wirkung angelegte und an journalistischen Methoden orientierte politische Darstellungen. Es gibt eine Fülle von auch unter den üblichen technischen Möglichkeiten der Schule realisierbaren Variationen, von denen einige wenigstens genannt seien:

- Eine über die Bildstellen ausleihbare Bildserie mit kommentierendem Tonband, die nicht befriedigt, kann mit eigenem textlichen Material, z. B. Dokumenten, akustisch konfrontiert und erneut vorgeführt werden.

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- Dasselbe kann mit einem Film geschehen, zu dem ein neuer Text gemacht, auf Band gesprochen und wieder mit dem Film zusammen vorgeführt wird. Beide Fassungen können dann verglichen werden.

- Eine kontroverse Dokumentation kann zu einem Thema angefertigt werden.

- Die für ein Thema vorhandenen Lehrmittel können gesichtet, überprüft und durch eigene Produktionen ersetzt bzw. ergänzt werden.

- Das für ein Thema vorliegende Kapitel aus dem Schulbuch kann überprüft und durch zusätzliche Texte, Bilder, Dokumente usw. korrigiert, z. B. weniger einseitig gemacht werden.

- Eine Collage kann angefertigt werden. Dabei werden aus Zeitungen und Illustrierten Schlagzeilen und Bilder herausgeschnitten und unter dem Gesichtspunkt des Themas (z. B. "Freizeit") zu einem neuen Wandbild zusammengefügt.

- Für eine innerschulische oder sonstige Auseinandersetzung werden Flugblätter und Informationstexte verfaßt. Das hat jedoch nur Sinn, wenn ein tatsächlicher Anlaß vorliegt, sonst wird nur "Spielmaterial" hergestellt, das das Publikum nicht recht beurteilen und diskutieren kann.

- Man kann unter dem Gesichtspunkt: "Was wird weiter geschehen?" eine im Pressematerial dargestellte Geschichte (z. B. über einen verurteilten Jugendlichen) oder einen politischen Interessenkonflikt "zu Ende erzählen", d. h. aus der Perspektive des nächsten oder übernächsten usw. Jahres antizipierend darstellen. Das liefe auf die Frage hinaus, welche Zwänge und Determinanten man für eine solche Prognose in Rechnung stellen muß.

- Besonders interessant können optisch-akustische Kombinationen sein, wenn sie sonst getrennte und geschiedene gesellschaftliche Bereiche und Dimensionen gleichzeitig darstellen: Akustische Reportagen über Arbeitsbedingungen werden mit Werbe-Dias konfrontiert; oder akustische Werbeeinblendungen aus dem Funk werden mit Bildern aus den Lebensverhältnissen randständiger Gruppen kom-

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biniert; oder politische Willenserklärungen und Versprechungen, die entweder auf Band vorliegen oder eigens für diesen Zweck von Schülern auf Band gesprochen werden, werden mit aus der Presse entnommenen Karikaturen konfrontiert usw.

Bevor wir auch dieses Modell an unseren Kriterien messen, sei auf einige immanente Schwierigkeiten hingewiesen:

1. Dieses Modell ist unter den organisatorischen Bedingungen der Tagung entwickelt worden, und es dürfte nicht leicht sein, es in der Schule im üblichen 45-Minuten-Rhythmus zu realisieren.

2. Die Produktionen der Schüler müssen ernstgenommen werden, sie sind nicht etwa bloß "Aufhänger" oder "Anlaß", vielmehr das Ziel selbst, auf das hin der Unterricht zu organisieren wäre. Erfahrungsgemäß neigen ausschließlich für den Typ des Lehrgangs ausgebildete Lehrer dazu, in solchen Produktionen nur motivierende "Aufhänger" zu sehen, die die Schüler bei Laune halten sollen, bis man dann wieder zum "eigentlichen Thema", nämlich zum Unterricht des Lehrers kommt. Dabei wird jedoch übersehen, daß die Mißerfolgserlebnisse der Schüler, wenn ihre Produktionen mißlingen oder keine Anerkennung finden, erheblich größer sind als bei einer verpatzten Klassenarbeit. Deshalb darf der Lehrer die Hilfe, die er bei einer angemessenen Darstellung leisten muß, nicht unterschätzen; er muß sich also nicht nur stofflich vorbereiten, sondern auch Ideen hinsichtlich der Gestaltung sammeln und sich überhaupt intensiv mit den journalistischen Darstellungsformen befassen. Ein Lehrer, der nicht selbst ein Verhältnis zu diesen Darstellungsformen gewonnen hat, wird mit einem solchen Modell seine Schüler noch mehr frustrieren als mit einem schlechtgeplanten Lehrgang.

3. Überhaupt ist der Aufwand an Organisation höher als beim Lehrgang. Die Arbeit der Gruppen muß koordiniert werden, Zeitplanungen müssen aufgestellt und eingehalten werden, Material muß berechnet, beschafft und verwaltet werden usw. Vor allem dann, wenn die Klasse mit den hier

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benötigten Arbeitsformen noch wenig Erfahrungen hat, muß der Lehrer organisatorische Schwierigkeiten und Probleme antizipieren und rechtzeitig regeln helfen.

4. Die Gruppen benötigen geeignete Arbeitsplätze, wo sie andere nicht stören und selbst nicht gestört werden. Wo einer Klasse nur ein einziger Klassenraum zur Verfügung steht, ist dieses Modell nur schwer zu realisieren. Jedenfalls muß verhindert werden, daß eine solche Arbeitsorganisation schon an den unzulänglichen Bedingungen scheitern muß.

5. Wesentlich ist, daß die Produktionen einem Publikum vorgeführt und mit ihm diskutiert werden können. Nur dann sind sie überhaupt von sozialer Relevanz. Die Rolle des Publikums, also der Öffentlichkeit, können die anderen Gruppen der Klasse übernehmen, noch besser wäre jedoch, wenn man andere Klassen oder die Eltern dafür gewinnen könnte, die auf das Thema nicht vorbereitet sind und deshalb eine realistischere "Rückmeldung" ermöglichen.

6. Zu warnen ist auch vor allem bei jüngeren Klassen vor einem sich fruchtlos heiß laufenden Aktivismus, der möglicherweise durch einen Wettbewerb der Gruppen noch zusätzlich angeheizt wird. Deshalb sollte der Lehrer Hinweise, die als Aufforderung zum Wettbewerb der Gruppen untereinander aufgefaßt werden könnten, vermeiden. Nicht besonders auffällige "Gags" sind das Ziel dieser Methode, sondern das gedanklich geplante Einwirken auf die Vorstellungen anderer, nämlich des Publikums. Unter diesem Aspekt spricht einiges dafür, den Gruppen möglichst unterschiedliche Aufgaben zu geben, die einen Wettbewerb von vornherein nicht besonders nahelegen.

Unter dem Gesichtspunkt unserer Kriterien ergibt sich für dieses Modell folgende Beurteilung:

1. Sachliche Reichweite: Das Ziel der journalistischen Produktion bestimmt die Struktur der Sache mit. Die Komplexität eines politischen Problems oder Sachverhaltes bleibt ständig im Blick - allerdings nur so, wie sie sich dem Ensemble der Erfahrungen der Beteiligten darstellt, also

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als eine Art von "vorwissenschaftlicher Komplexität". Eine wissenschaftliche Theorie über diese Komplexität liegt nicht zugrunde. Daran ändern auch die eingeschobenen Lehrgänge grundsätzlich nichts. Diese können zwar eine gewisse Reichweite für systematische Erklärungen anstreben, aber doch nur im begrenzten Rahmen der im Prozeß der Produktion entstehenden Fragen, die ja zudem durch den zufälligen Kenntnisstand der Beteiligten motiviert sind. Wenn man sich vorstellt, daß nur auf diese Weise, d. h. als Addition von solchen Produktions-Projekten, politische Bildung stattfände, dann müßten sich folgende Mängel einstellen:

a) Da sich nicht jedes Thema gleich gut für solche Produktionen eignet - am geeignetsten sind solche, über die ein gewisses Potential an Lebenserfahrung bereits vorliegt - , würde auf diese Weise eine Auswahl getroffen, die keinem objektiven Maßstab standhalten würde; die technischen Aspekte der Darstellung würden also die didaktischen Entscheidungen präjudizieren.

b) Das unter diesem Aspekt ausgewählte Thema selbst würde ebenfalls eher nach technischen Gesichtspunkten denn nach objektiven kategorialen Maßstäben bearbeitet. Multipliziert würde dies zu einem Konglomerat von subjektivistischen Aspekten und unverbundenen additiven Vorstellungen führen.

Andererseits jedoch liegt der Vorteil dieser Methode gerade darin, daß sie praxisrelevantes Denken trainiert, was im Kontext des Lehrgangs gerade nicht möglich ist. Dabei kann die Situation des Produzierens bzw. der sozialen Präsentation des Produzierten durchaus als exemplarisch für andere Situationen gelten, in denen die eigene Position dargestellt wird, plausibel und auf den Kern der Sache gehend argumentiert und die Auseinandersetzung durch Diskussion mit anderen ausgehalten werden muß.

Aber schon im Vergleich dieser beiden Methoden - Lehrgang und Produktion - zeigt sich, daß die Objektivität politischer Verhältnisse nur in dem Maße ins Bewußtsein dringen kann, wie Lehrgangsanteile verwendet werden.

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Wir können daher jetzt schon sagen, daß für die Herstellung eines richtigen politischen Bewußtseins Lehrgangsanteile in gewissem Umfang immer nötig sind - ganz gleich, welche Organisationsvarianten sonst noch angewendet werden.

2. Favorisierte Arbeitsmethoden: Im Unterschied zum Lehrgang trainiert die Produktion eine Reihe wichtiger Arbeitsmethoden:

a) die Fähigkeit, innerhalb einer Gruppe zu kooperieren;

b) die Fähigkeit zur Kreativität und Phantasie im Rahmen der Darstellung der Arbeitsergebnisse;

c) die didaktisch-methodische Fähigkeit, Gelerntes anderen mitzuteilen und den Adressaten so mit zum Problem zu machen;

d) die Fähigkeit, einfache Hypothesen zu bilden;

e) die Fähigkeit, selbstbewußt Material bei fremden Menschen und Institutionen zu erheben;

f) die Fähigkeit zur Differenzierung der sprachlichen und

nichtsprachlichen Kommunikation;

g) die Fähigkeit, eigene Lernprozesse sozial zu präsentieren;

h) die Fähigkeit, journalistische Darstellungsformen zu verstehen und selbst zu handhaben, was man z.B. bei "Bürgerinitiativen" oder Interessenvertretung in der Schule braucht. Derartige Fähigkeiten des "Aktions-Könnens" wären als Pendant zum "Aktions-Wissen" zu verstehen (vgl. Didaktik, S. 199 ff.).

3. Schülerrolle: Im Vergleich zum Lehrgang verändert sich die Rolle des Schülers. Er bestimmt nun die Inhalte und Modalitäten der Arbeitsorganisation erheblich mit, da seine Arbeitsergebnisse nicht nur vom Lehrer - etwa im Rahmen einer Klassenarbeit - , sondern auch von einem mehr oder weniger sachkundigen Publikum überprüft und kontrolliert werden; der Schüler und nicht der Lehrer muss vor diesem Publikum Rede und Antwort stehen. Die Schüler müssen nun selbst ihre "Lücken" entdecken und durch Fragen dem Lehrer mitteilen, der erst danach systematisch antwortet. Außerdem wird nicht von allen Schülern die

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gleiche Art von Mitarbeit verlangt. Vielmehr können verschiedene "Begabungen" im Rahmen der Gruppen zum Zuge kommen: z. B. organisatorische Fähigkeiten, kommunikative Wendigkeit, Einfallsreichtum, technisches Verständnis und anderes mehr. Die "Klugen" sind hierbei auch auf die bloß "Gescheiten" angewiesen und umgekehrt.

4. Lehrerrolle: Entsprechend verändert sich die Rolle des Lehrers. Er ist nun weniger Herr über den Stoff und seine Planung als vielmehr Organisator der äußeren Arbeitsbedingungen, Berater, wenn die Gruppe nicht weiter weiß, und Informant, wenn die Gruppe ihn benötigt.

Die Sozialstudie -
Oder: Man kann ein Problem erforschen.

Ein Sonderfall der eben beschriebenen Produktion ist die Sozialstudie. Auch hier geht es um die Herstellung von etwas, allerdings nicht auch unbedingt um die Darstellung der Ergebnisse für ein Publikum - obwohl auch das, wie wir sehen werden, angestrebt werden kann.

Sozialwissenschaftliche Forschungen über gesellschaftliche Probleme - z. B. Freizeit, Konsum, Obdachlosigkeit, Schulwesen, Arbeitsverhältnisse usw. - sind meist entweder repräsentativer Art oder beziehen ihr Material aus Fall- und Projektanalysen außerhalb der heimischen Umgebung der Schüler. Solche Untersuchungen sollten wenigstens in exemplarischer Form und hinsichtlich ihrer methodischen Anlage im Unterricht berücksichtigt werden. Es ist klar, daß dafür nur verhältnismäßig einfach angelegte Untersuchungen und auch nur Teile davon in Frage kommen. Dazu gehören etwa Umfrageergebnisse und statistische Erhebungen, z. B. über den Umfang der Freizeit, über Freizeitinteressen, über die für den Konsum zur Verfügung stehenden Mittel, über Durchschnittseinkommen usw. Schon im Hinblick darauf, daß öffentliche politische Diskussionen immer auch mit einem solchen Material geführt

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werden, muß der politische Unterricht wenigstens in die Elementaria der Statistik und der Umfrage-Methoden einführen.

Unter der Voraussetzung, daß solche Forschungen und Erhebungen im Unterricht bereits behandelt worden sind, könnten sie in einer Sozialstudie an den örtlichen Verhältnissen überprüft werden. Der Unterschied zur Produktion besteht also darin, daß hier von vornherein wissenschaftliche Kriterien eine Rolle spielen. Zwar kann man unter den Bedingungen der "Produktion" auch einen Sozialreport erstellen, aber der Ausgangspunkt für ein wie immer elementarisiertes wissenschaftliches Vorgehen ist die vorliegende "Forschungslage", also die Kenntnis darüber, was von dem, was man selbst erforschen will, bereits wie erforscht ist. Wissenschaftliche Arbeit gibt es nur in der Kontinuität, niemals einfach vom Nullpunkt an. Ferner ist charakteristisch dafür die Klarheit über die angewandten Methoden.

