Hermann Giesecke

Politische Bildung in der Jugendarbeit

München: Juventa-Verlag 1966

Teil I:

Das pädagogische Feld der Tagung

© Hermann Giesecke

Inhaltsverzeichnis

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Zu dieser Edition:

Der folgende Text beschreibt außerschulische politische Bildungsprojekte, die Anfang der 60er Jahre im Jugendhof Steinkimmen mit Gymnasiasten, Lehrlingen und Schulklassen durchgeführt wurden. Zu dieser Zeit befand sich diese besondere pädagogische Arbeit noch in den Anfängen. Über den damaligen politisch-pädagogischen Hintergrund finden sich nähere Angaben in meiner Autobiographie Mein Leben ist lernen.
Der hier wiedergebene Text ist aus meiner Kieler Dissertation "Die Tagung als Stätte politischer Jugendbildung" hervorgegangen, die in zwei Bänden veröffentlicht wurde. Zugrunde gelegt wurde die 3. Aufl. von 1972, die aber bis auf auf das Vorwort mit der ersten von 1966 identisch ist. Der andere, theoretische Teil erschien unter dem Titel "Didaktik der Politischen Bildung", München: Juventa-Verlag 1965.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Darüber hinaus wurde das Original jedoch nicht verändert.  Um die Zitierfähigkeit zu gewährleisten, wurden die ursprünglichen Seitenangaben mit aufgenommen und erscheinen am linken Textrand; sie beenden die jeweilige Textseite des Originals.
© Hermann Giesecke


ERSTER TEIL: DAS PÄDAGOGISCHE FELD DER TAGUNG

Eine große Schwierigkeit bereitete uns die Wahl des Begriffes für unsere Veranstaltungen. Wir hatten die Auswahl unter vielerlei Bezeichnungen wie "Tagung", "Rüstzeit", "Werkwoche", "Konferenz", "Lehrgang", "Kursus", "Treffen", "Arbeitswoche", "Seminar" und "Freizeit". Davon schieden "Konferenz", "Lehrgang", "Kursus" und "Seminar" schon deshalb aus, weil sie zu sehr den Akzent auf Schulung oder auf sachliche Schwerpunkte legen. Worte wie "Rüstzeit" und "Werkwoche" sind geschichtlich zu sehr mit bestimmten Gefühlsbedeutungen versehen, und das in den zwanziger Jahren oft verwandte Wort "Freizeit" hat inzwischen einen größeren Bedeutungsumfang angenommen, so daß es unzweckmäßig wäre, es heute noch für eine bestimmte pädagogische Veranstaltung zu verwenden. Da uns kein neuer Begriff einfiel, gaben wir schließlich dem Begriff "Tagung" den Vorzug. Er schien uns noch am wenigsten belastet und besetzt. In unseren offiziellen Programmen blieben wir allerdings beim Begriff "Lehrgang". Er schien denen, die uns finanzierten und uns die Teilnehmer schickten, am besten in die Bilanz zu passen.

Dieses sprachliche Problem macht bereits auch ein sachliches deutlich. Es zeigt uns nämlich, daß unser sprachliches Arsenal zur Kennzeichnung pädagogischer Veranstaltungen entweder aus der beruflichen oder aus der schulischen Welt stammt. Wir sind also noch nicht in der Lage, solche

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pädagogischen Maßnahmen, die sich im neuen Freizeitsystem angesiedelt haben, präzise zu bezeichnen.

Auch das Wort "Tagung" entstammt nicht dem Freizeitbereich, sondern der beruflichen und gesellschaftspolitischen Ebene. Seitdem Angehörige bestimmter beruflicher und gesellschaftlicher Gruppen nicht mehr nur auf regionaler, sondern auch auf überregionaler Ebene zu einer gemeinsamen Willensbildung zusammenkommen müssen, bedarf es dafür einer besonderen Kommunikationsform. Die Entstehung des modernen Verbandswesens und die Entstehung der Tagung dürften eng miteinander zusammenhängen. Parteitage, wissenschaftliche Kongresse, Tagungen der kommunistischen Internationale und "Hoher Meißner" lassen sich so auf dieselben soziologischen Bedingungen zurückführen. Hinzu kommt das politische Moment der "Öffentlichkeit". Partikulare politische Forderungen müssen in geeigneter Weise der Öffentlichkeit unterbreitet werden; die an einem Ort zusammengefaßte Anhängerschaft ist unentbehrlich für den dabei notwendigen Nachdruck.

In der modernen Freizeitgesellschaft bleiben diese beruflichen und gesellschaftspolitischen Aspekte der Tagung erhalten, werden aber durch neue ergänzt. Wie andere frühere Privilegien, so wird auch das Privileg, an einer Tagung teilnehmen zu dürfen, sozialisiert. Tagungsbesuch wird zunehmend zu einer Form der Freizeitbeschäftigung. So ist es kein Wunder, daß die Tagung zu einem willkommenen Objekt kulturkritischer Polemik wurde. Man wirft ihren Veranstaltern Unernsthaftigkeit, Unverbindlichkeit und Dilettantismus vor, wobei dahingestellt bleibe, ob die Maßstäbe für eine solche Kritik tatsächlich aus den Freizeitverhältnissen stammen oder nicht vielmehr aus beruflichen und politischen Vorbildern. Karl Korn spricht vom "Geist aus dem Bauchladen" (Sprache in der verwalteten Welt, München 1962, S. 70). Helmut Kentler verwendet Charakterisierungen wie "Problemmärkte", "Personenbörsen", "gut organisiertes gegenseitiges Mißverständnis", "Begegnungsindustrie" (Jugendar-

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beit in der Industriewelt, München 1962, S. 112). Solche Kritiken zeigen, wie problematisch die Verwendung des Wortes "Tagung" ist. Aber vielleicht gelingt es unserem Bericht, diesen Begriff für den pädagogischen Gebrauch schärfer zu fassen.

Was eine Schule ist, ist jedermann aus eigener Erfahrung und Anschauung geläufig: Sie besteht aus Lehrern und Schülern, die in einem bestimmten Haus zu einem bestimmten Zweck regelmäßig zusammenkommen. Es schiene den meisten Menschen wohl eine Zumutung, wollte man dies näher beschreiben. Und doch wissen wir noch viel zu wenig darüber. Natürlich kennen wir die Stoffe der Schule, ihre Fächer und Zensuren, und wir wissen, daß ein Lehrer jemand ist, der eine bestimmte Ausbildung durchlaufen und bestimmte Prüfungen bestanden hat. Was wir über die Schule wissen, ist jedoch im wesentlichen durch die Vorstellung geprägt, daß dort Lehrer bestimmte Sachen ihren Schülern beibringen.

Aber welches Weltbild hat der Lehrer? Was geht davon - ohne daß er es merkt - in seinen Unterricht ein? Was bedeutet es, daß eine Schulklasse nicht aus lauter einzelnen Individuen besteht, sondern aus einer Gruppe, also aus Menschen, die ganz bestimmte Beziehungen zueinander eingehen? Welche "Rollen" haben sich in der Klasse ausgebildet? Und wie fördern oder hemmen diese Rollen den Lernerfolg der einzelnen Schüler? Welche Erwartungen haben die Schüler an den Unterricht? Stimmen diese Erwartungen mit dem überein, was die Lehrer davon denken? Sind die Schüler primär an der Sache des Unterrichts interessiert oder am Abschlußzeugnis, so daß es ihnen verhältnismäßig gleichgültig ist, was sie für dieses Zeugnis lernen müssen?

Diese Fragen sollen nur bewußt machen, daß in der Schule sehr vieles pädagogisch passiert, was mit ihrem Hauptzweck, dem Unterricht, unmittelbar gar nichts zu tun hat. Mit anderen Worten: Jede Schule ist schon deshalb ein pädagogisches Feld, weil unabhängig von der Absicht ihrer Veranstaltung durch die bloße Kommunikation zwi-

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schen Lehrern und Schülern und zwischen den Schülern vielfältige Erlebnisse und Erfahrungen "gelernt" werden. In der Sprache der Soziologie ausgedrückt: Insofern die Schule eine Gesellungsform ist, geschieht in ihr auch immer "Sozialisation".

Das gilt nun noch mehr für diejenige pädagogische Veranstaltungsform, mit der sich unser Bericht befaßt: für die Tagung. Erstens hat keineswegs jedermann eine klare Vorstellung von dem, was dort geschieht. Vermutlich werden die meisten gleich "Schule" assoziieren, wenn von "Tagung" die Rede ist. Zweitens sind hier die Faktoren, die das pädagogische Feld bestimmen, zahlreicher und viel variabler. Die Tagung enthält noch viel mehr "Unbekannte" als die Schule.

Deshalb müssen wir, bevor noch von den eigenen pädagogischen Absichten und Zielsetzungen die Rede ist, dieses Feld möglichst genau beschreiben.

Die pädagogische Macht der Verhältnisse

Aus der Schuldidaktik kennen wir das klassische didaktische Dreieck Lehrer-Sache-Schüler. Die Situation, in der das Dreieck angewendet wird, ist dabei nicht berücksichtigt. Das mag für das überregional geplante und institutionalisierte Schulwesen auch weitgehend überflüssig sein. Aber für Maßnahmen der außerschulischen Jugendarbeit wird die Situation deshalb wichtig, weil sie von Fall zu Fall verschieden ist, gleichwohl aber großen Einfluß auf die pädagogische Arbeit im engeren Sinne hat. Es ist hier gar nicht möglich, eine pädagogische Praxis zu beschreiben, ohne sich um die äußeren Bedingungen zu kümmern, die diese Praxis bestimmen. Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die der Pädagoge vorfindet und die seine Absichten begünstigen oder hemmen. Von solchen Faktoren soll zunächst die Rede sein.

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Die lokalen Bedingungen

Der Jugendhof liegt sehr verkehrsungünstig; der nächste Bahnhof ist 17 km, die nächste Busstation 3 km und die nächste Kirche 12 km entfernt. Der 2,5 km lange Zufahrtsweg ist unbefestigt und bei schlechtem Wetter im Herbst und im Frühjahr manchmal für leichtere Kraftfahrzeuge unpassierbar. Das Haus verfügt über 60 Betten, und es gibt sieben Bungalowgebäude, die in einem Wald- und Heidegelände von 5,5 ha verteilt sind. Eine Bücherei mit 3 000 Bänden, ein Filmraum mit Tonfilmgerät, ein eigenes Tonfilmarchiv, ein kleines Tonstudio, vier Gruppenräume, eine Spielhalle, eine Festhalle, ein Sportplatz und eine Dunkelkammer sind vorhanden. Berücksichtigt man noch die ausreichende finanzielle Dotierung für Lehrmittel, so kann - im Vergleich zu einer normalen Schulausstattung - von optimalen technischen Voraussetzungen für die pädagogische Arbeit gesprochen werden. Im einzelnen ergaben sich daraus folgende Bedingungen für die pädagogische Arbeit.

1. Die lokale Abgeschiedenheit zwang die Teilnehmer bei längeren Tagungen, ihre Bedürfnisse zu organisieren. Da die Konsumangebote außerhalb des Hauses praktisch unerreichbar blieben, waren die Teilnehmer weitgehend auf sich selbst angewiesen. Damit waren sie aber auch gezwungen, Krisen des Zusammenlebens zu lösen, weil sozusagen alle Fluchtwege versperrt waren.

