Hermann Giesecke
Methodik des politischen Unterrichts
München: Juventa-Verlag 1973Einleitung
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Einleitung
Dieses Buch soll die Überlegungen meiner "Didaktik der politischen Bildung" fortsetzen,
( Hermann Giesecke: Didaktik der politischen Bildung. Neue Ausgabe, 7. Auflage, Juventa Verlag, München 1972;entsprechende Seitenhinweise beziehen sich auf die neue Ausgabe, hier wiedergegeben als 10. Aufl. 1976, H.G.).
deren Kenntnis also vorausgesetzt wird. Die prinzipiellen Erörterungen über politische Lernziele, über die Kategorien der intellektuellen Bearbeitung sowie über Sinn und Zweck des politischen Unterrichts überhaupt können hier im einzelnen nur soweit wiederholt werden, daß dieser Band in sich verständlich und abgeschlossen erscheint; im übrigen wird jeweils auf die einschlägigen Kapitel der "Didaktik" verwiesen, so daß beide Bände - so gut es geht - miteinander verschränkt werden.Da mit dem Begriff "Methodik" unter Umständen sehr unterschiedliche Erwartungen geweckt werden können, scheint es mir nützlich, die mit diesem Buch verfolgten Absichten zu Beginn etwas genauer zu erklären.
1. Das Verhältnis von Methodik und Didaktik ist nicht einfach das der Deduktion. Methodik ist nicht nur die unterrichtstechnische Anwendung von Didaktik. Vielmehr ist Methodik ein relativ eigenständiger Zusammenhang von Sätzen über die fachspezifische Unterrichtskommunikation. Sie ist also zunächst auch "Theorie" - nämlich über Unterrichtskommunikation. Die relative Autonomie der Didaktik zur Methodik und umgekehrt hängt vor allem damit zusammen, daß beide nach meiner Auffassung nicht in erster Linie vom Endergebnis her zu strukturieren sind, von einem zu antizipierenden Bewußtseins- und politischen Sozialisationsergebnis, sondern von der wissenschaftlichen Bearbeitung des immer schon vorliegenden Bewußtseins und Erfahrungsstandes her. Das heißt, dass - wie bei jedem wissenschaftlichen Studium- die Art und Weise der Bearbeitung im Vordergrund steht und eben nicht das
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Ergebnis, das je nach Forschungsstand, nach den angewandten Methoden und Fragen auch im Schulunterricht durchaus unterschiedlich sein kann. Die in meiner "Didaktik" entwickelten politisch-didaktischen Kategorien sind als die zentralen Arbeitsinstrumente dafür zu verstehen Politischer Unterricht, wie er hier vertreten wird, versteht sich also insofern als "wissenschaftlich", als methodisch geregeltes Nachdenken und Arbeiten angestrebt wird auf der Grundlage von Lebenserfahrungen, Bedürfnissen und Interessen und in Konfrontation mit objektivierten wissenschaftlichen Ergebnissen und Erklärungssystemen. Methodik hat m diesem Zusammenhang die Aufgabe, die Kommunikationsbedingungen und -chancen solcher kollektiver Bearbeitungen zu untersuchen und darzustellen.
2. Aus diesem Grunde knüpft diese Methodik auch nicht an die gegenwärtige Curriculum-Diskussion an. Abgesehen davon, daß diese gerade für das Fach Politik noch keine brauchbaren Ergebnisse erbracht hat, ist auch die Frage, ob und in welchem Maße curriculare Modelle überhaupt in dieses Konzept eingebracht werden können; denn einstweilen gehen gerade sie von einer Struktur aus, die von den möglichst detaillierten und operationalisierten Endzielen und Zwischenzielen her entworfen ist.