Nun wird man einwenden, daß diese Ansprüche für die Schule überhöht seien. Erfahrungen in den Ostblockländern und in den USA sowie die Ansprüche des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts zeigen jedoch, daß das nicht stimmt. Entkleidet man nämlich die methodischen Probleme ihres fachwissenschaftlichen Spezialjargons und führt sie auf ihre fundamentale Logik zurück (z. B. Problem - Vorannahme - Fragen - Suchen - Deuten usw.) sind sie ebenso plausibel wie mathematische Operationen. Wo z. B. die Grenzen des persönlichen Interviews liegen, kann man zeigen, wenn ein Mitglied der Klasse ein anderes tatsächlich interviewt. Eher liegt es an der methodischen Unkenntnis der Lehrer selbst, wenn Sozialstudien Schwierigkeiten bereiten und kaum im Schulunterricht eine Rolle spielen.

Das einfachste Beispiel wäre, etwa die Aussagen über Umfang und Inhalt der Freizeit an den Verhältnissen der Klassenmitglieder und ihrer Familienangehörigen bzw. Bekannten zu überprüfen. Die methodischen Grundüberlegungen wären beim Entwurf des Fragebogens bereits an-

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zustellen, wo der Lehrer - anders als bei der Produktion - die fachliche Führung übernehmen muß. (Das methodische Problem kann man nicht durch Suchen und Meinen lösen.) Nachdem der Fragebogen entwickelt und vorhanden ist, muß jeder S6tiüler aus seinem Verwandten- und Bekanntenkreis z. B. drei Personen interviewen. Die grundlegenden Techniken des Interviews (z.B. Fragen stellen, auch erklären, aber nicht diskutieren und beeinflussen) können in der Klasse geübt werden.

Die anonymen Fragebogen werden in der Klasse ausgewertet und ausgezählt, was arbeitsteilig in Gruppen erfolgen kann. Bei der Auswertung werden die eigenen Ergebnisse zunächst mit den Ausgangsbefunden der Freizeitforschung verglichen, wobei das Problem der Repräsentativität (für die Schule, die Gemeinde usw.) geklärt werden muß. Dazu müssen entsprechende Sozialstatistiken zu Rate gezogen werden. Für die Deutung interessant sind die Eigenergebnisse jedoch erst in dem Maße, wie sie von den allgemeinen abweichen. Wie sind die Abweichungen zu erklären?

In dem eben geschilderten Fall wurden allgemeine Untersuchungen an konkretem, in dieser Form noch nicht untersuchtem Material überprüft. Denkbar wäre auch, eine andere spezielle Untersuchung - z. B. über die Freizeit der Jugend in einer bestimmten Landgemeinde - in der eigenen Gemeinde teilweise anzuwenden und zu überprüfen Am interessantesten dürfte jedoch eine solche Sozialstudie sein, die einem praktischen Zweck dient, etwa einer Stellungnahme zu einem akuten lokalen Problem. Nehmen wir z. B. an, in der Gemeinde soll eine Jugendfreizeitstätte errichtet werden; dieser Plan stößt aber auf Widerstand, bzw. es gibt Meinungsverschiedenheiten über die Details. In der Regel werden solche Entscheidungen ohne statistische und sonstige empirische Unterlagen getroffen und ohne daß bisher vorliegende wissenschaftliche Ergebnisse und praktische Erfahrungen verwendet werden. Sie werden ohne Rücksicht darauf rein dezisionistisch getroffen. In einer solchen Lage kann eine Schulklasse eine Art von mitbürger-

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licher Dienstleistung anbieten, indem sie eine Expertise erstellt und in die Diskussion einführt. Im Unterschied zur "Produktion", die immer einen agitatorischen Tenor hat, sollten die aus einer Expertise erwachsenden Vorschläge zurückhaltender sein. Eine solche Expertise müßte in unserem Beispiel etwa folgende Fragen beantworten:

- Was weiß man allgemein über die Freizeit der Jugendlichen, vor allem über ihre Freizeitbedürfnisse und Freizeitinteressen? - Das dazu benötigte wissenschaftliche Material kennt im allgemeinen nur der Lehrer; je nach Alter der Schüler kann er es in Auswahl entweder den Schülern zur Bearbeitung übergeben oder er muß die wichtigsten Ergebnisse oder Gesichtspunkte von sich aus beisteuern.

- Welche (kommerziellen und nicht-kommerziellen) Freizeitmöglichkeiten stehen in der lokalen Umgebung tatsächlich zur Verfügung und was kostet ihre Benutzung? - Diese Frage kann meist von den Schülern aus eigener Kenntnis oder durch Befragungen anderer Jugendlicher beantwortet werden. Das Jugendamt kann über die Freizeitangebote der Jugendarbeit befragt werden, die Gemeinde über die Zahl der Gaststätten usw.

- Welche Freizeitbedürfnisse der Jugendlichen können mit dem vorhandenen Angebot nicht befriedigt werden? - Diese Frage kann nur durch eine Erhebung bei den Jugendlichen selbst beantwortet werden. Die technisch einfachste Möglichkeit, Jugendliche zu befragen, bietet die Schule (einschließlich Berufsschule) selbst. Je nach Größe der Gemeinde oder des Stadtteils müssen nicht alle Schüler befragt werden, sondern nur ausgewählte Klassen, wobei alle in Frage kommenden Schularten und Altersjahrgänge zu berücksichtigen sind. Ferner ist ausreichend für diesen Zweck, wenn die Freizeitbedürfnisse zur Auswahl vorgegeben und dann nur angekreuzt werden. Welche Vorgaben berücksichtigt werden müssen, ergibt sich einmal aus der Freizeitforschung (worauf also der Lehrer achten muß), zum anderen aber auch aus Vor-Interviews mit einzelnen, wegen ihrer unterschiedlichen Freizeitinteressen bekannter Ju-

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gendlicher; außerdem müßte die Vorgabe auch freien Platz für nicht vorformulierte Bedürfnisse und Interessen enthalten. Wenn der Lehrer bei der Formulierung des Fragebogens zu Rate gezogen wird, kann die Erhebung von den Schülern selbständig durchgeführt werden.

- Welche Einstellungen haben bestimmte, beruflich bzw. politisch zuständige Experten zu dem Projekt? - In Frage kämen z. B. die Vertreter der Parteien, der Direktor einer Schule, Arbeitgeber, Vertreter der Gewerkschaften und Vertreter des Jugendamtes. Die Art und Weise der Stellungnahme (ob schriftlich, ob mündlich, ob mit oder ohne Tonband usw.) muß man den Befragten überlassen, aber die Fragen sollten so konkret wie möglich gestellt werden. Auch diese Aufgabe können die Schüler selbst bei entsprechender Beratung durch den Lehrer leisten.

Besonders wichtig ist die Hilfe des Lehrers auch hier bei der Darstellung. Wie schon betont wurde, geht es bei einer Expertise nicht um Agitation, sondern um eine Dienstleistung für öffentliche Entscheidungsprozesse. Dem müssen Textfassung (knapp; übersichtlich; gut gegliedert) ebenso wie die Tonart entsprechen. Unter Umständen muß der Lehrer viel Überzeugungskraft und einige Arbeit bei der Formulierung investieren, um die Schüler vor einer öffentlichen Blamage zu schützen. Zwar ist nicht auszuschließen, daß je nach politischem Klima auch eine sachliche Expertise und die daraus erwachsenden Vorschläge angegriffen werden, aber es kommt dann darauf an, daß andere auch bereit sind, sie als sachlich zu verteidigen. Im Unterschied zur Produktion, wo der Lehrer sich mit den Ergebnissen nicht unbedingt identifizieren muß, muß er sich in diesem Falle mit dem Ergebnis solidarisieren können, und das heißt auch bereit sein, es öffentlich mit zu vertreten.

Auch diese methodische Variante enthält eine Reihe immanenter Probleme:

1. Informationserhebungen durch Schüler bei Institutionen und Behörden müssen dort vom Lehrer vorbereitet werden, damit die Schüler nicht mit zusätzlichen Schwie-

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rigkeiten rechnen müssen (daß Kinder und Jugendliche dort Fragen stellen, ist noch immer nicht üblich).

2. Bei persönlichen Befragungen ist Vorsicht am Platze mit Fragen, die in die Intimsphäre reichen oder sozial peinlich sein können (z. B. Fragen nach Eigentum und Einkommen).

3. Der technische Aufwand für eine Untersuchung darf nicht so erheblich sein, daß er das sachliche Interesse überspielt. Das ist nur dann zu gewährleisten, wenn der Lehrer den organisatorischen Aufwand sorgfältig antizipiert, kalkuliert und plant und sein Ausmaß den Schülern mitteilt, damit diese von vornherein eine Vorstellung davon bekommen und zwischendurch nicht entmutigt werden. Die Verantwortung für die organisatorische Planung und Kalkulation kann nur der Lehrer übersehen und auch übernehmen.

4. Man muß davon ausgehen, daß die Sozialstudie nicht am Anfang der Bearbeitung eines bestimmten Themas stehen kann. Man kann etwa das Thema "Freizeit" nicht so bearbeiten, daß man gleich mit einer wissenschaftlichen Untersuchung beginnt - an diesem Punkte unterscheidet sich die Sozialstudie von der Produktion. Zwar kann man eine solche Untersuchung von vornherein ins Auge fassen, aber vorausgehen muß eine intensive systematische Beschäftigung mit dem Thema, und zwar überwiegend in Lehrgangsform, weil sich Hypothesen und Forschungsinteressen erst auf einem solchen Hintergrund ergeben können. Nötig ist ferner, daß der Lehrer im Verlauf des vorausgehenden Unterrichts einige wissenschaftliche Untersuchungen bzw. Theorien vorgeführt und auch hinsichtlich ihrer methodischen Anlage erklärt hat. Nur wenn der Unterricht im ganzen wissenschaftlich ist, paßt auch eine eigene Untersuchung in ihn hinein, sonst wird eine Untersuchung zur Farce.

5. Für die Öffentlichkeit bestimmte Expertisen kann man wohl nur mit älteren Schülern anfertigen, etwa vom 8. Schuljahr an. Die anderen Formen sind jedoch grundsätzlich auch schon früher möglich.

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Unter dem Gesichtspunkt unserer vier Kriterien ergibt sich für die Sozialstudie folgende Beurteilung:

1. Sachliche Reichweite: Es liegt auf der Hand, daß es nur sehr wenige Themen gibt, die in Form einer Sozialstudie bearbeitet werden können. Schon aus diesem Grunde kann diese Unterrichtsform nur eine gelegentliche Variante sein. Im übrigen steht sie dem Lehrgang näher als der Produktion, weil sie ohne erhebliche lehrgangsmäßige Anteile gar nicht denkbar ist.

2. Favorisierte Arbeitsmethoden: Ihr eigentlicher Wert liegt denn auch im formalen Bereich: Training systematischen wissenschaftlichen Vorgehens, Einführung in wissenschaftliche Methoden und in methodisch abgesicherte Interpretationen. Soll die Sozialstudie für ein praktisches öffentliches Problem verwertet werden, müssen wiederum die Formen der Darstellung sowie die für eine öffentliche Diskussion nötigen Verhaltensweisen trainiert werden. Ferner kann gelernt werden, welche Informationen wo als öffentliche Dienstleistung zur Verfügung stehen.

3. Schülerrolle: Die Schüler sind hier wieder stärker von der Fachkompetenz des Lehrers abhängig, insofern jedoch die Ergebnisse vorher nicht bekannt sind, sondern gemeinsam mit dem Lehrer gefunden werden müssen, sind sie weniger von der Person des Lehrers abhängig als vielmehr von den Regeln wissenschaftlichen Vorgehens selbst. Zudem können die Schüler eine Reihe von Teilaufgaben selbständig bearbeiten.

4. Lehrerrolle: Der Lehrer vertritt hier nicht eine von ihm entworfene Stoffkonzeption, sondern die objektiven Ansprüche wissenschaftlichen Vorgehens, denen er selbst auch wieder unterliegt. Im übrigen ist er in ähnlichem Maße wie im Falle der Produktion als Berater und befragter Informant tätig. Im Falle einer für die Öffentlichkeit gedachten Expertise muß er zudem auch zusammen mit seinen Schülern eine öffentliche Rolle einnehmen und sich auch selbst entsprechender Kritik stellen.

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Die Provokation -
Oder: Man kann sich selbst zum politischen Problem machen.

Die bisher dargestellten Varianten lösen ein Problem nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres: Es bleibt nämlich die Frage, ob durch diese Unterrichtsformen die vorhandenen Einstellungen und Verhaltensweisen wirklich verändert werden. Alle überwiegend verbalen Lehrweisen - so haben zahlreiche sozialpsychologische Untersuchungen gezeigt - stoßen auf das Problem der kognitiven Dissonanz. Verkürzt gesagt ist damit folgendes gemeint: Alle Individuen haben die Neigung, an den einmal erworbenen Einstellungen und Urteilen nach Möglichkeit festzuhalten; das gilt vor allem für solche, die vom Individuum aus Gründen seiner sozialen Selbstdarstellung bzw. der Aufrechterhaltung seiner Identität für besonders wichtig gehalten werden. Informationen nun, die diesen Einstellungen und Urteilen widersprechen, werden entweder abgelehnt oder uminterpretiert, so daß sie mit den vorliegenden Einstellungen konform werden, oder sie werden bloß verbal nachvollzogen, ohne daß sie die Urteile und Einstellungen verändern oder überhaupt mit ihnen integriert werden. Sie werden dann nicht zur eigenen Erfahrung. Jeder Lehrer kann die Entdeckung machen, daß das, was er lehrt, oft gar nicht in die Person eindringt, ihr gar nichts bedeutet, sondern bloß gelernt wird, weil man es in der Klassenarbeit irgendwann präsentieren muß; aber außerhalb der Schulsituation hat es nicht die geringste Bedeutung mehr. Und jeder Lehrer, der sich ein wenig selbst beobachtet, weiß, daß er sich etwa in Konferenzen oder im Umgang mit Vorgesetzten ähnlich verhält.