2. Für die hauptamtlichen Mitarbeiter war die einsame Lage, wo schon ein Kinobesuch zu einem vielberedeten Ereignis wurde, recht problematisch. Insofern für sie Wohnort und Arbeitsort zusammenfielen und eine klare Trennung von Arbeitszeit und Freizeit kaum durchzuhalten war, lebten sie gewissermaßen in einer "vorindustriellen Arbeitssituation". Da man sich selbst unentwegt in einer einsinnigen Sozialsituation befand, die notwendig zu "gemeinschaftlichen" Beziehungen führte, fehlte eine wichtige Möglichkeit, sich auch kritisch von seiner Arbeit zu distanzieren, was ja auch etwas mit einer räumlichen Distanz

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zu tun hat. Folglich bestand auch immer die Neigung, die Beziehungen zu den jugendlichen Teilnehmern mit der Erwartung persönlicher Kontakte zu verflechten. Wie in früheren Zeiten bei der "Hauslehrerperspektive", so wurde auch hier die Bedeutung des unmittelbaren "pädagogischen Bezuges" leicht überbewertet. Die unnormale eigene Lebenssituation - die natürlich auch heftige Konfliktstoffe enthielt - trübte leicht den Blick dafür, daß die jugendlichen Teilnehmer mit ganz anderen Erwartungen in das Haus kamen, als man sie selbst hegte. Was heute im allgemeinen durch die Mehrdimensionalität der Sozialsituationen, in denen man zu leben hat, von selbst geschieht, mußte daher hier künstlich durch hohe Bewußtheit ausgeglichen werden, die wiederum auf ihre Weise die menschlichen Beziehungen unter den Mitarbeitern zu belasten drohte. Was also von außen gesehen sehr "natürlich" aussah, daß nämlich Wohnort und Arbeitsplatz zusammenfielen und alles eine große Gemeinschaft bildete, war in Wahrheit eine sehr künstliche Lebensweise, die vermutlich ohne den regelmäßigen Zu- und Abgang der studentischen Mitarbeiter zu schwerwiegenden Konflikten geführt hätte.

3. Recht problematisch sind die Schlafunterkünfte des Jugendhofes. Sie sind regelrechte Massenquartiere, zum Teil mit 14 und 16 Betten in einem Raum. Die größeren Unterkünfte führten bei längeren Tagungen immer irgendwann zu nervlichen Belastungen, machten andererseits aber einen Selbstschutz der Jugendlichen erforderlich: eine organisierte Ordnung ihrer Interessen. Interessanterweise wurden aber diese von uns immer als mangelhaft empfundenen Unterkünfte von den Teilnehmern selten bemängelt. Sie gehörten zum "Lehrgangserlebnis". Uns störten diese Räume deshalb, weil sie keine disziplinarischen und ästhetischen Ansprüche an die Jugendlichen stellten. Als das Haus gebaut wurde, ging man davon aus, daß die einfache Einrichtung den Zweck habe, die Jugendlichen im Gegensatz zum Komfort ihres sonstigen Daseins ausnahmsweise auch wieder mit elementaren und reduzierten Le-

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bensformen bekanntzumachen. Diese Konzeption übersah aber, daß einfache Lebensstile die komplizierten voraussetzen und nicht umgekehrt. Oder anders ausgedrückt: In einer Umwelt des differenzierten Komforts eine Ästhetik der einfachen Lebensstile zu entwickeln, kann nur das Ergebnis einer hohen intellektuellen Bewußtheit sein. Das Einfache liegt zwar logisch, nicht aber psychologisch dem Komplizierten zugrunde. Unsere Jugendlichen hatten an der Primitivität der Unterkünfte deshalb Spaß, weil sie dort einmal richtig "gammeln" konnten. Es herrschte dort immer eine katastrophale Unordnung, und wir konnten zwar an ihren Ordnungssinn appellieren, aber insgeheim mußten wir uns selbst eingestehen, daß die jungen Leute von ihrem Standpunkt aus im Grunde angemessen auf die Ansprüche reagierten, die die Räume ihnen stellten. Weder aber lernten sie dabei, sich im Komfort angemessen zu bewegen, noch auch, das Einfache als ästhetische Kategorie zu begreifen. Von ganz kleinen Minderheiten abgesehen waren sie einfach überfordert. Jugendliche, die beispielsweise noch Hemmungen haben, mit fremden Menschen des anderen Geschlechts ungezwungen zu sprechen, haben eben ganz andere Sorgen, als sich ausgerechnet mit einer Ästhetik des einfachen Stils zu beschäftigen, die ihnen in ihrem Alltag nirgends abverlangt wird.

Die Primitivität der Schlafunterkünfte störte uns auch deshalb, weil wir die Stützung der Privatheit für eine der wichtigsten politischen Erziehungsmaßnahmen hielten. Antidemokratische Erziehung linker wie rechter Provenienz schien uns immer auch dadurch charakterisiert, daß sie die Subjektivität des Privatseins und der Intimität zu kollektivieren trachtet. Die Öffentlichkeit des Schlafens in Massenquartieren ist also schlechterdings eine erziehungsfeindliche Situation - und dies nicht nur wegen des sexuellen Klimas, das sie notwendig erzeugt. Der Nachtschlaf mit allem, was dazugehört, gehört zu den intimsten Bedürfnissen des Menschen. Er sollte sich wenigstens aussuchen dürfen, mit wem er die Nachtruhe zu teilen gedenkt. Das ist in Zwei- bis Dreibettzimmern noch möglich,

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in Massenquartieren nicht mehr und schon gar nicht in Massenwaschräumen. Die Qualität der Schlafräume, die wir nicht ändern konnten, stand also ständig im Gegensatz zu dem, was wir auf der Tagung selbst zu lehren versuchten.

4. Auch der hauswirtschaftliche Bereich prägte einen wesentlichen Teil des Umgangsstiles mit. Infolge der wirtschaftlichen Größenordnung - bei Häusern mit mehr als 70 Betten wäre das schon technisch unmöglich - konnten die Mahlzeiten gelegentlich privatisiert werden. Dann waren die Teilnehmer in den Privaträumen der Mitarbeiter zu Gast; oder eine Abendmahlzeit wurde in einen Festabend einbezogen.

Die Möglichkeiten des Trägers

Träger des Jugendhofes ist eine Vereinigung, ein gemeinnütziger Zweckverband, dessen einzige Aufgabe der Unterhalt der Institution ist. Ihm gehören etwa 120 Mitglieder an, darunter viele Jugendliche und ehemalige Tagungsmitglieder. Abgesehen von den recht geringen Mitgliedsbeiträgen wird der Haushalt der Einrichtung aus öffentlichen Zuschüssen gedeckt, aus Mitteln des Bundesjugendplanes, des Landes Niedersachsen und des Landes Bremen. Die Aktivität des Vorstandes beschränkte sich im wesentlichen auf die Besetzung der Leiterstelle; die Auswahl der übrigen Mitarbeiter wurde dem Leiter überlassen. Damit verstand der Vorstand seine Aufgabe bewußt restriktiv: er reservierte seine Zuständigkeit für die Fälle der Haushaltsüberschreitung, der unangemessenen Besoldung und so weiter. Der geringe Organisationsumfang ließ eine gemeinsame Willensbildung zwischen Legislative (Vorstand) und Exekutive (Leiter) jederzeit zu. Obwohl die Finanzierung der Institution fast ganz zu Lasten der öffentlichen Hand ging, waren in dieser juristischen Konstruktion die Nachteile aller staatlichen Finanzierung, vor allem die Einpassung in ein langfristig

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geplantes und relativ unbewegliches Haushaltssystem, entfallen. Diese Konstruktion der Trägerschaft hatte Folgen, die unmittelbar in die pädagogische Arbeit eingingen.

1. Der pädagogische Leiter und seine Mitarbeiter verfügten über eine maximale Entscheidungsfreiheit in allen pädagogischen, verwaltungsmäßigen und finanziellen Fragen. Hohe Anpassungsfähigkeit an veränderte Situationen und Teilnehmerkreise, Wandlungsfähigkeit der didaktischen und methodischen Anlage im einzelnen waren die Folge. Während in größeren Organisationszusammenhängen eine Trennung von pädagogischer Leitung und Verwaltungsleitung unvermeidbar ist, war hier der pädagogische Leiter zugleich auch Leiter der Verwaltung. Dies hätte allerdings zu einer hoffnungslosen Überbürdung des Leiters mit Verwaltungsaufgaben geführt, wenn es nicht gelungen wäre, den "Landessozialhilfe-Verband" in Oldenburg, einen kommunalen Zweckverband, vertraglich für die Übernahme der Haushaltsführung zu gewinnen.

2. Die für staatliche Unternehmungen charakteristische streng kameralistische Haushaltsführung entfiel. Nahezu alle Haushaltstitel waren gegenseitig deckungsfähig. Plötzlich notwendige und unvorhergesehene Ausgaben für Lehrmittel etwa, für die der entsprechende Haushaltstitel nicht mehr ausreichte, konnten aus anderen Haushaltstiteln abgezweigt werden, ohne daß für diese Entscheidung der Vorstand angerufen werden mußte. Dieselbe Haushaltsfreiheit herrschte in der Einnahmepolitik. Der Tagessatz konnte nach oben oder unten verändert werden. Mit Hilfe finanzkräftiger Gastlehrgänge konnte etwa ein Defizit ausgeglichen werden, das vielleicht bei einem eigenen pädagogischen Experiment entstanden war. Die einzige, dafür aber auch starre Haushaltsbeschränkung lag in der Festsetzung des Stellenplans und der Besoldung für hauptamtliche Mitarbeiter.

3. Die Freiheit der Haushaltsführung machte die Institution zu einem halbkommerziellen Unternehmen. War auf der einen Seite die Haushaltspolitik in die Verfügung des Leiters gelegt, so war dieser auf der anderen Seite eben

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auch für die Mittelbeschaffung verantwortlich. Zwar konnte er Jahr für Jahr mit einer festen Summe der öffentlichen Hand rechnen und war somit der Anstrengung enthoben, einen Haushalt aufzustellen, der erst im Laufe des Jahres durch "Geldbettelei" gesichert werden konnte. Andererseits war der größte Einnahmetitel für den Haushaltsausgleich die Eigenbeteiligung der Teilnehmer. So hing der Haushalt von der Zahl der jährlichen Teilnehmer ab, da ja auch die Höhe der Bundesmittel für politische Jugendbildung an die Zahl der Teilnehmertage gebunden ist.

In seinem Buch "Offene Jugendarbeit" (Weinheim 1963, S. 155) hat Heinz-Hermann Schepp auf diesen widersprüchlichen Charakter von "pädagogischer Anstalt" und "Unternehmen" hingewiesen: "Im Gegensatz etwa zu den Einrichtungen des allgemeinbildenden Schulwesens müssen also die Jugendhöfe ihr 'Stehvermögen' - analog einem Produktionsbetrieb - unter den Bedingungen des freien 'bürgerlichen' Wettbewerbs und eines aus diesem heraus entwickelten Leistungsbegriffs erweisen ... . Die Gesamtarbeit wird geradezu nach technischen Prinzipien geplant ... . Diese an technischen Denkmodellen orientierte Arbeitsplanung kann zu einer gut rationalisierten Arbeitsteilung führen und für den organisatorischen Lehrgangsverlauf sogar unerläßlich sein. Sie kann aber auch dazu führen, daß das 'technische Optimum' mit dem 'pädagogischen Optimum' gleichgesetzt wird". In der Tat kann man nach unseren Erfahrungen die Wirkung dieses Widerspruchs nicht hoch genug veranschlagen. Es wurde schon darauf hingewiesen, welche pädagogische Bedeutung wir dem hauswirtschaftlichen Bereich beimaßen. Das hatte aber zur Folge, daß wir uns im Konfliktfalle gegen das Prinzip der Rentabilität entschieden. "Rentabel" planen hieß nämlich, möglichst hohe Teilnehmerzahlen zu erreichen und die Kapazität von 60 Betten möglichst auszunutzen. Unter pädagogischem Aspekt war es aber besser, wenn jeweils nur eine Gruppe im Hause war.