3 Gegenstand des Buches ist also die politische Unterrichtskommunikation hinsichtlich ihrer realen außer- wie innerschulischen Faktoren, hinsichtlich ihrer intentionalen Variationen und unterschiedlichen Chancen; es wird versucht, diese in einem offenen Zusammenhang, sozusagen in einem Problemzusammenhang, darzustellen. Dabei kommt es uns darauf an, dem Lehrer Leitgesichtspunkte für die Interpretation seines Handelns und seiner Entscheidungen anzubieten, aber auch dafür, daß er die Dimensionen der Unterrichtskommunikation mit den Schülern gemeinsam auch zum Thema machen kann. Dieser Gesichtspunkt bleibt oft gänzlich unberücksichtigt. Methodik wurde vielfach als eine Art "Geheimwissenschaft" für Lehrer verstanden, die ihm einen Vorsprung zum Zwecke der kommunikativen Manipulation sichern sollte. Die vorliegende Methodik ist
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jedoch bewußt auch für Schüler geschrieben, selbstverständlich nicht so, daß sie auf den Wissensstand von Schülern angelegt ist, aber doch in dem Sinne, daß zumindest Teile davon Gegenstand des Unterrichts sein können. Aus der Vorstellung nämlich, daß es im Unterricht um die Probleme kollektiver Bearbeitung des Bewußtseins geht, folgt, daß auch die kommunikativen und nicht nur die vom Stoff her auftauchenden inhaltlich-intentionalen Probleme von den Schülern mit gesehen und bearbeitet werden müssen.
4. Die Intention ist also eine praktische, allerdings nicht in dem Sinne, daß Modelle bzw. Stundenentwürfe für den Unterricht angeboten werden. Dies wäre zweifellos nützlich, aber Aufgabe einer anderen Publikation in Form eines Schulbuches oder einer Sammlung von Projekten. Hier geht es um die grundsätzliche Erschließung der Probleme in ihrem Zusammenhang, teilweise durchaus erläutert an konkreten Beispielen. Dabei wird die Grenze des Unterrichts im engeren Sinne überschritten, behandelt werden auch Probleme, die nicht speziell aus dem politischen Unterricht erwachsen, sondern die die Lehrerrolle allgemein betreffen. Insofern weitet sich die "politische Methodik" gelegentlich zu einer "allgemeinen Methodik" unter den besonderen Aspekten des politischen Unterrichts aus.
5. Diese Erweiterung des Blickes ergibt sich nicht nur daraus, daß Methodik als Theorie der Unterrichtskommunikation definiert wird, sondern auch daraus, daß dieses Buch für die Lehrerbildung verfaßt wurde, also für Studenten, die noch nicht über umfassende Unterrichtserfahrungen verfügen, die aber Politik später in der Schule oder auch in einer außerschulischen Bildungseinrichtung unterrichten wollen. Ihnen soll das Buch zum Studium dienen, es soll, soweit dies in einer relativ praxisfernen, systematisch orientierten Ausbildungssituation überhaupt möglich ist, ihre Vorstellungen über den Zusammenhang unterrichtspraktischer Probleme trainieren. Dazu erscheint es zweckmäßig, das Fach Politik, also das Unterrichten von Politik, gelegentlich zum Zentrum von Überlegungen etwa zur Schultheorie oder zu sozialpsychologischen Fragen zu ma-
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chen, die an sich anderen Sparten der wissenschaftlichen Arbeitsteilung angehören. Dahinter steht die Annahme, daß solche allgemeinen, im Ausbildungsbetrieb auf verschiedene Fächer spezialisierten Informationen und Probleme sich unter dem Aspekt des fachlichen Unterrichts am ehesten integrieren lassen. Jedoch kann dies schon aus Gründen des Umfangs nicht so weit gehen, daß durch unzulässige Vereinfachungen die auch für die Ausbildung (und nicht nur für die Forschung) nötige wissenschaftliche Arbeitsteilung dabei wieder unterlaufen wird. Vielmehr geht es uns darum, daß relevante fachspezifische Studienergebnisse angesichts unseres Hauptthemas, des politischen Unterrichts, mobilisiert und eingebracht werden können.