Die pädagogischen Mitarbeiter des Jugendhofes Dörnberg bei Kassel haben in ihrem Buch "Selbsterfahrung und Klassenlage" (Lüers u. a., 1971) dieses Problem theoretisch und praktisch beschrieben. Auch sie machten die Erfahrung, daß die Jugendlichen unter dem sozialen Druck der Tagung die verbalen Lernangebote zwar aufgriffen -

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weil sie ja während der Tagung mit den Dozenten irgendwie "leben" mußten - , aber auch hier überwiegend das Gelernte zu ihren ganz anderen Einstellungen in Distanz hielten, also die kognitive Dissonanz nicht duldeten, sondern in Konsonanz zu verwandeln trachteten. Um den Teilnehmern diesen Widerspruch erfahrbar zu machen, ersannen die Dörnberger Pädagogen eine Reihe von Verfahren, die sie selbst nicht mit einem bestimmten Begriff versahen und die wir mangels eines besseren Begriffs "Provokation" nennen wollen. Sie gingen dabei nicht von einem sachlichen politischen Thema aus, das in irgendeiner Weise verbal zu bearbeiten war, sondern machten ihre jugendlichen Teilnehmer selbst zum politischen Thema, nämlich hinsichtlich der Widersprüchlichkeit von Meinung und einstellungsbedingtem Verhalten.

Dabei lassen sich drei Formen unterscheiden, die auch unterschiedlich zu beurteilen sind:

a) Die pädagogischen Leiter provozieren die Teilnehmer, indem sie diese sozialpsychologischen Tests unterwerfen;

b) die pädagogischen Leiter provozieren gemeinsam mit den Teilnehmern die Öffentlichkeit, indem sie gesellschaftliche Rituale verletzen;

c) die pädagogischen Leiter provozieren die Teilnehmer, indem sie von diesen ohne Begründung sinnlose Tätigkeiten verlangen.

Im ersten Falle wurden also gewisse Standardtests der Sozialpsychologie, die dem pädagogischen Konzept zugrunde lagen, mit den Teilnehmern zum Teil in modifizierter Form wiederholt. So wurde z.B. den jugendlichen Teilnehmern folgende fiktive Nachricht vorgelesen:

"Am 26. Jan. 1968 hat die unten abgebildete kaufmännische Angestellte ihrem 9jährigen Kind, einem Mädchen, das unehelich geboren wurde, mit Schlägen so zugesetzt, daß dem Kind das Nasenbein brach. Die Mutter fiel nicht nur durch solche Brutalitäten, sondern auch~ durch häufige Kaufhausdiebstähle den örtlichen Behörden auf" (S. 78).

Anschließend wurden fünf Dias von Frauen vorgeführt, und die Teilnehmer sollten angeben, welche zwei davon am ehesten die in der Nachricht genannte Frau darstellen, sowie welche

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zwei am wenigsten für diese Frau typisch seien. Die Bilder stammten aus der Zeitschrift "Brigitte" und zeigten nur zwei verschiedene Frauen. Die erste wurde zunächst als dicke, unvorteilhaft angezogene und frisierte Frau in der Totalen dargestellt, ein zweites Foto zeigte sie im Porträt nach einer Abmagerungskur und nach kosmetischen Manipulationen, dieses nun gut frisierte und geschminkte Mädchen wurde ein drittes Mal in der Totale gezeigt. Die zweite Frau erscheint auf einem Bild zunächst im Porträt als unschön, schlecht gekämmt und wenig gepflegt aussehend; sie erscheint ein zweites Mal wohlgepflegt, lächelnd und nett aussehend nach entsprechenden kosmetischen Manipulationen. Daß es sich nicht um fünf, sondern um zwei Frauen handelte, war in der Tat auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Die fünf Frauenbilder sollten nun nicht nur der verlesenen Nachricht zugeordnet werden, vielmehr sollte jedes der fünf Bilder in einem zweiten Schritt auch danach beurteilt werden, ob die darauf abgebildete Person

"a) eher reicher, weder noch, eher ärmer,
b) eher sympathisch, weder noch, eher unsympathisch,
c) eher intelligent, weder noch, eher dumm"

erscheine.

Das Ergebnis beider Tests enthüllt ein charakteristisches Stereotyp:

"1. Die weniger gut aussehenden, unvorteilhafter geschminkten und proportionierten Frauen erscheinen eher arm als reich, eher dumm als intelligent und eher für die Kindesmißhandlung disponiert; sie sind der Mehrzahl der Lehrgangsteilnehmer auch unsympathisch, ohne daß nähere Bekanntschaft mit ihnen besteht.

2. Die besser geschminkten, besser proportionierten, besser aussehenden Frauen werden eher als reich und intelligent beurteilt, sind den Lehrgangsteilnehmern sympathisch und werden eher als unkriminell eingestuft" (S. 81).

Das Buch "Selbsterfahrung und Klassenlage" enthält auf S. 51 ff. eine ganze Reihe solcher Experimente, andere finden sich etwa in dem Buch von Peter R. Hofstätter: "Einführung in die Sozialpsychologie".

Diese auf sozialpsychologischen Theorien und Forschungsmethoden basierenden Experimente fanden im Bereich der "pädagogischen Provinz" der Tagungsstätte statt. Um jedoch zu zeigen, daß eine öffentliche Verletzung selbst einfacher gesellschaftlicher Rituale Angst und Aggression her-

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vorruft, wurden solche harmlosen Regelverletzungen in der Öffentlichkeit einer Stadt von Studenten vorgeführt. Eine Zeitung berichtete wie folgt darüber:

"Auf der anderen Straßenseite flanierten zwei junge Männer Hand in Hand. Dieses Pärchen belustigte nahezu alle Vorübergehenden.

Gleichzeitig spielt sich in einem Cafe folgendes ab: Zwei junge Damen mit dicken, schwarzen Zigarren treten ein, setzen sich an einen Tisch und lackieren ihre Fingernägel. Vor Schreck läßt die Kellnerin den bestellten Kuchen fallen. Die übrigen Gäste kommentieren: 'Die Jugend muß ja wissen, was sie macht' ... - 'Apo'. - 'Sind sicherlich Ausländerinnen'. - 'Kann man nicht ändern, den Gestank'. - 'Da sollte die Polizei kommen'. - 'Wenn man unbedingt auffallen will ... '. - ... 'Ob das in der russischen Zone wohl auch vorkommt?'. - 'Jeder Mensch muß sich in die Gemeinschaft einfügen'. - 'So was habe ich noch nie erlebt'.

In einer benachbarten Konditorei tritt ein junges Paar ein, zieht sich die Schuhe aus, setzt sich an einen Tisch und begrüßt die Kellnerin mit Handschlag. Die Dame nimmt dem Herrn die Garderobe ab und rückt den Stuhl, um dann eine Flasche Apfelsaft zu bestellen. Die Kellnerin wird gebeten, zuerst einen Probeschluck einzugießen. Die anderen Gäste werden langsam unruhig und mokieren sich. 'Das ist ja das Letzte'. - 'Schweine'. - 'Ist nicht mehr viel los mit der Jugend'.

Kurz danach in einem anderen Cafe: Zwei junge Leute kommen herein, der junge Mann setzt sich an einen Tisch, das Mädchen auf seinen Schoß. Sie bestellen Milch und lesen ein Mickimausheft. Das können die übrigen Gäste nicht verstehen und rufen nach dem Geschäftsführer" (Lüers u. a., S. 74/75).

Während also der erste Typus von Provokation durch die Anwendung sozialpsychologischer Forschungsmethoden erfolgte, ergab sich der eben beschriebene zweite durch eine gemeinsame soziale Demonstration in der Öffentlichkeit, wie sie in ähnlichen Formen die studentische Protestbewegung als Happenings hervorbrachte. Davon zu unterscheiden ist ein dritter Typus, der wieder in der "pädagogischen Provinz" der Tagungsstätte arrangiert wurde. Beispiele dafür finden sich wieder in dem Buch "Selbsterfahrung und Klassenlage" Seite 117 ff. Die Quintessenz dieser

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Beispiele ist, daß die Lehrgangsteilnehmer höflich und korrekt, aber bestimmt zu einer sinnlosen, jedoch Disziplin erheischenden Tätigkeit aufgefordert wurden, der sie sich unterwerfen, ohne nach dem Sinn zu fragen. Eben diese Haltung sollte zur unleugbaren Selbsterfahrung werden.

Wir geben hier ein Beispiel wieder, das von Helmut Kentler berichtet wird (in: Was ist Jugendarbeit? S. 84 ff.), der meines Wissens diese Methode zum ersten Mal anwandte und damit zum Vorbild für die komplizierteren und differenzierteren Weiterentwicklungen auf dem Jugendhof Dörnberg wurde.

Kentler und seine Mitarbeiter hatten Oberschüler zu einer Tagung über Nietzsche eingeladen.

"Im Einladungsschreiben war darauf hingewiesen worden, neben Darwin, Freud und Marx gehöre Nietzsche zu den großen 'Demaskierern' und 'Provokateuren', und es sei einfach ein Mangel der Allgemeinbildung, ihn nicht zu kennen. Wie gut wir damit die Mentalität der Oberschuljugend getroffen hatten, bewies die hohe Anmeldungszahl - allerdings nahmen wir nicht mehr als 30 Teilnehmer auf. Schon der Beginn der Tagung enttäuschte sie jedoch: Nach einer kurzen Begrüßung, in der lediglich einige technische Dinge zum äußeren Tagungsablauf bekanntgegeben wurden, aber weder der Referent vorgestellt noch Nietzsche auch nur erwähnt wurde, baten wir die Teilnehmer, in kleine Arbeitsgruppen auseinanderzugehen, um sich mit einem Text 'auseinanderzusetzen', den wir sofort an sie verteilten; wir gaben die Anweisung, einen Berichterstatter zu wählen und nach 10 Minuten wieder zusammenzukommen, um die Berichte anzuhören. Die Teammitglieder verteilten sich auf die Gruppen, schwiegen aber und sorgten lediglich dafür, daß alle pünktlich ins Plenum zurückehrten. Hier taten wir so, als hätten wir die Berichterstattung vergessen; statt dessen verteilten wir wiederum einen Text und schickten die Teilnehmer in ihre Arbeitsgruppen zurück. Das geschah - ohne jede Erklärung, nun schon wie eine Routinehandlung - noch einmal. Dann wurde es Zeit zum Abendessen. Rasch kamen alle im Plenum zusammen, wieder verzichteten wir auf die Berichterstattung, verteilten noch einmal Texte und baten höflich, aber bestimmt, jeder möge für sich allein den Text während der Pause durcharbeiten, nach dem Abendessen würden wir dann darüber sprechen. Es entstand eine kaum merkbare Unruhe, aber gehorsam gingen alle sogleich zum Abendessen" (S. 84/85).

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Die vorgelegten Texte stammten jedoch nicht von Nietzsche, sondern von Helmut Heißenbüttel. Die Teilnehmer ließen sich viermal auf diese Weise wieder wegschicken, bis endlich einer aufmuckte und nach dem Sinn der ganzen Sache fragte. Auf die Antwort, daß man nur mal habe sehen wollen, wie oft Oberschüler das mit sich machen ließen, folgte ein Sturm der Empörung: Wenn Pädagogen so etwas machten, dann vertraue man ihnen, dann glaube man, daß die Sache irgendeinen Sinn habe. Die Mitarbeiter konterten: 'Es geht hier gar nicht um Vertrauen ... , sondern um etwas ganz anderes: Ich möchte wissen, wie es möglich ist, daß Menschen, die keine Kinder mehr sind, etwas tun - und zwar viermal hintereinander - , ohne den Sinn einzusehen!' - 'In der Schule muß ich auch manches tun, was sinnlos ist!' bemerkte darauf ein Teilnehmer. Damit waren wir bei der Sache." (S. 87).

Für die nachfolgende Beurteilung ist wichtig, sich klarzumachen, daß es sich bei den referierten Beispielen um drei unterscheidbare Formen handelt. Im ersten Falle provozieren die pädagogischen Leiter die Teilnehmer, indem sie diese in eine Art von sozialpsychologischer Versuchssituation versetzen. Im zweiten Falle provozieren die pädagogischen Leiter gemeinsam mit den Teilnehmern experimentell die Öffentlichkeit. Im dritten Falle provozieren die pädagogischen Leiter wieder die Teilnehmer, allerdings nicht mit dem Hintergrund eines sozialwissenschaftlichen Experiments, sondern mit dem Ziel einer bewußten Konfrontation zwischen sich und den Teilnehmern.

Wenden wir uns auch hier zunächst der Erörterung einiger immanenter Probleme zu:

1. Die Provokationen sind kaum reproduzierbar, d.h. die einmal Provozierten werden sich kaum noch ein zweites Mal auf dieselbe Weise provozieren lassen. Voraussetzung für das Gelingen der Provokation ist also, das die Absicht von den Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig erkannt wird. Wurde eine Provokation einmal erlebt, muss man zumindest immer wieder nach neuen Varianten greifen, um den gewünschten Effekt zu

erzielen. Aber selbst das nutzt sich schnell ab, wenn man gelernt hat, die Absicht zu

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ahnen. Im besten Falle spielt man dann noch mit, solange man noch nicht genau weiß, worauf das Experiment hinaus soll, aber schon mit Abwehrmechanismen bewaffnet, die dafür sorgen, daß die Düpierung bloß äußerlich bleibt. Dieser Prozeß des sehr schnellen Verschleißes solcher Inszenierungen zeigte sich deutlich bei der studentischen Protestbewegung. Die Methode der Provokation ist also - und das unterscheidet sie von allen anderen Methoden - nicht planmäßig organisierbar und wiederholbar

2. Damit ist auch fraglich, ob die Provokation überhaupt das gestellte Ziel erreichen kann, nämlich die Selbsterfahrung des Widerspruchs von Einstellungen einerseits und tatsächlichem Meinen und Verhalten andererseits mit dem Ziel der Veränderung beider Seiten. Wenn man davon ausgeht, daß ein solcher Prozeß sich nicht oder nur in nicht planbaren Ausnahmefällen auf einmal realisieren läßt, sondern gerade der Wiederholung bedarf, müssen die Erfolgschancen als sehr gering angesetzt werden. Die Nicht-Wiederholbarkeit ist insofern auch ein Einwand gegen die Rationalität der Methode selbst. Näher liegt, daß die Individuen auch diese Erfahrungen mehr oder weniger in ihr bisheriges Verhalten integrieren. Das wirft die grundsätzliche Frage auf, ob die politische Bildung überhaupt solche Ziele anstreben kann, die den Kern der Persönlichkeitsstruktur betreffen. Es ist nämlich zweifelhaft, ob sich diese Persönlichkeitsstrukturen so einfach verändern lassen, ob sie pädagogischen Absichten so überhaupt zur Disposition stehen oder nicht eine so bedeutsame soziale und gesellschaftliche Funktion haben, daß wirklich nur einschneidende gesellschaftliche Veränderungen auch diese Funktionen ändern können.