Ohne Zweifel hat dieser Widerspruch, den Schepp charak-

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terisiert hat, auch Wirkungen auf das, was eine solche Institution unter "Bildung" versteht. Denn nun gelangen außerpädagogische Gesichtspunkte wie solche der Werbung, der attraktiven Zubereitung der Angebote und der Konsum-Manipulation in die pädagogischen Zusammenhänge. Dabei besteht die Schwierigkeit gar nicht darin, die Institution für die Teilnehmer attraktiv zu machen. Es genügt oft, sich gegen die Schule oder gegen den Betrieb abzusetzen und die Jugendlichen das tun zu lassen, was sie in ihrer Freizeit am liebsten tun. Die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, das eigene Bildungsangebot mit der Haltung der Gäste zu verbinden, sozusagen das Bedürfnis für das Bildungsangebot erst in ihnen zu wecken. Allein die hier gebrauchten Vokabeln verweisen schon darauf, daß sich damit die pädagogische Arbeit auf jener Ebene befindet, die für die industrielle Bedarfsweckung von Bedeutung ist. Der Begriff des pädagogischen Erfolges erhält auf diese Weise einen eigentümlichen Gehalt. Er meint nun nicht mehr allein das irrationale Geschehen, das sich im Begriff der "Bildung" ausdrückt, sondern er meint darüber hinaus auch die sehr reale Tatsache, daß jugendliche Teilnehmer selbst gern wiederkommen oder durch Mundpropaganda andere zum Besuch der Institution ermuntern sollen - also als "Werbeträger" fungieren. Dies hat vor allem Folgen für die Einstellung zu den Teilnehmern. Deren Meinungen über das, was die Institution tut, sowie über das, was in ihr unter "Bildung" verstanden wird, kann nicht gleichgültig bleiben. Eine "falsche" Theorie ist hier nicht nur pädagogisch bedenklich, sondern führt auf lange Sicht ganz einfach zu wirtschaftlichen Verlusten. Der Führungsstil gegenüber den Jugendlichen ist nicht mehr beliebig. Während die Existenz einer Schule nicht davon abhängt, ob sie autoritär oder kooperativ geleitet wird, kann hier nur eine kooperative Führung die wirtschaftliche Existenz sichern.

Es läge nahe, an dieser Stelle aus dem Zusammenhang zwischen der industriellen und pädagogischen "Bedarfsweckung" weitere Spekulationen abzuleiten. So wäre denk-

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bar, daß sich aus dieser Erfahrung Weiterungen für das pädagogische Verständnis der Werbeindustrie ergäben. Oder man könnte darüber nachdenken, ob bestimmte Merkmale des überlieferten Bildungsbegriffes nicht dadurch erklärt werden könnten, daß dieser Begriff sich nie in einer freien Konkurrenz hat behaupten müssen. In jedem Falle aber wird die pädagogische Haltung gegenüber den modernen gesellschaftlichen Bedingungen sich in dem Maße ändern, wie ihre Verflochtenheit mit ihnen eingesehen wird. Daß aus solchen Erfahrungen bestimmte Einstellungen gerade auch zur politischen Gegenwart leichter fallen, liegt auf der Hand. Und diese "Weltoffenheit" mag die letzte Folgerung sein, die wir aus den gesellschaftlichen Bedingungen der Trägerschaft ableiten wollen.

Andererseits besteht täglich die Gefahr, die bloße Zustimmung der jugendlichen Gäste schon für einen pädagogischen Erfolg zu halten. Oder man gerät in die Versuchung, die Unterrichtsmittel nicht nur vom Gesichtspunkt des Unterrichtszieles festzulegen, sondern sie darüber hinaus einfach als einen Teil des Werbeaufwandes zu betrachten, den eine freie Bildungsinstitution heute treiben muß. Ich glaube, daß ein großer Teil des heutigen vordergründigen Methodismus in der Jugendarbeit sich dadurch erklären läßt, daß man den "wirtschaftlichen" Erfolg zugleich schon für einen pädagogischen Erfolg hält.
 
 

Die Tagung im Freizeitsystem

In dem eben beschriebenen Sinne waren unsere Tagungen also unternehmerische Veranstaltungen im Rahmen der allgemeinen Angebote des ökonomischen Freizeitsystems. Auch diese Tatsache hatte unmittelbare Folgen für die pädagogische Arbeit, die von uns zum Teil noch verschärft wurden.

1. Durch diese Tatsache wurde zunächst einmal die Dauer unserer Tagungen bestimmt. In der Regel mußten unsere Teilnehmer von der Schule oder von den Betrieben für

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10 bis 14 Tage beurlaubt werden. Das wiederum hatte zur Folge, daß alle Unterrichts- und Erziehungsmaßnahmen, die in dieser Zeit nicht zu einem sinnvollen Abschluß gebracht werden konnten, verfehlt waren.

Da wir uns zunächst an schulischen Modellen orientierten, versuchten wir dieses Manko durch Außenarbeit - durch die weitere Pflege der Kontakte zu den ehemaligen Teilnehmern in deren Heimatort - wettzumachen. Diese Versuche scheiterten aus mehreren Gründen. Es war technisch und personell unmöglich, die eigenen Mitarbeiter immer wieder an verschiedene Orte zu entsenden. Die Jugendlichen selbst nahmen diese Versuche auch mit ausgesprochener Zurückhaltung auf; dies um so mehr, als wir diese Weiterarbeit "organisieren" mußten, um der technischen Probleme Herr zu werden, und den Jugendlichen Mitarbeiter schickten, die sie gar nicht gewünscht hatten. Denn wenn sie überhaupt die Weiterarbeit wünschten, dann verlangten sie den Kontakt zu bestimmten Personen, die sie in der Tagung kennengelernt hatten. Dieser Wunsch aber war nicht in Einklang zu bringen mit den organisatorischen Konsequenzen, die sich daraus ergaben. Zwischen den Mitarbeitern und einer Reihe jugendlicher Teilnehmer entspann sich oft ein Briefwechsel, der lange andauern konnte. Das Interesse der Jugendlichen daran war erheblich, weil ein Briefwechsel den privaten Charakter der Tagung beibehielt. Aber auch dieser Weg konnte schon deshalb keine generelle Lösung bieten, weil der Umfang eines wirklich privaten Briefkontaktes sehr begrenzt ist und seine Abwicklung über ein Büro unehrlich gewesen wäre. Ein regelmäßiger Kontakt mit relativ vielen, räumlich voneinander getrennten Menschen ist eben nur auf eine Weise möglich, in der er auch sonst in der Großgesellschaft geschieht: auf dem Wege publizistischer Maßnahmen, für die dann aber notwendigerweise publizistische Maßstäbe gelten müssen.

2. Der Freizeitcharakter wurde auch dadurch deutlich, daß wir keine Leistungsbenotungen erteilten, die außerhalb der Tagung im Alltag der Jugendlichen von Bedeutung

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gewesen wären. Damit stellten wir unseren jugendlichen Teilnehmern in hohem Maße frei, ob und wie sie sich an unserem Programm beteiligten. Wie ernst die Jugendlichen selbst diese Tatsache nahmen, zeigt folgendes Beispiel.

Die Firmen, die ihre Lehrlinge zu uns sandten, erbaten anfangs von uns Beurteilungen über ihre Lehrlinge. Sie taten dies in der richtigen Vermutung, daß mancher unter den Verhältnissen der Tagung mehr aus sich herausgehen würde als im Betrieb. So gern wir in solchen Fällen durch eine Beurteilung das Verständnis für einen Jugendlichen im Betrieb verbessert hätten, so problematisch war dieses Ansinnen. Wir merkten nämlich sehr bald, wie sehr dadurch unser Verhältnis zu den Lehrlingen belastet wurde. Zunächst einigten wir uns mit den Firmen, nur positive Mitteilungen über die Lehrlinge zu machen. Aber darauf reagierten die Lehrlinge, denen wir diese Vereinbarung mitgeteilt hatten, prompt: Sie waren in unseren Tagungen brav und gehorsam und taten kritiklos alles, worum wir sie baten. Zuviel schien ihnen davon abzuhängen. Es half auch wenig, als wir ihnen vorschlugen, jede schriftliche Äußerung über sie ihnen vorher zu zeigen. Das Mißtrauen, daß "die da oben" etwas Unkontrollierbares gegen sie unternähmen, war stärker. Schließlich ließen wir die ganze Sache fallen und beschränkten uns darauf, in Einzelfällen uns für einen Lehrling bei der jeweiligen Firma einzusetzen, falls er uns darum gebeten hatte, was gelegentlich vorkam.

Merkwürdigerweise empfanden die Lehrlinge die begleitenden Ausbilder ihres Betriebes nicht als Aufsicht der Firma. Es waren Personen, mit denen sie täglich Umgang hatten, deren aus den Sachzwängen hervorgehende pragmatische Autorität sie anerkannten. Angst hatten sie vor dem, mit dem ihnen der Umgang verwehrt blieb, dem Personalbüro etwa oder der Leitung des Betriebes überhaupt. Mit den Lehrgesellen fühlten sie sich gegen den Betrieb solidarisch, und die Lehrgesellen - soweit wir das beurteilen konnten - dachten und handelten genauso. Ihre Autorität beruhte nicht zuletzt darauf, daß sie Kon-

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flikte direkt mit den Lehrlingen bereinigten und auch in ernsten Fällen nur sehr ungern eine Meldung an den Betrieb machten.

3. Die Jugendlichen kamen freiwillig zu uns. Wir gaben ihnen das Gefühl, jederzeit, wenn es ihnen nicht paßte, wieder gehen zu können. Zwar waren die Jugendlichen für den Besuch der Tagung beurlaubt worden und ihr vorzeitiges Zurückgehen an den Arbeitsplatz oder an die Schule wäre nicht ohne persönliche Schwierigkeiten möglich gewesen. Aber selbst in den wenigen Fällen, wo wir aus disziplinarischen Gründen einen Teilnehmer des Hauses verweisen mußten, unterließen wir jede belastende Information an die Schule oder den Betrieb.

Zwar kamen die jugendlichen Teilnehmer nicht von vornherein mit klaren Freizeitvorstellungen zu uns. Aber je länger sie auf einer Tagung diese Freizeitbedingungen an sich selbst erfuhren, um so gelöster gaben sie sich und um so offener wurden sie für unsere Angebote.

Faßt man die bisher geschilderten äußeren Bedingungen für unsere Arbeit zusammen, so kann man sie nur als ausgesprochen günstig bezeichnen. Zwar gelten die zuletzt erörterten, aus dem Freizeitcharakter abgeleiteten Bedingungen sicher mehr oder weniger stark für alle Tagungsveranstaltungen in der außerschulischen Jugendarbeit. Aber aus vielen Gesprächen mit meinen damaligen Kollegen aus anderen Bildungsstätten weiß ich, wie sehr ihre pädagogischen Pläne durch lokale, finanzielle und durch solche Bedingungen behindert wurden, die aus ihrer Trägerstruktur erwuchsen. Ich habe für unseren Fall die Trägerschaft deshalb etwas ausführlicher beschrieben, weil sie in der Jugendarbeit nicht sehr üblich ist und weil sie andererseits ganz zweifellos eine wesentliche Voraussetzung dafür war, daß wir mit einem sehr breiten Spielraum in unserer Arbeit experimentieren konnten.

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Mitarbeiter und Teilnehmer

Für unsere Arbeit in Steinkimmen standen nur zwei hauptamtliche pädagogische Kräfte zur Verfügung, der Leiter und ein Dozent für politische Bildung. Beide hatten ein abgeschlossenes Universitätsstudium. Allein wären sie hoffnungslos überfordert gewesen, zumal die in unserem Bericht geschilderte Tagungsarbeit nur etwa 70 Prozent der Veranstaltungen im Jugendhof ausmachte. Um diesen Mangel auszugleichen, wurden Universitätsstudenten zur Mitarbeit herangezogen.