6. Im Unterschied zu anderen Schul-Fächern hat ja das Unterrichtsfach Politik noch keine lange Tradition; in sehr vielen Fällen wird der Unterricht noch von Lehrern erteilt, die gar kein spezielles Fachstudium dafür absolviert haben, und in Niedersachen z. B. kann man das Schulfach "Politik" für die Hauptschule erst seit einigen Jahren überhaupt studieren. Entsprechend befindet sich die fachdidaktisch-methodische Ausbildung noch in den Anfängen, es gibt noch kaum Konzepte dafür. Vielfach wird die methodische Ausbildung etwa in der Form betrieben, daß ein bestimmtes politisches Thema fachwissenschaftlich studiert wird im Zusammenhang mit der Frage, was man davon und wie man es für eine bestimmte Altersstufe in der Schule unterrichten kann. Zweifellos sind das nützliche Überlegungen, aber mit "Methodik" in einem systematischen Sinne haben sie noch nicht viel zu tun, weil die Kriterien für die methodische Analyse punktuell und zufällig bleiben, ohne daß sie in einem größeren theoretischen Zusammenhang diskutiert und deshalb später im Unterricht auch produktiv variiert werden können. Ein solcher Zusammenhang aber kann sich erst dann einstellen, wenn die Unterrichtskommunikation selbst, und zwar als intellektuelle Arbeitskommunikation, thematisiert wird. Gelingt dies auf die Dauer nicht, so werden aus der fachdidaktischen Ausbildung allenfalls problematische Lehr-Rezepte entstehen.
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7. Das in diesem Buch vertretene Konzept von "Methodik" beruht also auf einer hochschuldidaktischen Prämisse: daß nämlich die Hochschule niemals das lehren kann, was man als "praktische Erfahrung" nur unter den institutionellen und sozialen Bedingungen der Schularbeit selbst lernen kann. Die Hochschulausbildung kann vielmehr nur das lehren, was sich systematisieren und insofern "auf Serie legen" läßt. Man kann in einer Hochschule nicht lernen, wie man am besten in der Schule oder in einer Tagungsstätte unterrichtet, man kann dort "nur" sein Bewußtsein und seine Vorstellungen zu strukturieren und zu systematisieren lernen. Man kann die praktischen Erfahrungen, die für eine erfolgreiche Berufsarbeit nötig sind, dort nicht antizipieren, aber man kann Bewußtsein und Vorstellungen so vorbereiten, daß später wirklich Erfahrungen entstehen können und nicht nur z. B. Vorurteile oder Ressentiments im Rahmen untheoretischer Handwerkelei.
8. Obwohl die Überlegungen dieses Buches auf die institutionellen Verhältnisse der Schule weitgehend spezialisiert sind, gelten sie mutatis mutandis prinzipiell für jeden planmäßigen politischen Unterricht, also auch für den in der Erwachsenenbildung und in der außerschulischen Jugendbildung. Allerdings wurden die dabei zu berücksichtigenden unterschiedlichen Bedingungen und Voraussetzungen hier nur andeutungsweise thematisiert. Sie sind detailliert erörtert in meinem Buch "Politische Bildung in der Jugendarbeit" (3. Auflage, München 1972, Juventa Verlag) sowie - nicht spezialisiert auf den politischen Unterricht - in meiner systematischen Darstellung "Die Jugendarbeit" (2. Auflage, München 1973, Juventa Verlag). Auch auf diese beiden Arbeiten muß ich zur Ergänzung des hier Vorgetragenen verweisen. Da die Methodik des politischen Unterrichts zwar in diesem Buche für die Bedingungen der Schule ausgeführt wird, aber nicht von vornherein auf deren gegenwärtige Möglichkeiten hin beschnitten werden soll, muß z. B. offen bleiben, ob etwa alle im dritten Kapitel beschriebenen methodischen Variationen auch für die Schule geeignet sind oder ob sie nicht
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wenigstens zum Teil größere Chancen in der außerschulischen Bildungsarbeit haben.
Im Gang der Überlegungen kommt dem ersten Kapitel die schon angedeutete theoretische Grundlegung zu: Methodik wird definiert und entfaltet als "Theorie der Unterrichtskommunikation".
Das zweite Kapitel macht deutlich, daß das optimale Gelingen dieser Kommunikation stets gefährdet ist, daß es nur in Ausnahmefällen wirklich erreicht wird und daß Methodik nicht auf ideale Konstruktionen zielen kann, sondern nur darauf, trotz der Gefährdungen die Kommunikation so gut es geht in Gang zu halten. Dabei wird auf einige wichtige Faktoren für die Gefährdung eingegangen.