3. Der zuerst beschriebene Typus der Provokation, das Nachvollziehen sozial-psychologischer Untersuchungen "am eigenen Leibe", hat jedoch noch einen speziellen sachlichen Hintergrund und läßt sich insofern von den anderen beiden Typen unterscheiden. Die ihm zugrundeliegenden wissenschaftlichen Verfahren lassen sich nämlich durchaus als ein rationales Verfahren zur Erkenntnis eigener Stereo-

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type, Vorurteile und Einstellungen anwenden, ohne daß sie dabei den Charakter einer Attacke auf die Emotionalität des anderen annehmen müßten. Auch die Wissenschaftler selbst wenden diese Methoden ja nicht zum Zwecke der Kränkung anderer an, sondern als Möglichkeit der rationalen Erkenntnis und Selbsterkenntnis, wobei die Schlußfolgerung, die die Individuen aus diesen Erkenntnissen ziehen, ihnen selbst überlassen bleiben.

Im Hinblick auf unsere vier Kriterien stellt sich die Methode der Provokation folgendermaßen dar:

1. Sachliche Reichweite: Strenggenommen kann diese Methode nur die Funktion eines Einstiegs haben. Indem sie nämlich politische Widersprüche in der Form ihrer subjektiv-individuellen Verinnerlichung zum Thema macht, enthält sie von sich aus noch keine Hinweise auf die Bearbeitung der so gewonnenen Selbsterfahrung. Dazu sind vielmehr andere Methoden nötig, insbesondere wieder erhebliche Lehrgangsanteile - was von den Autoren, die mit dieser Methode gearbeitet haben, auch gesehen wurde. Diese Bearbeitung kann nun jedoch nicht einfach induktiv erfolgen, so, daß die Selbsterfahrungen etwa durch Gespräche und Diskussionen nur verlängert werden, vielmehr müssen diese subjektiven Erfahrungen mit außer-subjektiven, objektiven Erkenntnissen konfrontiert werden. Erst in dieser Differenz ergeben sich intellektuelle Bearbeitungsmöglichkeiten; denn die subjektive Verinnerlichung des politischen Widerspruchs ist nicht etwa die genaue Abbildung des objektiven, sondern sie verändert diese auf eigentümliche Weise. Aber nicht nur dies grenzt die sachliche Reichweite dieser Methode ein, sondern auch die weitere Tatsache, daß auf diese Weise nur ein Teil der objektiven politischen Problematik zum Thema werden kann. Klassengegensätze in ihrer objektiven Struktur z. B. sowie institutionalisierte Machtverhältnisse werden von dieser Methode grundsätzlich nicht erreicht.

2. Favorisierte Arbeitsmethoden: Die Möglichkeit zum Erlernen intellektueller Arbeitsmittel ist eingeschränkt auf

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den Typus 1, der die Kenntnis sozialpsychologischer Methoden verlangt. Allerdings beruht das Experiment gerade darauf, daß die Anlage der Untersuchung und ihr Zweck zunächst nicht bekannt sind; erst im Nachhinein können sie erläutert und erklärt werden und sind dann experimentell mit denselben Personen nicht mehr wiederholbar.

3. Schülerrolle: Abgesehen von der öffentlichen Provokation, die nur gemeinsam von Lehrenden und Lernenden veranstaltet werden kann - und die insofern nur problematisch für das Publikum ist - beruhen die anderen beiden Typen darauf, daß die Lehrenden die Lernenden düpieren und kränken. Die Schüler werden manipuliert, und zwar auf eine prinzipiell unumkehrbare Weise, d. h. die Schüler können bei dieser Methode niemals auch ihre Lehrer "hereinlegen". So ist die Methode der Provokation geradezu der klassische Fall einer "autoritären" Beziehung zwischen Schülern und Lehrern und unter den Prinzipien einer demokratischen politischen Bildung nur dann anwendbar, wenn im übrigen die Beziehungen nichtautoritär sind und die Provokation innerhalb eines Lernprozesses eine Episode bleibt.

4. Lehrerrolle: Entsprechendes gilt für die Lehrer-Rolle in dieser Methode. Vor allem wenn ein Lernprozeß mit einer Provokation beginnt und die Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern sich noch nicht stabilisiert haben, kann die Position des Lehrers stark belastet werden. Es ist ohnehin eine grundsätzliche Frage, wie "nah" ein Lehrer an die Persönlichkeit des Schülers herangehen soll und darf. Ob es so etwas wie einen Schutz der persönlichen Intimität geben muß ("pädagogischer Takt"), ist nicht nur eine moralische Frage. Vielmehr scheint es auch so zu sein, daß die Chance rationaler Selbsterkenntnis in dem Maße zunimmt, wie die neue Erkenntnis nicht mit unmittelbarer sozialer Selbstbehauptung gekoppelt werden muß. Wenn aber der Lehrer seine Schüler provoziert, zwingt er sie zu Abwehrhaltungen, die unter Umständen eine mögliche rationale Aufklärungsbereitschaft verhindern.

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Das Rollenspiel -
Oder: Man kann gesellschaftliche Zwänge spielend zum Sprechen bringen.

Beim Rollenspiel muß man, um Mißverständnissen vorzubeugen, zunächst klarstellen, was es nicht ist. Daß man politische Probleme auch spielerisch darstellen kann, weiß man, seit es überhaupt Theaterspiele gibt. Theaterstücke drücken immer mehr oder weniger direkt, zustimmend oder kritisch gesellschaftliche Verhältnisse aus - auch wenn dahinter nicht immer eine dezidierte politisch-didaktische Absicht steckt wie bei Bertolt Brecht. Im allgemeinen Kulturbetrieb jedoch werden die Stücke von Autoren geschrieben und sie können nur von professionellen, gelernten Schauspielern mit mehr oder weniger großem technischem Aufwand reproduziert werden. Solche Stücke können zwar Gegenstand des Schulunterrichts - auch des politischen - sein, aber sie können im allgemeinen nicht von den Schülern als Laienspielern in angemessener Weise reproduziert werden.

Dennoch können solche politisch relevanten Stücke durchaus im politischen Unterricht eine Rolle spielen. Einmal bietet sich dafür einfach die Lektüre der Texte an. Darüber hinaus können zumindest einzelne Szenen einem Publikum auch in einer solchen Form dargeboten werden, die keine besonderen schauspielerischen Fähigkeiten voraussetzt, z. B. in der Form des Lese-Theaters: Die "Schauspieler" sitzen dann entweder ruhig an einem Tisch, haben das Textbuch vor sich und lesen mit verteilten Rollen, wobei zur besseren Information des Publikums die jeweiligen Rollen durch "Namensschilder" vor den Sprechern kenntlich gemacht sind. Oder die Szene wird stehend gelesen, wobei aber Gestik und Bewegung auf das Notwendigste reduziert sind. Der falsche Eindruck, hier werde Theater gespielt, darf gar nicht erst aufkommen, das Stück bzw. die Szene wird reduziert auf den Text, der zum Hören gebracht wird. Je nach Thema und Kontext des Lernprozesses bietet sich dafür eine ganze Reihe von Stücken bzw.

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Szenen an. Als Beispiel seien etwa die Szenen aus Brechts "Furcht und Elend des dritten Reiches" genannt. Aber auch Prosa-Szenen, z. B. aus Romanen, können für den politischen Unterricht interessant sein. Es ist überhaupt erstaunlich, daß literarische Texte im politischen Unterricht, soweit man das aus der didaktisch-methodischen Literatur schließen kann, kaum eine Rolle spielen. Wahrscheinlich hängt das mit der Fächeraufteilung zusammen, die auch bei modernen Curriculum-Konstruktionen Literaturunterricht und politischen Unterricht in verschiedene Ressorts verweist. Aber selbst wenn der Politik-Lehrer kein besonders guter Literaturkenner ist, sollte er sich von einem kompetenten Kollegen beraten lassen, welche Stücke bzw. Szenen im Rahmen seines politischen Themas interessant wären; denn er soll ja nicht einen dilettantischen Literaturunterricht daraus machen, sondern die Texte als politische Aussagen in den Unterricht hereinholen.

Es liegt auf der Hand, daß die Einbeziehung literarischer Szenen in den politischen Unterricht die Schüler nicht nur mit literarisch anspruchsvollen Texten bekanntmachen, sondern auch ihre sprachlichen Fähigkeiten schulen würde - ganz abgesehen davon, daß die Arbeit für die Darstellung vor einem Publikum und die Darstellung selbst viel Spaß bereiten können.

Aber so wichtig dies ist, es ist nicht mit dem Begriff "Rollenspiel" gemeint. Gemeint ist auch nicht die Reproduktion sogenannter "Laienspiele", deren oft drittklassige Texte nicht dadurch zu rechtfertigen sind, daß sie sich angeblich von Laien besser spielen lassen. Auch das sogenannte "Agitations-Theater" hat damit unmittelbar nichts zu tun. Beim Agitations-Theater, dessen Stücke meist von Autoren entweder bis ins Detail geschrieben oder wenigstens grob skizziert werden, wobei die Details der Improvisation auch im Hinblick auf die Reaktion des Publikums überlassen bleiben, versucht eine politische Forderung in einem meist sehr einfachen Spielschema dem Publikum nahezubringen, um es auf diese Weise zur Unterstützung dieser Forderung zu gewinnen.

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Das Rollenspiel hingegen enthält keine Forderung, sondern beschreibt, was ist und warum es so ist. Nötig ist dazu die Vorgabe einer Situation, die gespielt werden soll, z. B. "Feierabend in einer Arbeiterfamilie". Da es beim Rollenspiel nicht um individuelle Besonderheiten geht, sondern um das Typische ("Rollen-Verhalten" im soziologischen Sinne), sind dazu auch keine besonderen Schauspielerqualitäten nötig. Unter der Voraussetzung vielmehr, daß die vorgegebene Situation von den Spielern mit Lebenserfahrung ausgefüllt werden kann, kann nicht nur jeder Mensch ein Rollenspiel spielen, er kann vielmehr auch jede der dabei in Frage kommenden Rollen spielen. Allerdings wird das Spiel nicht sofort "richtig" sein, weil die Spieler nicht von Anfang an über Einsicht in die objektiven Determinanten verfügen und weil sie mehr oder weniger die Szene mit subjektiven Deutungen und Interpretationen darstellen werden. Ziel des Rollenspiels ist aber gerade, durch das Spiel selbst die subjektiven Illusionen bzw. Ideologien abzuarbeiten. Deshalb ist es wichtig, die einzelnen Darstellungen immer wieder mit dem Publikum - z. B. dem Rest der Klasse - zu diskutieren. Im Grunde entfällt hier die Teilung zwischen Darstellern und Publikum, weil jeder aufgrund der Diskussion mitwirken kann; es ist sogar nützlich, wenn möglichst viele sich an der Bearbeitung der Szene auch spielend beteiligen, bis sie hinreichend richtig konzipiert erscheint. Ziel des szenischen Spiels ist also "Richtigkeit", nicht Agitation oder Aktion, aber auch nicht Gefühlsbetontheit oder Tragik bzw. Komik. Es handelt sich gewissermaßen um den Versuch, spielerisch die Wirklichkeit abzufotografieren.

Der Sinn des Spiels wird jedoch verfehlt, wenn man nur eine Lösung gelten läßt: Die gesellschaftlichen Zwänge, die sich in den Rollen ausdrücken, determinieren niemals eindeutig die Handlungsmöglichkeiten in einer bestimmten Situation. Wenn die Schüler das nicht selbst entdecken, muß der Lehrer dafür sorgen, daß Varianten zugelassen werden. Weil es solche Varianten immer gibt, kann man beim Rollenspiel auch lernen, wie man den Spielraum einer

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Rolle im Rahmen seiner eigenen Intentionen ausfüllen kann, indem eben nicht nur die Rollendeterminanten, sondern auch die Rollenspielräume ausgespielt werden.

Dabei ist die "Richtigkeit" der Darstellung nur ein Leitziel mit fließenden Grenzen; es gibt dafür letztlich kein objektives Kriterium, sondern nur die durch Diskussion und Vergleich mit der Lebenserfahrung hergestellte Übereinstimmung. Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil die Gefahr besteht, daß die Darsteller die Szene nicht richtig darstellen, sondern sie - wenn auch unbewußt - nur zum Anlaß dafür nehmen, ihre Vorurteile über die Szene zu artikulieren. Deshalb ist auch die Regel so wichtig, daß nur solche Szenen gespielt werden können, die einen konkreten Bezug zur Lebenserfahrung der Teilnehmer haben. Mittelschichtstudenten z. B. können allein die Szene "Freizeit in einer Arbeiterfamilie" gar nicht spielen.

Wenn nun die Szene "richtig" im Hinblick auf ihre gegenwärtige gesellschaftliche Determiniertheit gespielt ist, kann sie durchaus auch in einer solchen Fassung gespielt werden, wie sie wünschenswert wäre. Mit dem Rollenspiel kann man also auch Rollenveränderungen antizipieren, indem man die Szene so spielt, als ob die Rollen sich bereits in der gewünschten Richtung verändert hätten. Jedoch ist dies bereits eine Komplizierung, die nur dann realisiert werden kann, wenn die in der fraglichen Situation tatsächlich vorgegebenen Rollen bereits durchschaut sind. Dann jedoch kann es sehr instruktiv sein, ein und dieselbe Situation in zwei Fassungen zu spielen: einmal so, wie sie typischerweise tatsächlich ist, und einmal so, wie sie wünschenswert wäre.

Auch diese Methode hat einige immanente Schwierigkeiten:

1. Weil es Spaß macht, ist die Versuchung groß, aus Freude am Spiel die Erkenntnisabsicht aus den Augen zu verlieren Das Rollenspiel lebt jedoch von der intellektuellen Genauigkeit, von der Diskussion, von der Korrektur - was natürlich Spaß nicht ausschließt. Es wäre überhaupt ganz

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falsch, die Freude am Spiel auszutreiben, nur weil die intellektuelle Zielsetzung sich nicht schnell genug einstellt. Wird der intellektuelle Charakter des Rollenspiels jedoch nicht ernst genommen, dann büßt es seine politisch-aufklärerischen Möglichkeiten auch sofort ein und wird zum Ulk.