Studenten als Mitarbeiter

Studenten sind offenbar begehrte Mitarbeiter in der außerschulischen Jugendarbeit. Über ihren Einsatz haben Helmut Kentler (Jugendarbeit in der Industriewelt, München 1962), Dieter Danckwortt (Jugend in Gemeinschaftsdiensten, München 1957) und Gebhard/Nahrstedt (Studentische Jugendarbeit, Hamburg 1963) berichtet. Schon deshalb, weil unsere Studenten den beiden Hauptamtlichen zahlenmäßig immer überlegen waren, gewannen sie einen nachhaltigen Einfluß auf die pädagogische Arbeit. Dabei spielten folgende Punkte eine Rolle:

1. In den studentischen Mitarbeitern erweiterte sich die Freiwilligkeit der Teilnahme von den Jugendlichen auf die Lehrenden. Weder berufliche Erwartungen - die Mitarbeit war eher eine Behinderung des Studienabschlusses - noch finanzielle Interessen waren bestimmende Motive für die Mitwirkung. Der Leitung gegenüber besaßen sie ein Maß an Unabhängigkeit, das in kaum einer beruflichen Tätigkeit denkbar wäre. Den Teilnehmern traten die Studenten ohne klaren gesellschaftlichen Status und Auftrag entgegen. Dies gab ihnen gegenüber den Jugendlichen gerade im Zusammenhang der politischen Bildung einen erheblichen Vertrauensvorschuß und erleichterte den

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Lehrkontakt. Die Gefahr war, daß auf diese Weise auch die mit dem Ausfüllen einer institutionellen Rolle verbundene spezifische Verantwortlichkeit entfiel. Die hauptamtlichen Mitarbeiter mußten hier immer ausgleichend wirken. In gewissem Sinne waren diese Studenten "verantwortungslos": sie hatten nur ihren Sachverstand und ihre eigene persönliche Haltung in das Unterrichtsgeschehen einzubringen. Die Teilnehmer hatten zu unseren Studenten ein anderes Verhältnis als zu den Hauptamtlichen. Diesen begegneten sie mit einer gewissen Distanz. Sie hielten sie offenbar primär für die Repräsentanten gesellschaftlicher Ansprüche, deren Wissen und Erfahrung sie sich zwar gern mitteilen ließen, denen sie aber meist nicht ihre persönlichen Sorgen anvertrauten. Dafür standen ihnen die Studenten viel näher.

2. Für die Studenten war die pädagogische Tätigkeit bei uns nur eine Rolle unter vielen. Dominierend blieb das Studium. Von der Universität brachten sie ständig neue Fachkenntnisse sowie eine umfangreiche Materialkenntnis mit, wie sie keinem hauptamtlichen Pädagogen mehr zur Verfügung stehen kann. So verhinderten sie immer wieder eine Dogmatisierung der Konzeption. Andererseits waren sie an der Konzeption immer nur teilweise beteiligt. Die Last, neue pädagogische Erfahrungen in die alten zu integrieren und damit die Kontinuität der pädagogischen Arbeit zu sichern, verblieb letztlich bei den beiden Hauptamtlichen, die bei jeder Tagung das neue Team erst einmal über den Stand der Entwicklung informieren mußten. Hier liegt eine deutliche Grenze dieser Mitarbeiterkonstruktion, die nicht behoben werden kann.

3. Die Studenten waren überdurchschnittlich begabt und fachwissenschaftlich engagiert. Sie vertraten ihre "Sache" und ließen sich immer nur mit Widerstreben auf pädagogische Argumentationen ein. Das hatte zwei Vorteile. Einmal war dadurch von Anfang an unsere Arbeit nicht mit einer erziehungsgeschichtlichen Belastung verbunden, wie sie insbesondere die Diskussion der politischen Pädagogik in den Schulen behinderte und wie sie zweifellos an vie-

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len pädagogischen Ausbildungsstätten immer noch reproduziert wird. Zweitens widersetzten sich unsere Studenten einer pädagogisch motivierten unerlaubten Vereinfachung der Sachverhalte. Ihr konsequentes Eintreten für den rationalen Aspekt politischer Bildung ist aus unserer pädagogischen Konzeption nicht wegzudenken und zwang die Pädagogen immer wieder zur Präzisierung ihrer Gesichtspunkte. Diese fruchtbare pädagogische Naivität wurde aber in dem Augenblick zum Problem, wo der dynamische Umgang mit den Teilnehmern und der Sache nachließ, weil entweder das eigene Studium mehr Zeit in Anspruch nahm oder auch, weil man in dieser Tagungsarbeit bereits "zu lange dabei war". Dann griff Routine um sich. Routine, das unausweichliche Schicksal aller hauptberuflichen Pädagogik, war hier aber wegen der mangelnden didaktisch-methodischen Ausbildung nicht zu verantworten. Zum Glück regelte sich dieses Problem meist dadurch von selbst, daß solche Studenten aus Studien- bzw. Berufsgründen ohnehin aus der Arbeit ausscheiden mußten.

4. Die Studenten kamen aus allen wissenschaftlichen Fachrichtungen. So waren in einem Tagungsteam immer mehrere Fachrichtungen vertreten. Dadurch wurde unter anderem verhindert, daß ein einzelner Fachgesichtspunkt wie Soziologie oder Geschichte zum alles beherrschenden Lehrgegenstand wurde.

5. Die Studenten fühlten sich selbst noch als Lernende im weitesten Sinne. Sie sahen deutlich, daß sie bei den Tagungen nicht nur die Gebenden, sondern auch die Nehmenden waren. Diese Sozialerfahrung wirkte nicht nur auf die Intensität, sondern vor allem auch auf die Fragestellung des Studiums zurück und gab ihm oft gerade erst seinen subjektiven Sinn. Das Bewußtsein davon war für die Studenten ein entscheidendes Motiv ihrer Mitarbeit. Der allgemein bekannte pädagogische Grundsatz, daß das Lehrer-Schüler-Verhältnis kein einseitiges, sondern ein wechselseitiges Lernverhältnis sei, mußte hier nicht theoretisch doziert werden, sondern erwuchs aus der unmittel-

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baren Erfahrung im Umgang mit den jugendlichen Teilnehmern.

6. Die Studenten traten sehr bald in eine ausgeprägte Gruppenbeziehung zueinander. Es entstanden Gruppenmeinungen, Gruppenrituale und so etwas wie eine Gruppensprache. So wurde zum Beispiel zeitweilig jeder ein "Faschist" genannt, der ein schlechtes Referat gehalten hatte. Dieses Wort entstand in einer erregten Teamdebatte, wo ein Student nicht einsehen wollte, daß sein Referat unverständlich war, und meinte, das läge nicht an ihm, sondern an den Zuhörern. Da erwiderte ihm jemand, es mache für die Jugendlichen schließlich keinen Unterschied, ob man sie planmäßig verdumme, wie das die Faschisten taten, oder ob man ihnen aus reiner Bequemlichkeit etwas nicht richtig erkläre. - Zum Ritual gehörte auch das selbstgekochte Festessen, das auf keiner Tagung fehlen durfte und wo einige Studenten es als Köche zu hohem Ansehen brachten. - Außerdem waren die Tagungen für unsere Studenten auch so etwas wie ein Ersatz für studentisches Gemeinschaftsleben, zu dem sie an der Universität - mit Ausnahme der politischen Studentengruppen - keinen Zugang fanden. Dies war allerdings ein sehr zweischneidiges Motiv. Einerseits verhinderte es eine zu starke Intellektualisierung des pädagogischen Klimas. Andererseits verselbständigte sich dieses Interesse leicht gegenüber den jugendlichen Teilnehmern. Vor allem bestand immer wieder die Gefahr, daß die Gruppenmeinung sich als pädagogische Konzeption dogmatisierte oder daß neue studentische Mitarbeiter an den politischen oder persönlichen Vorurteilen der Gruppe scheiterten. Der Nachwuchs wurde nämlich durch persönliche Werbung an den Universitäten gewonnen oder dadurch, daß sich Oberschüler, die früher an Tagungen teilgenommen hatten, später während ihres Studiums als Mitarbeiter meldeten. Der Versuch, durch eine allgemeine Werbung an den Universitäten weitere studentische Mitarbeiter zu gewinnen, scheiterte immer, weil sich das eigentlich Attraktive an der Tagungsarbeit schlecht in allgemeine Werbung umsetzen läßt.

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7. Die meisten unserer Studenten fanden in der Mitarbeit auch einen Ersatz für das in ihren Augen enttäuschende politische und fachliche Klima an den Universitäten. So organisierten sie einmal im Jahr eine wissenschaftlich orientierte Studientagung. Deren Programme unterschieden sich vom normalen Universitätsstudium dadurch, daß sie "interfakultativ" ausgerichtet waren. Thema war meist eine offene Frage unserer Gesellschaftspolitik, zu der verschiedene Fachwissenschaftler referierten. Damit lösten die Studenten für den Jugendhof ein Problem, das er aus eigener Kraft kaum hätte bewältigen können: die Fortbildung der eigenen Mitarbeiter.

Allgemeine Erwartungen der Teilnehmer

Die meisten Jugendlichen kamen nicht mit klaren Erwartungen zu unseren Tagungen. Jedenfalls kam nicht viel dabei heraus, wenn wir sie zu Beginn nach ihren Wünschen und Vorschlägen fragten. Erst nach einiger Zeit, wenn die von uns radikalisierten Freizeitbedingungen der Tagung wirksam wurden, stellten sich fast durchgehend bestimmte Erwartungen oder sogar Bedürfnisse ein. Man könnte fast von "Defiziten" sprechen, die der Alltag offenbar bei allen Jugendlichen ohne Rücksicht auf die soziale Zugehörigkeit hinterläßt - eine Erfahrung, die auch uns immer wieder überraschte. Im einzelnen kam dies vor allem in folgenden Erwartungen zum Ausdruck:

1. Das emotionale Bedürinis nach dem "Außergewöhnlichen": Die Tagung mußte etwas "Außergewöhnliches" sein, etwas "Nicht-Alltägliches", etwas, was man sonst nicht hat oder bekommt. Dieses Bedürfnis ist zunächst völlig ungerichtet. Man weiß gar nicht genau, was man eigentlich erwartet. Ein "tolles" Tanzfest, wo man sich austoben kann, wo für ganz kurze Zeit einmal alle zu einer "harmonischen Gemeinschaft" werden, wo sogar die Mitarbeiter als "Gleiche unter Gleichen" mitmachen und

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sich am allgemeinen Flirt beteiligen - ein solches Erlebnis kann, wie Briefe zeigen, noch wochenlang nachwirken. Oder es ist eines der vielen Zufallsgespräche. Aus der üblichen Konversation ergibt sich plötzlich eine Frage, die alle interessiert, auf die aber niemand vorbereitet ist. Man ist auf einmal mitten in einem ernsthaften Gespräch, und niemand weiß, wo es enden wird. Daß solche Gespräche stattfinden, ist für die Teilnehmer fast wichtiger als ihr Ausgang. Bis spät in die Nacht wird diskutiert, und in den Zimmern setzen sich die Gespräche bis zum Einschlafen fort. Auch das gehört zum Erlebnis: sich wegen des Nachdenkens über sich selbst um den Schlaf gebracht zu haben - für die meisten keineswegs eine alltägliche Angelegenheit. Oder es ist das "obligatorische" Fußballspiel der Mitarbeiter gegen eine Auswahl der Teilnehmer. Dutzendmal kann es routinemäßig ablaufen. Plötzlich ist nicht mehr unwichtig, wer gewinnt. Die Mädchen haben Sprechchöre gebildet. Sie erfinden Stabreime auf die einzelnen Spieler, vor allem auf die "Pädagogen". Ein 10-Pfennig-Toto wird in wenigen Minuten organisiert. Nun ist auch das "kommerzielle" Interesse am Ausgang des Spieles erwacht. Anschließend wird eine Siegerehrung improvisiert, mit "Film-Star-Kuß", "blödsinniger Festansprache" und allem, was dazugehört. Der Taumel ist nicht aufzuhalten. Die vorgesehene Diskussion über die Todesstrafe muß verschoben werden. Dafür setzt sich der Tagungsleiter in den Wagen und besorgt Rotwein; denn der Totogewinner hat seinen Gewinn in eine "Spende" umgewandelt, die schnell wächst. Wenig später ist ein Festball arrangiert. - Merkwürdigerweise erwuchsen aus solch einem Taumel nie disziplinarische Schwierigkeiten. Sie traten vielmehr dann auf, wenn eine solche Emotionalisierung nicht stattfand. Wir hatten gelernt, einer "ruhigen" Gruppe gegenüber sehr aufmerksam zu sein. Meist suchte sich das "emotionale Defizit" "stillere" Objekte: das andere Geschlecht oder - vor allem bei Lehrlingen - die Schnapsflasche im Zimmer. Im übrigen entzogen sich die kurz charakterisierten Ausbrüche jeder pädagogischen Planung. Sie kamen

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herauf wie ein unabwendbares und unberechenbares Ereignis. Fehlten sie, so taten sich alle Unterrichtsbemühungen schwer.