Das dritte Kapitel beschreibt die wichtigsten, bisher innerhalb wie außerhalb der Schule praktizierten methodischen Variationen unter dem Gesichtspunkt, was man alles mit ein und demselben Thema kommunikativ machen kann. Hier wird zum ersten Mal die These expliziert, daß Methodik mehr ist als bloß technische Anwendung, daß immer auch das jeweils leitende Kommunikationsziel definiert werden muß und daß "Lernen" als abstraktes, d. h. von allen weiteren sozialen Zielen losgelöstes Postulat nicht zur Kennzeichnung einer menschlichen Kommunikation ausreichen kann. Vor allem wird gezeigt, daß die traditionelle Kommunikationsform des Lehrgangs zwar weiterhin nötig ist, aber gleichwohl nur ein Sonderfall der Kommunikationsvarianten sein kann, wenn man die Chancen und Grenzen der einzelnen Varianten genauer untersucht.
Das vierte Kapitel befaßt sich mit den zeitlichen Dimensionen eines Unterrichtsprozesses als eines kollektiven Arbeitsprozesses und versucht, die unterschiedlichen Aufgaben des Lehrers je nach dem zeitlichen Stadium des Lernprozesses zu bestimmen.
Das fünfte Kapitel versucht, die unterschiedlichen Arbeitsweisen, sozusagen die Varianten der Mikro-Struktur der Unterrichtskommunikation, gegeneinander abzusetzen und
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hinsichtlich ihrer spezifischen Chancen und Bedingungen zu diskutieren. In diesem wie schon im dritten Kapitel geht es vor allem auch darum, einseitige Vorstellungen über "demokratische" und "schülerzentrierte" Unterrichtsmethoden zu korrigieren.
Die verschiedenen Arbeitsmittel behandelt das sechste Kapitel, verbunden mit Hinweisen über die Beschaffung, Auswahl und Organisation von Arbeitsmitteln in der Schule. Neben einer Erörterung über den gegenwärtigen Stand der Lehrmittelproduktion für den politischen Unterricht geht es vor allem auch um ein Plädoyer für den Einsatz reproduzierbarer Massenmedien im politischen Unterricht, also gewissermaßen um die Eigenproduktion von Lehrmitteln.
Das siebte und letzte Kapitel faßt noch einmal die in den vorangehenden Kapiteln deutlich gewordenen unterschiedlichen Funktionen des Politiklehrers zusammen, um erste Ansätze eines spezifischen beruflichen Selbstverständnisses anzubieten. Dabei muß die Begrenzung des Blicks auf den Unterricht durchbrochen werden zugunsten von Aspekten, die etwa aus der politischen Existenz des Lehrers selbst, aus außerschulischen Beziehungen zu seinen Schülern, aus Beziehungen zu seinen Kollegen sowie aus seiner Rolle als Wissenschaftler erwachsen. Ziel ist dabei nicht zuletzt, das Bedürfnis nach Identifikation, nach Engagement und Solidarisierung ein wenig zu differenzieren.
Verwundern mag auf den ersten Blick, daß die Überlegungen dieses Buches nicht nach Altersstufen differenziert werden. Darauf wurde, abgesehen von gelegentlichen Hinweisen im Text, in der Tat verzichtet. Abgesehen davon, daß eine Ausbildung nach Stufenschwerpunkten meines Wissens noch nirgends systematisch für das Fach Politik entwickelt ist, würden dadurch die Überlegungen des Bandes auch prinzipiell nicht berührt; denn einmal muß man ja davon ausgehen, daß ein Lehrer je nach seinem Ausbildungsstand (z.B. Gymnasiallehrer bzw. Hauptschullehrer) diese Methodik ohnehin variieren muß, und zum anderen lassen sich optimale altersspezifische Variationen des
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politischen Unterrichts eher durch spezielle Lehrmittel, Schulbücher und Projektbeschreibungen sowie durch Lehrpläne bzw. Curricula angehen.
Das Literaturverzeichnis am Schluß enthält - nach Sachgebieten geordnet - diejenigen Arbeiten, die meine Überlegungen beeinflußt haben, sowie eine Auswahl solcher Titel, die eine Vertiefung einzelner Aspekte ermöglichen.
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URL des Dokuments: : http://www.hermann-giesecke.de/methoein.htm