2. Der Wechselprozeß von Spiel - Diskussion - neuem Spiel ist nur über eine begrenzte Zeit durchzuhalten. Man muß also damit rechnen, daß nach einer gewissen Zeit Spielfreude und Konzentration erlahmen, bzw. daß die Spieler durch die begleitende Diskussion verunsichert oder gehemmt werden. Dann muß man entweder für eine Weile unterbrechen oder das Thema auf andere Weise zunächst weiter bearbeiten.

3. Die Spieler dürfen nicht "blamiert" werden. Wenn jemand Angst hat, daß die anderen über ihn lachen, wird er sich weigern zu spielen oder ängstlich oder unkonzentriert mitmachen. Schon aus diesem Grunde ist es wichtig, daß möglichst alle mitspielen, daß jeder seinen Verbesserungsvorschlag auch selbst vorführt.

4. Auch der Lehrer muß wenigstens zeitweise mitspielen und die Richtigkeit seiner Darstellung von den Mitspielern kritisieren lassen; sonst erweckt er den Eindruck, das Spiel sei "nur was für Kinder".

5. Die zu spielende Situation muß genügend Vorgaben haben, damit sich das Spiel aufs Typische sogleich konzentrieren kann. Unter Umständen können die Vorgaben verändert werden, um zu prüfen, ob sich dadurch auch die Handlung ändert. Für unser Beispiel könnte das etwa heißen: Vorgegeben wird, daß der Vater Facharbeiter ist, die Mutter Verkäuferin, der Sohn im 3. Lehrjahr und die Tochter in der Abschlußklasse der Volksschule. Ferner muß ein Anlaß vorgegeben werden, damit die Interaktion beginnen kann, z. B.: Wegen der bevorstehenden Wahl wird im Fernsehen der im Programm ausgedruckte Krimi abgesetzt, statt dessen wird eine politische Diskussion übertragen.

6. Es ist nötig, die Teile des Spiels, die jeweils als richtig gelten können, in Notizen zu protokollieren, damit sie

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nicht wieder vergessen werden. Falls die Klasse für ein spontanes Spiel zu gehemmt ist, muß vielleicht überhaupt mit dem Abfassen eines Spieltextes begonnen werden. Ist die Szene ~m Ganzen zufriedenstellend erarbeitet, muß für die geplante Vorführung zumindest eine Verlaufskizze angefertigt werden; darüber hinaus empfiehlt es sich auch wichtige Dialogstellen schriftlich festzuhalten.

7. Eine mögliche Variante, die zugleich einige Schwierigkeiten nicht auftreten ließe, wäre die Produktion eines Rollenspiels für eine Tonbandfassung, also als Hörspiel. Dann käme es in erster Linie auf die Produktion des Textes und überhaupt des Drehbuches an. Die "schauspielerischen" Probleme würden dann weitgehend entfallen, allerdings ist die Frage - die sich wahrscheinlich für die einzelnen Altersstufen unterschiedlich beantworten lässt - ob eine Hörspielfassung Autoren und Publikum genauso viel Spaß macht wie die "Bühnenfassung".

Unter dem Gesichtspunkt unserer vier Kriterien ergibt sich für das Rollenspiel folgende Beurteilung:

1. Sachliche Reichweite: Sachlich können dem Rollenspiel nur solche Situationen zugrundeliegen, die der Lebenserfahrung hinreichend bekannt sind. Objektive gesellschaftliche Widersprüche und Konflikte sowie historische Prozesse können so nicht erreicht werden bzw. nur in der Form, in der sie als Rollenwiderspruch erlebbar werden Darin liegt die Grenze der sachlichen Reichweite des Rollenspiels begründet. Im Hinblick auf die Richtigkeit des Rollenspiels müssen während des Spiels gewisse theoretische Einsichten erarbeitet werden, die durch Diskussion oder auch durch kurze Lehrgänge hergestellt werden. Insofern impliziert das Rollenspiel notwendigerweise auch die Klärung systematischer theoretischer Zusammenhänge zu einem aporetischen Zweck, nämlich der Darstellung eines durchaus realistischen Verhaltensproblems. Indem man diese Verhaltensdeterminanten so spielt, wie sie typischerweise sind, entdeckt man auch diese Determinanten und ihre Ursache; die "Richtigkeit" des Spiels ist dafür gleich-

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sam die Rückmeldung. Geht man noch einen Schritt weiter und spielt auch die "wünschbare" Version, so gibt "Richtigkeit" allerdings keine Kriterien mehr ab, weil ja etwas gespielt wird, was noch keiner gesellschaftlichen Realität entspricht. In diesem Falle kann es also auch nicht primär um neue sachliche Einsichten gehen, sondern nur darum, das Tatsächliche dadurch zu relativieren und für veränderungswürdig zu erklären, daß es mit dem Wünschbaren konfrontiert wird; dies ist eine besondere Chance des Rollenspiels.

2. Favorisierte Arbeitsmethoden: Da das Rollenspiel nur kooperativ zu realisieren ist, erfordert es auch in besonderem Maße die Entwicklung entsprechender Fähigkeiten. Der Wechsel zwischen Diskussion und Spiel erfordert zudem den Abbau bestimmter Hemmungen insbesondere auch hinsichtlich der verbalen Ausdrucksweise. Systematische intellektuelle Arbeitsmethoden spielen jedoch eine untergeordnete Rolle.

3. Schülerrolle: Die Lernenden (Schüler) haben im Rollenspiel ein hohes Maß an Mitbestimmung. Nicht nur ihre Fähigkeit zur Darstellung des Diskutierten wird gebraucht, sondern auch ihre Lebenserfahrung im Hinblick auf die Diskussion der "Richtigkeit" der Darstellung. Die Absicht, das gemeinsam Erkannte auch gemeinsam zu spielen, ebnet die Distanz zwischen Schülern und Lehrer weitgehend ein und führt zu einer eigentümlichen Variante der Schüler-Lehrer-Beziehung, die in anderen Methoden nicht in dieser Weise gegeben ist.

4. Lehrerrolle: Dementsprechend verfügt der Lehrer nicht von vornherein über die sachliche Einsicht, die die Schüler nur zu reproduzieren hätten. Je nach der Szene, die dem Spiel zugrunde liegt, können die Schüler sogar einen Erfahrungsvorsprung haben. Welcher Lehrer weiß schon - um beim Beispiel der Szene "Feierabend in einer Arbeiterfamilie" zu bleiben - wie ein Feierabend dort wirklich aussieht? Selbst seine noch so umfassenden sozialwissenschaftlichen Kenntnisse würden nicht ausreichen, eine solche Szene auch wirklich spielen zu können Selbst wenn jedoch

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die zu spielende Szene der Lebenserfahrung des Lehrers ebenso zugänglich ist wie der seiner Schüler, steht er nicht in der Rolle des kompetenten Fachmannes, sondern eher in der des Beraters, Informanten, Organisators und Mitspielers.
 

Das Planspiel -
Oder: Man kann politische Aktionen und Konfliktlösungen spielerisch simulieren.

Beim Rollenspiel spielen einzelne Personen Rollen, die nicht von Autoren, sondern von gesellschaftlichen Mechanismen geschrieben wurden, mit dem Zweck, die darin implizierten Zwänge aus der subjektiven Erfahrung zu entäußern und so zum Objekt der Bearbeitung zu machen Gegenstand des Planspiels ist jedoch ein tatsächlicher oder fingierter objektiver Konflikt, der durch die Interaktion von Gruppen zu einer Lösung bzw. Entscheidung gebracht werden soll. Entweder wird dabei nur der Konflikt selbst vorgegeben und die Lösung dem Spielablauf überlassen (sogenanntes "offenes Planspiel"), oder es wird das Handlungsziel vorgegeben, dessen Erstreben die Spielhandlung in Gang setzt und einen Konflikt erst hervorruft. Beide Formen haben ihren eigentümlichen Reiz und eigentümliche Lernchancen. Im Grunde basiert das Planspiel auf einer jedem geläufigen Lebenserfahrung: Jeder, der ein Problem zu lösen hat, versucht in der Phantasie sein eigenes Verhalten zu antizipieren, mögliche Gegenreaktionen der Partner in Rechnung zu stellen und in die Kalkulierung des eigenen Verhaltens einzubeziehen. Dieses Verfahren wird beim Planspiel nur auf die beschriebene Weise systematisiert.

In dem Buch "Ein Schulkonflikt wird durchgespielt" hat Jörg Ruloff (1970) den Verlauf eines "offenen" Planspiels ausführlich und mit detaillierten didaktisch-methodischen Überlegungen beschrieben. Hier bestand der fingierte Konflikt darin, daß die Schüler einer Klasse wäh-

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rend der Schulzeit an einer politischen Demonstration für die Bildungsreform teilnehmen wollten. Ihr Antrag auf Beurlaubung zu diesem Zweck wurde von der Schulleitung abgelehnt. Daraufhin verließ die Klasse eigenmächtig die Schule, um trotzdem an der Demonstration teilzunehmen; da die Presse darüber berichtete, war der Konflikt zwischen der Klasse und der Schulleitung "öffentlich" geworden und konnte nun nicht mehr schulintern geregelt werden; das Planspiel konnte beginnen.

Beim Planspiel werden die wichtigsten an der Handlung beteiligten Instanzen durch Gruppen dargestellt. Diese Gruppen können jedoch nicht beliebig handeln, sondern nur im Rahmen ihrer institutionellen und rollengemäßen Funktionen; in diese müssen sich die Gruppenmitglieder hineindenken, wozu auch die Kenntnisnahme des jeweils zugrundeliegenden Rechtsspielraums gehört. Praktisch bedeutet das, daß die einzelnen Gruppen schriftlich knappe Rollencharakterisierungen erhalten, die den anderen Gruppen jedoch nicht bekannt sind. Auf diese Weise läßt sich hinterher auch feststellen, in welchem Maße die jeweilige Gruppe bei ihren Aktionen die vorgeschriebene Rollengrenze eingehalten hat.

In unserem Beispiel wirkten folgende Instanzen mit:

1. die Gruppe der Lehrer einschließlich der Schulleitung,
2. die Gruppe der Schüler,
3. die Gruppe der Schulverwaltung,
4. die Gruppe der "linken" Studenten, die die Demonstration initierten,
5. die Gruppe des Elternbeirates,
6. der Journalist eines konservativen Blattes,
7. der Journalist eines links-liberalen Blattes,
8. die Spielleitung.

Wer mit dem Spiel beginnt, wird vorher vereinbart. Im Unterschied zum Rollenspiel kommunizieren die Partner nicht unmittelbar miteinander, sondern auf schriftlichem Wege über die Spielleitung. Was sie jeweils tun, teilen sie also den Adressaten schriftlich mit (z. B. "Elternbeirat an Lehrer"), und zwar mit soviel Durchschlägen, daß die

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Spielleitung andere Gruppen gegebenenfalls von dem Spielschritt informieren kann. Die Aktionen gehen jedoch ausschließlich über die Spielleitung, die einzelnen Gruppen dürfen also nicht direkt miteinander kommunizieren. Die Spielleitung ist folglich die einzige Instanz, die einen vollen Oberblick über den Spielverlauf hat, während die einzelnen Gruppen immer nur das wissen, was sie selbst tun bzw. an Handlungsschritten über die Spielleitung erfahren. Damit erhält die Spielleitung eine überragende Bedeutung, ihre Aufgaben sind:

a) sie gibt die Aktionen an die Adressaten weiter;
b) sie informiert (durch Weitergabe eines Durchschlags) auch andere Gruppen von den Aktionen, sofern dies realistisch ist (z. B. gelangen Schreiben der Schulverwaltung an die Schule nicht ohne weiteres an die Öffentlichkeit); oder sie gibt Informationen an die Presse weiter, damit diese tätig werden kann;
c) sie weist Spielschritte zurück, die unangemessen, z. B. unrealistisch sind oder die der Rechtslage nicht entsprechen;
d) sie gibt zusätzliche Impulse, z. B. indem sie "Indiskretionen" an die Presse gibt oder neue Aktivitäten ins Spiel bringt (z. B. gibt sie vor, daß das Kultusministerium sich eingeschaltet hat), wenn das Spiel sich festläuft oder sich in unwesentliche Details verliert;
e) sie bestimmt das Tempo des Spiels, indem sie bestimmte Aktionen eine Weile zurückhält.

Sieht man diese für den Spielverlauf wichtigen Funktionen zusammen, so folgt daraus, daß das Planspiel mit der Qualität der Spielleitung steht und fällt, und daß ein einzelner mit dieser Aufgabe überfordert ist. Die Spielleitung muß von einem Team wahrgenommen werden, wozu der Lehrer noch mindestens einen Kollegen gewinnen muss. Außerdem kann die Presse noch in die Spielleitung einbezogen werden, da sie relativ selten in Aktion tritt. Nützlich wäre auch, einen oder mehrere außenstehende "Experten" in die Spielleitung zu berufen, die mit über den realistischen Verlauf des Spiels zu wachen hätten.

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Daß die handelnden Instanzen Gruppen und nicht einzelne Personen sind, ist schon aus Gründen der Arbeitsteilung erforderlich, weil ein einzelner den Empfang von Aktionen, Formulierung eigener Aktionen und deren technische Herstellung (Maschineschreiben) gar nicht bewältigen könnte. Aber auch aus sachlichen Gründen sind die Gruppen nötig. Der Zwang, gemeinsam zu agieren und zu reagieren, führt notwendigerweise zu einer mehr oder weniger intensiven Diskussion der geplanten Handlungen. Das schützt vor Einseitigkeiten und Übertreibungen und hat selbst eine wichtige Lernfunktion. Die Gruppe sorgt gleichsam dafür, daß nicht ohne Reflexion gehandelt werden kann.