2. Das rationale Bedürfnis nach dem "Außergewöhnlichen": In sachlicher Hinsicht äußerte sich das Bedürfnis nach dem "Außergewöhnlichen" verschieden. Viele Oberschüler, deren intellektuelle Bedürfnisse in der Schule nicht befriedigt wurden, verlangten wissenschaftliche Kollegs, Quellenstudium und die Möglichkeit zu eigener Arbeit. Kamen sie aus Kleinstädten oder vom Land, so stürzten sie sich auf die Bibliothek und verschlangen neue Bücher, vor allem moderne Literatur, an die sie sonst nicht herankamen. Man war dabei vor Überraschungen nicht sicher. 15jährige Lehrlinge, für die wir angesichts des Alters ein "spielerisches" Programm überlegt hatten, forderten nach einigen Tagen "ernsthafte Arbeit". Spielen könnten sie auch zu Hause, dafür seien sie nicht hergekommen. Die nächste Gruppe, auf die wir diese Erfahrung anwenden wollten, beschwerte sich umgekehrt: sie müßten sich erholen, ihre Lehrzeit sei anstrengend genug. Wieder andere erwarteten als das Besondere die Pflege individueller Hobbies wie Fotografieren, Arbeit in der Dunkelkammer, Werken, Emaillieren und Lesen.

3. Das Bedürfnis nach Begegnung mit fremden Menschen: Vor allem die Lehrlinge durchbrechen auch heute noch selten die Mauern ihres Milieus. Daß Studenten 14 Tage mit ihnen verlebten, war ihnen wichtiger als das, was die Studenten inhaltlich anboten. Die Begegnung mit den Studenten erhöhte nicht nur ihr soziales Selbstbewußtsein, die Studenten galten ihnen auch als Vorbild für das Lernen gesellschaftlicher Umgangsformen. Unseren Gästen, die wir zu Abendgesprächen einluden, traten die Lehrlinge mit der gleichen Offenheit gegenüber wie auch den Lehrlingen anderer Betriebe. Ihre Toleranz ging dabei sehr weit. Sogar sehr schrullige Eigenarten bei einigen Studenten duldeten sie. Während zum Beispiel ihre Meinungen

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darüber, wie die moderne Frau sich zu verhalten habe, in den Diskussionen recht spießig und kleinbürgerlich klangen, machte es ihnen nichts aus, mit unseren Studentinnen umzugehen, die in dieses Bild nun gar nicht hineinpaßten. Dabei war ihnen diese Andersartigkeit nicht etwa gleichgültig, sie wollten sie vielmehr verstehen. Helmut Kentler (Jugendarbeit in der Industriewelt, München 1962, S. 80) hat von der Seite der Studenten her diesen Sachverhalt treffend beschrieben: "Jeder Mitarbeiter mußte echt und ganz der sein, der er war - je ausgeprägter die Persönlichkeit, je origineller der Charakter, um so besser. Ob unsere studentischen Mitarbeiter 'Erfahrungen' in der Jugendarbeit hatten, war nicht so wichtig ... , aber wichtig war, daß sie kein Brotstudium betrieben, sondern mit Leib und Seele an ihrem Fach hingen, daß sie ein 'Steckenpferd ritten', daß irgendein Punkt ihres Wesens außergewöhnlich war."
 
 

4. Das Bedürfnis nach "folgenlosem" Meinen und Verhalten: Im täglichen Leben haben Meinungen Folgen. Entweder beeinflussen sie - wenigstens in der Sicht der Jugendlichen - die Zeugnisse in Schule und Betrieb, oder die Erwachsenen richten ihr Verhalten danach ein. In der Tagung konnte und wollte man mit Meinungen und Urteilen "experimentieren". Nichts zwang dazu, sie anzunehmen oder abzulehnen. Man konnte sie anhören, mit der eigenen Meinung in Verbindung bringen oder sie zurückweisen. Vor allem konnte man selbst folgenlos sprechen, ausprobieren, wieweit die eigene Ansicht richtig war, ohne daß daraus nachhaltige Folgerungen abgeleitet wurden. Aber auch mit ihrem eigenen Verhalten wollten und konnten die Jugendlichen experimentieren. Dafür ein Beispiel: In den heißen Sommermonaten entstand oft die Gewohnheit, nach einem freien Nachmittag, der zum Sonnenbaden benutzt worden war, in Turnhose und Shorts zur Abendmahlzeit zu erscheinen. Zunächst versuchten es jeweils nur einige Mädchen und Jungen. Als von unserer Seite kein Widerspruch kam, war bald die Mehrheit für

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dieses Verfahren gewonnen. Eine Minderheit von "Wohlerzogenen" widerstand der Versuchung der Bequemlichkeit und zog sich damit nur den gutmütigen Spott der Mehrheit zu. Nun lockerte sich der Stil immer mehr. Bald nahmen einige Jungen, nur mit Turnhose bekleidet und noch von den Spuren des Fußballspiels gezeichnet, zum Abendessen Platz. Das war selbst den Gemäßigten zuviel. Während der Mahlzeit entspann sich schon eine heftige Diskussion, und am Ende genügten dann einige gezielte Bemerkungen eines Mitarbeiters über den Sinn konventioneller Umgangsformen, um alle kommenden Mahlzeiten wieder zu kultivieren. Die Erfahrung der Gruppe aber, wie sich der Umgang Stück für Stück entzivilisiert, wenn bestimmte Konventionen gebrochen werden, diese Erfahrung wäre durch keine noch so vernünftige Ansprache zu Beginn des Selbstexperiments zu ersetzen gewesen. In einem Falle kam die Wendung übrigens dadurch zustande, daß zwei Mädchen, die bis dahin immer wohl angezogen erschienen waren, plötzlich im zweiteiligen Badeanzug sich ohne weiteren Kommentar an den Tisch setzten. In diesem Falle war die Verfremdung so heilsam, daß beim nächsten Mal alle wieder zivilisiert erschienen, ohne daß wir weiter hätten eingreifen müssen.

5.Das Bedürfnis nach Aussprache: Dieses Bedürfnis läßt sich wohl am besten als die Frage nach dem "Wer bin ich?" konkretisieren. Gerade in den ungeplanten Teilen der Tagung, den Zufallsgesprächen in einer kleinen Gruppe, den "a-propos-Gesprächen" während eines Tischtennisspieles oder beim "Klönen" während eines Tanzabends, brach es immer wieder durch. Solche Gespräche über den Sinn des Lebens im allgemeinen, den des eigenen im besonderen, über die menschlichen Grundlagen von Liebe, Freundschaft, Ehe und Familie ließen sich nicht veranstalten. Unsere jugendlichen Partner erwarteten dabei keineswegs Bestätigung ihrer Ansichten, sie erwarteten vielmehr, daß der Erwachsene sich hart und entschieden auseinandersetzt. Sie hatten ein untrügliches Gefühl dafür,

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daß die Wahrheit hier nur um den Preis der "Anstrengung des Begriffes" zu haben ist.

Oberschüler und Lehrlinge gingen dabei von ganz verschiedenen Ausgangspunkten aus. Oberschüler wollten gleichsam das geistige Prinzip finden, mit dem sie sich die Welt und sich selbst ein für allemal erklären können. Kann man, seit es den Kommunismus gibt, noch Christ sein? Haben die modernen Naturwissenschaften nicht Gott zur Erklärung des Daseins überflüssig gemacht? Besteht zwischen Politik und Literatur nicht ein unaufhebbarer Widerspruch? Kann ein Mensch sich so ändern, daß man den heutigen Repräsentanten der Demokratie vertrauen dürfte, obwohl sie zum großen Teil in den Nationalsozialismus verstrickt waren? Wenn schon die Kirchen damals nicht dem Nationalsozialismus entgegentraten, darf man dann heute noch Nationalsozialisten verurteilen? Ist die Freiheit bei uns nicht ebenso gefährdet wie in den kommunistischen Ländern? Haben wir dem Kommunismus außer dem höheren Lebensstandard etwas entgegenzusetzen? Was wird sein, wenn der Lebensstandard einmal gleich ist? Wieso macht man bei der Beurteilung des Tötens einen Unterschied zwischen Krieg und Frieden? Was spricht eigentlich gegen die "freie Liebe", wenn die Beteiligten damit einverstanden sind?

Das sind nur wenige Fragen, die wir unseren Notizen entnehmen. Sie zeigen, daß der moralische Rigorismus unserer Schüler lediglich oberflächlich mit einer nur politischen Erklärung befriedigt worden wäre. Man wollte den irrationalen Rest nicht einfach unberücksichtigt lassen, der übrigbleibt, wenn man etwa die Einstellung der Kirchen zum Nationalsozialismus historisch und politisch erklärt hatte. Die Hauptschwierigkeit lag darin, daß die meisten dieser Fragen eben nur sinnvoll geklärt werden konnten, wenn man von der in ihnen enthaltenen monistischen Denkhaltung abging, wenn man also die in ihnen beschlossenen Widersprüche ernst nahm und immer wieder neu zu einer Synthese zusammenzufassen suchte. Wenn wir den Schülern klarzumachen versuchten, daß man etwa die

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Frage nach der freien Liebe einfach nicht so stellen könne, wie sie gestellt wurde, hatten sie leicht den Verdacht, man wolle der Frage selbst ausweichen. Oft war man deshalb gezwungen, die gestellte Frage so lange logisch weiterzuentwickeln, bis ihre Absurdität offenkundig war. Falsche Fragen überzeugend in richtige zu verwandeln, ist immer schwieriger, als auf richtige Fragen eine Antwort zu suchen.

Die Fragen der Lehrlinge warfen selten solche Probleme auf. Ihnen ging es fast immer um die Klärung aktueller Konflikte ihres Alltags. Hat es einen Sinn, sich beruflich weiterzubilden? Was kann ich mit Religion in meinem Leben anfangen? Soll man sich mit einem Mädchen befreunden, das schon mit anderen Männern befreundet war? Ist es vernünftig, eine Frau zu heiraten, die schon ein Kind mit in die Ehe bringt? Soll die Frau noch mitarbeiten oder gehört sie ins Haus? Warum soll man Vorarbeiter oder Meister werden, wenn das doch bloß Ärger mit den Kollegen einbringt? Ist Geschlechtsverkehr vor der Ehe wirklich schädlich für den Mann oder das Mädchen? Wieso ist "freie Liebe" nicht erlaubt, wenn andererseits Reklame oder Film ständig dazu auffordern? Wieso ist Theater besser als Fernsehen? Warum fordert man uns immer auf, eine eigene Meinung zu haben, wenn wir im Betrieb immer den Mund halten müssen? Was ist eigentlich Glück, und warum redet man heute so viel davon?