Beim "offenen" Planspiel, von dem bisher die Rede war, geht es im wesentlichen um die Einsicht in die Funktionen der für die Spielhandlung relevanten Instanzen, in den Spielraum, den sie gegeneinander haben, um Einsicht in rechtliche und machtpolitische Zusammenhänge sowie in komplexe Interaktionszusammenhänge. In dieser Form hat das Spiel kein klares Ende, man kann irgendwann aufhören, z. B. zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt, oder wenn keiner mehr so recht Lust hat, oder wenn die Spielleitung einen günstigen Zeitpunkt für gekommen hält. Ruloff schloß sein Spiel mit einer öffentlichen Diskussion aller am Konflikt Beteiligten, wobei alle in ihrer Rolle und Funktion verblieben, nur daß sie jetzt eben unmittelbar miteinander vor dem Publikum diskutierten und nicht mehr auf schriftlichem Wege über die Spielleitung. Darüber hinaus jedoch müssen in jedem Fall zum Abschluß Verlauf und Ergebnis des Spiels ins Bewußtsein genommen werden, damit die spezifischen Lernchancen auch ausgenutzt werden können. Vor allem geht es um die Klärung folgender Fragen:

- Ist das Spiel realistisch abgelaufen, d.h. wären die Interaktionen in der Wirklichkeit ähnlich verlaufen?
- Haben die einzelnen Partner realistisch gehandelt, d. h. so, wie die "echten" Instanzen an ihrer Stelle auch gehandelt hätten?

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- Wie beurteilen die einzelnen Gruppen selbst die Erfahrungen, die sie mit ihrer "Rollea gemacht haben? Inwieweit haben sie sich damit identifiziert?

Die Aufarbeitung dieser "Selbsterfahrung" ist vielleicht der wichtigste Gesichtspunkt, denn die Interaktionszusammenhänge selbst, in die das Planspiel Einsicht gewährt, erschließen sich möglicherweise ebenso gut durch die Rekonstruktion eines tatsächlich geschehenen und veröffentlichten "Falles". Die Erfahrungen zeigen jedoch immer wieder, daß die Identifizierung der Gruppen mit ihrer Rolle sehr schnell so weit geht, daß das Spiel fast Ernstcharakter bekommt: "Linke" Studenten, so berichtet Ruloff, die sich zunächst weigerten, die undankbare Rolle der Schulaufsicht zu übernehmen, hätten sehr bald diese Rolle bis m die charakteristischen Unzumutbarkeiten der Verwaltungssprache hinein mit beängstigender Konsequenz nicht nur im Spiel, sondern auch in der Freizeit vertreten. In einem anderen, dem Verfasser bekannten Fall waren die Spieler Heimerzieher. Erschienen ihnen zu Beginn des Spiels "linke Studenten" noch als die Inkarnation des Leibhaftigen, so identifizierte sich die Gruppe "linke Studenten" im Verlauf des Spiels und auch in der Freizeit so rückhaltlos mit ihrer Rolle, daß die anderen Heimerzieher angesichts des Gesinnungswandels ihrer Kollegen gänzlich verwirrt wurden. Vermutlich liegt diese erstaunliche Wirkung der Rollenübernahme am ambivalenten Charakter der Rolle selbst, daß sie nämlich einerseits Chancen gewährt, wofür sie andererseits Verzicht und Unterdrückung von Bedürfnissen verlangt. Möglicherweise erlagen die Studenten so der Faszination der Macht, die ihnen die Rolle der Schulaufsicht gab, während die Heimleiter nun durften, was ihnen sonst verwehrt ist: antiautoritär und rebellisch sein und ohne Angst die - von ihren Kollegen gespielten - Vorgesetzten attackieren.

Wie schon erwähnt wurde, kann ein Planspiel auch von einem bestimmten Ziel her angelegt sein, z. B. wäre es denkbar, die eben erwähnte Spielkonstellation zu lassen statt des beschriebenen Konfliktes jedoch der Schülergruppe

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etwa das Ziel zu setzen, die Lehrer und Eltern für eine gemeinsame Aktion gegen den Bildungsnotstand zu gewinnen. In diesem Falle konzentriert sich das Spiel auf die Aktivität einer Gruppe, während die anderen im wesentlichen re-agieren. Das Handlungsziel wäre auch nur der agierenden Gruppe (hier: der Schülergruppe) bekannt, die anderen müßten sich nur genau Rechenschaft über die von ihnen zu spielenden Rollen und Funktionen geben. Im übrigen gelten für diese Version des Rollenspiels dieselben Regeln wie beim "offenen" Spiel.

Im allgemeinen ist beim Rollenspiel üblich, zunächst das Spiel bis zum Ende durchzuführen und dann anschließend die gemeinsame Reflexion vorzunehmen. Diese hätte gleichsam die Funktion der politischen Bildung, die das politische Handeln ins Bewußtsein nehmen soll. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang noch einmal an die Rolle der Spielleitung, die als einzige Spielinstanz ein Bewußtsein vom Gesamtverlauf der Interaktionen haben kann. Nichts spräche jedoch dagegen, das Spiel einige Male zum Zwecke der gemeinsamen Bewußtseinsbildung über den Stand des Spiels zu unterbrechen, um es anschließend mit einem genaueren Bewußtsein von der Gesamtlage fortzusetzen. Anlaß für eine Unterbrechung könnte z.B. sein, daß Unklarheit über die Rollen und Funktionen besteht und das Spiel darunter zu leiden beginnt. Ein derartiger Wechsel von Spielphasen und Reflexionsphasen könnte beiden zugute kommen. Die sonst nötige relativ umfangreiche Vorbereitungsarbeit könnte so zum Teil in das Spiel mit hineingenommen werden.

Nun wieder zu einigen immanenten Schwierigkeiten dieser Methode:

1. Ruloff, der sein Planspiel mit Studenten durchführte, beschreibt eine umfangreiche Vorarbeit: Literaturstudium, Studium der Rechtslage, Eintrainieren in die einzelnen Rollen und Funktionen usw. Natürlich ist das Spiel um so ergiebiger, je gründlicher es auf diese Weise vorbereitet wird und je mehr Instanzen man in das Spiel einbezieht.

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Andererseits jedoch kann man guten Gewissens das Spiel auch reduzieren, wenn es darum geht, die wichtigsten Rollen und Funktionen erfahrbar zu machen. Gleichwohl kann man - im Unterschied zum Rollenspiel - mit dem Planspiel nicht einfach anfangen. Zumindest müssen sich die Spieler über ihre Rolle und Funktion gründlich informieren, damit nicht schon die ersten Spielschritte irreal werden. Weitere Informationen kann man, wie schon erwähnt, auch noch während des Spiels geben. Bewährt hat sich, einen Fachmann (z. B. einen Lehrer) den Gruppen als Berater zur Verfügung zu stellen, dessen sich die Gruppen jederzeit - z. B. bei auftretenden Rechtsfragen - bedienen können.

2. Ein Planspiel verlangt gewisse äußere Minimalbedingungen. Unbedingt erforderlich ist, daß sich die Gruppen in einem eigenen Raum aufhalten können. Ferner benötigt jede Instanz eine Schreibmaschine mit entsprechendem Zubehör.

3. Das Planspiel hat seinen eigenen Zeitrhythmus. Nicht zufällig wurden Planspiele bisher vor allem in außerschulischen Tagungsstätten durchgeführt, wo man den ganzen Tag über zusammensein kann. Über Planspiele im Rahmen des Schulstunden-Rhythmus liegen noch keine Erfahrungen vor, aber es dürfte sicher sein, daß man für eine Spielphase mindestens zwei Stunden benötigt. Ruloffs Spiel dauerte insgesamt elf Stunden, Vor- und Nachbereitung nicht mitgerechnet. Daß man im allgemeinen ein Planspiel in der Schule nach zwei Stunden unterbrechen müßte, könnte auch Vorteile haben. Die Unterbrechung brächte Zeit zum Nachdenken, auch zur emotionalen Distanz, würde vielleicht auch das Spielinteresse neu beleben und stärker intellektualisieren.

4. Die Spielleitung muß sich sorgfältig vorbereiten und darf während des Spieles nicht den Überblick verlieren Sie muß darauf vorbereitet sein, daß zu Beginn des Spiels entweder hektische Aktivität entsteht oder daß das Spiel nicht recht in Gang kommt. Für beide Fälle muß sie vorher geeignete Maßnahmen überlegen.

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5. Man hat sich bei dieser Methode immer wieder die Frage stellen müssen, ob der vergleichsweise hohe technische Aufwand noch in einem rechten Verhältnis zum Lernertrag stehe. Diese Frage ist nicht leicht vorweg zu beantworten. Wahrscheinlich muß man das ausprobieren, um zu einem Urteil darüber zu kommen. Diejenigen, die damit gearbeitet haben, halten es meist für lohnend. Andererseits können viele Lernmöglichkeiten des Planspiels auch auf einfachere Weise erreicht werden. Man kann etwa Konfliktlösungen am Beispiel detailliert genug veröffentlichter Konflikte nachvollziehen, wobei Schülergruppen zusätzlich die Aufgabe erhalten, sich in bestimmte Konfliktpositionen, die ihnen fremd sind, einzuarbeiten und diese Position gegenüber den anderen zu verteidigen (vgl. das nächste Kapitel über das "Tribunal"). Die Handlungen müßten nicht mühsam erfunden werden, sie lägen authentisch vor. Ähnlich wie bei der Analyse von historischen Ereignissen könnte man Hypothesen darüber erstellen, was hätte anders ablaufen müssen und können, damit ein "besseres" Ergebnis erzielt worden wäre.

Auch im Hinblick auf das zielbestimmte Planspiel läßt sich fragen, ob seine Ergebnisse nicht auch mit einem geringeren technischen Aufwand erzielt werden können. Es wäre z. B. möglich, das Handlungsziel gemeinsam mit der ganzen Klasse an der Tafel zu entwerfen, gegnerische Interessen und Funktionen möglichst genau zu antizipieren, die eigene Strategie entsprechend zu verändern usw., wie das auch im "normalen Leben" zu geschehen pflegt. Auch in diesem Falle könnte arbeitsteilig verfahren werden, so, daß sich einige Gruppen in Interessen und Funktionen gegnerischer Instanzen versetzen und diese zur Geltung bringen. Unersetzbar am Planspiel scheint vor allem die schon erwähnte Identifikation mit der eingenommenen Rolle zu sein, die im Vergleich zum Rollenspiel hier noch durch den Gruppendruck verstärkt wird.

Im Hinblick auf unsere vier Kriterien ergeben sich folgende Überlegungen:

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1. Sachliche Reichweite: Die "Sache", die das Planspiel erreicht bzw. konstituiert, ist begrenzt auf der unmittelbaren Erfahrung zugängliche Probleme und Zusammenhänge. Man kann nur das spielen, was der eigenen Handlungsperspektive auch tatsächlich zugänglich ist. Eine Lösung des Vietnam-Konfliktes kann sinnvollerweise zwar von amerikanischen Generalstäblern, nicht jedoch von Schülern gespielt werden. Man kann zwar Streiks und Aktionen für die Durchsetzung eines bestimmten Gesetzes spielen, nicht jedoch die Durchsetzung selbst.

Zwar verlangt ein Planspiel systematische Informationen über den zu spielenden Sachzusammenhang, etwa über die einzelnen Rollen und Funktionen sowie über das dem Spiel zugrunde liegende Problem selbst. Aber diese Informationen bleiben instrumentell auf den Handlungsspielraum bezogen; nicht nötig, sondern eher hinderlich wäre, das System zu hinterfragen, von dem das Spiel lebt. Zwar ist es möglich, nach einem solchen Spiel das ihm zugrunde liegende System zu transzendieren, aber das wäre eben schon ein zusätzlicher Akt, der mit der Logik des Spiels selbst nichts mehr zu tun hat.

Die Chance des Spiels besteht andererseits gerade darin, daß Informationen handlungsorientiert organisiert und gelernt werden, daß also "Aktionswissen" mobilisiert wird.

2. Favorisierte Arbeitsmethoden: Außer den für das Spiel selbst nötigen Arbeitstechniken, die jedoch außerhalb des Spiels kaum eine Relevanz haben, werden durch das Planspiel selbst keine spezifischen Arbeitstechniken gelernt. Allenfalls wäre hinzuweisen auf das Erlernen rollenadäquater Formulierungen bei den schriftlichen Spiel-Interaktionen (ein Schulrat z. B. äußert sich nicht nur sachlich in einigermaßen determinierter Weise, sondern auch stilistisch).

3. Schülerrolle: Für die Eigenaktivität der Schüler eröffnet das Planspiel erhebliche Möglichkeiten, hängt sein Gelingen doch entscheidend von den Fähigkeiten und der Mitarbeit aller Beteiligten ab. Die Schüler sind die Subjekte dieser Methode, was sie an systematischen Informationen lernen müssen, erwächst plausibel aus dem gemeinsamen

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Ziel, nicht etwa aus von außen herangetragenen Lehrplanansprüchen. Zudem ist im Unterschied zum normalen, lehrgangsorientierten Unterricht eine plausible Möglichkeit der Lernkontrolle gegeben, insofern der Erfolg des Spieles auch Auskunft darüber gibt, ob man "richtig gelernt" hat.

4. Lehrerrolle: Auch bei dieser Methode hat der Lehrer eher organisatorische, beratende und informierende Funktionen als unterrichtende. Er muß sich zwar besonders gründlich über den Sachzusammenhang des Spieles informieren, kennt aber den Ausgang des Lernprozesses ebenso wenig wie seine Schüler, arbeitet vielmehr wie diese am selben Problem.
 

Das Tribunal—
Oder: Man kann politischen Zuständen spielend den Prozeß machen.

In den Stücken von Bert Brecht (z. B. "Das Verhör des Lukullus") spielen Gerichtsszenen für die Aufklärung und Beurteilung politischer Zustände, Ideen und Verhaltensweisen eine große Rolle. In der Tat bieten die für den Gerichtsprozeß charakteristischen Rollen (Ankläger, Verteidiger, Angeklagte, Zeugen, Richter) für die rationale Beurteilung eines Ereignisses - für die sie ja auch erfunden wurden - eine ausgezeichnete Möglichkeit, zumal sie ja auch den für das politische Leben charakteristischen Parteicharakter zum Ausdruck bringen.

Im Unterschied zum Planspiel allerdings werden hier nicht Handlungen simuliert, sondern vollendete Handlungen und Ereignisse beurteilt, und zwar nicht fingierte, sondern reale. Ein weiterer wichtiger Unterschied zum Planspiel liegt darin, daß das Tribunal nicht auf bestimmte, dem eigenen Handeln auch tatsächlich zugängliche Themen begrenzt ist, sondern prinzipiell alle Themen zum Gegenstand haben kann, über die sich ein bearbeitbares Bewußtsein bilden kann. Über den Vietnamkrieg z. B., so haben wir oben gesagt, können Schüler kein Planspiel veranstal-

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ten; wohl aber können sie darüber ein Tribunal abhalten, und zwar können sie dies aus demselben Grunde, wie sie sich darüber überhaupt eine begründbare und begründete Meinung bilden können.