Für die meisten Fragen waren die Mitarbeiter sachlich gar nicht zuständig, und es dauerte einige Zeit, bis wir begriffen, daß die Jugendlichen mehr verlangten als nur einen möglichst guten politischen Unterricht. Sie setzten voraus, daß sich irgendwann ihre Fragen auch uns gestellt haben mußten und daß wir für uns darauf auch eine Antwort gefunden hatten. Diese Antwort wollten sie hören, wobei sie sich vorbehielten, sie zu übernehmen oder nicht.

Warum aber stellten sie solche Fragen in der Tagung? In ihrem Alltag sind sie gegenüber Erwachsenen bekanntlich sehr viel zurückhaltender damit. Es mußte die besondere Situation sein, die sie dazu ermunterte. An den Personen

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konnte es deshalb nicht allein liegen, weil die Zeit viel zu kurz war, als daß die Jugendlichen genügend hätten abschätzen können, ob wir nun vertrauenswürdig seien oder nicht. Es spielte offenbar eine erhebliche Rolle, daß wir im Alltag der Jugendlichen keine Macht über sie ausübten, daß sie sicher sein konnten, daß alles unter uns blieb. Auch vom Trampen her kennt man die Erfahrung, daß fremde Menschen sich plötzlich ihre Sorgen und Probleme berichten und auf Antwort hoffen, weil sie sicher sind, den anderen entweder gar nicht oder jedenfalls nicht in der eigenen alltäglichen Umgebung wiederzusehen. War das vielleicht auch der Grund dafür, daß unsere Jugendlichen auf unsere Bemühungen der Nacharbeit so ungern eingingen?
 
 

Besondere Probleme der einzelnen Teilnehmergruppen

In den letzten Uberlegungen ist schon angedeutet, daß es zwischen den einzelnen Teilnehmergruppen erhebliche Unterschiede gab. Was im einzelnen auf einer Tagung geschah, hing wesentlich davon ab, ob Oberschüler, Lehrlinge oder Schulklassen unsere Partner waren. Die Unterschiede waren zum Teil so gravierend, daß sie uns zwangen, drei verschiedene Tagungstypen zu entwickeln, nämlich Tagungen für Oberschüler, für Lehrlinge und für Schulklassen. Einige Male versuchten wir auch, Tagungen für Oberschüler und Lehrlinge gemeinsam durchzuführen. Heinz Hermann Schepp hat in seinem Buch "Offene Jugendarbeit" (S. 177) schon auf die Problematik eines solchen Versuches hingewiesen: "Die Besuchergruppen sollen nach ihrer Vorbildung so homogen wie nötig und nach ihren übrigen demographischen Merkmalen so mannigfaltig wie möglich sein." Diese Forderung ist in der Praxis deshalb schwer zu verwirklichen, weil die wichtigsten demographischen Merkmale entweder direkt vom Bildungsstand abhängen oder mit ihm korrelieren. Gemeinsame Tagungen unter so verschiedenen Bildungsvoraussetzungen sind nach

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unseren Erfahrungen nur dann für beide Gruppen gewinnreich, wenn es sich um Inhalte handelt, bei denen rationale Fähigkeiten nicht die erste Rolle spielen (musische Bildung, Jugendrotkreuz, soziale Dienste usw.). Sonst geraten die Oberschüler in eine Führerrolle, die ihr Verhältnis zu den Lehrlingen wie zu sich selbst problematisch machen muß. Zahlreiche Gespräche mit unseren Lehrlingen legen die Hypothese nahe, daß ihre täglichen Kommunikationspartner in der Regel selbst dann aus der gleichen Bildungsschicht stammen, wenn die eigenen Geschwister die höhere Schule besuchen. Es ist eine schwierige Frage, ob man die gesellschaftliche Tatsache der sozialen Separierung nun auch noch in pädagogischen Veranstaltungen wiederholen soll oder nicht. Wir wollten jedenfalls keine "Volksgemeinschaft" vortäuschen, die im wirklichen Leben unserer Teilnehmer keine Realität hat und vielleicht auch nicht einmal haben muß.
 
 

1. Tagungen mit Oberschülern

Die Oberstufenschüler Höherer Schulen kamen einzeln oder in kleinen Gruppen aus einzelnen Schulen während der Schulzeit. Sie wurden durch eine ausführliche Tagungseinladung geworben, aus der die Themen der Referate und Arbeitsgruppen zu entnehmen waren. In der Regel nahmen etwa 40 Oberschüler aus etwa 15 bis 20 Schulen an einer zehntägigen Tagung teil. Diese Gruppen waren nicht fest strukturiert. Nur wenige, meistens nur die, die aus derselben Schule kamen, kannten sich, und das Interesse an der Kommunikation mit denen, die man noch nicht kannte, war erheblich. Ein meist ausgewogenes Zahlenverhältnis von Jungen und Mädchen (2:1) und eine sehr offene Gruppenstruktur boten gute soziale Voraussetzungen für die Tagung.

Die Motive für den Besuch der Tagung waren, soweit wir das feststellen konnten, recht unterschiedlich. Manche kamen unzweifelhaft deshalb, weil sie gern einmal aus der Schule verschwinden wollten. Angesichts der zunehmenden

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Leistungsanforderungen in den Schulen nahm diese Gruppe aber zusehends ab. Das Risiko, in der Schule durch Fehlen zurückzufallen, wurde klar gesehen und überwog den Wunsch, sich ihrem Leistungsdruck einmal für kurze Zeit entziehen zu können. Die meisten waren entweder an einem bestimmten Thema, das in den Einladungen angekündigt war, oder allgemein an der politischen Thematik interessiert. Oft betraf das Interesse ein spezielles Thema, über das man in der Schule zu arbeiten hatte.

Offensichtlich fand sich auf unseren Tagungen kein repräsentativer Querschnitt der Oberschüler ein. Es dominierten bestimmte Typen: Einmal handelte es sich um besonders intelligente Schüler, deren schulisches Weiterkommen nicht problematisch war. Dafür sorgten schon die Schulleitungen, die schwache Schüler während der Schulzeit nicht beurlaubten. Häufig fanden sich Schüler ein, die in ihrer Klasse als überspannt galten. Ihr hohes intellektuelles Niveau konnte in der Schule nicht befriedigt werden und hatte sich teilweise deshalb schon mit Ressentiments besetzt. Dazu kamen Schüler, die man als Spezialisten auf irgendeinem Sondergebiet der politischen Bildung ansprechen konnte. Es waren jene Typen, die soviel Tatsachenkenntnisse aufweisen konnten, daß sie den Sprung zu einem vernünftigen und angemessenen Urteil nicht mehr schafften. Auch sie kamen mit ihrem Hobby in der Schule meist nicht zum Zuge. Außerdem fanden sich recht zahlreich Mitarbeiter der Schülermitverwaltung ein, die auf der Tagung neue Einsichten und praktische Hilfen für ihre Tätigkeit gewinnen wollten. Zwischen ihnen und den intellektuellen Individualisten kam es manchmal zu heftigen Auseinandersetzungen. Schließlich schickten einige befreundete Schulen gelegentlich intelligente, aber kontaktschwache und mit persönlichen Schwierigkeiten belastete Einzelgänger in der Hoffnung, daß die sozialisierenden Wirkungen der Tagung ihnen helfen könnten. Aufs Ganze gesehen traten diese Teilnehmer unserer Veranstaltung mit hohen Ansprüchen entgegen. Dabei handelte es sich tatsächlich jedoch um eine Wechselwirkung. Der Anspruch

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dieses Tagungstyps hatte sich sehr bald in den Schulen herumgesprochen und wählte nun weitgehend jene Schüler aus, die unserem Angebot ein entsprechendes Bedürfnis entgegenbrachten.

Kamen die Beweggründe für den Tagungsbesuch im allgemeinen unseren Absichten der politischen Bildung entgegen, so erwiesen sich bestimmte Einstellungen der Oberschüler zum Politischen als recht hinderlich. Daß diese Einstellungen keineswegs aus allgemeinen jugendpsychologischen Zusammenhängen hinreichend zu erklären sind, sondern wohl eher aus den spezifischen Bedingungen des Bildungsgangs, verrät der Vergleich zu den gleichaltrigen Lehrlingen.

Im Sinne einer idealtypischen Konstruktion - also unter Verzicht auf jegliche Differenzierung - kann man diese Einstellungen folgendermaßen charakterisieren:

a) Die Oberschüler neigten dazu, der politischen Wirklichkeit abstrakte Wertungen wie "Gerechtigkeit" und "Gemeinwohl" gegenüberzustellen. Entsprach die politische Wirklichkeit und vor allem die Moral der handelnden Politiker nicht diesem rigoristischen Anspruch - was sie ihrer Natur nach nicht können - galt es fast als intellektuell unanständig, sich noch dafür zu interessieren. Im konkreten Feld politischer Entscheidungen zwischen Besser und Schlechter abzuwägen, war ihrem Bewußtsein zu aufwendig, das sich lieber dem abstrakten "gut" oder "böse" zuwandte.

b) Sie untersuchten politische Probleme mit logisch-kausalen und damit mit alternativen Denkmodellen. Aus der Erklärung etwa, daß alle modernen Großgesellschaften notwendig auf Propaganda zur Erzielung politischer Willensbildung angewiesen seien, schlossen sie "logisch", daß dann eben Bundesrepublik und DDR unter den gleichen Begriffen zu verstehen seien. Daß politische Einsicht es wesentlich mit den Nuancen zu tun habe, hätte ein anderes Denkmodell vorausgesetzt, nämlich das der Interdependenz. Soweit wir das beurteilen können, ist diese Haltung insbesondere durch ein undifferenziertes "Totalita-

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rismus-Modell" bestärkt worden, das völlig verschiedene politische Wirklichkeiten auf einen gleichen Nenner bringt, von dem dann nur noch der bloße Begriff ins politische Denken eingeht. Auch alle didaktischen "Demokratie-Diktatur-Konstruktionen" haben diese Einstellung gefördert. Dazu gehört auch die Neigung zu einsinnigen historischen Ableitungen und ein gewisses Unverständnis gegenüber dem Prozeßcharakter geschichtlicher Entwicklungen. So wird etwa die heutige Sowjetunion unter Gesichtspunkten interpretiert, die allenfalls für die Revolutionszeit sinnvoll waren.

c) Sie hielten fast leidenschaftlich an der Geschlossenheit ihres politischen Weltbildes fest. Sie waren beängstigend fasziniert von politischen Weltbildern, bei denen es auf jede Frage eine möglichst eindeutige Antwort gab. "Konstruktive Kritik" zum Beispiel nannten sie alles, was diese Geschlossenheit im Prinzip nicht antastete. Für sie war gewissermaßen die Welt mit einem Markt von Werten ausgestattet, deren sich das autonome Individuum willkürlich bediente. Als "konstruktive Kritik" hätte wohl auch gegolten, wenn man Gott als Begründer des Seins durch die marxistische Materie ausgetauscht hätte. Destruktiv hingegen empfanden sie zunächst immer das, was wir taten: politische Ganzheitsvorstellungen dieser Art überhaupt zu vermeiden und statt dessen die kritische Reflexion am Detail zu üben.

d) Ihrem Denken lag das anthropologische Vorurteil einer grundsätzlich von historischen und gesellschaftlichen Bedingungen unabhängigen Persönlichkeit zugrunde. Sie verstanden sich selbst nicht gesellschaftlich bedingt, sondern als Kraft ihres Geistes über der Gesellschaft stehend und die kulturellen Angebote aus ihr auswählend. Dieses Menschenbild erhielt gelegentlich eine biologische Ausprägung, als sei der Mensch ein naturhaft-geschichtsloses Wesen. Das zeigte sich besonders in Diskussionen über den Antisemitismus. Weit davon entfernt, vordergründige Vorurteile gegen jüdische Menschen zu haben, glaubten sie dennoch an deren naturhafte Festgelegtheit ("Händler"). Die Tat-

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sache großer jüdischer Geister, die in dieses Modell nicht hineinpaßte, nahmen sie mit der Interpretation hin, daß in diesen Fällen eben der Aufschwung des Geistes über die triebhafte Natur gelungen sei.

e) Die Verbindung zwischen den abstrakten politischen Normen und Begriffen und damit einen gewissen Bezug zur politischen Wirklichkeit lieferten kulturkritische, vor allem massenpsychologische Klischees. Gegenüberstellungen wie "Bildung" und "Massenkultur", "Kultur" und "Zivilisation", "Individuum" und "Staat" beherrschten die Wirklichkeitsvorstellungen.

Diese Einstellungen mußten wir sorgsam berücksichtigen, wenn wir vermeiden wollten, daß unser Unterricht diese Vorurteile vielleicht doch nur wieder bestätigte. Andererseits kam unserer Arbeit zustatten, daß diese Schüler von vornherein mit einem beachtlichen intellektuellen Ernst an politische Probleme herangingen, daß sie durchaus auf dem Niveau von Proseminaren selbständig mitarbeiten konnten.

Entsprechend den Bedürfnissen und Erwartungen dieser Teilnehmer standen bei diesem Tagungstyp die unterrichtlichen Partien deutlich im Vordergrund. Da das Interesse an politischen Fragen vorherrschte, konnte es auch unvermittelt und direkt in die Tagungsplanung eingesetzt werden.
 
 

2. Tagungen mit Lehrlingen

Das war bei den Lehrlingen schon ganz anders. Sie kamen nicht einzeln aufgrund einer besonderen Einladung, sondern als geschlossenes Lehrjahr einer Firma. Die zuständigen Ausbilder kamen mit, hatten aber keine Aufsichtsfunktion. Die Größe einer solchen Gruppe schwankte zwischen 20 und 40 Teilnehmern; die Tagungsdauer betrug 14 Tage. Mit einigen größeren norddeutschen Firmen hatten wir Absprachen getroffen, nach denen jedes Lehrjahr an einer solchen Tagung teilnimmt. Als sich diese Regelung eingespielt hatte, kamen also die Lehrlinge wäh-

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rend der dreijährigen Ausbildung dreimal für 14 Tage ins Haus. Das Interesse der Betriebe an dieser Arbeit war ein doppeltes. Einmal war die Einsicht bestimmend, daß neben die betriebliche Ausbildung eine Allgemeinbildung treten müsse, die der Betrieb selbst nicht übernehmen könne und dürfe. Zweitens betrachtete der Betrieb die Beurlaubung der Lehrlinge ohne weiteren Anspruch auf die Tagungsgestaltung als einen Bestandteil seiner innerbetrieblichen Personalpolitik, um die besten Lehrlinge nach der Ausbildung im Betrieb zu halten. Eine Einmischung in die Tagungsgestaltung wurde so sorgfältig vermieden, daß sogar unsere Bitte abgelehnt wurde, Betriebsangehörige über betriebswirtschaftliche Probleme referieren zu lassen. Es handelte sich hier also um geschlossene Gruppen mit einer weitgehend festgelegten Rollenverteilung. Ein besonders intensives Interesse an der Kommunikation miteinander konnte also nicht von vornherein bestehen, im Gegenteil, die Reaktionsweisen waren durch die Gruppenstruktur weitgehend festgelegt. Der eine galt als "Wortführer", der andere als "Spaßmacher", der dritte als "Frauenheld" und der vierte als "Sozialdemokrat". Wir mußten also Maßnahmen ergreifen, um die Gruppenstruktur zu sprengen und Möglichkeiten neuer Kommunikationen zu schaffen. Außerdem brachten diese Gruppen keine oder nur wenige Mädchen mit.

Schon diese beiden Probleme zwangen uns, ganz andere Maßnahmen der Tagungsgestaltung zu ergreifen als bei den Oberschülern. Außerdem waren aber auch die Motive für den Tagungsbesuch ganz anders. Obwohl wir bei den Firmen durchgesetzt hatten, daß diejenigen, die nicht zu uns kommen wollten, im Betrieb bleiben durften - wovon einige auch Gebrauch machten - waren diese Gruppen doch im Grunde von der Firma abkommandiert. Während die Oberschüler vor allem deshalb kamen, weil ihre Bildungsinteressen in der Schule nicht genügend befriedigt werden konnten, waren für die Lehrlinge unsere Tagungen eher eine Form des Sonderurlaubs. Nur einige wenige suchten von vornherein auf der Tagung Möglichkeiten

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der allgemeinen kulturellen Bildung wahrzunehmen. Anders verhielt es sich schon bei den Gruppen, die zum zweiten oder dritten Male kamen und dann meistens doch recht dezidierte Vorstellungen über die Ausgestaltung mitbrachten. Aber auch dann war das Interesse an politischer Bildung im engeren Sinne nicht sonderlich intensiv, es überwogen vielmehr allgemeine kulturelle Bedürfnisse. Während also die Oberschüler sich angesichts der angebotenen Thematik zur Teilnahme entschlossen, handelte es sich hier darum, für einen in seinen Interessen und intellektuellen Möglichkeiten sehr unterschiedlichen Teilnehmerkreis sozusagen nachträglich ein Programm zu machen.

Auch im Hinblick auf die Einstellung zur politischen Thematik unterschieden sich unsere Lehrlinge deutlich von den Oberschülern. In der Regel waren sie auf Anhieb gar nicht politisch interessiert; für ein solches Interesse fehlten ihnen wichtige Voraussetzungen.

a) Es fehlten ihnen vor allem die mit der Sprache verbundenen Voraussetzungen, Probleme zu sehen, weil ihr Wortschatz und - damit zusammenhängend - ihre begriffliche Vorstellungskraft dazu nicht ausreichten. Das äußerte sich schon darin, daß wir kaum jemals Texte fanden, die wir ihnen zur Lektüre in die Hand geben konnten. Selbst journalistisch gut durchgeformte Leitartikel überforderten ihren Wortschatz derart, daß man an einen Lateinunterricht erinnert wurde, wo vor lauter Vokabelschwierigkeiten der Gehalt des Textes gar nicht zum Vorschein kommt. Daß die Konzentrationsfähigkeit bald nachließ, ist daher nicht verwunderlich. Ihre politische Informationsquelle war nicht das Wort, sondern das Bild, insbesondere das Fernsehbild. Wenn es gelang, von neuen Bildern her neue Denkimpulse zu vermitteln, dann konnte man auch ein Sachproblem weiter vertiefen. Dennoch ließ sich das sprachliche Defizit nicht voll durch visuelle Hilfen kompensieren, weil Bilder allein für einen politischen Vorstellungszusammenhang unzureichend sind. Das begriffliche Unvermögen der Lehrlinge erschien uns sehr gra-

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vierend und ist vielleicht das deutlichste Symptom für ihren Ausschluß von der politischen Beteiligung überhaupt. Begriffe wie "Produktivität", "Klasse", "Vergesellschaftung", "Organisation", "Volkseinkommen", ´"Interdependenz", "Rolle", "sozialer Status", "Investition" - um nur einige zu nennen - spielen ja nicht nur in bestimmten wissenschaftlichen Zusammenhängen eine Rolle, sie sind vielmehr auch zu sprachlichen Chiffren geworden, ohne die wir uns an der Lösung politisch-gesellschaftlicher Probleme nicht beteiligen können. Ersetzt man sie durch Bilder, die nicht wiederum sprachlich unter Kontrolle gebracht werden, dann werden notwendig auch die Sachverhalte unscharf. Wer also über das Instrumentarium solcher Begriffe nicht sachlich richtig verfügen kann, dem bleiben nicht nur diese Sachverhalte verborgen, er bleibt vielmehr auch notwendigerweise von der politischen Beteiligung ausgeschlossen, insofern diese auf der verbalen Kommunikation der Bürger über die einem bestimmten Problem angemessene Lösung beruht. Selbst wenn man also solche Sachverhalte mit anschaulicheren Begriffen erschließen könnte - was ich nicht für möglich halte - so müßten auch diese Begriffe irgendwann in die in der politischen Gesellschaft benutzten sprachlichen Chiffren übersetzt werden.

b) Hinzu kam ein allgemeines kulturelles Defizit. Die Lehrlinge waren nicht geübt, sich mit kulturellen Ansprüchen wie Musik, Literatur oder Kunst zu befassen. Dies lag wohl nicht nur an ihrer mangelhaften Schulbildung, sondern auch daran, daß ihnen in ihrem Alltag kulturelle Anforderungen und Meinungen nirgends abverlangt werden. Kulturelle Ansprüche sind in ihrer Bezugsgruppe offenbar bedeutungslos.

c) Den Lehrlingen fehlten nahezu alle wichtigen Fähigkeiten und Fertigkeiten der geistigen Arbeit. Sie lasen stockend und langsam, konnten höchstens 15 Minuten lang einer zusammenhängenden sprachlichen Darstellung folgen und hatten keinerlei Diskussionserfahrung.

d) Im Unterschied zu den Oberschülern hatten sie kaum

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zusammenhängende Weltvorstellungen. Es gab eigentlich überhaupt keinen gedanklichen Zusammenhang, an den man hätte anknüpfen können. Es gab sozusagen nichts, was unser politischer Unterricht hätte korrigieren können. Sicher hatte man zu allem, worüber gesprochen wurde, eine mehr oder weniger bestimmte Meinung. Aber man vertraute ihr nicht recht, stand ihr fast schüchtern gegenüber, als ob sie etwas Fremdes sei.

e) Ihr Denken war weitgehend auf den Persönlichkeitsbereich beschränkt. Politische Konflikte sahen sie als Folge mehr oder weniger privater Mißhelligkeiten zwischen Politikern an, und wenn sie überhaupt eine politische Vorstellung hatten, dann war es die eines überdimensionalen riesigen Industriebetriebes, wo zwar irgendwelche Leute bestimmen müssen, damit der Betrieb läuft, aber man kennt sie nicht, weiß nichts von ihren Motiven und Plänen und hat auf sie ebensowenig Einfluß wie auf die Geschäftsführung im Betrieb. Worauf es ankommt, ist, ein paar Freunde zu sammeln und sich überhaupt möglichst gut im privaten Bereich einzurichten, solange das gut geht. Der Verdacht ist groß, daß das Schicksal bald ohnehin einen Strich durch diese Rechnung machen wird. Es liegt auf der Hand, daß eine Institution wie eine politische Partei, die gerade durch die Auswechselbarkeit der Personen bestimmt ist, keinen Ort in diesem Denken hat. Man hat nichts gegen Parteipolitiker, aber man versteht einfach nicht, wozu sie nützlich sind.

f) Besonders auffallend war das mangelhafte Zeitbewußtsein. Das gilt schon für die eigene Biografie. Es fiel ihnen schwer, sich an wichtige Dinge in ihrem Leben zu erinnern oder gar sich klarzumachen, was ein solches Ereignis für ihre Gegenwart bedeuten könnte. Das gilt selbst für eine so wichtige Frage, wie sie gerade auf den Beruf gekommen seien, den sie jetzt erlernten. Waren sie schon nicht in der Lage, die biographische Bedeutung der eigenen Vergangenheit ernst zu nehmen, so galt das erst recht für die Politik. Die jüngste Vergangenheit begegnete eher einem kriminalistischen als einem politischen Interesse, et-

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wa wie historische Monsterfilme oder Wildwestfilme. Eine Herleitung gegenwärtiger politischer Probleme aus der Vergangenheit blieb also unanschaulich. Ebenso unanschaulich war es, die relativ gut laufende Gegenwart auf bedenkliche Tendenzen für die Zukunft hin zu befragen. "Vergangenheit" und "Zukunft" waren eben überhaupt keine rational durchgeformten Kategorien, und die Gegenwart schrumpfte demnach auf einen bloßen Zustand, auf reine Dauer zusammen.

g) Diese mehr oder weniger bewußten Mängel der eigenen Einstellung führten nicht nur zur Resignation ("Man kann doch nichts machen"), sondern auch zu einem recht empfindlichen intellektuellen Minderwertigkeitsgefühl ("Wir sind eben zu dumm für Probleme!"). Die Überwindung dieses Minderwertigkeitsgefühls war eines unserer schwierigsten pädagogischen Probleme auf der Tagung.

h) All dem widersprach nicht, daß unsere Lehrlinge erstaunlich informiert waren über aktuelle politische Probleme und Auseinandersetzungen. Das hängt wohl damit zusammen, daß am Arbeitsplatz und wohl auch zu Hause zwar nicht über Musik, Kunst und Literatur, wohl aber über Politik gesprochen wird, weil es eine Prestigefrage ist, ob man eine politische Meinung hat oder nicht. Dieses Bedürfnis nach sozialem Prestigegewinn hatte ein gewisses Interesse an unseren politischen Diskussionen zur Folge: Unsere Lehrlinge wollten im Betrieb und im Kameradenkreis besser informiert sein und erfolgreicher mitreden können als die anderen.