Ein Tribunal muß ähnlich organisiert werden wie ein Planspiel, allerdings mit zum Teil sehr unterschiedlichen eigentümlichen Akzenten. Nehmen wir als Beispiel den eben erwähnten Krieg in Vietnam, gerade weil es ein kompliziertes Beispiel ist und weil es zugleich auch die Grenze dieser Methode deutlich macht. Die Klasse wäre aufzuteilen in folgende Gruppen:

1. Die Gruppe der Richter, wozu auch der bzw. die Lehrer gehören sollten. Ihre wichtigste Aufgabe wäre nicht, abschließend ein Urteil zu fällen (insofern wird die Analogie zum üblichen Gericht verlassen), sondern die Verhandlung zu führen;
2. die Gruppe der nordvietnamesischen Regierung;
3. die Gruppe der südvietnamesischen Regierung;
4. die Gruppe der amerikanischen Regierung.

Die Gruppen 2 bis 4 können (und werden) wechselseitig die Rolle der Anklage und der Verteidigung übernehmen; anzunehmen ist, daß die Gruppe 2 mit der Anklage beginnt. Aus Gründen der Arbeitsteilung muß sich jede der Gruppen 2 bis 4 noch einmal in die Gruppen der Ankläger für die eigene Sache, der Verteidiger der eigenen Sache, und der Zeugen für die eigene Sache unterteilen. Dabei sind die Zeugen diejenigen, die immer wieder Informationen beschaffen und der eigenen Anklage bzw. Verteidigung zur Verfügung stellen.

Voraussetzung ist, daß die ganze Klasse zunächst das Thema lehrgangsgerecht zumindest soweit bearbeitet, daß die Konturen für die einzelnen Parteien klar sind. Man kann also mit einem Tribunal nicht einfach beginnen. Die dem Gericht übergebenen Voten (anklagend oder verteidigend) müssen wenigstens in den Grundlagen schriftlich vorgelegt werden und als Kopie dem jeweiligen Kontrahenten zugestellt werden. Bei dieser Methode ist der schulische Wochenstunden-Rhythmus sogar von Vorteil - falls

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jeweils eine Doppelstunde zur Verfügung steht - , weil die Unterbrechung nur der weiteren Arbeit in Form von "Hausaufgaben" förderlich sein kann. Nicht ohne Grund werden ja auch sonst Gerichtsverhandlungen mehr oder weniger oft vertagt.

Auch bei dieser Methode gibt es jedoch eine Reihe immanenter Schwierigkeiten, die sorgsam bedacht sein wollen:

1. Je nach Umfang und Kompliziertheit des Themas ist ein einzelner Lehrer überfordert. Er muß ja nicht nur sorgfältig informiert sein, sondern auch den Gang der Verhandlung steuern, den Gruppen ausgesuchtes Material zur Verfügung stellen, diese bei ihrer Arbeit beraten und anderes mehr. Man sollte deshalb von vornherein davon ausgehen, daß mindestens zwei Lehrer für ein solches Projekt benötigt werden.

2 Da es sich hier um eine intellektuell-systematische Methode handelt, darf der Spieleifer nicht die Qualität der Argumentationen beeinträchtigen. Ähnlich wie ein wirkliches Gericht muß man sich auch hier Zeit nehmen, Rückfragen zur Klarstellung anbringen usw. Diese Methode bedarf eines Klimas der Gelassenheit.

3. Auch hier sind gewisse technische Voraussetzungen nötig: Jede Gruppe braucht mindestens eine Schreibmaschine (und natürlich Leute, die sie auch benutzen können) sowie einen eigenen Arbeitsraum.

4. Es wurde schon betont, daß das Ziel eines solchen Tribunals nicht das Fällen eines Urteils sein kann; es wäre folgenlos und somit bloß "Spielerei". Zweck dieser Methode ist vielmehr, sich ein Problembewußtsein unter dem Aspekt einer bestimmten Parteiung zu erarbeiten, wobei dieser Standpunkt aus rein methodischen Gründen bezogen wird, nicht aus Gründen der persönlichen Identifikation; eher geht es hier (im Anschluß an Brecht) darum, wenigstens zunächst persönliche Identifizierungen zu verweigern, um sich dafür um so bessere Beurteilungen zu verschaffen. Gleichwohl bleibt die Frage, womit das Tribunal enden soll, denn schließlich ist es wenig befriedigend, einfach

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irgendwann aufzuhören. Zwei plausible Möglichkeiten bieten sich an: Entweder endet das Tribunal in einer allgemeinen Diskussion, wobei die vorher eingenommenen Rollen wieder abgelegt werden und im Kontext der persönlichen Überzeugung diskutiert wird. Oder aber das Ergebnis ist eine "Produktion", d.h. die Gruppen dokumentieren ihr Material, z. B. für eine Diskussion in der Schulöffentlichkeit.

5 Gerade ein Beispiel wie der Vietnam-Krieg zeigt auch die Grenze bzw. die eigentümliche Chance dieser Methode Es geht nicht um idealistische "Objektivität" bei der all gemeinen Beurteilung eines Problems, sondern nur darum, die individuellen Beurteilungsmöglichkeiten soweit wie möglich zu verbessern. Vergleichsmaßstab ist also nicht etwa das, was ein internationaler Gerichtshof herausbringen würde, sondern das, was auch mit anderen Unterrichtsmethoden erreicht werden könnte.

Unter dem Gesichtspunkt unserer vier Kriterien ergibt sich für diese Methode folgende Beurteilung:

1. Sachliche Reichweite: Da, wie schon betont wurde, das Tribunal thematisch nicht begrenzt sein muß, ist seine sachliche Reichweite fast ebenso unbegrenzt wie beim Lehrgang auch. Allerdings verlangt die aporetische, auf die Perspektiven von Anklage bzw. Verteidigung orientierte Struktur nicht unbedingt auch systematische Bearbeitungen des Bewußtseins. Das wird auch nicht dadurch ausgeglichen, daß die jeweils einseitigen Perspektiven durch die anderen ergänzt, korrigiert bzw. relativiert werden. Die besondere Chance des Tribunals besteht darin, daß es spielerisch ist, jedoch relativ wenig Investitionen in die Technik des Spiels verlangt. Ferner ordnet es die zu bearbeitenden Informationen und Kategorien zwar nicht einer Handlungssituation, aber doch einer intellektuellen Beurteilungssituation zu, mobilisiert also "Aktionswissen".

2. Favorisierte Arbeitsmethoden: Diese Methode fordert eine Reihe wichtiger Arbeitstechniken heraus: Sammeln und Ordnen von Informationen unter bestimmten Ge-

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sichtspunkten; kooperatives und selbständiges intellektuelles Arbeiten; die Fähigkeit, Arbeitsergebnisse knapp und mit appellativem Tenor zu formulieren; die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel (durch Rollenwechsel); Diskussionsfähigkeit sowie die Fähigkeit, die eigenen Ergebnisse auch unter Gegendruck zu kommunizieren.

3. Schülerrolle: Auch diese Methode beruht sehr weitgehend auf der Eigenaktivität der Schüler, sowohl von einzelnen wie von Gruppen. Die Schüler bestimmen nicht nur das Thema mit, das sie in Form eines Tribunals bearbeiten sollen - ein aufgezwungenes Thema kann man so gar nicht bearbeiten - , vielmehr hängt auch die Art und Weise seiner Strukturierung und Präsentation in sehr hohem Maße von den Entscheidungen der Schüler ab. Und schließlich ist für die Schüler das Ergebnis ihrer Arbeit ebenso offen wie für den Lehrer.

4. Lehrerrolle: Der Lehrer erfüllt bei dieser Methode wieder eine Reihe unterschiedlicher Funktionen: Verhältnismäßig untergeordnet ist die unterrichtliche Funktion, es überwiegen organisatorische, informatorische und beratende Funktionen. Bedeutsam für die Rolle des Lehrers ist ferner, daß er nicht wie beim Lehrgang das Lernergebnis antizipieren und entsprechend vorbereiten kann, sondern dieses Ergebnis abhängig machen muß von den Arbeitsintentionen seiner Schüler.
 
 

Das Projekt

Die Methode des "Projekts" wird hier nur deshalb kurz erwähnt, weil der Leser angesichts der Diskussion der letzten Jahre dies wohl erwartet. Sowohl im Rahmen der Hochschuldidaktik wie auch der Diskussion zur Reform des Schulunterrichts werden Projekte auf Kosten des herkömmlichen Schulunterrichts zunehmend favorisiert.

Nun ist jedoch das Projekt keine eigenständige Methode in dem Sinne, wie dies für die bisher beschriebenen gilt; dazu fehlt die genaue inhaltliche Kennzeichnung des Kom-

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munikationszieles. Wer für "Projekte" in der gegenwärtigen Situation votiert, plädiert damit eigentlich nur gegen die Mängel des überlieferten Hochschul- und Schulunterrichts und für die Verwirklichung folgender Aspekte:

1. Der Unterricht soll komplexe Gegenstände thematisieren, so wie die gesellschaftlichen Gegenstände selbst komplex sind;
2 er soll sie so thematisieren, daß handlungsrelevante Einsichten und Erfahrungen möglich werden;
3. diese Gegenstände sollen fächer-übergreifend bzw. fächer-integrierend thematisiert und nicht wieder in einzelne Fächer und deren Perspektiven separiert werden;
4. der Komplexität der Themen soll eine Komplexität der Arbeitsformen entsprechen, d.h. Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Arbeit im Plenum usw. sollen in zweckmäßigem Wechsel miteinander kombiniert werden;
5. die komplexen Themen sollen schülerzentriert bearbeitet werden, d. h. die Lernenden sollen Subjekte ihrer Lernprozesse nicht nur hinsichtlich der Ausführung, sondern auch der Setzung von Lernzielen sein, wie sie sich im Lernprozeß selbst anbieten und Stück für Stück weiter differenziert werden können.

Legt man diese Kriterien zugrunde, so entsprechen außer dem Lehrgang eigentlich alle bisher beschriebenen Methoden mehr oder weniger den Forderungen von Projekten. Allerdings haben wir in der bisherigen Beschreibung zusätzlich versucht, den Begriff "Lernen" in diesem Zusammenhang nicht abstrakt zu setzen, sondern schon begrifflich in bestimmte soziale Handlungsziele einzubeziehen. Dies geht von der Überlegung aus, daß "Lernen" im allgemeinen kein sozialer Selbstzweck ist (das trifft eigentlich nur dann zu, wenn man wie im Falle des Lehrganges Lernen künstlich aus den übrigen sozialen Zusammenhängen herauspräpariert), sondern eher ein Nebenzweck anderer erstrebter sozialer Handlungsziele ist: Man lernt, weil man etwas für andere herstellen, etwas darstellen, selbst etwas erreichen will usw. Die auf den Lehrgang abgestellte schulische Organisationsform des Lernens, deren

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soziale Qualität dadurch gekennzeichnet ist, daß die einen sich durch die anderen systematisch belehren lassen, ist zwar, wie wir noch sehen werden, gerade auch für den politischen Unterricht unentbehrlich; aber sie kommt im gesellschaftlichen Leben außerhalb solcher separater Erziehungsinstitutionen nicht vor. Wenn also das klassische methodische Prinzip des Lehrgangs durch andere, z. B. die bisher geschilderten Methoden ergänzt werden soll, so kommt darin nur die Absicht zum Ausdruck, die in der Schule möglichen unterrichtlichen Kommunikationsformen selbst zu erweitern und nicht etwa nur neue technische Varianten einzuführen.

Aus all dem folgt, daß ein Projekt in unserem Zusammenhang keine spezifische Methode ist, sondern eher eine Gesamtüberschrift für alle diejenigen Methoden, die Lernprozesse anders als nach dem klassischen Muster des sich systematisch Belehren-Lassens organisieren. In diesem Sinne wollen wir den Begriff Projekt in diesem Buch auch weiter verwenden.

Methoden und Lernziele

Die Darstellung der unterschiedlichen Methoden, die wesentlich durch unterschiedliche Kommunikationszwecke definiert sind, hat deutlich gemacht, daß jede Methode ihre spezifischen Chancen, aber auch ihre spezifischen Grenzen hat. Es kann also nicht darum gehen, bestimmte Methoden einfach für "besser" zu halten als bestimmte andere, sondern nur darum, ihre unterschiedliche Reichweite jeweils zu erkennen und den Unterricht entsprechend zu variieren. Im einzelnen ergeben sich zusammenfassend folgende Einsichten:

1. Die klassische schulische Methode des Lehrgangs, d. h. das systematische und geplante Belehren und Sich-belehren-Lassen ist keineswegs überflüssig geworden. Immer dann vielmehr, wenn die subjektive Erfahrung mit objek-

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tiven, d. h. außersubjektiven, nicht einfach induktiv erschließbaren Sachverhalten und wissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert werden muß, sind Lehrgänge unentbehrlich; würde man überhaupt auf Lehrgänge verzichten, so würde damit der "Anspruch des Objektiven" überhaupt abgewehrt, d.h. es gäbe z. B. keine Möglichkeit mehr, das jeweils vorhandene Bewußtsein als falsches zu erkennen und zu bearbeiten.

Allerdings haben die Vergleiche mit anderen Methoden auch gezeigt, wo die Grenzen des Lehrgangs liegen, daß er z. B. keine Real-Erfahrungen ermöglicht, sondern "nur" intellektuelle. Daß er das Bewußtsein nicht handlungsorientiert und beurteilungsorientiert entwickeln kann, sondern "nur" Potentiale für Handlungen und Urteile herzustellen vermag. Angesichts vieler modischer und wenig reflektierter Voten für "Lernen ohne Lehren" ist jedoch darauf hinzuweisen, daß jenes "nur" zwar eine korrekturbedürftige Grenze zeigt, aber kein Argument für den Verzicht auf planmäßige und systematische Unterrichtung beinhalten kann. Auch andere Methoden, so haben wir gesehen, sind auf Anteile von Lehrgängen angewiesen, wenn sie die ihnen möglichen Lernchancen auch erreichen sollen.