Diese Charakteristik ist natürlich ebenfalls eine verdichtete idealtypische Konstruktion, zu der im einzelnen vieles anzumerken wäre. Sie soll hier vor allem begründen, weshalb es unmöglich war, mit den Lehrlingen in derselben Weise zu arbeiten wie mit den Oberschülern. Vor allem war es unmöglich, die politischen Lehrgehalte so wie bei den Oberschülern in den Vordergrund zu stellen. Genau dies hatten wir zunächst versucht und waren damit völlig gescheitert. Das Bildungsdefizit dieser Jugend ist

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viel allgemeiner und grundsätzlicher. Wir hätten auch der Sache Politik keinen guten Dienst erwiesen, wenn wir den allgemeinen kulturellen Hintergrund unterschlagen hätten, auf dem das Politische seinen Stellenwert erst gewinnen kann.

Übrigens sind nach unseren Erfahrungen die eben geschilderten geistigen Mängel keineswegs überwiegend in der sogenannten minderen intellektuellen Begabung der Lehrlinge begründet. Hier liegen vielmehr Fähigkeiten brach, die nicht herausgelockt, ja sogar unterdrückt werden. Fast jedem von ihnen hätten wir bei rechtzeitiger und richtiger Anleitung durchaus den Abschluß einer Mittelschule zugetraut.

In den meisten unserer Lehrlingsgruppen stießen wir auf ein hochexplosives "innenpolitisches" Problem: Es gab nämlich fast immer eine kleine Minderheit von Mittelschülern und solchen Jugendlichen, die den Besuch der Oberschule abgebrochen hatten. Ihnen bereitete die Integration mit der Mehrheit, die nur Volksschulabschluß hatte, fast immer erhebliche Schwierigkeiten. Sie nahmen gern die Tagung zum Anlaß, endlich einmal ihren angeblichen intellektuellen Vorsprung vor den anderen zu dokumentieren. Erstaunlicherweise unterwarfen sich die übrigen meist bereitwillig dem angeblich besseren Wissen dieser Teilnehmer. Man hatte den Eindruck, als ob in der Gruppe eine Arbeitsteilung stattgefunden habe: Die Volksschüler hielten sich in allen praktischen Lebensfragen für überlegen, während die anderen gewissermaßen für die Kultur zuständig waren. Dabei zeigten die Volksschüler keineswegs das Verlangen, an dieser Kultur durch die Kommunikation mit den Mittel- und Oberschülern zu partizipieren. Während die Volksschüler in der Regel recht offen, wenn auch zurückhaltend auf neue kulturelle Erfahrungen in der Tagung reagierten, antworteten die anderen vor allem dann affektiv und ressentimentgeladen, wenn ihre kulturelle Vorrangstellung in der Gruppe in Frage gestellt wurde. Entlarvten die Mitarbeiter solche affektgeladenen Vorurteile, so verlegten sich diese Jugend-

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lichen oft auf Disziplinverstöße und Ungehorsam und versuchten als Rädelsführer Anhänger für Gegenaktionen gegen die Tagungsplanung zu gewinnen. Sie sahen sich im Kreis der Lehrlinge leicht als soziale Absteiger an und neigten dazu, dieses Gefühl auf die beschriebene Weise zu kompensieren. Sie konnten nicht einsehen, warum sie gegenüber den Volksschülern keinen beruflichen Vorsprung hatten. Charakteristisch für dieses Problem ist folgende häufige Erfahrung: Für die sogenannten freien Gesprächsgruppen, die in der Freizeit stattfanden, schlugen die Mittel- und Oberschüler die meisten Themen in möglichst hochgestochener Formulierung vor. Hatten wir diese Themen dann aufgegriffen, fehlten gerade die, die sie vorgeschlagen hatten; sie zogen es vor, ihre Freizeit privat zu nutzen, was an sich durchaus den Spielregeln entsprach. Ihre Rolle bestand gewissermaßen darin, für die anderen kulturelle Belange zu vertreten. Die persönliche Verbindlichkeit ihrer Vorschläge stand hingegen auf einem anderen Blatt.
 
 

3. Tagungen mit Schulklassen

Unser dritter Tagungstyp, Tagungen mit Schulklassen unter Anwesenheit und Mitwirkung der Lehrer, stellte uns wieder vor neue Probleme. Zunächst war für die Schüler die Tagung eine Schulveranstaltung, also eine Situation mit einem erheblichen Öffentlichkeitsgrad und Konformitätsdruck. Die Tagung war für sie keine Freizeitveranstaltung. Das hatte zur Folge, daß die vorhin charakterisierten Erwartungen nach dem Außergewöhnlichen, nach Begegnung mit fremden Menschen, nach Meinungs- und Verhaltensexperimenten und nach Aussprache kaum zum Zuge kamen, also gewissermaßen unterdrückt blieben.

Aber die größten Schwierigkeiten bereiteten uns nicht die Schüler, sondern die Lehrer. Vermutlich fühlte sich ein ganz bestimmter Typ des Lehrers durch das Image des Jugendhofes angezogen. Viele gestanden uns nämlich, daß sie mit dem Begriff "Jugendhof" ganz andere, nämlich in

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die Richtung der Jugendbewegung weisende Erwartungen verbunden hatten, die dann nicht eingelöst wurden. Schon deshalb also hat unsere Erfahrung mit Lehrern keinerlei Verallgemeinerungswert. Außerdem geht es hier gar nicht um eine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Lehrern, sondern darum, die Schwierigkeiten der Lehrerrolle selbst aufzuzeigen, für die der einzelne Lehrer ja nicht unbedingt verantwortlich ist.

Im allgemeinen verlangten unsere Lehrer zuviel Stoffbewältigung. Oft hatte man das Gefühl, eine Wochentagung sollte nachholen, was der bisherige politische Schulunterricht versäumt hatte. Außerdem neigten die Lehrer dazu, die Denkfähigkeit ihrer Schüler zu unterschätzen. Insbesondere Volks- und Berufsschullehrer schlossen oft politische Überlegungen mit einem moralischen Allgemeinplatz ab, bevor die rationalen Fähigkeiten und Bedürfnisse ihrer Schüler wirklich erschöpft waren. Gerade für die besonderen didaktischen und methodischen Möglichkeiten der Tagungssituation brachten sie nur schwer Verständnis auf. So schien es ihnen oft geradezu unheimlich, wenn wir mit den Jugendlichen Gespräche führten, bei denen auch wir nicht wußten, was herauskam. In ihrem Verständnis war Gespräch bloße Methode, um Wissen herauszufragen oder beizubringen. Sie waren eingeschworen auf die Technik der sogenannten "W-Fragen", die mit einem "W-Wort" beginnen (wer, was, wie, wann, wo, warum). Sie sahen zunächst nicht ein, daß man solche Fragen nur dort stellen kann, wo eindeutige Antworten zu erwarten sind. Wo es aber darum geht, in einem gemeinsamen geistigen Prozeß zu Erkenntnissen zu gelangen, hat diese Frageweise keinen Sinn mehr, sie trifft dann einfach nicht mehr die Sache. Hinzu kam, daß die meisten Lehrer kein Verständnis für die Freizeitinteressen ihrer Jugendlichen auf der Tagung aufbrachten. In ihren Augen war auch die Freizeit leistungsorientiert. Viele ruhten nicht eher, als bis sie das letzte Kofferradio und die letzte Schallplatte konfisziert hatten.

Diese Schwierigkeiten lagen zum wenigsten darin begrün-

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det, daß unsere Lehrer schlechte Lehrer gewesen wären. Ausschlaggebend war vielmehr, daß unsere Mitarbeiter und die Lehrer den Jugendlichen in sehr verschiedenen Rollen gegenübertraten. Der Lehrer unterlag zum Beispiel auch auf der Tagung den Bedingungen der schulischen Aufsichtspflicht. Die verständliche Furcht vor Unannehmlichkeiten aus Anlaß der banalsten Geschehnisse bestimmte weitgehend das Verhalten der Lehrer zu ihren Schülern. Dies war auch oft der Grund für die übertriebene Freizeitkontrolle. Da war die Lage unserer Mitarbeiter weitaus günstiger. Unsere Aufsichtspflicht beschränkte sich im wesentlichen auf die allgemeinen Grundsätze des Jugendschutzes. Im Gegensatz zu den Lehrern konnten wir es uns also leisten, ein höheres Risiko in Kauf zu nehmen. Wer aber die Aufsichtspflicht hat, muß auch das Recht zur Entscheidung behalten. Auf diese Weise fielen in den Klassentagungen die erzieherische und die unterrichtliche Leitung auseinander. Damit geriet nun der Lehrer erst recht in die undankbare Rolle des Polizisten, während unsere Mitarbeiter in die Rolle des interessanten Dozenten zurückfielen, der sich im übrigen nicht mit den Teilnehmern anlegen mußte. Dieser Widerspruch war grundsätzlich nicht zu lösen, wenngleich seine Auswirkungen im Einzelfall durch ständigen Kontakt mit den Lehrern gemildert werden konnten.

Mit dieser Charakteristik der drei verschiedenen Teilnehmergruppen können wir nun den ersten Teil unserer Überlegungen abschließen. Unsere Anatomie der Tagung als eines pädagogischen Feldes ist dabei bereits recht weit vorangetrieben. Wir haben die pädagogische Bedeutung der äußeren Verhältnisse sowie der Mitarbeiter und Teilnehmergruppen beschrieben. Oder um es in einem Bild auszudrücken: Wir haben die Grenzsteine unseres pädagogischen Feldes benannt und beschrieben. Aber ein Feld ist ja eigentlich das, was sich zwischen diesen Grenzsteinen befindet. Denn in diesem Feld gehen die Mitarbeiter und die verschiedenen Teilnehmergruppen mannigfaltige Be-

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ziehungen miteinander ein. Mit einem modernen Ausdruck könnte man die Tagung als ein eigentümliches Feld menschlicher Kommunikation bezeichnen. Dabei könnte man sich vorstellen, daß in diesem Feld nichts weiter geschieht, als daß zum Beispiel Studenten und Lehrlinge sich dort für eine Zeitlang treffen, wie das im Urlaub oft der Fall sein dürfte. Auch dann, wenn also keine bestimmten Absichten und Lehrprogramme eine Rolle spielen, müßte man von einem pädagogischen Feld sprechen; denn allein dadurch, daß Menschen unter bestimmten Verhältnissen miteinander kommunizieren, finden ja Lernprozesse statt. Auch in unserem Falle waren natürlich die vielfältigen Beziehungen zwischen den Teilnehmern und den Mitarbeitern von großer Bedeutung. Aber sie wurden bereits gemäß unseren Vorstellungen von politischer Bildung bewußt gestaltet. Um sie zu erklären und zu beschreiben, müssen wir also in dem folgenden Teil zunächst unsere pädagogischen Absichten darstellen.

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 URL des Dokuments: : http://www.hermann-giesecke.de/steink1.htm

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