2. Es muß noch einmal betont werden, daß es sich bei den unterschiedlichen Methoden nicht - oder jedenfalls nicht in erster Linie - um unterschiedliche Vermittlungstechniken handelt, sondern - gleiches Thema vorausgesetzt - um unterschiedliche Bearbeitungszwecke. Diese unterschiedlichen Zwecke bestimmen nicht nur die Struktur der Sache entscheidend mit, sondern auch die Wahl der Arbeitsweisen und der Arbeitsmittel. Wenn der Zweck mit der Wahl einer bestimmten Methode einmal definiert ist muß er auch so lange durchgehalten werden, bis er gegebenenfalls gemeinsam neu definiert worden ist, weil sonst nur Verwirrung eintreten kann.

3. Die hier in Rede stehenden Kommunikationszwecke sind nicht identisch mit Lernzielen. Von der Bedeutung der Methoden im Hinblick auf die in meiner "Didaktik der politischen Bildung" genannten Lernziele wird gleich noch

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die Rede sein. Unterrichtskommunikationen haben, das ist unsere These, ihre eigene innere Logik, sie können nicht einfach auf bestimmte Lernziele hin organisiert werden, haben diesen gegenüber vielmehr notwendigerweise einen relativ autonomen Spielraum. Wohl kann man bestimmte Kommunikationszwecke wegen ihrer Affinität zu bestimmten Lernzielen wählen bzw. bevorzugen, aber man kann die Unterrichtskommunikation nicht zur bloßen technischen Konsequenz von außen kommender Lernziele machen. Daß im Gegenteil die Unterrichtskommunikation selbst, sobald sie zum Zwecke des Lehrens und Lernens eingegangen wird, auch ihre eigenen Ziele entwickeln muß, die unter Umständen - wie wir vorher gesehen haben - zu den von außen formulierten Lernzielen in Widerspruch treten können, ist in der bisherigen Curriculum-Diskussion weitgehend vernachlässigt worden. Dabei ist von den bekannten gruppendynamischen Dimensionen, die jeder Kommunikation immanent sind, hier noch gar nicht die Rede, sie würden das Problem noch weiter komplizieren. Gemeint ist vielmehr, daß Lernen, abstrakt gefaßt, überhaupt kein soziales Handlungsziel sein kann, daß es vielmehr immer mit anderen sozialen Handlungszielen gekoppelt erscheint.

4. Aus diesem Grunde liegt ein wesentliches Problem darin, zumindest auf längere Sicht die Kommunikationszwecke mit den als notwendig erachteten Lernzielen in einen Zusammenhang zu bringen. Das aber kann nicht dadurch geschehen, daß man aus welchen Gründen auch immer für bestimmte Methoden und gegen andere votiert, sondern nur dadurch, daß man die verschiedenen Methoden miteinander kombiniert; sei es, daß sie einander abwechseln, sei es, daß sie ineinander übergehen. Lehrgangsanteile sind, wie wir schon sahen, ohnehin immer unentbehrlich. Man kann aber auch zum selben Thema Rollenspiele mit einem Planspiel kombinieren, die Lehrgänge in Produktionen übergehen lassen usw.

5. Dabei muß man jedoch deutlich sehen, daß die einzelnen Methoden unterschiedlich kompliziert sind. Schon die

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hochschuldidaktische Diskussion der letzten Jahre ist dem Irrtum aufgesessen, daß Projekte oder gruppen-orientierte Lehrmethoden für die Lernenden "leichter" seien als die herkömmlichen Lehrverfahren, weil sie doch "lebensnäher" seien. Das Gegenteil ist eher richtig. Am leichtesten läßt sich wahrscheinlich im Rahmen eines gut durchdachten Lehrgangs lernen, und zwar schon deshalb, weil beim Lehrgang rein kognitive Ergebnisse im Vordergrund stehen. Alle anderen Methoden verlangen dagegen zusätzlich das Erlernen und die Präsentation sozialer und darstellerischer Fähigkeiten; zudem wird die Arbeitsstruktur etwa durch Parallelisierung verschiedener, weitgehend auf Selbsttätigkeit angewiesener Gruppen allenfalls im Hinblick auf die eigene Gruppe leichter als beim lehrerzentrierten Lehrgang, sie wird jedoch fraglos komplizierter im Hinblick auf die Koordination mit den anderen Gruppen, auf die übergeordnete gemeinsame Zielsetzung sowie nicht zuletzt hinsichtlich der Selbstvergewisserung der Lernerfolge. Wenn man das nicht deutlich sieht, entsteht bei diesen Methoden nur blinder und irrationaler Aktivismus.

6. Der Lehrer - so war zu erkennen - nimmt in den unterschiedlichen Methoden ganz unterschiedliche Funktionen ein, die später noch einmal ausführlicher diskutiert werden sollen. Hier mag der Hinweis genügen, daß je nach dem Kommunikationszweck er überwiegend als unterrichtender Fachmann, als Informant, als Organisator, als Berater oder auch als Mitspieler tätig ist. Er ist also keineswegs unter allen Umständen der, der sein vorher geplantes Konzept im Unterricht realisiert; vielmehr ändert sich je nach seiner jeweils eingenommenen Funktion seine Beziehung zu den Schülern wie auch seine Beziehung zur Sache, die er vermitteln soll.

7. Die Darstellung der Methoden erfolgte unabhängig davon, welche Rolle sie speziell in der Schule spielen können und sollen, und ob und in welchem Umfange sie dort überhaupt realisierbar sind. Da die Schulen immer noch bis in ihre bauliche Organisation hinein im wesentlichen aus Klassenzimmern und Lehrerzimmern, allenfalls noch aus

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einigen Fachräumen bestehen und schon von daher weitgehend auf die Methode des Lehrgangs hin festgelegt sind, dürften einige der oben beschriebenen Methoden dort nur schwer zu realisieren sein. Das darf aber kein Grund dafür sein, ganz unabhängig davon die methodischen Möglichkeiten des politischen Unterrichts überhaupt erst einmal im Zusammenhang darzustellen. Aus den der gegenwärtigen Schule im allgemeinen gesetzten Grenzen lassen sich vielmehr zwei Folgerungen ableiten:

Entweder müssen die schulischen Bedingungen auf Dauer entsprechend verbessert werden, wobei die hier genannten methodischen Varianten als Planungshilfe dienen könnten. Oder aber man definiert den Auftrag der Schule für die politische Bildung von vornherein partiell, z. B. dahingehend, daß sie systematische Lehrgänge im Unterricht anbietet. Dann jedoch muß klar sein, daß die Ziele des politischen Unterrichts notwendigerwei - d.h. wie in der Didaktik begründet - weiter gesteckt sind, als die Schule sie realisieren kann, und dann müssen die außerschulischen Bildungsmöglichkeiten als Ergänzung und Korrektur der schulischen Möglichkeiten verbreitert werden. Es ist hier nicht der Ort, diese Alternative ausführlich zu diskutieren, sie muß nur gesehen werden.

Vieles spräche zumindest gegenwärtig dafür, daß die Schule sich konzentriert auf solche Methoden, die ihr aufgrund ihrer spezifischen Chancen und Bedingungen besonders gemäß sind. Es sind vor allem solche, die auf langfristigem und systematischem Unterricht beruhen, also z. B. Lehrgang, Produktion, Sozialstudie und möglicherweise auch Tribunal. Die anderen Methoden brauchen durchaus nur gelegentlich verwandt zu werden, z. B. um den Schülern über die langen Jahre der Schulzeit ab und zu neue Impulse anzubieten. Außerdem könnte man Schullandheimaufenthalte bzw. Tagungen in Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung für diejenigen Methoden vorsehen, die sich unter den Bedingungen der Tagung besser realisieren lassen. Umgekehrt sollten die Dozenten in außerschulischen Bildungsstätten beachten, daß ihre Chance

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weniger in der Anwendung der klassischen Schulmethoden wie etwa des Lehrgangs liegt - die schon wegen der kurzen Dauer von Tagungen hier ihre Grenzen haben - , sondern im Gebrauch gerade jener Methoden, für die sie im Unterschied zur Schule über optimale Bedingungen und Voraussetzungen verfügen.

Im übrigen wären hier auch altersspezifische Differenzierungen zu bedenken. Für jüngere Jahrgänge dürften auch in der Schule die mehr spielerischen, sozial-aktiven Methoden passender und motivierender sein als die mehr auf strenger Verbalisierung beruhenden. Je nach Altersklasse und je nach den Bedingungen der Institution käme es also auf die Kombination der Methoden an: je nachdem kann man bestimmte Schwerpunkte setzen und die anderen Methoden nur gelegentlich verwenden. Gerade deshalb aber ist es notwendig, daß alle Politiklehrer - gleich in welchen Altersstufen sie unterrichten und in welcher Institution sie tätig sind - die Methodenproblematik und Methodenvielfalt zunächst einmal im ganzen zur Kenntnis nehmen.

Die bisherige Diskussion der Methoden bliebe jedoch unbefriedigend, wenn sie nicht mit den in der "Didaktik der politischen Bildung" formulierten übergeordneten Lernzielen in Verbindung gebracht würde. Wir müssen also die Frage prüfen, welche Methoden für die Erreichung welcher dieser Lernziele besonders geeignet sind. Das kann nur grob angedeutet werden, weil die Grenzen zwischen den einzelnen Methoden fließend sind, und weil es sich bei diesen Methoden um Typen der Unterrichtskommunikation handelt, die im einzelnen nicht nur gewisse Spielräume für Aktivitäten haben, sondern auch niemals rein und ausschließlich, sozusagen ohne Umwege realisiert werden können. In der Darstellung S. 105 wurde versucht, die Methoden den Lernzielen zuzuordnen. Dabei wurden im allgemeinen mögliche Zuordnungen berücksichtigt, d. h. solche, die ohne Abweichung vom Zweck der jeweiligen Kommunikation erreichbar sind. Man könnte für eine solche

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Zuordnung auch den Gesichtspunkt zugrundelegen, welche Zuordnungen jeweils unbedingt gegeben sind, d. h. logisch aus dem jeweiligen Kommunikationszweck erwachsen. Ferner wurde davon ausgegangen, daß jeweils aktuelle Themen gewählt werden. Dieser Hinweis ist vor allem im Hinblick auf das Teilziel III "Historisches Bewußtsein", wichtig; denn unter der Voraussetzung, daß der Gegenstand ein historischer ist, ändert sich die Gewichtung der Tabelle natürlich. Historische Themen lassen sich durch Lehrgänge, Produktionen, Sozialstudien, Rollenspiele und Tribunale bearbeiten - wobei die Frage, wie sinnvoll diese Methoden für historische Themen sind, auf sich beruhen bleiben soll.

Wir rufen an dieser Stelle noch einmal die in der "Didaktik" (S. 139 ff.) begründeten Lernziele ins Gedächtnis. Die Begründung ging dort aus von einer Interpretation des Grundgesetzes, aus der sich "Mitbestimmung" als oberstes Lernziel ergab. Dieses wurde aufgeschlüsselt in folgende Teilziele:

1. Die Fähigkeit zur Analyse aktueller Konflikte im Sinne des allgemeinen Fortschritts an Demokratisierung und der Wahrnehmung der eigenen Interessen;
2. das Training systematischer gesamtgesellschaftlicher Vorstellungen, das in die Lage versetzt, die einzelnen politischen Handlungen und Konfliktanalysen in größere Zusammenhänge und dementsprechende Strategien einzubeziehen;
3. die Entwicklung historischen Bewußtseins, um Emanzipation und Mitbestimmung im Kontext historisch entstandener Abhängigkeiten und Unmündigkeiten konkretisieren zu können;
4. das Training selbständiger Informationsermittlung und Informationsverarbeitung, um auf diese Weise selbständig und kritisch am politischen Leben teilnehmen und auf die Dauer von der Hilfe durch "Lehrer" unabhängig sein zu können;

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5. das Training praktischer Handlungsformen, um vor allem an der "Basis" erfolgreich für seine eigenen Interessen und Ziele operieren zu können.

Die Affinität zwischen den Methoden und diesen Lernzielen wurde in der folgenden Darstellung (S. 105) durch zwei Stärkegrade angedeutet: Ein Viereck bedeutet relativ hohe Affinität, ein Dreieck relativ niedrige; fehlt eines der beiden Zeichen, so bedeutet dies keine oder keine nennenswerte Affinität.
 

Berücksichtigt man alle Einschränkungen, dann zeigt die Tabelle noch einmal, was die Analyse der Methoden schon im einzelnen ergab:

1. Die geringste Reichweite im Hinblick auf die Lernziele hat die Provokation; sie ist ohne die Kombination mit anderen Methoden praktisch wertlos.

2. Das Hauptgewicht des Lehrgangs liegt beim Teilziel II: Training systematischer gesamtgesellschaftlicher Vorstellungen; er hat jedoch wenig unmittelbare Bedeutung für den Erwerb praktischer Handlungsformen.

3. Diejenigen Methoden, deren Schwerpunkt auf den für praktisches Handeln relevanten Teilzielen IV und V liegt, sind weniger bedeutsam für das Teilziel II.

4. Das Teilziel III: Historisches Bewußtsein, kommt notwenig zu kurz, wenn nicht historische Gegenstände und Themen speziell bearbeitet werden.

5. Ganz allgemein läßt sich die Schlußfolgerung ziehen: Je schülerzentrierter der politische Unterricht ist, desto geringer ist seine objektiv-systematische Reichweite, oder anders ausgedrückt: Zwischen den objektiven (z. B. wissenschaftlichen) Ansprüchen, die an die Bearbeitung des Bewußtseins gestellt werden müssen, und den Bedürfnissen nach eigener Aktivität der Schüler gibt es einen Widerspruch, der bei der Unterrichtsplanung nicht durch ein Votum für die eine oder andere Seite gelöst werden kann, sondern unaufgelöst das Leitmotiv für die optimale Kombination der Methoden bleiben muß.

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Damit wollen wir die Überlegungen zu den politischen Unterrichtsmethoden hier abbrechen, obwohl eine Reihe theoretischer Überlegungen, die wir angedeutet haben, angesichts der gegenwärtigen Curriculum-Diskussion nahelägen. Aber der Gesichtspunkt der praktischen Brauchbarkeit steht hier im Vordergrund, und für ihn ist die hoffentlich hinreichend begründete Erkenntnis wichtig, daß Methoden immer auch Ziele sind, und daß es "die beste" Methode nicht gibt, sondern nur die im Hinblick auf die übergeordneten Lernziele bestmögliche Kombination von Methoden.
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 URL des Dokuments: : http://www.hermann-giesecke.de/metho3.html

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